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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.11.2009
Aktenzeichen: 6s E 861/07.S
Rechtsgebiete: BauKaG NRW


Vorschriften:

BauKaG NRW § 22 Abs. 2 Nr. 11
Die Feststellung, ob die einem Architekten vorgeworfenen kritischen Äußerungen zum Entwurf eines Berufskollegen als unkollegial gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 11 BauKaG NRW anzusehen sind, erfordert eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit des Architekten auf der einen Seite und dem Rechtsgut, dessen Schutz die einschränkende Norm bezweckt. Bei Äußerungen, die einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung darstellen (hier: Zusammenhang mit einem Bürgerentscheid), spricht eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede. (Anschluss an BVerfG, NJW 2000, 3413, 3415).
Tatbestand:

Die beschuldigte Architektin äußerte sich in einem Artikel über den Entwurf eines anderen Architekten für die Erweiterung der örtlichen Grundschule. Der Artikel wurde in einer Broschüre der "Grünen" abgedruckt, die anlässlich eines Bürgerentscheids über den Umbau der Grundschule an alle Haushalte der Gemeinde verteilt wurde. Der Entwurfsverfasser sah in dem Artikel eine nachhaltige Rufschädigung und unerträgliche Diffamierung. Die Architektenkammer beantragte bei dem Berufsgericht ohne Erfolg die Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens. Ihre sofortige Beschwerde wies das Landesberufsgericht zurück.

Gründe:

Der Senat stimmt mit dem Berufsgericht darin überein, dass ein hinreichender Verdacht einer Berufspflichtverletzung nicht gegeben ist.

Das Berufsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Feststellung, ob die der Beschuldigten von der Antragstellerin vorgeworfenen kritischen Äußerungen zum Entwurf ihres Berufskollegen L. als unkollegial gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 11 BauKaG NRW anzusehen sind, eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit der Beschuldigten auf der einen Seite und dem Rechtsgut, dessen Schutz die einschränkende Norm bezweckt, auf der anderen Seite erfordert.

BVerfG, Beschluss vom 14.2.2000 - 1 BvR 390/95 -, NJW 2000, 3413 (3415).

Auch die Abwägungsentscheidung selbst hat das Berufsgericht ohne Rechtsfehler vorgenommen.

Eine Schmähkritik liegt nur dann vor, wenn die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht. Dass diese Grenze hier nicht überschritten wird, weil im Zentrum der Kritik der Beschuldigten nur der Entwurf, nicht aber die Person des Entwurfsverfassers stand, hat das Berufsgericht - unter Hinweis auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung - ausgeführt.

Bei der Abwägungsentscheidung muss stets der Kommunikationszusammenhang berücksichtigt werden. Auch dies hat das Berufsgericht zutreffend erkannt. Betrifft - wie hier bei dem Bürgerentscheid über die geplante Schulerweiterung - die fragliche Äußerung eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, droht die erhöhte Repression im Einzelfall zu einschüchternden Auswirkungen auf den Kommunikationsprozess insgesamt zu führen. Bei Äußerungen, die einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung darstellen, spricht eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede.

BVerfG, a. a. O., 3415 f.

Hiervon ausgehend kommt im vorliegenden Fall dem Schutzgut der Kollegialität (§ 22 Abs. 2 Nr. 11 BauKaG NRW) kein höheres Gewicht zu als der Meinungsfreiheit der Beschuldigten. Zwar beschränkten sich deren Äußerungen nicht - wie in dem der Entscheidung des BVerfG zugrunde liegenden Fall - auf einen kleinen Adressatenkreis. Vielmehr sind sie - dem beschwerdeführenden Architekten L. zur Folge - in einer Broschüre der "Grünen-Partei veröffentlicht" und "an alle Haushalte der Gemeinde S. verteilt und im Internet veröffentlicht" worden. Wegen der deutlichen Bezugnahme des Artikels auf den anstehenden Bürgerentscheid ("Jetzt müssen also wir S. Bürger entscheiden, ...") und damit auf eine unmittelbar bevorstehende politische Auseinandersetzung in der Gemeinde sowie wegen der vom Berufsgericht zutreffend als eher "moderat" bezeichneten Formulierungen kann im Ergebnis keine durchgreifende Erschütterung des Vertrauens der Bevölkerung in den Berufsstand der Architekten oder die Verletzung sonstiger mit dem Kollegialitätsgebot geschützter Rechtsgüter angenommen werden.

Ende der Entscheidung

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