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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 7 A 1434/06
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 5
Für die Bewertung der von landwirtschaftlichen Betrieben ausgehenden Geruchsbelastungen gibt ein auf der Grundlage der GIRL erstelltes Gutachten eine Orientierungs- bzw. Entscheidungshilfe.

In einem (faktischen) Dorfgebiet, das durch praktizierende landwirtschaftliche Betriebe mit Tierhaltung geprägt ist, können auch Gerüche zuzumuten sein, die 15 % der Jahresgeruchsstunden überschreiten.


Tatbestand:

Die Kläger beantragten die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung eines Einfamilienhauses. Das lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, ein gesundes Wohnen sei am geplanten Standort wegen der von landwirtschaftlichen Betrieben ausgehenden Geruchsbelästigungen nicht gewährleistet. Widerspruch und Klage der Kläger blieben erfolglos. Die Berufung der Kläger hatte Erfolg.

Gründe:

Die Kläger haben einen Anspruch auf die Erteilung eines Vorbescheides zur Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück Gemarkung I. , Flur 18, Flurstück 166. Dem Vorhaben stehen keine auf den Vorbescheidantrag im vorliegenden Verfahren nur zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften entgegen (vgl. §§ 71 Abs. 1, Abs. 2, 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW).

Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung geregelt sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der entsprechenden Normierung der Baunutzungsverordnung allgemein zulässig ist (vgl. § 34 Abs. 2 Halbsatz 1 BauGB). Die nähere Umgebung des Grundstücks der Kläger entspricht einem Dorfgebiet. In dieser Umgebung befinden sich mit Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe, sonstigen Wohngebäuden und sonstigen nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben die in einem Dorfgebiet nach § 5 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässigen und ein Dorfgebiet kennzeichnenden Nutzungsarten. Diese sich aus dem vorliegenden Karten- und Lichtbildmaterial sowie aus dem anlässlich des Ortstermins vom 16.11.2006 angefertigten Protokoll ergebenden Verhältnisse und die sich daraus ergebende Wertung stehen außer Streit, so dass es weiterer Ausführungen nicht bedarf.

Das Vorhaben der Kläger ist als sonstiges Wohngebäude seiner Art nach in einem Dorfgebiet allgemein zulässig. Es nimmt darüber hinaus die erforderliche Rücksicht auf die Nachbarinteressen. Im Gebot des Einfügens im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ist das objektivrechtliche Gebot enthalten, auf schutzwürdige Nachbarinteressen Rücksicht zu nehmen. Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die dabei vorzunehmende Abwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Berechtigte Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu schonen. Dagegen muss er es hinnehmen, dass Beeinträchtigungen, die von einem legal genutzten vorhandenen Bestand ausgehen, bei der Interessenabwägung als Vorbelastungen berücksichtigt werden, die seine Schutzwürdigkeit mindern.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 -, BRS 55 Nr. 175.

Die auf dem Grundstück der Kläger beabsichtigte Wohnbebauung fügt sich in einer den Anforderungen des Rücksichtnahmegebotes gerecht werdenden Weise in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Sie hält sich innerhalb des Rahmens der in der Umgebung vorhandenen Bebauung, die den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt und auf die sich die Ausführung des geplanten Vorhabens ihrerseits auswirken kann.

Die zunächst ausgeübte, jedoch bereits im Jahre 1998 aufgegebene landwirtschaftliche Nutzung der Hofstelle der Eltern der Beigeladenen zu 5. und 6. löst eine Rücksichtnahmepflicht des Vorhabens der Kläger nicht (mehr) aus, weil diese Nutzung nicht mehr bestandsgeschützt ist. Denn eine ursprünglich baurechtlich genehmigte Nutzung, die hier unterstellt wird, genießt Bestandsschutz nur, solange sie andauert oder - bei einer Unterbrechung - solange nach der Verkehrsauffassung mit ihrer Wiederaufnahme zu rechnen ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.11.2000 - 4 B 36.00 -, BRS 63 Nr. 121.

Nach der Rechtsprechung, die das BVerwG zur erleichterten Zulassung der "alsbaldigen Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle" nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB entwickelt und auf die Frage nach der Fortdauer des Bestandsschutzes einer nicht mehr ausgeübten Nutzung für übertragbar erklärt hat, ist nach der Verkehrsauffassung bei einer Unterbrechung der Nutzung von weniger als einem Jahr stets mit einer Wiederaufnahme zu rechnen. Im zweiten Jahr nach der Aufgabe der Nutzung spricht hiernach für eine solche Annahme eine Regelvermutung, die im Einzelfall entkräftet werden kann, wenn Anhaltspunkte für das Gegenteil vorhanden sind. Nach Ablauf von zwei Jahren kehrt sich diese Vermutung um.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.5.1995 - 4 C 20.94 -, BRS 57 Nr. 67.

Dahingestellt bleiben kann vorliegend, ob und in welchen Fällen durch das Zeitmodell des BVerwG, das in der Rechtsprechung und in der Literatur Kritik erfahren hat, vgl. insoweit Gatz, Auswirkungen der Nutzungsunterbrechung auf den Bestandsschutz, Anmerkung zum Beschluss des BVerwG vom 5.6.2007 - 4 B 20/07 -, jurisPR-BVerwG 19/2007, die Grenzen des Bestandsschutzes bei einer Nutzungsunterbrechung zutreffend gezogen sind. Selbst wenn für das Erlöschen des Bestandsschutzes (auch) in zeitlicher Hinsicht weitergehende Anforderungen anzunehmen sein sollten, bleibt es angesichts der hier gegebenen Umstände dabei, dass die Kläger auf die ehemalige landwirtschaftliche Nutzung der Hofstelle der Eltern der Beigeladenen zu 5. und 6. keine Rücksicht nehmen müssen, weil diese Nutzung keinen Bestandsschutz mehr genießt.

In den Gebäuden der dortigen früheren landwirtschaftlichen Hofstelle findet keine landwirtschaftliche Nutzung mehr statt. Die im Jahre 2001 bzw. 2006 verstorbenen Eltern der Beigeladenen zu 5. und 6. haben die landwirtschaftliche Nutzung gesundheits- und altersbedingt bereits im Jahre 1998 aufgeben müssen. Die landwirtschaftlich genutzten Räume sind zu einem Teil anderen Nutzungszwecken zugeführt, nämlich an private Dritte vermietet worden, die dort nicht landwirtschaftlicher Tätigkeit nachgehen, sondern z. B. Autos reparieren. In den Räumlichkeiten werden landwirtschaftliche Geräte des früheren Betriebs gelagert, aber nicht zweckentsprechend genutzt. Zudem sind in den Jahren nach der Nutzungsaufgabe die zur Hofstelle gehörenden Ländereien an Dritte verpachtet worden. Die Beigeladenen zu 5. und 6. haben aus familiären und wirtschaftlichen Gründen die landwirtschaftliche Nutzung zwischenzeitlich nicht wieder aufgenommen. Sie sind nicht als Landwirte, sondern als promovierter Biologe bzw. als Diplom-Kaufmann beruflich orientiert. Sie wohnen und arbeiten nicht in I. . In der Vergangenheit gingen sie davon aus, dass ein Vollerwerbsbetrieb aufgrund der schlechten Einkommenssituation in der Landwirtschaft und der notwendigen anfänglichen Investitionen nicht dauerhaft bestehen könne.

Bei verständiger Würdigung dieser Gegebenheiten war nach der Verkehrsauffassung, die an eine Wertung der - hier nicht zuletzt auch von den Lebensumständen der Beigeladenen zu 5. und 6. bestimmten - tatsächlichen Situation anknüpft, seit längerer Zeit nicht mehr mit einer Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Nutzung zu rechnen. Bestätigt wird dies insbesondere durch die weitere Entwicklung der Hofstelle nach der Einstellung der landwirtschaftlichen Tätigkeit sowie auch durch die mehr als vagen Vorstellungen der Beigeladenen zu 5. und 6. hinsichtlich einer eventuellen Rückkehr zur landwirtschaftlichen Nutzung, die diese noch im Ortstermin am 16.11.2006 geäußert haben. Eine Wiederanknüpfung an die ehemals bestandsgeschützte landwirtschaftliche Nutzung scheidet vor diesem Hintergrund aus.

In die vom Gebot der Rücksichtnahme geforderte Interessenbewertung ist bei diesen Gegebenheiten das Interesse der Beigeladenen zu 5. und 6., die Viehhaltung dort wieder aufnehmen zu können, ebenso wenig einzustellen wie das (etwaige) Interesse der Beigeladenen zu 2. bis 4., die Viehhaltung ihrer landwirtschaftlichen Betriebe auszuweiten. In einer Innenbereichslage, die durch ein Nebeneinander von landwirtschaftlichen Betrieben samt dazugehörigen Wohnungen bzw. Wohngebäuden und sonstigen Wohngebäuden gekennzeichnet ist, lässt es § 34 Abs. 1 BauGB nicht zu, dass sich die landwirtschaftlichen Betriebe gegen konkurrierende Wohnnutzung "abschotten".

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 -, a.a.O.

Auch ist für die Eigenart der näheren Umgebung die tatsächlich vorhandene bzw. tatsächlich ausgeübte Nutzung von Belang; nur sie eignet sich als Maßstab für die Zulässigkeit neuer Vorhaben. Künftige Entwicklungen können nur insoweit berücksichtigt werden, als sie im vorhandenen baulichen Bestand bereits ihren Niederschlag gefunden haben. Landwirtschaftliche Betriebe nehmen insofern keine Sonderstellung ein. Auch bei ihnen verbietet es sich, die bloße Möglichkeit künftiger Betriebserweiterungen oder -umstellungen bereits vollzogenen Änderungen gleichzustellen. Anderenfalls würde die Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB mit Unsicherheiten belastet, die der Gesetzgeber mit der tatbestandlichen Anknüpfung an das tatsächlich Vorhandene gerade hat ausschließen wollen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 -, a.a.O.

Etwas anderes folgt in einem (faktischen) Dorfgebiet insbesondere auch nicht aus § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Hiernach ist dort auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen. Der Vorrang, den die landwirtschaftliche Nutzung beansprucht, äußert sich darin, dass der Schutz des Wohnens gegenüber landwirtschaftlichen Störungen stärker eingeschränkt ist als in allen anderen Baugebieten. Dagegen besteht er nicht darin, die landwirtschaftliche Nutzung im Verhältnis zu den übrigen in einem Dorfgebiet zulässigen Nutzungsarten in der Weise zu begünstigen, dass sich das Maß der Rücksichtnahme ihr gegenüber nicht an den gegenwärtigen, sondern nur an potentiellen zukünftigen Nutzungsverhältnissen orientieren müsste.

Das Vorhaben der Kläger ist nicht deshalb rücksichtslos, weil die landwirtschaftlichen Betriebe der Beigeladenen zu 2. bis 4. infolge der hinzutretenden Wohnnutzung aus Gründen des Immissionsschutzes befürchten müssten, mit zusätzlichen Anforderungen an ihre Betriebsführung überzogen zu werden.

Vgl. zur Erheblichkeit einer derartigen Befürchtung: BVerwG, Beschluss vom 25.11.1985 - 4 B 202.85 -, BRS 44 Nr. 176.

Ob Belästigungen im Sinne des Immissionsschutzrechts erheblich sind, richtet sich nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter, die sich ihrerseits nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation und nach den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen bestimmen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 21.5.1976 - 4 C 80.74 -, BVerwGE 51, 15, vom 30.4.1992 - 7 C 25.91 -, BRS 54 Nr. 188, und vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 -, aaO.

Für die danach erforderliche Bewertung gibt das auf Grundlage der Geruchsimmissions-Richtlinie in der Fassung vom 21.9.2004 (GIRL 2004) durch den Sachverständigen von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen erstellte Gutachten vom 26.7.2007 zur Geruchsbelastung des Grundstücks der Kläger durch die landwirtschaftlichen Betriebe der Beigeladenen zu 2. bis 4. eine Orientierungs- bzw. Entscheidungshilfe.

Vgl. zur Frage der Beachtlichkeit einer Bewertung nach GIRL: OVG NRW, Beschluss vom 24.6.2004 - 21 A 4130/01 -, NVwZ 2004, 1259 = GewArch 2004, 438.

Die GIRL ist ein rechtlich nicht verbindliches Regelwerk. Sie stellt keine Rechtsquelle dar. Vielmehr enthält sie technische Normen, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Sachverständigen beruhen und insoweit die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und antizipierten generellen Sachverständigengutachten haben.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.5.2007 - 4 B 5/07 -, BauR 2007, 1454.

Die GIRL ist hiernach nicht das (allein entscheidende) Kriterium, sondern lediglich als ein Kriterium zur Bewertung von Geruchsimmissionen anzusehen. Namentlich darf sich die Beurteilung von Geruchsimmissionen nicht in jedem Fall allein an den in der GIRL festgelegten Grenzwerten für die Geruchshäufigkeit orientieren, vielmehr hat jeweils eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu erfolgen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.6.2004 - 21 A 4130/01 -, a.a.O.

Dass der hinsichtlich des Grundstücks der Kläger erfolgten Berechnung der relativen Häufigkeit von Geruchsstunden demzufolge keine zwingende Schlussfolgerung über die Zumutbarkeit der dort auftretenden Geruchsbelastung zu entnehmen ist, findet in der GIRL selbst Bestätigung, die sich auch in ihrer Fassung vom 21.9.2004 keine dahingehende Bindungswirkung beimisst.

Die GIRL 2004 geht von einer erheblichen Belästigung durch eine Geruchsimmission dann aus, wenn die Gesamtbelastung die unter Nr. 3.1 Tabelle 1 angegebenen - die relative Häufigkeiten von Geruchsstunden kennzeichnenden - Immissionswerte von 0,10 für Wohn-/Mischgebiete bzw. von 0,15 für Gewerbe-/ Industriegebiete überschreitet. Die GIRL 2004 benennt für Dorfgebiete jedoch keinen Immissionswert, der eine erhebliche Geruchsbelästigung indizieren würde. In der GIRL 2004 (vgl. Nr. 3.1) ist lediglich weiter ausgeführt, sonstige Gebiete seien entsprechend den Grundsätzen des Planungsrechts den Wohn-/Mischgebieten oder den Gewerbe-/Industriegebieten zuzuordnen. Zugleich macht die GIRL 2004 selbst jedoch deutlich, dass ein Vergleich mit den Immissionswerten nicht immer zur Beurteilung der Erheblichkeit einer Belästigung ausreiche. Regelmäßiger Bestandteil der Beurteilung sei deshalb im Anschluss an die Bestimmung der Geruchshäufigkeit die Prüfung, ob Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Prüfung nach Nr. 5 GIRL 2004 für den jeweiligen Einzelfall bestünden (vgl. Nr. 3.1 Abs. 4 GIRL 2004). Für die Beurteilung, ob schädliche Umwelteinwirkungen durch Geruchsemissionen hervorgerufen würden, sei ein Vergleich der nach der GIRL 2004 zu ermittelnden Kenngrößen mit den in der genannten Tabelle festgelegten Immissionswerten u.a. dann nicht ausreichend, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass wegen der außergewöhnlichen Verhältnisse hinsichtlich Hedonik und Intensität der Geruchswirkung, der ungewöhnlichen Nutzungen in dem betroffenen Gebiet oder sonstiger atypischer Verhältnisse trotz Überschreitung der Immissionswerte eine erhebliche Belästigung der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit durch Geruchsimmissionen nicht zu erwarten sei (vgl. Nr. 5 Abs. 1 b) GIRL 2004). Die Erheblichkeit einer Geruchsbelästigung sei keine absolut festliegende Größe, sie könne in Einzelfällen nur durch Abwägung der dann bedeutsamen Umstände festgestellt werden (vgl. Nr. 5 Abs. 4 Satz 2 GIRL 2004). Dabei sei - unter Berücksichtigung der evtl. bisherigen Prägung eines Gebietes durch eine bereits vorhandene Geruchsbelastung - u.a. das Beurteilungskriterium des Charakters der Umgebung heranzuziehen (vgl. Nr. 5 Abs. 5 GIRL 2004).

Dementsprechend wird in den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 GIRL 2004 unter der Überschrift "Zuordnung der Immissionswerte" u.a. darauf abgestellt, ob die landwirtschaftlichen Betriebe dominieren oder nicht, was je nachdem eine Zuordnung entweder zur Spalte 1 der Tabelle 1 unter Nr. 3.1 GIRL 2004 (Immissionswert 0,10) oder zur Spalte 2 (Immissionswert 0,15) ermögliche. In den Auslegungshinweisen zu Nr. 5 GIRL 2004 wird weiter unter der Überschrift "Prüfung im Einzelfall" ausgeführt, die GIRL sehe im begründeten Einzelfall die Abweichung von den Immissionswerten in gewissem Rahmen vor. In den dort genannten Beispielen für die Prüfung des Einzelfalls heißt es, der landwirtschaftliche Bereich könne grundsätzlich nicht anders behandelt werden als andere Geruchsemittenten. In begründeten Einzelfällen könne jedoch über den Immissionswert von 0,15 hinausgegangen werden. Die MIU-Studie zeige einen Bereich bis 0,20 auf.

Die nach alledem hier unter Würdigung des nach dem Gutachten vom 26.7.2007 - auf der Grundlage der GIRL 2004 - ermittelten Immissionswertes von 0,17 sowie der weiteren Umstände des vorliegenden Einzelfalls vorzunehmende Beurteilung der Geruchsbelastung führt zu dem Ergebnis, dass diese für die Wohnsituation auf dem Grundstück der Kläger zumutbar ist und daher bei einer solchen Belastung die Beigeladenen zu 2. bis 4. nicht mit zusätzlichen Immissionsschutzauflagen rechnen müssen.

Die Kläger wollen ihr Vorhaben in einem (faktischen) Dorfgebiet verwirklichen. Insoweit bedarf es zunächst der Vergegenwärtigung, dass sich die in § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO genannte Verpflichtung, auf die Belange landwirtschaftlicher Betriebe vorrangig Rücksicht zu nehmen, darin äußert, dass der Schutz des Wohnens gegenüber landwirtschaftstypischen Störungen stärker eingeschränkt ist als in allen anderen Baugebieten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 -, a.a.O.

Nicht außer Acht gelassen werden kann zudem, dass in einem Dorfgebiet die Wirtschaftsstellen des Betriebs nebst den dazugehörigen Wohnungen und Wohngebäuden zulässig (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) sind. Da betriebsbezogenes Wohnen regelmäßig im Nahbereich der zum Hofbereich gehörenden Viehhaltung besteht, sind dort Immissionswerte deutlich oberhalb des hier ermittelten Immissionswertes von 0,17 der Jahresstunden je nach örtlicher Lage nur schwer oder gar nicht zu vermeiden, ohne dass deshalb in Rede stünde, die Wohnnutzung würde unzumutbaren Belastungen ausgesetzt oder könnte es dann werden, wenn sie von der Betriebsführung aufgrund einer Umorganisation der dortigen Gegebenheiten getrennt wird.

Für die hier maßgebenden örtlichen Gegebenheiten ist insbesondere von Bedeutung, dass die Kläger ihr Vorhaben in einem Bereich realisieren wollen, der durch landwirtschaftliche Nutzung mit beachtlicher Tierhaltung geprägt und durch diese vorbelastet ist. Dass die Kläger bereit sind, die Geruchssituation hinzunehmen, ändert zwar an der Zumutbarkeitsbewertung grundsätzlich nichts. Denn das baurechtliche Rücksichtnahmegebot stellt nicht personenbezogen auf die Eigentumsverhältnisse oder die Nutzungsberechtigten zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Jedoch ist der Umstand von Belang, dass faktische Vorbelastungen eines Grundstücks dazu führen können und es hier tun, dass dem Schutz des Wohnens ein geringerer Stellenwert zukommt und Beeinträchtigungen im weitergehenden Maße zumutbar sind, als sie sonst in dem betreffenden Baugebiet hinzunehmen wären.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.9.1999 - 4 C 6.98 -, BRS 62 Nr. 86.

Festzuhalten ist mithin, dass die Einzelfallumstände hier maßgeblich von der situationsgeprägten Vorbelastung des Grundstücks der Kläger durch die Nähe zu Wirtschaftsstellen mit Tierhaltung (vornehmlich Schweine) bestimmt werden. Hinzu kommt, dass es die Kläger in der Hand haben, im Baugenehmigungsverfahren durch die Ausrichtung der besonders geruchsempfindlichen Räumlichkeiten bzw. des Außenwohnbereichs ihres Wohnhauses in gewissem Umfang architektonische Selbsthilfe zu üben. Vor diesem Hintergrund ist ihnen eine Geruchsbelastung in Höhe des ermittelten Immissionswertes von 0,17 durchaus zuzumuten.

Dahingestellt bleiben kann vorliegend, ob und in welcher Weise tierartspezifische Geruchsqualitäten die Belästigungswirkung beeinflussen. Deren Berücksichtigung würde nach den Ausführungen im Gutachten vom 26.7.2007 zu einer "belästigungsrelevanten Kenngröße" von 0,13 führen. Nach Tierarten differenzierende Geruchsqualitäten haben in der GIRL 2004, deren Ansatz mit Ausnahme der Sonderbeurteilung hedonisch eindeutig angenehmer Gerüche (vgl. Auslegungshinweise zu Nr. 5 der GIRL 2004) nach wie vor nur das quantitative Element der Wahrnehmbarkeit von Gerüchen erfasst, keinen Niederschlag gefunden. Gewichtungsfaktoren für tierartspezifische Geruchsqualitäten sieht allerdings nunmehr das Eckpunktepapier zum Verfahren zur Berücksichtigung von neuen Erkenntnissen aus dem Projekt "Geruchsbeurteilung in der Landwirtschaft", vgl. Forschungsprojekt "Geruchsbeurteilung in der Landwirtschaft - Bericht zu Expositions-Wirkungsbeziehungen, Geruchshäufigkeit, Intensität, Hedonik und Polaritätenprofilen", Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen, Materialien Band 73, 2006, bei der Anwendung der GIRL im landwirtschaftlichen Bereich vor (vgl. Tabelle 2 zu Nr. 2.1), welches durch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW am 4.7.2007 vorgestellt wurde. Inwieweit diese Gewichtungsfaktoren berücksichtigungsfähig sind, bedarf anlässlich des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung.

Schließlich stellt sich die Frage, ob die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse nicht gewahrt sein könnten (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB), nicht. Bei einem durch Gerüche landwirtschaftlicher Tierhaltung erzeugten Immissionswert von 0,17 kann von einer gesundheitsschädigenden Geruchsbeeinträchtigung keine Rede sein.

Ende der Entscheidung

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