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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 23.09.2002
Aktenzeichen: 7 B 1283/02
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 4
BauNVO § 13
Mit § 13 BauNVO ist es nicht vereinbar, wenn in einem Mehrfamilienhaus in einem allgemeinen Wohngebiet mehrere Büros deutlich größer sind als die größte, schon sehr großzügig dimensionierte Wohnung.
Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich gegen die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses in ihrer Nachbarschaft mit der Begründung, dieses Vorhaben stehe mit dem Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets nicht im Einklang. Der Antrag, den Antragsgegner zur Stilllegung der Bauarbeiten zu verpflichten, hatte in zweiter Instanz Erfolg.

Gründe:

Das mit der streitbefangenen Baugenehmigung genehmigte Bauvorhaben zur Errichtung eines Gebäudes mit der Festlegung von Nutzflächen für freiberufliche Nutzung, Wohnen und Apotheke, ist offensichtlich bauplanungsrechtlich unzulässig und verletzt den nachbarschützenden Anspruch der Antragsteller auf Bewahrung des durch den Bebauungsplan festgesetzten Baugebietscharakters als allgemeines Wohngebiet.

Nach § 13 BauNVO in der hier noch anzuwendenden Fassung von 1968 sind in allgemeinen Wohngebieten für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben, Räume zulässig. Die hier in Rede stehenden genehmigten Nutzflächen für freiberufliche Nutzung überschreiten den damit vorgegebenen Rahmen.

Das Ziel des § 13 BauNVO besteht darin, den Charakter der Wohngebiete und damit auch den Charakter der dort vorhandenen Wohnhäuser zu erhalten. Mit dem Begriff der Räume in dieser Vorschrift werden daher Raumeinheiten gekennzeichnet, die nur Teile des Gebäudes und jedenfalls nicht umfangreicher als jeweils eine Wohnung sind, so wie sie im Zeitpunkt des Beginns der Nutzung für den freien oder ähnlichen Beruf vorgefunden werden (Beschränkung der Büronutzung des freiberuflich Tätigen auf eine einzige Wohnung). Mehrfamilienhäuser dürfen im Interesse der Erhaltung der Wohnstruktur nicht zu gewerblichen Gebäuden umfunktioniert werden. So können etwa in einem Mehrfamilienhaus eine oder auch einige Wohnungen allein beruflich für freie oder ähnliche Berufe genutzt werden, solange nur die anderen Wohnungen Wohnzwecken dienen und das Wohnhaus nicht durch überwiegende berufliche Nutzung dem Wohnen entfremdet wird. Deshalb darf die freiberufliche Nutzung in Mehrfamilienhäusern nicht mehr als die halbe Anzahl der Wohnungen und nicht mehr als 50 % der Wohnfläche in Anspruch nehmen. Im Einzelfall kann die Büronutzung sogar auf wesentlich weniger als 50 % der Wohnungsanzahl oder der Wohnfläche zu beschränken sein; unter besonderen Umständen mögen diese Grenzen auch etwas überschritten werden können. Niemals darf jedoch die freiberufliche Nutzungsweise für das einzelne Gebäude prägend sein. Der spezifische Gebietscharakter muss auch für das einzelne Gebäude gewahrt bleiben.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 20.1.1984 - 4 C 56.80 - BVerwGE 68, 324, 328-330 = BRS 42 Nr. 56, vom 25.1.1985 - 4 C 34.81 - BRS 44 Nr. 47 (insoweit nicht abgedruckt in NJW 1986, 1004) und vom 18.5.2001 - 4 C 8/00 - NVwZ 2001, 1284, 1285.

Wäre allein maßgeblich auf die Gesichtspunkte der Anzahl der Wohnungen und der Büros bzw. auf den Anteil der Bürofläche an der "Gesamtwohnfläche" im Sinne einer Gegenüberstellung von Wohnfläche und von für freiberufliche Nutzung vorgesehener Fläche - vgl. BVerwG, Urteil vom 25.1.1985 - 4 C 34.81 - a.a.O. - abzustellen, wäre den Anforderungen des § 13 BauNVO 1968 noch Genüge getan, denn das Gebäude weist nach der Baugenehmigung in der Fassung ihrer 3. Änderung 12 Wohnungen mit etwa 54 % der Gesamtfläche und 7 Büros mit etwa 42 % der Gesamtfläche auf. Indessen wird eine solche eingeengte Betrachtung der Zielrichtung des § 13 BauNVO nicht gerecht.

Allerdings sind die vorstehend wiedergegebenen Regeln nicht rechtssatzartig anzuwenden; sie können in Einzelfällen eine Ausnahme von der Beschränkung der jeweiligen Büronutzung auf eine Wohnung zulassen, insbesondere in dem Fall der Nutzungsänderung von zwei kleinen Wohnungen und deren Zusammenlegung zu einem Büro, wenn dieses dann immer noch kleiner ist als einzelne andere Wohnungen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.5.2001 - 4 C 8/00 -, a.a.O.

Darum geht es im vorliegenden Fall aber nicht. Das VG hat verkannt, dass in einem Wohngebäude eines allgemeinen Wohngebiets keine Büroeinheiten erwartet werden, die größer sind als die in dem Hause und in dem Gebiet vorhandenen Wohnungen. Büros, die größer als eine Wohnung sind, drängen die Wohnnutzung übermäßig zurück und lassen das Gebäude als ein gewerblich genutztes Gebäude erscheinen. Zwar trifft es zu, dass § 13 BauNVO auch in der nunmehr geltenden Fassung in Wohngebieten nicht nur "kleine" Praxen zulässt. Der Charakter eines Wohngebäudes geht aber verloren, wenn in ihm Büros vorhanden sind, die größer sind als die für Wohnhäuser typische Nutzungseinheit, nämlich die Wohnung. "Großbüros" sind geeignet, den Wohnhauscharakter des Gebäudes zu beseitigen, auch wenn die 50%-Grenze noch nicht erreicht ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.5.2001 - 4 C 8/00 -, a.a.O.

So liegt der Fall hier. Von den zwölf Wohnungen weisen zwei Wohnungen je rund 132 qm, eine rund 151 qm und eine weitere rund 187 qm auf, alle übrigen Wohnungen bleiben in ihrer Größe gestaffelt bis hinunter auf rund 90 qm deutlich dahinter zurück. Obwohl damit die Wohnflächen schon großzügig dimensioniert sind, halten sich demgegenüber von den sieben Büros nur eines auf der Ebene 0 mit rund 100 qm und zwei mit je rund 120 qm auf den Ebenen 1 und 2 deutlich im Rahmen der Wohnungsgrößen. Ein viertes Büro mit rund 168 qm auf Ebene 0 bewegt sich bereits auf den äußeren Rahmen zu. Die übrigen drei Büros mit Flächen von 207 bis 211 qm sind indessen Großbüros, die selbst die Fläche der größten aller zwölf Wohnungen mit rund 187 qm deutlich hinter sich lassen. Wegen dieser drei Großbüros weist das Bauvorhaben nach den vorgenannten Grundsätzen unter Verstoß gegen § 13 BauNVO keinen Wohnhauscharakter mehr auf.

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