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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 23.09.2009
Aktenzeichen: 6t A 2297/07.T
Rechtsgebiete: HeilBerG NRW


Vorschriften:

HeilBerG NRW § 58a
Vor der Erteilung einer Rüge muss der Betroffene angehört werden.

Die Rüge muss die vorgeworfene Berufspflichtverletzung - nicht anders als der Antrag auf Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens - eindeutig benennen und die Grenzen des dazu herangezogenen Tatsachenstoffs genau umreißen.


Tatbestand:

Die Ärztekammer erteilte dem freiberuflich als Arzt tätigen Antragsteller eine Rüge mit der Begründung, dieser habe während eines Notdienstes seine Berufspflicht verletzt. Das Berufsgericht lehnte den Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Rüge ab. Die Berufung des Antragstellers hatte Erfolg.

Gründe:

Die dem Antragsteller auf der Grundlage des § 58a Abs. 1 HeilBerG erteilte Rüge ist bereits aus formellen Gründen rechtswidrig.

Die Rüge wird - vorbehaltlich einer etwaigen Heilung - weder § 28 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfG NRW noch den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren gerecht, da der Antragsteller vor ihrer Erteilung nicht angehört worden ist. Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das aus den Grundrechten, hier aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Recht auf ein faires Verfahren. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 103 Abs. 1 GG darf der Einzelne nicht zum bloßen Objekt hoheitlicher Entscheidung werden; ihm muss insbesondere die Möglichkeit gegeben werden, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können. Dies setzt voraus, dass der Betroffene von dem Sachverhalt und dem Verfahren, in dem dieser verwertet werden soll, überhaupt Kenntnis erhält.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.1.2000 - 1 BvR 321/96 -, BVerfGE 101, 397.

Diesen rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügt die angefochtene Rüge der Antragsgegnerin nicht. Der Antragsteller ist nicht zuvor in der erforderlichen Weise über die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Maßnahme angehört worden. Das persönliche Gespräch zwischen dem Antragsteller und den Mitarbeitern der Antragsgegnerin vom 11.5.2004 stellt keine Anhörung in diesem Sinne dar. Es ist weder von der Antragsgegnerin dargelegt worden noch sonst den Akten zu entnehmen, dass der Antragsteller im Rahmen dieses Gesprächs zum beabsichtigten Erlass einer Rüge angehört worden ist. Ein Protokoll über das Gespräch ist nicht angefertigt worden; nach den Ausführungen der Vertreterin der Antragsgegnerin in der Hauptverhandlung ist über den Inhalt des Gesprächs nichts Näheres bekannt. Überdies erfolgte das Gespräch vor dem Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens, dessen Einstellungsbeschluss vom 9.8.2004 datiert. Selbst wenn daher in dem Gespräch vom 11.5.2004 die Verhängung einer Rüge thematisiert worden sein sollte, hätte mit dieser sich ggf. entscheidungserheblich auswirkenden Veränderung der Sachlage Anlass zur erneuten Anhörung des Antragstellers bestanden. Ob und inwieweit die Durchführung des berufsgerichtlichen Überprüfungsverfahrens nach § 58a Abs. 4 Satz 1 HeilBerG den Anhörungsmangel zu heilen in der Lage ist, kann offen bleiben; hieran bestehen im vorliegenden Verfahren schon deswegen Bedenken, weil sich die unterlassene Anhörung in entscheidungserheblicher Weise auf die formelle Rechtmäßigkeit der Rüge im Übrigen ausgewirkt haben dürfte.

Die angefochtene Rüge ist jedenfalls deswegen rechtswidrig und aufzuheben, weil sie den an eine Rüge allgemein zu stellenden Mindestanforderungen an eine Kon-kretisierung der vorgeworfenen Berufspflichtverletzung nicht genügt. Sie ist nicht hinreichend bestimmt. Die Rüge muss den Gegenstand des als eine Berufspflichtverletzung vorgeworfenen Verhaltens eindeutig benennen und die Grenzen des dazu unterbreiteten Tatsachenstoffs genau umreißen. Insoweit gilt für den notwendigen Inhalt einer Rüge, deren Erlass gemäß § 58a Abs. 1 Satz 1 HeilBerG in der Entscheidungsfreiheit der Antragsgegnerin liegt, nichts anderes als für den Inhalt eines - ebenfalls in ihrer Entscheidungsfreiheit stehenden - Antrags auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens nach § 71 Abs. 1 HeilBerG. Die Antragsschrift hat in persönlicher und sachlicher Hinsicht den Gegenstand festzulegen, über den das Berufsgericht zu entscheiden hat. Sie darf sich in der Kennzeichnung der Tat nicht darauf beschränken, den Gesetzeswortlaut wiederzugeben sowie Tatzeit, Tatort und das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen mitzuteilen. Sie muss vielmehr konkrete Tatumstände nennen. Dies hat in Verbindung mit den abstrakten gesetzlichen Merkmalen und außerhalb der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen zu geschehen. Es müssen die Tatsachen, auf die sich der Vorwurf einer Verletzung von Berufspflichten stützt, konkret ausgeführt werden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21.6.2005 - 13 E 402/04.T -, und vom 28.11.2005 - 13 E 401/04.T -.

Dasselbe gilt für die Rüge, wie sich unter anderem aus § 58a Abs. 1 Satz 1 HeilBerG ergibt. Hiernach können Kammerangehörige gerügt werden, wenn sie die ihnen obliegenden Berufspflichten verletzt haben. Die Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin muss sich daher auf die konkrete Feststellung verletzter Berufspflichten beziehen. Nur diese Entscheidung unterliegt der berufsgerichtlichen Nachprüfung (§ 58a Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 HeilBerG). Auch § 58a Abs. 2 Satz 1 HeilBerG setzt die Konkretisierung des Vorwurfs voraus: Wird wegen desselben Sachverhalts ein berufsgerichtliches Verfahren eingeleitet, erlischt das Rügerecht. Die gerügte Berufspflichtverletzung muss hiernach bereits zu Abgrenzungszwecken eindeutig bezeichnet sein.

Diesen Bestimmtheitsanforderungen wird die angefochtene Rüge nicht gerecht. Maßgebend für ihr Verständnis ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Unklarheiten müssen hierbei zu Lasten der Verwaltung gehen. Der Bürger als Empfänger einer nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt missverständlichen Willensäußerung der Verwaltung darf durch solche Unklarheiten nicht benachteiligt werden; dies gebietet auch die Grundrechtsbestimmung des Art. 19 Abs. 4 GG.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.1.1973 - 7 C 3.71 -, BVerwGE 41, 305.

Nach diesen Grundsätzen der Auslegung lässt sich nicht feststellen, welcher berufsrechtliche Vorwurf dem Antragsteller gemacht werden sollte (wird ausgeführt).

Es steht nicht in der Kompetenz des Berufsgerichts, den in der Rüge formulierten Vorwurf im Nachhinein zu konkretisieren. Zwar hat das Berufsgericht dem Antragsteller vorgehalten, er habe das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Patienten nachhaltig und endgültig zerstört, sodass danach nicht mehr habe erwartet werden können, dass sich die Familie des Patienten nochmals an den Antragsteller wenden würde. Dieser Vorwurf ist allerdings nicht ausdrücklicher Gegenstand der dem Antragsteller erteilten Rüge. Er ist in dieser Weise weder in den rechtlichen Ausführungen formuliert noch lässt er sich sinngemäß der in Bezug genommenen Anklageschrift entnehmen, welche sich strafrechtlich allein mit dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung befasst.

Ende der Entscheidung

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