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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 22.06.2005
Aktenzeichen: 6t A310/04.T
Rechtsgebiete: HeilberG, StPO, WDO, VwGO


Vorschriften:

HeilberG § 98 Abs. 3
HeilberG § 98 Abs. 3 Satz 1
HeilberG § 98 Abs. 3 Satz 2
HeilberG § 101 Abs. 2
HeilberG § 112
StPO § 35a
StPO § 44
StPO § 44 Satz 2
StPO § 317
StPO § 319 Abs. 2 Satz 3
StPO § 346 Abs. 2 Satz 3
WDO § 116 Abs. 2
WDO § 111 Abs. 2
VwGO § 86 Abs. 4 Satz 2
VwGO § 87b
Die Versäumung der vom Berufungsgericht in Anwendung des § 98 Abs. 3 HeilberG gesetzten Frist für die Begründung der Berufung zieht die Unzulässigkeit des Rechtsmittels mit sich.

Zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 112 HeilBerG i.V.m. § 44 Satz 2 StPO.


Tatbestand:

Das Berufsgericht für Heilberufe verhängte gegen den beschuldigten Arzt eine - von der Ärztekammer als Antragstellerin nicht als ausreichend erachtete - Maßnahme wegen Verletzung seiner Berufspflichten. Die Ärztekammer legte fristgerecht Berufung ein. Das Landesberufsgericht setzte ihr unter Hinweis auf § 98 Abs. 3 HeilBerG eine Frist zu deren Begründung. Die Ärztekammer begründete die Berufung erst nach Ablauf dieser Frist. Mit Bescheid des Vorsitzenden des Landesberufsgerichts (§ 101 Abs. 1 HeilBerG) wurde die Berufung als unzulässig verworfen. Der von der Ärztekammer gemäß § 101 Abs. 2 HeilBerG fristgerecht gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung führte zu keinem anderen Ergebnis.

Gründe:

Gemäß § 98 Abs. 3 HeilBerG ist die Berufung schriftlich zu begründen (Satz 1). Hierfür kann das Gericht eine Frist setzen (Satz 2). Davon hat das Landesberufsgericht Gebrauch gemacht. Die Antragstellerin hat, wie sie nicht verkennt, die ihr gesetzte Frist nicht eingehalten. Ihre Berufungsbegründung ist erst nach Fristablauf bei dem Landesberufsgericht eingegangen. Die Versäumung der gesetzten Frist für die Begründung der Berufung zieht die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nach sich.

Das Heilberufsgesetz stellt mit der in § 98 Abs. 3 Satz 1 HeilBerG verlangten schriftlichen Berufungsbegründung ein Zulässigkeitserfordernis auf, das sich auch in den meisten anderen Prozessordnungen wiederfindet (z. B. § 124 a Abs. 3 Satz 2 und Abs. 6 Satz 1 VwGO, § 520 Abs. 1 ZPO); eine Ausnahme beinhaltet - soweit ersichtlich - nur § 317 StPO, der die Berufungsbegründung in das Ermessen des Rechtsmittelführers stellt. Im heilberufsgerichtlichen Verfahren hat die Berufungsbegründung eine gesteigerte Bedeutung. Das gilt jedenfalls für Berufungen der Ärztekammer sowie der antragsberechtigten Aufsichtsbehörde, die auch zugunsten des Beschuldigten eingelegt werden können (§ 99 Abs. 2 HeilBerG).

In den meisten Prozessordnungen ist eine gesetzliche Frist für die Einreichung der Berufungsbegründung normiert. Deren Nichtbeachtung zieht - vorbehaltlich möglicher Wiedereinsetzungsgründe - die Unzulässigkeit der Berufung nach sich. Das wird selbst dann angenommen, wenn eine solche Frist nicht ausdrücklich festgelegt und nur im Wege der Gesetzesinterpretation gewonnen wird.

So etwa für § 116 Abs. 2 WDO, der mit dem früheren § 111 Abs. 2 WDO übereinstimmt: BVerwG, Beschlüsse vom 24.5.2000 - 2 WDB 3.00 -, Buchholz 235.0 § 111 WDO Nr. 3, vom 7.3.1991 - 2 WDB2.91 -, BVerwGE 93, 44, und vom 2.5.1988 - 2 WDB 5.88 -, BVerwGE 86,10.

§ 98 Abs. 3 HeilBerG unterscheidet sich von diesen prozessrechtlichen Regeln lediglich darin, dass er keine feste, im Einzelfall durch richterliche Verfügung verlängerbare Frist für die Berufungsbegründung festlegt (wie z. B. § 124a Abs. 3 Sätze 1 und 3 VwGO), sondern die Bemessung der Frist von vornherein in die Entscheidungsfreiheit des Gerichts stellt.

Zwischen gesetzlich bestimmten und richterlich festgelegten Begründungsfristen gibt es keinen funktionellen Unterschied. Beide haben den Zweck, für ein geordnetes Verfahren zu sorgen, das eine zügige und nach Möglichkeit auf eine Verhandlung begrenzte Entscheidung der materiellen Fragen vorbereiten soll. Eine durchgängige, alle Verfahren betreffende Erreichung dieses Zwecks ist nur möglich, wenn die eine wie die andere Frist gleichermaßen sanktionsbewehrt ist; mit anderen Worten muss unabhängig davon, ob dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, die Fristversäumung die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nach sich ziehen. Auch ein qualitativer Unterschied zwischen gesetzlich bestimmten, durch den Richter im Einzelfall abänderbaren Rechtsmittelbegründungsfristen auf der einen Seite und solchen Fristen, die das Gericht von vornherein einzelfallbezogen festlegt, auf der anderen Seite ist nicht erkennbar. Ein Unterschied in der Wertigkeit oder im Bedeutungsgehalt zwischen gesetzlichen oder richterlichen Fristen besteht nicht; jedenfalls bei einer rechtsfolgenbezogenen Betrachtung gibt es dafür keinen sachlichen Grund.

Aus § 86 Abs. 4 Satz 2 und § 87b VwGO lassen sich keine gegenteiligen Erkenntnisse gewinnen. Wenn die dort vorgesehenen richterlichen Fristsetzungen grundsätzlich sanktionslos bleiben, vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23.4.1985 - 9 C 7.85 -, InfAuslR 1985, 278, sowie Dawin, in: Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, VwGO, § 86 RdNrn. 143 ff,so hat das Geltung für die dort geregelten Gegenstände, die den Einzelfall treffen, nicht jedoch für eine auf jeden Fall geforderte Rechtsmittelbegründung.

Bedenken aufgrund höherrangigen Rechtes gegen dieses Verständnis des § 98 Abs. 3 Satz 2 HeilBerG bestehen nicht. Bei einer Versäumung der richterlich festgesetzten Berufungsbegründungsfrist kann Wiedereinsetzung gemäß § 112 HeilBerG i.V.m. § 44 StPO gewährt werden. In Anlehnung an die strafprozessualen Grundsätze wird dabei ein etwaiges Anwaltsverschulden dem Beschuldigten selbst nicht zugerechnet mit der Folge, dass sich die nachteiligen Folgen einer Fristversäumnis im Einzelfall in Grenzen halten.

Durch die richterliche Verfügung vom ... wurde die Frist für die Berufungsbegründung gemäß § 98 Abs. 3 HeilBerG in Gang gesetzt. Der Umstand, dass der Berichterstatter diese Frist bestimmt hat, stellt dies nicht in Frage. Wenn § 98 Abs. 3 Satz 2 HeilberG davon spricht, dass das "Gericht" eine Frist festsetzen könne, ist damit keine funktional ausschließliche Zuweisung an den Spruchkörper gemeint. Das folgt zum einen daraus, dass das Heilberufsgesetz keine terminologisch zweifelsfreie Unterscheidung zwischen den für das Gericht handelnden Personen enthält. So unterscheidet das Gesetz zwar zwischen dem "Vorsitz" (z. B. § 62 Abs. 1, § 63, § 84, § 87, § 101 Abs. 1 HeilBerG), dem bestimmte Aufgaben zugewiesen sind, und dem "Beisitz" (§ 66 Abs. 1 HeilBerG), ohne diesem einen Aufgabenbereich zuzuordnen. Gleichzeitig benennt es aber Aufgaben, die das "Gericht" wahrnehmen soll, welche zweifelsfrei nur von einem Mitglied des Gerichts vernünftigerweise erledigt werden können; ein Beispiel dafür ist die Zustellung der Berufungsschrift (§ 98 Abs. 4 HeilBerG). Zum andern folgt dies aus einer Kontrollüberlegung: Wäre in § 98 Abs. 3 Satz 2 mit dem Wort "Gericht" der Spruchkörper gemeint, so wäre eine Mitwirkung auch der ehrenamtlichen Beisitzer an der Entscheidung erforderlich, die - ebenso wie bei einem Urteil (§ 94 Abs. 2 HeilBerG) - den entsprechenden Beschluss mit zu unterschreiben hätten (§ 62 Abs. 2 HeilBerG). Durch eine solch umständliche Verfahrensweise würde der Zweck der Fristsetzung, nämlich die Beschleunigung des Verfahrens, in sein Gegenteil verkehrt.

Der Umstand, das die Verfügung über die Fristsetzung der Antragstellerin nicht zu-gestellt worden ist, ist unschädlich, weil die Antragstellerin die Verfügung nachweislich erhalten hat.

Hinlängliche Gründe für eine Wiedereinsetzung sind nicht gegeben: Denkbar wäre eine Wiedereinsetzung allenfalls auf der Grundlage des in § 112 HeilBerG i.V.m. § 44 Satz 2 StPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens. Nach der letztgenannten Vorschrift ist die Versäumung einer Rechtsmittelfrist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den §§ 35a, 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 StPO unterblieben ist. Auch wenn damit im Ausgangspunkt nur Fälle unterlassener Rechtsmittelbelehrungen gemeint sind, kommt darin der Gedanke zum Ausdruck, dass dem Rechtsmittelführer keine Versäumnisse anzulasten sind, die durch prozessuale Fürsorge des Gerichts hätten vermieden werden können. Hierzu kann auch eine Belehrung über die Folgen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach § 98 Abs. 3 HeilBerG gerechnet werden. Dass gilt vor allem deshalb, weil dem HeilBerG keine ausdrückliche Aussage über diese Folgen zu entnehmen ist, andere Prozessordnungen hingegen derartige Bestimmungen enthalten (z. B. § 124a Abs. 3 Satz 5 VwGO).

Im Streitfall ist eine Belehrung der Antragstellerin zwar nicht erfolgt. Auch hat die Antragstellerin, wie es für eine Wiedereinsetzung erforderlich ist, die versäumte Rechtshandlung - die Berufungsbegründung - rechtzeitig nachgeholt (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dementsprechend könnte an sich - ungeachtet des hier fehlenden Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt werden (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO). Es fehlt aber an der notwendigen Kausalität zwischen dem Unterlassen einer Belehrung über die Rechtsfolgen einer Fristversäumnis und der Überschreitung der richterlich gesetzten Frist für die Berufungsbegründung. § 44 Satz 2 StPO hebt nur das Erfordernis des fehlenden Verschuldens des Antragstellers auf. An der Notwendigkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung ändert die Bestimmung nichts.

Vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 47. Auflage 2004, § 44 RdNr. 22; Maul, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Auflage 2003, § 44 RdNr. 36; BVerfG, Beschluss vom 11.4.1991 - 2 BvR 1996/89 -, NJW 1991, 2277.

Nach dem Vortrag der Antragstellerin muss davon ausgegangen werden, dass der Grund für die Fristversäumung nicht in der fehlenden Belehrung, sondern alleine darin liegt, dass sie die Frist "aus derzeit nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht notiert" hatte.

Ende der Entscheidung

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