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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 01.06.2007
Aktenzeichen: 7 A 3852/06
Rechtsgebiete: BauO NRW, BauGB


Vorschriften:

BauO NRW § 6 Abs. 4 Satz 3
BauGB § 34
1. Der obere Abschluss einer Terrassenumwehrung (hier: Staffelgeschoss mit Dachterrasse) ist bei der Bemessung der Wandhöhe als oberer Bezugspunkt anzusetzen. Die Umwehrung ist als nach innen versetzter Wandteil i.S.v. § 6 Abs. 4 Satz 3 BauO NRW zugleich Bezugspunkt für die Tiefe der Abstandfläche.

2. Ergibt sich von einem Bauvorhaben aus die Möglichkeit der Einsichtnahme in ein Nachbargrundstück, so verletzt dies in aller Regel nicht das Gebot der Rücksichtnahme, weil dies in bebauten innerörtlichen Bereichen zur Normalität gehört.


Tatbestand:

Der Kläger wandte sich gegen die Berechnung der Abstandfläche vor einem Dachterrassengeländer und hielt die Einsichtsmöglichkeit in sein Grundstück für rücksichtslos. Das VG wies die Klage ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war ohne Erfolg.

Gründe:

Der Kläger macht zunächst geltend, für die Berechnung der Abstandflächen sei auf die Höhe des Geländers als Umwehrung der Dachterrasse abzustellen. Dies stelle den oberen Abschluss der Außenwand dar und bilde, obwohl 0,5 m von der Außenwand zurückversetzt, keinen eigenen Wandbestandteil. Die Tiefe der Abstandflächen sei daher von der Außenwand und nicht von dem Geländer aus zu messen. Mit diesem Vorbringen werden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils begründet.

Es trifft zwar zu, dass der obere Abschluss des Terrassengeländers im Staffelgeschoss des streitigen Bauvorhabens bei der Bemessung der Wandhöhe nach § 6 Abs. 4 BauO NRW als oberer Bezugspunkt anzusetzen ist. Dabei kommt es auf das jeweilige Material des Terrassengeländers und insbesondere darauf, ob dieses offen oder transparent gestaltet ist, nicht an. (wird ausgeführt)

Das Terrassengeländer ist aber auch Bezugspunkt für die Tiefe der Abstandfläche, so dass von der Einhaltung der Abstandflächen auf der zum Grundstück des Klägers hin gelegenen Seite des Bauvorhabens auszugehen ist. Nach § 6 Abs. 4 Satz 3 BauO NRW ist die Wandhöhe je Wandteil zu ermitteln, wenn eine Außenwand aus Wandteilen unterschiedlicher Höhe besteht. Bei dem hier das gesamte Staffelgeschoss - mit einem Abstand von 0,5 m zur Außenwand - umlaufend zur offenen Seite hin abschließenden Geländer handelt es sich um einen nach innen versetzten Außenwandteil im Sinne dieser Vorschrift.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 8.8.2001 - 2 ZS 01.1331 -, juris (zu einem Rücksprung von 0,40 m).

Der Einwand des Klägers, wegen der Terrasse sei eine gewisse Schutzhöhe der Außenwand erforderlich, weshalb das Geländer von seiner Funktion her als oberer Abschluss der Außenwand anzusehen sei, geht fehl. Der Bauherr hat die Wahl, ob die Terrasse bis zur Außenwand vorgezogen wird - dann ist dort eine Brüstung oder ein Geländer anzubringen -, oder ob er - wie hier - die Umwehrung von der Außenwand zurücknimmt. In letzterem Fall ist die Umwehrung eben nicht mehr Teil der Außenwand, sondern ein versetzter Wandteil i.S.v. § 6 Abs. 4 Satz 3 BauO NRW. Dies ergibt sich auch aus der vom Kläger - zur Stützung seiner gegenteiligen Ansicht - zitierten Kommentierung in Gädtke/Temme/Heintz (10. Aufl. 2003), Rn. 201 zu § 6 BauO NRW. Dort heißt es u.a.:

"Wird eine 1 m hohe Umwehrung um 0,8 m von der Außenwand zurückversetzt, so führen die beiden Bemessungslinien - einerseits die Schnittlinie Außenwand/Terrassenebene und andererseits die Umwehrungshöhe - zu identischen Ergebnissen bezüglich der Tiefe der Abstandfläche."

Weiter macht der Kläger geltend, das Bauvorhaben verletze das Gebot der Rücksichtnahme. Entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze entstehe in einer Höhe von ca. 9 m auf einer Front von ca. 20 m eine großflächige Terrasse, von der - wie von einer "Aussichtsplattform" - ein freier Blick auf das gesamte klägerische Grundstück nebst des rückwärtigen Teils (Rückzugsraum des Klägers) möglich sei. Dieser Beeinträchtigung stehe kein schutzwürdiges Interesse der Beigeladenen entgegen. Da die Penthousewohnung im Staffelgeschoss auch in südlicher, westlicher und östlicher Richtung über Dachterrassen verfüge, sei es nicht notwendig, auch noch in Richtung des klägerischen Grundstücks eine solche zu errichten. Der Kläger könne sich auch kaum durch Anpflanzungen vor Einblicken schützen. Solche Anpflanzungen müssten im Übrigen so massiv sein, dass dies wiederum eine Verschattung des klägerischen Grundstücks zur Folge habe. Auch dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine Einsichtnahmemöglichkeit, wie sie von dem Kläger befürchtet wird, nicht rücksichtslos. In bebauten innerörtlichen Bereichen gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Wohnhäusern aus Einsicht in das eigene Grundstück genommen werden kann. Hinzu kommt, dass die Entfernung von der Dachterrasse des Bauvorhabens bis zum Grundstück des Klägers über 8 m und bis zu dessen Wohnhaus sogar über 13 m beträgt.

Aus dem von dem Kläger zur Stützung seiner Bewertung, das Rücksichtnahmegebot sei verletzt, herangezogenen Urteil des 10. Senats des OVG NRW vom 22.8.2005 - 10 A 3611/03 -, NWVBl. 2006, 62 (= BRS 69 Nr. 91), ergibt sich nichts anderes. Auch der 10. Senat hat dort die ständige Rechtsprechung der Bausenate des OVG hervorgehoben, in bebauten Bereichen müssten Einsichtnahmemöglichkeiten im Allgemeinen hingenommen werden. Der Senat hat dann unter Bewertung der konkreten Umstände des dort zu entscheidenden Falls einen Balkon ausnahmsweise als rücksichtslos angesehen; eine vergleichbare Fallkonstellation (Reihenhauszeile, Größe der rückwärtigen Gartenbereiche etwa 40 m2, Abstand zwischen Balkon und Schlafzimmer des Nachbarhauses etwa 1 m) steht im vorliegenden Fall jedoch nicht annähernd in Rede.

Das Vorhaben der Beigeladenen erweist sich auch nicht deshalb als rücksichtslos, weil diese hinsichtlich der Ausgestaltung des Staffelgeschosses bzw. der Dachterrasse eine andere Ausgestaltung hätten wählen können. Bei mehreren zur Verfügung stehenden baulichen Alternativen ist der Bauherr nicht verpflichtet, nur diejenige zu realisieren, die Nachbarinteressen am wenigsten beeinträchtigt. Erweist sich, dass das konkrete Vorhaben - wie hier - Nachbarrechte nicht verletzt, kann der Nachbar Abwehrrechte nicht daraus herleiten, dass er auf alternative Bauausführungen - hier: Verzicht der Dachterrasse auf der Nordseite des Bauvorhabens - verweist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.6.1997 - 4 B 97.97 -, BRS 59 Nr. 176.

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