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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.11.2002
Aktenzeichen: 6 A 5645/00
Rechtsgebiete: LVO, BBesG


Vorschriften:

LVO § 10a Abs. 2 Satz 2
BBesG § 24a
Dienstliche Beurteilung eines Regierungsschuldirektors nach den Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Geschäftsbereich des Innenministeriums vom 9.11.1995, MBl. NRW. S. 1668 (BRL), i.V.m. dem Runderlass des Ministerium für Schule und Weiterbildung - "Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten (mit Ausnahmen der Lehrerinnen und Lehrer) im Geschäftsbereich des Ministeriums für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen -" vom 9.5.1996, GABl. NRW. I S. 108.

Der Maßstab einer dienstlichen Beurteilung muss im Grundsatz das Statusamt des Beamten sein; die Bildung von Vergleichsgruppen als Bezugsrahmen für die Anwendung von Richtsätzen muss sich deshalb in der Regel auf die Zusammenfassung von Beamten derselben Besoldungsgruppe beziehen.

Eine Zusammenfassung von Beamten derselben Funktionsebene muss sich auf Ausnahmefälle beschränken, in denen die Wahrnehmung gleichartiger Dienstaufgaben im Vordergrund steht und die Zusammenfassung einem sich aufdrängenden Bedürfnis entspricht bzw. unverzichtbar erscheint. Die Zusammenfassung von drei Besoldungsgruppen (hier: A 13 bis A 15 BBesO) setzt besonders stichhaltige Ausnahmegründe voraus.

Ein Ausnahmefall kann jedenfalls dann nicht anerkannt werden, wenn auch bei der Zusammenfassung von Beamten derselben Funktionsebene die erforderliche Mindestzahl für die Vergleichsgruppenbildung nicht erreicht wird.


Tatbestand:

Der Kläger wandte sich mit der Klage dagegen, dass seine dienstliche Beurteilung auf der Bildung einer "Vergleichsgruppe auf der Basis derselben Funktionsebene", bestehend aus ihm und den 10 anderen wissenschaftlichen Referenten seiner Dienststelle, beruhe; die herangezogene Nr. 6.3 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 dritter Spiegelstrich BRL biete dafür keine hinreichende Grundlage. Das VG wies die Klage als unbegründet ab. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Gründe:

Gemäß Nr. 6.3 Abs. 5 Satz 2 BRL sollte, wenn die Zahl von mindestens 30 Personen für eine Vergleichsgruppe nicht erreicht wurde, "bei der Festlegung der Gesamtnote eine Differenzierung angestrebt werden, die sich an diesen Orientierungsrahmen anlehnt". Das hat das Landesinstitut versucht, indem es den in Nr. 6.3 Abs. 6 dritter Spiegelstrich BRL niedergelegten, für die Bildung von Vergleichsgruppen geltenden Grundsatz "in Fällen, in denen die Wahrnehmung einer bestimmten Funktion im Vordergrund steht (z.B. Leiter von Behörden/Einrichtungen, Abteilungsleiter bei nachgeordneten Behörden, Referatsleiter, Referenten, Hauptdezernenten/Dezernenten) können auch Mitglieder derselben Funktionsebene eine Vergleichsgruppe bilden" herangezogen und auf die wissenschaftlichen Referenten angewendet hat. Mit diesem Quervergleich auf der Basis derselben Funktionsebene wurden die elf wissenschaftlichen Referenten mit dem Ziel zusammengefasst, eine Differenzierung bei der Gesamtnote im Sinne der Nr. 6.3 Abs. 5 Satz 2 BRL herbeizuführen. Zusammengefasst wurden damit Beamte aus drei Besoldungsgruppen (A 13 bis A 15 BBesO). Das ist rechtlich zu beanstanden und führt zum Erfolg der Klage.

Dienstliche Beurteilungen, die ihren Zweck erfüllen sollen, müssen zwei grundsätzlich im Einklang miteinander stehenden, gelegentlich aber gegenläufigen Anforderungen gerecht werden:

Ein zweckorientiertes Beurteilungswesen verlangt zum einen die Zugrundelegung eines abstraktes Maßstabs; anderenfalls wären Beurteilungen als Mittel der Bestenauslese ungeeignet. Nach allgemeiner Auffassung darf sich dieser Maßstab nicht an der Funktion, also an dem Tätigkeitsbereich bzw. dem Dienstposten des Beamten, der von Fall zu Fall wechselt, orientieren; die Orientierung muss vielmehr am Statusamt bzw. den daraus abgeleiteten Anforderungen erfolgen. Die dienstliche Beurteilung hat demgemäß die fachliche Leistung des Beamten in Bezug auf sein Statusamt und im Vergleich zu den amtsgleichen Beamten seiner Laufbahn darzustellen.

Vgl. z.B. OVG NRW, Urteile vom 19.12.1991 - 12 A 1069/89 - und vom 2.11.1994 - 12 A 1455/92 -; Bay.VGH, Urteil vom 8.4.1987 - Nr. 3 B 86.01404 -, Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, ES/D I 2 Nr. 33.

Diese - aus dem Prinzip der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) abgeleitete - Aussage hat im Kern Verfassungsrang und ist deshalb auch für den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht in jeder Hinsicht disponibel. Ob § 10a Abs. 2 Satz 2 LVO in der Fassung der Zweiten ÄnderungsVO vom 11.4.2000, GV. NRW. S. 380, der bei einer nur auf den Wortlaut beschränkten Auslegung die Bildung einer Vergleichsgruppe alternativ "nach der Besoldungsgruppe... oder nach der Funktionsebene" zu gestatten scheint, dem gerecht wird, ist fraglich.

Zu einer bereits besoldungsrechtlich determinierten Bandbreitenregelung vgl. § 24a BBesG i.d.F. des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu einem Gesetz zur Modernisierung der Besoldungsstruktur einschließlich der zugehörigen Begründung unter I B 1 und II zu Nr. 1 (BT-Drucks. 14/6390 vom 21.6.2001); zu den nachteiligen Konsequenzen für das Beurteilungswesen und zu der daraus folgenden Kritik vgl. Lorse, ZBR 2001, 73 (80), und Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, 3. Aufl. Oktober 2002, Rdnr. 255a.

Das bedarf jedoch keiner Vertiefung; denn diese Regelung ist erst am 10.5.2000 in Kraft getreten (Art. III der vorgenannten Zweiten ÄnderungsVO) und dementsprechend hier nicht anwendbar.

Dienstliche Beurteilungen müssen zum anderen hinlänglich differenziert sein. Eine allzu häufige Vergabe von Spitzennoten führt zur Nivellierung und kann das Beurteilungswesen unbrauchbar machen. Dem kann durch Richtsätze für die einzelnen Notenstufen entgegengewirkt werden, wie sie hier in Nr. 6.3 Abs. 4 BRL vorgesehen sind. Richtsätze benötigen ihrerseits einen Bezugsrahmen in Gestalt der Vergleichsgruppen (vgl. hier Nr. 6.3 Abs. 5 und 6 BRL).

Im Idealfall kann beiden Anforderungen ohne Einschränkung Rechnung getragen werden, indem die Vergleichsgruppe nur aus Beamten derselben Besoldungsgruppe innerhalb einer Laufbahn gebildet wird. Diesen Idealfall regelt Nr. 6.3 Abs. 6 erster Spiegelstrich BRL mit der Maßgabe, dass so "in erster Linie" zu verfahren ist. Bereits hieraus, mehr noch aber aus den zuvor dargestellten Erwägungen folgt, dass diese Verfahrensweise das Grundprinzip darstellt, nach dem in der Regel verfahren werden muss. Die weiteren Spiegelstriche sind nur nachrangig anzuwenden, in Sonderheit der dritte Spiegelstrich in der Nr. 6.3 Abs. 6 BRL, den der Beklagte im vorliegenden Fall herangezogen hat.

Die dort getroffene Regelung, dass in Fällen, in denen die Wahrnehmung einer bestimmten Funktion im Vordergrund steht, auch Mitglieder derselben Funktionsebene eine Vergleichsgruppe bilden können, zielt auf solche Fallgestaltungen ab, in denen eine Vergleichsgruppe aus Beamten derselben Besoldungsgruppe mangels einer hinreichenden Zahl solcher Beamter nicht gebildet werden kann. Die Mindestzahl liegt insoweit bei 30 Personen (Nr. 6.3 Abs. 5 Satz 1 BRL). Wird zwecks Einhaltung dieser Grenze auf die Funktionsebene zurückgegriffen, hat dies den Vorzug, dass dem durch die Vergleichsgruppenbildung und Richtsatzorientierung geförderten Differenzierungsanliegen besser entsprochen werden kann. Zugleich wird damit allerdings der eingangs geschilderte Ausgangspunkt für den Beurteilungsmaßstab, das statusrechtliche Amt, verlassen bzw. zumindest in Frage gestellt. Letztlich handelt es sich insoweit um ein Optimierungsproblem. Dessen sachangemessene Lösung gebietet es, angesichts der hohen Bedeutung des Statusamtbezuges für dienstliche Beurteilungen auf die Funktionsebene nur in Ausnahmefällen zurückzugreifen. Dabei hat der Funktionsbezug eindeutig zu sein, d.h. die Verklammerung des Personenkreises durch die Wahrnehmung gleichartiger Aufgaben muss sinnfällig sein oder - anders ausgedrückt - im Sinne der hier anzuwendenden Beurteilungsrichtlinien "im Vordergrund stehen". Zugleich muss die Zusammenfassung zu einer diesbezüglichen Vergleichsgruppe einem sich aufdrängenden Bedürfnis entsprechen, d.h. im Interesse einer umfassenden Beurteilungsregelung unverzichtbar erscheinen.

Vgl. auch Schnellenbach, a.a.O., Rdnr. 414, der überdies eine flexible, den Abweichungen vom Grundprinzip korrespondierende Handhabung der Richtwerte auf solche Fallgruppen fordert.

Der Senat hat diese Voraussetzungen in dem seinem Beschluss vom 11.1.2000 - 6 A 1316/97 -, DÖD 2000, 157 (zu Nr. 5.4 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Geschäftsbereich des Innenministeriums vom 25.5.1991, MBl.NRW. S. 786) zugrundeliegenden Fall als erfüllt angesehen. Dort ging es um die Zusammenfassung von schulfachlichen Schulaufsichtsbeamten der Besoldungsgruppen A 14 BBesO mit Amtszulage und A 15 BBesO zu einer 58 Personen umfassenden Vergleichsgruppe.

Der vorliegende Fall liegt wesentlich anders. Hierbei kann offen bleiben, ob bei dem Kläger und den anderen Beamten seiner "Vergleichsgruppe" die Wahrnehmung einer bestimmten Funktion im Vordergrund stand; dies ist zwischen den Beteiligten streitig. Jedenfalls lag dem Vergleich auf Funktionsebene kein sich aufdrängendes bzw. unverzichtbares Bedürfnis zugrunde. Die vorgeschriebene Zahl von mindestens 30 Personen einer Vergleichsgruppe war auch bei dem Rückgriff auf die Funktionsebene nicht zu erreichen; tatsächlich wurden lediglich 11 Personen als wissenschaftliche Referenten zusammengefasst. Damit war die Bildung einer Vergleichsgruppe aus Mitgliedern derselben Funktionsebene nicht möglich. Für das mit der Vergleichsgruppenbildung angestrebte Ziel der Differenzierung war mit dem Rückgriff auf die Funktion folglich nichts gewonnen. Ein rechtlich begründeter Anlass, von der in erster Linie gebotenen Orientierung an der Laufbahn und der Besoldungsgruppe abzugehen, ist unter diesen Umständen auszuschließen. Das gilt auch für die vom Beklagten praktizierte Handhabung nach Nr. 6.3 Abs. 5 Satz 2 BRL.

Im Streitfall tritt hinzu, dass (im Unterschied zu dem erwähnten, vom Senat mit Beschluss vom 11.1.2000 - 6 A 1316/97 -, a.a.O., entschiedenen Fall) Beamte aus drei Besoldungsgruppen (A 13, A 14 und A 15 BBesO) zusammengefasst worden sind. Von der grundsätzlich gebotenen Orientierung an dem statusrechtlichen Amt, welches dem Beamten verliehen worden ist, verblieb bei dieser Handhabung nichts Wesentliches mehr.

Zur Problematik einer drei Besoldungsgruppen umfassenden Bandbreitenregelung vgl. erneut Schnellenbach, a.a.O., Rdnr. 255a, sowie Lorse, a.a.O.

Der Rückgriff auf die Funktionsebene hätte vor diesem Hintergrund besonders stichhaltiger Ausnahmegründe bedurft, die aber nicht zu erkennen sind.

Ende der Entscheidung

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