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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.07.2004
Aktenzeichen: 6 B 1212/04
Rechtsgebiete: LPVG


Vorschriften:

LPVG § 72 Abs. 4 Nr. 16
Zur Heranziehung älterer dienstlicher Beurteilungen im Rahmen der Auswahlentscheidung bei der Besetzung eines Beförderungsdienstpostens (im Anschluss an BVerwG, Urteile vom 19.12.2002 - 2 C 31.01 -, DÖD 2003, 200, vom 27.2.2003 - 2 C 16.02 -, DÖD 2003, 202, und vom 21.8.2003 - 2 C 14.02 -).

Frühere dienstliche Beurteilungen aus einem niedrigeren statusrechtlichen Amt dürfen gegenüber Beurteilungen aus dem um eine Besoldungsgruppe höheren Amt gleich gewichtet werden, wenn sie in der Gesamtnote eine um mindestens einen Punktwert höhere Bewertung aufweisen.


Tatbestand:

Der Antragsteller und der Beigeladene sind Oberkommissare der Besoldungsgruppe A 10 BBesO. Die Beförderung in dieses Amt erfolgte beim Antragsteller im April 1997 und beim Beigeladenen im November 1999. Die letzten dienstlichen Regelbeurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen aus dem Jahr 2002 haben das Beurteilungsergebnis "Die Leistung und Befähigung ... übertreffen die Anforderungen" (4 Punkte). Die vorangegangenen Regelbeurteilungen aus dem Jahr 1999 unterscheiden sich im Beurteilungsergebnis. Der Antragsteller, damals schon Kriminaloberkommissar, erhielt das Beurteilungsergebnis "Die Leistung und Befähigung ... entsprechen voll den Anforderungen" (3 Punkte). Dem Beigeladenen wurde im damaligen Rang des Polizeikommissars das Beurteilungsergebnis "Die Leistung und Befähigung ... übertreffen die Anforderungen in besonderem Maße" (5 Punkte) zuerkannt.

Der Antragsgegner beabsichtigte, den Beigeladenen zum Polizeihauptkommissar (A 11 BBesO) zu ernennen, weil er ihn nach den Ergebnissen der Vorbeurteilungen als höher qualifiziert als den Antragsteller ansah. Das VG untersagte dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung, die streitige Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hatte Erfolg.

Gründe:

Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers ist entgegen der Auffassung des VG zu verneinen. Die Entscheidung des Antragsgegners, die Stelle der Besoldungsgruppe A 11 BBesO mit dem Beigeladenen zu besetzen, ist nach der in Verfahren der vorliegenden Art vorzunehmenden summarischen Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden.

Die vom Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen steht mit der neueren Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urteile vom 19.12.2002 - 2 C 31.01 -,DÖD 2003, 200, vom 27.2.2003 - 2 C 16.02 -, DÖD 2003, 202, und vom 21.8.2003 - 2 C 14.02 -, im Einklang. Hiernach sind für Auswahlentscheidungen in erster Linie aktuelle Beurteilungen maßgebend, die den gegenwärtigen Leistungsstand wiedergeben. Ältere dienstliche Beurteilungen können daneben als zusätzliche Erkenntnismittel berücksichtigt werden. Sie stellen keine Hilfskriterien für die Auswahlentscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beurteilten Aufschluss geben und die deswegen gegenüber Hilfskriterien vorrangig heranzuziehen sind. Zwar verhalten sie sich nicht zum aktuell erreichten Leistungsstand im gegenwärtigen statusrechtlichen Amt. Gleichwohl können sie Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt ermöglichen. Sie können im Rahmen einer Gesamtwürdigung der vorhandenen dienstlichen Beurteilungen positive oder negative Entwicklungstendenzen aufzeigen. Das gilt auch für in früheren Beurteilungen enthaltene Einzelaussagen über Charaktereigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen. Die zusätzliche Berücksichtigung vorangegangener dienstlicher Beurteilungen bei der Auswahl ist deswegen mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 des GG geboten, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Beamten zu treffen ist.

Zwar muss nach der Rechtsprechung des Senats bei einer Auswahlentscheidung nicht immer ein chronologisch rückwärts gerichteter Vergleich älterer Beurteilungen zwingend den Ausschlag geben. Vielmehr kommt es darauf an, ob die den Konkurrenten früher erteilten Beurteilungen miteinander vergleichbar sind und inwieweit sie Aufschluss darüber geben, wer für die zu besetzende Stelle besser qualifiziert ist.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17.12.2003 - 6 B 2172/03 - , vom 22.12.2003 - 6 B 2321/03 - und vom 21.4.2004 - 6 B 71/04 -.

Diesen Maßgaben genügt die zu Gunsten des Beigeladenen getroffene Beförderungsentscheidung.

Der Antragsgegner leitet einen Qualifikationsvorsprung des Beigeladenen gegenüber seinem Konkurrenten, dem Antragsteller, aus einem wertenden Vergleich der den aktuellen Beurteilungen vorausgegangenen Regelbeurteilungen her. Dies ist vor dem Hintergrund, dass die aktuellen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen mit dem gleichen Beurteilungsergebnis abschließen und sich eine inhaltliche Ausschöpfung der aktuellen Regelbeurteilungen nach Aktenlage nicht aufdrängt, rechtlich nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung des VG hält sich die Bewertung, die mit dem Beurteilungsergebnis von 5 Punkten abschließende Beurteilung des Beigeladenen im Amt der Besoldungsgruppe A 9 sei gegenüber der 3-Punkte-Beurteilung des Antragstellers im Amt der Besoldungsgruppe A 10 als besser zu bewerten, im Rahmen des dem Dienstherrn eingeräumten, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums. Im gedanklichen Ausgangspunkt hat der Antragsgegner die 5-Punkte-Beurteilung des Beigeladenen im Amt der Besoldungsgruppe A 9 rechtlich bedenkenfrei einer Beurteilung mit 4 Punkten im statusrechtlich höheren Amt der Besoldungsgruppe A 10 gleichgestellt und daraus die Höherwertigkeit der Beurteilung des Beigeladenen gegenüber der 3-Punkte-Beurteilung des Antragstellers abgeleitet. Den hiergegen erhobenen Einwand des VG, eine vergleichende Betrachtung und Gewichtung der Gesamturteile verschiedener Statusämter scheide jedenfalls für die hier zu beurteilende Konkurrenz innerhalb derselben Säule der Polizei aus, hält der Senat nicht für stichhaltig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt der dienstlichen Beurteilung des Inhabers eines höherwertigen Amtes gegenüber der gleichlautenden dienstlichen Beurteilung eines Mitbewerbers im Allgemeinen ein größeres Gewicht zu. Dieses kann im Einzelfall durch die besondere Eignung des Mitbewerbers für das angestrebte Amt ausgeglichen werden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18.4.1996 - 6 B 709/96 -, vom 2.10.1997 - 6 B 1661/97 -, vom 24.6.1998 - 6 A 416/96 -, vom 31.3.2000 - 6 B 357/99 -, vom 26.10.2000 - 6 B 1281/00 -, vom 19.12.2001 - 6 B 1408/01 - und vom 28.1.2002 - 6 B 1275/01 -.

Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Maßstab für die dienstlichen Anforderungen im Blick auf das innegehaltene Amt im statusrechtlichen Sinne zu bestimmen ist. Sobald der Beamte befördert ist, fällt er ohne Rücksicht darauf, wie kurz die danach bis zum Beurteilungsstichtag verbleibende Zeit ist, aus dem Kreis der vor der Beförderung mit ihm zu vergleichenden Beamten aus und tritt in den Kreis der nunmehr mit ihm zu vergleichenden Beamten des Beförderungsamtes ein. Das Anlegen eines höheren Maßstabes wird, wenn der beförderte Beamte seine Leistungen nicht mehr gesteigert hat, regelmäßig dazu führen, dass die Beurteilung im neuen Amt schlechter ausfällt als diejenige im vorangegangenen, niedriger eingestuften Amt.

Vgl. Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Teil B, Rdnr. 255.

Kommt somit der Beurteilung aus dem höherwertigen statusrechtlichen Amt gegenüber einer gleichlautenden dienstlichen Beurteilung im niedrigeren statusrechtlichen Amt wegen des unterschiedlichen Beurteilungsmaßstabes im Allgemeinen eine höhere Wertigkeit zu, so rechtfertigt dies auch die Annahme, dass die in einem niedrigeren statusrechtlichen Amt erzielte Beurteilung gegenüber einer Beurteilung aus dem höheren statusrechtlichen Amt gleich oder sogar stärker zu gewichten sein kann, wenn sie mit einem besseren Gesamturteil abschließt. Ausgehend von diesem Ansatz ist die in der "Regelung der zukünftigen Beförderungsauswahlkriterien" getroffene Festlegung des Antragsgegners, dass Beurteilungen aus einem um eine Besoldungsgruppe niedrigeren statusrechtlichen Amt nur dann gleich stehen, wenn sie in der Gesamtnote eine um mindestens einen Punktwert höhere Bewertung aufweisen, rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Senat vermag die vom VG hiergegen aufgezeigten Bedenken nicht zu teilen. Gerade dadurch, dass das Beurteilungsergebnis bezogen auf das Statusamt gewürdigt und bei einer vergleichenden Betrachtung entsprechend eingeordnet wird, behält der bei der dienstlichen Beurteilung angelegte Maßstab seine Gültigkeit. Dass die in der jeweiligen Beurteilungsrunde getroffene "Standortbestimmung" des Beamten einer Veränderung unterliegen kann, ergibt sich schon daraus, dass der Kreis der Bewerber um ein Beförderungsamt keineswegs identisch mit den in einer Beurteilungsrunde zusammengefassten Beamten derselben Behörde sein muss. Die Auffassung des VG, eine vergleichende Betrachtung und Gewichtung der Gesamturteile verschiedener Statusämter scheide jedenfalls für die hier zu beurteilende Konkurrenz innerhalb derselben Säule der Polizei aus, hätte zur Konsequenz, dass die Vorbeurteilungen im Auswahlverfahren oft nicht mehr zu berücksichtigen wären. Konkurrieren mehrere Bewerber um ein Beförderungsamt, die - wie es oft und auch hier der Fall ist - ihre Vorbeurteilungen in unterschiedlichen Statusämtern erhalten haben, so würde eine Beschränkung des Bewerberkreises auf diejenigen Beamten, die sich schon zum Zeitpunkt der Vorbeurteilung im höheren Statusamt befanden, dem durch Art. 33 Abs. 2 GG garantierten Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt zuwider laufen. Demnach bliebe nur die Möglichkeit, die Vorbeurteilungen insgesamt unberücksichtigt zu lassen und bei gleichem Beurteilungsergebnis in den aktuellen Beurteilungen unmittelbar auf Hilfskriterien zurückzugreifen. Eine solche Verfahrensweise trüge jedoch dem auf der Qualifikationsebene angesiedelten Gesichtspunkt der Leistungsentwicklung nicht hinreichend Rechnung.

Die im vorliegenden Einzelfall vorgenommene Gewichtung der Vorbeurteilungen im Hinblick auf einen Qualifikationsvergleich der Beförderungsbewerber stellt sich entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht als Aufstellung einer Beurteilungsrichtlinie im Sinne von § 72 Abs. 4 Nr. 16 LPVG dar, so dass ein Mitbestimmungstatbestand nicht gegeben ist.

Sonstige leistungsbezogene Merkmale, welche dem Antragsgegner möglicherweise hätten Veranlassung geben müssen, seine Auswahlentscheidung unabhängig von den Vorbeurteilungen zugunsten des Antragstellers zu treffen oder jedenfalls im Rahmen des Auswahlermessens erkennbar zu berücksichtigen, sind nicht dargetan und treten auch nicht aus den Akten hervor.

Ende der Entscheidung

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