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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 30.10.2009
Aktenzeichen: 7 A 2658/07
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 13
Ein Eigentümer eines in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücks, dessen Nutzung weder genehmigt noch durch Bestandsschutz gedeckt ist, kann nicht von seinem Nachbarn unter Berufung auf den sog. Gebietserhaltungs- bzw. Gebietsgewährleistungsanspruch die Einhaltung gerade solcher Vorgaben verlangen, gegen die er mit seiner Grundstücksnutzung selbst verstößt (hier: Verstoß gegen § 13 BauNVO).
Tatbestand:

Der Kläger wandte sich gegen eine dem Beigeladenen im Februar 2006 erteilte Genehmigung zur Umwandlung einer Wohnung in eine Arztpraxis und ein Kosmetikstudio im ersten Obergeschoss des zweigeschossigen Wohn- und Ärztehauses. Der Kläger ist Inhaber eines Dauerwohnrechts gemäß § 31 WEG an der Dachgeschosswohnung des genannten Hauses. Eigentümer des Grundstücks im Übrigen ist der Beigeladene. Der Kläger ist zudem Eigentümer des benachbarten Grundstücks. Auf ihm befindet sich ein zweigeschossiges straßenseitiges (Haupt-)Haus mit rückwärtigem Anbau. Im Haupthaus sind drei Wohnungen vermietet (Dachgeschoss, 1. Obergeschoss und Zwischengeschoss). Die weiteren Räumlichkeiten im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss, die zuletzt seit 1994 bzw. 1992 als Kinderarztpraxis bzw. Rechtsanwaltskanzlei genutzt worden waren, stehen derzeit leer. Für den Bereich beider Grundstücke ist in dem Mitte 1975 bekanntgemachten Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt.

Die Klage gegen die Nutzungsänderungsgenehmigung hatte in erster Instanz Erfolg. Auf die Berufung des Beigeladenen wies das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil und die Klage ab.

Gründe:

Der Kläger kann die Aufhebung der dem Beigeladenen erteilten Genehmigung zur Nutzung von Flächen im 1. Obergeschoss seines Hauses als Arztpraxis bzw. Kosmetikstudio nicht beanspruchen. Die Nutzungsänderungsgenehmigung mag objektiv rechtswidrig, namentlich die genehmigte Art der Nutzung bauplanungsrechtlich unzulässig sein. Eine Verletzung eigener Rechte i. S. d. § 113 Abs. 1 VwGO kann der Kläger aber nicht geltend machen. In dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Baugenehmigung war es ihm insbesondere verwehrt, sich auf den geltend gemachten Gebietserhaltungs- bzw. Gebietsgewährleistungsanspruch zu berufen.

1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitigen Vorhabens richtet sich nach § 30 Abs. 1 BauGB. Das Grundstück liegt in einem Bereich, für den der Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet ausweist.

Das Vorhaben gehört - jedenfalls soweit es um die Nutzung eines Teils des Gebäudes als Arztpraxis geht - nicht zu den nach den wirksamen Festsetzungen des Bebauungsplans i. V. m. den einschlägigen Vorschriften der Baunutzungsverordnung in der Fassung der ersten Änderungsordnung vom 26. 11. 1968 (BGBl. S. 1237) - BauNVO - zulässigen Vorhaben. Jene Fassung des Baunutzungsverordnung findet hier mit Blick auf den Zeitpunkt der Auslegung bzw. Bekanntmachung des Bebauungsplanes Anwendung (§ 25a BauNVO). Zu Änderungen des Bebauungsplans, die auf eine Umstellung auf eine Baunutzungsverordnung späterer Fassung angelegt gewesen wären, ist es in der Folgezeit nicht gekommen.

Das Vorhaben des Beigeladenen stellt jedenfalls im Hinblick auf die Umwandlung von Wohnflächen in Praxisräume für einen Arzt keine nach § 4 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet zulässige Nutzung dar. Auf § 13 BauNVO kann sich der Beigeladene ebenfalls nicht berufen. Danach sind auch in einem allgemeinen Wohngebiet für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibenden, die ihren Beruf in ähnlicher Weise ausüben, nur "Räume" zulässig. Die Vorschrift soll vor einer städtebaulich unerwünschten Verdrängung der primären Wohnnutzung schützen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. 1. 1985 - 4 C 34.81 -, BRS 44 Nr. 47.

Entsprechend darf die freiberufliche oder freiberufsähnliche Nutzung die Wohnnutzung nicht überwiegen. Geboten ist dabei eine gebäudebezogene und keine grundstücksbezogene Betrachtung. Der spezifische Gebäudecharakter muss auch für das einzelne (Wohn-)Gebäude gewahrt bleiben. In Mehrfamilienhäusern darf deshalb in der Regel nicht mehr als die halbe Anzahl der Wohnungen und nicht mehr als 50 % der Wohnflächen in Anspruch genommen werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. 5. 2001 - 4 C 8.00 -, BRS 64 Nr. 66, Beschluss vom 25. 1. 1985 - 4 C 34.81 -, a. a. O., und Urteil vom 20. 1. 1984 - 4 C 56.80 -, BRS 42 Nr. 56.

Mit diesen Vorgaben ist die dem Beigeladenen erteilte Nutzungsänderungsgenehmigung nicht vereinbar. Das ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig und bedarf keiner vertieften Ausführung. Insbesondere ist einzustellen, dass das Erdgeschoss des Gebäudes und ein Teil des 1. Obergeschosses bereits als Praxisräume genutzt werden. Schon allein durch die vorgesehenen weiteren Praxisräume ergibt sich ein deutliches Übermaß an freiberuflicher Nutzung. Dahinstehen mag deshalb auch, ob der Betrieb eines Kosmetikstudios ebenfalls zu der von § 13 BauNVO erfassten freiberufsähnlichen gewerblichen Tätigkeit gezählt werden kann, bejahend: OVG Rh.-Pf., Urteil vom 27. 6. 2002 - 1 A 11669/99 -, juris; offengelassen: OVG NRW, Urteil vom 24. 1. 2008 - 7 A 270/07-; zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG verneinend: Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 18 Rdn.159 (unter Bezug auf eine Entscheidung des FG Düsseldorf, EFG 1965, 567), und ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen andernfalls das Vorhaben als nicht störender Handwerksbetrieb zulässig sein könnte (§ 4 Abs. 2 BauNVO), jedenfalls aber als nicht störender Gewerbebetrieb ausnahmsweise nach § 4 Abs. 3 BauNVO. Der Kosmetiker gehört zu den in Anlage B zum Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HwO) aufgeführten Gewerben, die als handwerksähnliche nach § 18 Abs. 2 HwO betrieben werden können.

2. Auf den bauplanungsrechtlichen Verstoß gegen § 4, § 13 BauNVO kann der Kläger sich indes nicht mit Erfolg berufen. Ihm steht gegenüber dem Beigeladenen kein durchsetzbares Recht auf Einhaltung der genannten bauplanungsrechtlichen Vorgaben zu.

Aus seinem Dauerwohnrecht aus § 31 WEG am Vorhabengebäude kann der Kläger im Verhältnis zum Beigeladenen schon vom Grundsatz her keine subjektiv-öffentlichen nachbarlichen Abwehrrechte ableiten. Bei allen nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilten Grundstücken sind die wechselseitigen Rechte und damit auch die Abwehrrechte bei Nutzungskonflikten, wie sie hier in Rede stehen, durch jenes Gesetz besonders geregelt. Eventuelle öffentlich-rechtliche Drittschutzansprüche werden durch dieses bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnis überlagert.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. 3. 1998 - 4 C 3.97 -, BRS 60 Nr. 173.

Als Eigentümer des benachbarten Grundstücks steht dem Kläger zwar grundsätzlich ein sog. Gebietsgewährleistungsanspruch zu. Weil er in dem für die Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung allerdings selbst die eingeforderten bauplanungsrechtlichen Vorgaben nicht eingehalten hat, ist es ihm hier aber verwehrt, den Anspruch gegenüber der dem Beigeladenen erteilten Genehmigung geltend zu machen.

Der sog. Gebietsgewährleistungsanspruch vermittelt den Eigentümern von Grundstücken, die in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet liegen, grundsätzlich das Recht, sich gegen ein hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässiges Vorhaben zur Wehr zu setzen. Das betrifft gerade auch die Vorgaben aus § 13 BauNVO.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. 12. 1995 - 4 B 245.95 -, BRS 57 Nr. 79.

Der Anspruch ist Ausfluss des Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG. Er leitet sich aus dem Gedanken des wechselseitigen nachbarrechtlichen Austauschverhältnisses ab; weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Hauptanwendungsfall sind die Festsetzungen eines Bebauungsplanes über die Art der baulichen Nutzung, wie sie hier in Rede stehen. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. 12. 2007 - 4 B 55.07 -, BRS 71 Nr. 175, Urteil vom 16. 9. 1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110, und Beschluss vom 11. 5. 1989 - 4 C 1.88 -, BRS 49 Nr. 184, jeweils m. w. N.

Aus seiner Herleitung aus dem baunachbarrechtlichen Verhältnis ergeben sich zugleich die Grenzen, denen ein Gebietsgewährleistungsanspruch namentlich mit Blick auf den Grundsatz von Treu und Glauben unterliegt. Für das baunachbarrechtliche Verhältnis ist insbesondere anerkannt, dass eine ungenehmigte Nutzung, die bauplanungsrechtlich unzulässig und auch nicht durch Bestandsschutz gedeckt ist, grundsätzlich kein Schutzobjekt eines nachbarrechtlichen Abwehrrechts sein kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. 2. 1992 - 1 C 7.90 -, BRS 54 Nr. 194.

Entsprechend kann ein solcher Eigentümer auch nicht schutzwürdig von seinen Nachbarn unter Berufung auf sein Interesse an der Erhaltung des gegebenen Gebietscharakters die Einhaltung gegebener Nutzungsbeschränkungen verlangen, die er selbst nicht einhält. Der Umstand, dass der Gebietserhaltungsanspruch im Grunde nicht der Abwehr der Störung einer konkreten Grundstücksnutzung dient, sondern dem Interesse, eine Gebietsverfremdung abzuwehren, bietet keinen tragfähigen Grund, die Schutzwürdigkeit der Interessenlage streitender Nachbarn insoweit anders zu beurteilen. Der Gebietsgewährleistungsanspruch ist nach seiner Ableitung, auch wenn er keine weitergehende Beeinträchtigung des Nachbarn fordert, kein bloßer allgemeiner Planbefolgungsanspruch. Er zielt vielmehr auf einen Ausgleich für bestehende gemeinsame Nutzungsbeschränkungen; nur das mit den gegebenen Vorgaben korrespondierende Eigeninteresse an der Gebietserhaltung soll abgesichert werden. Der Eigentümer eines Grundstückes ist aber grundsätzlich nur insoweit schutzwürdig, als er sich selbst entsprechend den von ihm geforderten Beschränkungen verhält und das Seine zu einer Gebietserhaltung beiträgt.

Vgl. OVG Saarl., Beschluss vom 22. 11. 1996 - 2 W 33/96 -, juris; Thür. OVG, Beschluss vom 18. 10. 1996 - 1 EO 262/96 -, BRS 58 Nr. 56.

Daran fehlte es hier. Zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung - hier also der Erteilung der Genehmigung - vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 19. 9. 1969 - 4 C 18.67 -, NJW 1970, 263, und vom 14. 4. 1978 - 4 C 96.76 u.a. -, BauR 1978, 289, entsprach die Nutzung des Grundstückes Hardenbergstraße 8 nicht den bauplanungsrechtlichen Vorgaben aus § 13 BauNVO.

Das straßenseitige Haupthaus (ehemaliges Lagerhaus mit Anbau) war überwiegend durch freiberuflich Tätige genutzt. In den Räumlichkeiten des Erdgeschosses befand sich eine Arztpraxis, in Teilen des 1. Obergeschosses eine Anwaltskanzlei. Das ergab eine Gesamtnutzfläche von 285 qm. Im Übrigen befanden sich in dem Gebäude drei Wohnungen mit einer Nutzfläche von nur etwa 199 qm. Das entspricht den eigenen Angaben des Klägers, von deren Richtigkeit auch der Beklagte ausgeht. Relevante Unstimmigkeiten über das Nutzungsausmaß bestehen zwischen den Beteiligten allein in Bezug auf die weiteren Räumlichkeiten in der ehemaligen Remise. Dafür, dass die Wohnnutzung trotz dieses deutlichen Übergewichts der Flächen, die zu freiberuflichen Zwecken genutzt wurden, ausnahmsweise für das (Haupt-)Gebäude gleichwohl prägend geblieben wäre, findet sich auch in den Örtlichkeiten, die die Berichterstatterin in Augenschein genommen und deren Eindruck sie dem Senat vermittelt hat, kein Anhalt.

Der Wohnbereich in der umgebauten ehemaligen Remise ist bei der Bewertung nicht einzubeziehen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass § 13 BauNVO - wie bereits ausgeführt - eine gebäudebezogene Betrachtung erfordert. Das gilt auch, wenn sich - wie hier - zwei Gebäude auf einem Grundstück befinden.

Haupthaus nebst Anbau und ehemalige Remise stellen sich als zwei unterschiedliche Gebäude i. S. d. Baunutzungsverordnung dar. Bei der erweiterten Remise, die wohngenutzt wird und zugleich als Fotostudio dient, handelt es sich nicht (nur) um einen unselbstständigen Anbau. Kennzeichnend für ein Gebäude i. S. d. Baunutzungsverordnung als Unterfall einer baulichen Anlage (§ 29 Abs. 1 BauGB) ist dessen selbstständige Nutzbarkeit.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. 12. 1995 - 4 B 245.95 -, a. a. O.

Das setzt keine Abtrennung, nicht einmal eine Abtrennbarkeit von anderen baulichen Anlagen voraus. Für die Unterscheidung, ob unselbstständige Teile einer baulichen Anlage oder aber mehrere Gebäude nebeneinanderstehen, ist vielmehr ihre funktionale und bautechnisch selbständige Benutzbarkeit entscheidend. Das fordert eine wertende Betrachtung, bei der dem eigenen Zugang ebenso eine besondere Indizwirkung beigemessen werden kann wie dem (äußeren) Erscheinungsbild im Übrigen.

Vgl. zu § 2 Abs. 2 BauO NRW: OVG NRW, Urteil vom 16. 10. 2008 - 7 A 3096/07 -.

Davon ausgehend handelt es sich bei dem straßenseitigen Haupthaus und der ehemaligen Remise um zwei selbstständige Gebäude. Beide verfügen über einen separaten Eingang. Die Remise ist statisch selbständig und verfügt über ein eigenständiges Dach. Es findet eine unabhängige Nutzung statt; es bestehen separate Versorgungsanlagen. Nach dem Eindruck, den die Baulichkeiten im Ortstermin auf die Berichterstatterin im Ortstermin gemacht haben, und den sie dem Senat anhand des vorliegenden Fotomaterials vermittelt hat, weist die Remise weder von ihrer äußeren Erscheinung noch von ihrer Lage in der Örtlichkeit den Charakter eines bloß unselbstständigen Anbaus an das (Haupt-)Gebäude auf.

Auf Bestandsschutz kann sich der Kläger in diesem Zusammenhang nicht berufen. Die Annahme einer durch Art. 14 Abs. 1 GG bewirkten bestandsgeschützten Nutzung würde voraussetzen, dass die streitige Nutzung bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplanes bestanden hat und zuvor einmal den materiellen Anforderungen des Baurechts entsprochen hat.

Vgl. zu den Voraussetzungen: BVerfG, Beschluss vom 24. 7. 2000 - 1 BvR 151/99 -, NVwZ 2001, 424.

Daran fehlt es hier.

Allerdings wäre der Kläger andernfalls wohl grundsätzlich nicht gehindert, sich gegenüber dem Beigeladenen auf einen Gebietsgewährleistungsanspruch zu berufen. Denn der Bestandsschutz ist unmittelbarer Ausfluss des Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG. Mit der Fortsetzung einer bestandsgeschützten Nutzung eines Grundstücks nach Erlass eines Bebauungsplanes hält sich der Betreffende im Rahmen der ihm nach materiellem Recht eröffneten Möglichkeiten. Zugleich unterliegt er im Hinblick auf Erweiterungsmöglichkeiten als auch in bezug auf Nachfolgenutzungen den nämlichen Beschränkungen des Bebau-ungsplanes, die er einfordert. Schon deshalb wird man einem solchen Eigentümer ein schutzwürdiges Interesse daran, eine Gebietsverfremdung abwehren zu können, im Grundsatz nicht absprechen können.

Bestandsgeschützt ist eine Grundstücksnutzung, welche nach früheren rechtlichen Vorgaben rechtmäßig war oder auf Grund einer früher erteilten Baugenehmigung unwiderlegbar als rechtmäßig angesehen werden muss und deshalb weiter ausgeübt werden darf, obwohl sie dem aktuellen Baurecht nicht mehr entspricht. Erfasst ist eine nach Art und Umfang unveränderte Nutzung einer Baulichkeit. Der Bestandsschutz endet, wenn die Nutzung endgültig aufgegeben wird oder durch eine andersartige oder wesentlich geänderte Nutzung ersetzt wird, d.h. die Nutzung unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine andere Qualität aufweist.

Vgl. für den Fall der Nutzungsänderung BVerwG, Urteil vom 25. 3. 1988 - 4 C 21.85 -, BRS 48 Nr. 138; für den Fall der Nutzungserweiterung BVerwG, Urteil vom 18. 5. 1995 - 4 C 20.94 -, BRS 57 Nr. 67.

In diesem Zusammenhang ist auch die Änderung der Nutzung von Räumen in einem ansonsten dem Wohnen dienenden Gebäude zu freiberuflichen bzw. freiberufsähnlichen Zwecken oder (sonstiger) gewerblicher Nutzung zu sehen. Denn deren Zulässigkeit unterliegt anderen städtebaulichen Vorgaben. Für erstere gilt namentlich § 13 BauNVO, die Zulässigkeit für gewerbliche Nutzung richtet sich nach § 4 BauNVO. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplanes fand in dem straßenseitigen Hauptgebäude keine freiberufliche Tätigkeit statt, jedenfalls keine, die mit den Vorgaben des § 13 BauNVO nicht in Einklang gestanden hätte. Darauf, ob anderes für einen früheren Zeitpunkt galt, kommt es nicht an. Hielt sich die Grundstücknutzung im Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplans im Rahmen des nach § 13 BauNVO Zulässigen, war der Kläger, was die Frage der Aufnahme einer nur nach Maßgabe der Anforderungen des § 13 BauNVO zulässigen Nutzung oder deren Erweiterung angeht, an die aus der Gebietsfestsetzung des Bebauungsplans folgenden Beschränkungen gebunden. Denn außerhalb der gesetzlichen Regelungen gibt es keinen Anspruch auf Zulassung einer neuen oder einer bauplanungsrechtlich relevanten erweiterten Nutzung aus eigentumsrechtlichem Bestandschutz.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. 3. 1998 - 4 C 10.97 -, BVerwGE 106, 228, (wird ausgeführt ...)

Der Einwand des Klägers, er sei sich der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit der Nutzung seines Grundstücks nicht bewusst gewesen, ist nicht zielführend. Auf seine subjektive Kenntnis oder Fragen der konkreten Vorwerfbarkeit kommt es nicht an. Anknüpfungspunkt sind die objektiven Grundstückverhältnisse. Es geht um die Schutzwürdigkeit des Interesses an der Abwehr einer Gebietsverfremdung. Hierfür ergibt sich aber schon dann kein tragfähiger Anknüpfungspunkt, wenn ein Eigentümer durch die eigene tatsächliche gebietsfremde Nutzung seines Grundstückes im Grundsatz selbst einen Sachverhalt verwirklicht, der objektiv im Gebiet eine Verfremdung einleitet, auch wenn dies subjektiv nicht gewollt gewesen sein sollte. Der Umstand, dass die zuletzt als Arztpraxis bzw. als Anwaltskanzlei genutzten Räumlichkeiten inzwischen leer stehen, ist unerheblich. Im baurechtlichen Nachbarstreit ist - wie bereits angeführt - für die Beurteilung, ob eine Baugenehmigung Rechtsfehler zu Lasten des Nachbarn enthält, grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen. Das ist hier der Zeitpunkt des Erlasses der Genehmigung. Änderungen der Sach- und Rechtslage zu Lasten des Bauherrn bleiben grundsätzlich - wie auch hier - unberücksichtigt. Anderes gilt (nur), wenn sich Änderungen zu Gunsten des Bauherrn ergeben, die dazu führen, dass ihm eine entsprechende Genehmigung nunmehr aus Rechtsgründen erteilt werden muss. Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. 9. 1969 - 4 C 18.67 -, a. a. O., und vom 14. 4. 1978 - 4 C 96.76 u.a. -, a. a. O.

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