Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 03.09.2008
Aktenzeichen: 6t E 429/08.T
Rechtsgebiete: HeilBerG, BO, GG, BVerfGG, SGB V


Vorschriften:

HeilBerG § 29 Abs. 1
BO § 27 Abs. 3
GG Art. 12 Abs. 1
BVerfGG § 93 a Abs. 2
SGB V § 95 Abs. 1 S. 2
Die Bezeichnung einer Gemeinschaftspraxis zweier Fachärzte für Allgemeinmedizin als "Hausarztzentrum" unterliegt berufsrechtlich keinen Bedenken.
Tatbestand:

Die beiden Beschuldigten sind Fachärzte für Allgemeinmedizin. Sie üben ihre ärztliche Tätigkeit in einer Gemeinschaftspraxis aus. Die Praxis weist eine Gesamtgröße von 328 qm Grundfläche auf; sie befindet sich im Stadtteil R an zentraler Stelle. Auf zwei Fenstern der Praxis und der Glastür im Eingangsbereich befindet sich die Aufschrift:

HAUSARZTZENTRUM

DR: MED.

FACHÄRZTE FÜR ALLGEMEINMEDIZIN

SPRECHZEITEN

MONTAG BIS FREITAG 8 - 18 UHR

TERMINE NACH VEREINBARUNG

TELEFON

Ähnliche Aufschriften befinden sich auf einer Glastür am äußeren Eingangsbereich sowie auf einem weiteren Fenster.

Auf Beschluss ihres Vorstandes beantragte die Ärztekammer Westfalen-Lippe (Antragstellerin) die Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens gegen die Beschuldigten, weil diese bei der Außendarstellung und Beschilderung ihrer Praxis die berufsrechtswidrige Bezeichnung "Hausarztzentrum R " verwendeten. Dabei handele es sich um berufswidrige, da irreführende Werbung. Die Bezeichnung "Hausarztzentrum" werde von potentiellen Patienten als Ausdruck für Größe und Bedeutung der Praxis, insbesondere im Vergleich zu anderen Arztpraxen verstanden. Um eine solche Praxis, die in ihrer Bedeutung und Leistungsfähigkeit eindeutig über dem Durchschnitt vergleichbarer hausärztlicher Praxen liege, handele es sich bei der Praxis der Beschuldigten aber nicht. Auch sei hier keine große Anzahl von Ärzten zusammengeschlossen. Der irreführende Eindruck verstärke sich durch den Zusatz "R", da hierdurch die fehlerhafte Vorstellung aufkomme, dass es sich um einen zentralen Zusammenschluss sämtlicher in R niedergelassener Hausärzte handele.

Das Berufsgericht lehnte den Antrag auf Eröffnung des Verfahrens ab. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Ärztekammer blieb vor dem Landesberufsgericht ohne Erfolg.

Gründe:

Die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens ist aus den im angegriffenen Beschluss angeführten rechtlichen Erwägungen abzulehnen; die Beschuldigten sind durch das ihnen zur Last gelegte Verhalten einer Berufspflichtverletzung gemäß § 29 Abs. 1 des Heilberufsgesetzes vom 9.5.2000 (GVBl.NRW. S. 403) - HeilBerG - in Verbindung mit §§ 2 Abs. 2, 27 Abs. 3 der Berufsordnung (BO) der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 15.11.2005 nicht hinreichend verdächtig.

Nach § 27 Abs. 3 BO ist Ärzten eine berufswidrige Werbung untersagt. Die Vorschrift selbst ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden; sie entspricht der Rechtsprechung des BVerfGs zu Bedeutung und Reichweite von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit).

BVerfG, std. Rspr., vgl. nur Beschluss vom 13.7.2005 - 1 BvR 191/05 -, BVerfGK 6, 46 (50) = NJW 2006, 282 - Zeitungswerbung eines Orthopäden.

Ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall würde jedoch im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit der Beschuldigten führen. Das Werbeverbot für Ärzte soll dem Schutz der Bevölkerung dienen; es soll das Vertrauen der Patienten darauf erhalten, dass der Arzt nicht aus Gewinnstreben bestimmte Untersuchungen vornimmt oder Behandlungen vorsieht. Die ärztliche Berufsausübung soll sich nicht an ökonomischen Erfolgskriterien, sondern an medizinischen Notwendigkeiten orientieren. Das Werbeverbot beugt damit einer gesundheitspolitisch unerwünschten Kommerzialisierung des Arztberufes vor.

BVerfG, std. Rspr., vgl. nur Beschluss vom 18.2.2002 - 1 BvR 1644/01 - Tierarztwerbung -, NJW 2002, 3091; Beschluss vom 26.8.2003 - 1 BvR 1003/02 - Zahnarztwerbung im Internet und in den Gelben Seiten -, NJW 2003, 3470; Beschluss vom 29.4.2004 - 1 BvR 649/04 - Zahnarztwerbung in Tageszeitung -, NJW 2004, 2659; ebenso BGH, Urteil vom 9.10.2003 - I ZR 167/01 - Internetwerbung eines Zahnarztes -, NJW 2004, 440.

Es sind aber keine Gemeinwohlbelange ersichtlich, die ein Verbot der Selbstbezeichnung als "Zentrum" zu rechtfertigen vermögen. Auch die Gefahr einer Irreführung der Bevölkerung ist nicht anzunehmen. Der Begriff des "Zentrums" hat im Zusammenhang mit der Bezeichnung von Dienstleistungslokalitäten einen Bedeutungswandel erfahren, der auch der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben sein wird.

BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 9.2.2005 - 1 BvR 2751/04 -, NVwZ 2005, 683.

Die Entscheidung des BVerfG betraf den Fall zweier Tierärztinnen, die ihre Praxis als "Zentrum für Kleintiermedizin O" bezeichnet hatten und hierfür vom Berufsgericht mit einem Verweis wegen irreführender Werbung belegt worden waren. Der Gerichtshof für die Heilberufe Niedersachsen hatte die hiergegen gerichtete Berufung der Ärztinnen zurückgewiesen, weil man unter einem Zentrum "eine betriebliche Einrichtung verstehe, die sowohl absolut gesehen eine beträchtliche Größe aufweis(e) als auch relativ betrachtet im Vergleich zu Konkurrenten eine deutlich überragende Bedeutung" habe.

Beschluss vom 6.10.2004 - 3 S 2/04 -, Seite 6.

Das BVerfG nahm die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde lediglich wegen der Verneinung eines schweren Nachteils im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung an - wohl deshalb, weil gegen die Beschwerdeführerinnen lediglich ein Verweis, nicht aber eine Geldbuße, verhängt worden war. In der begründeten Nichtannahmeentscheidung hielt das BVerfG aber fest, die Entscheidung begegne - aus den oben wiedergegebenen Gründen - "erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken".

BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 9.2.2005 - 1 BvR 2751/04 -,a.a.O.

Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Der vom BVerfG konstatierte Wandel des Begriffsverständnisses zeigt sich, worauf das Berufsgericht ebenfalls zutreffend hingewiesen hat, auch daran, dass der Gesetzgeber es im Rahmen der Gesundheitsreform für angemessen hielt, den Zusammenschluss zweier unterschiedlicher Fachärzte zur gemeinsamen Berufsausübung u.a. als "Medizinisches Versorgungszentrum" zu bezeichnen, § 95 Abs. 1 S. 2 SGB V. Dies verdeutlicht, dass jedenfalls im Bereich der ärztlichen Berufsausübung der überkommene Zentrumsbegriff, wie ihn die Antragstellerin versteht, nicht mehr gilt. Es spricht auch nichts dafür, im Bereich sonstiger ärztlicher Dienstleistungen an diesem Verständnis des Begriffs Zentrum festzuhalten und das Medizinische Versorgungszentrum als singuläre Ausnahme anzusehen, an die weniger strenge Anforderungen zu stellen wären. Denn dieses stellt für den durchschnittlichen Patienten keinen terminus technicus dar, welcher von dem sonstigen Zentrumsbegriff klar abgegrenzt und deutlich zu unterscheiden wäre.

So mit Recht LG Erfurt, Urteil der 1. Kammer für Handelssachen vom 22.4.2008 - 1 HK O 221/07 - , juris, zur Bezeichnung "(ambulantes) Rheumazentrum".

Auch die Kombination des Begriffs "Hausarztzentrum" mit der Ortsbezeichnung "R" erweckt bei einem potentiellen Patienten nicht den fehlerhaften Eindruck, hier seien sämtliche R Hausärzte in einer zentralen Einrichtung zusammengeschlossen. Ein solches Missverständnis verhindern die von den Beschuldigten verwendeten Zusätze, insbesondere die - vom Schriftbild sogar etwas größere - Angabe des vollständigen Namens der beiden tätigen Ärzte. Soweit die Antragstellerin demgegenüber darauf hinweist, dass es jedem Arzt - ohne Pflicht zur Kenntlichmachung auf der Außenbeschilderung - unbenommen sei, angestellte Ärzte in der Praxis zu beschäftigen, folgt daraus nichts Gegenteiliges. Der Durchschnittspatient wird sich in erster Linie an den aufgeführten Namen sowie an den Facharztbezeichnungen orientieren. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Senat auch insoweit eine Parallele zu der o.g. Entscheidung des BVerfG sieht. Auch in dem dort zugrundeliegenden Fall war der Bezeichnung "Zentrum" eine Ortsbezeichnung beigefügt worden, die sogar die ganze Stadt umfasste (O); eine Irreführung hat das BVerfG darin dennoch nicht gesehen.

Ende der Entscheidung

Zurück