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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 17.08.2005
Aktenzeichen: 7 B 1288/05
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 6 Abs. 1 Satz 2 b)
Muss nicht, darf aber nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften ohne Grenzabstand gebaut werden, ergeben sich aus § 6 Abs. 1 Satz 2 b) BauO NRW weitergehende Anforderungen bauordnungsrechtlicher Art im Hinblick auf die Gegebenheiten auf dem Nachbargrundstück.

Der von § 6 Abs. 1 Satz 2 b) BauO NRW geforderten Anbausicherung steht gleich eine hinreichend gewichtige Bebauung, bei der es sich nicht um ein Gebäude mit einer Hauptnutzung handeln muss.


Tatbestand:

Die Antragsteller wandten sich gegen eine grenzständige Nachbarbebauung, da diese den Anforderungen des § 6 Abs. 1 Satz 2 b) BauO NRW nicht genüge. Auf ihrem Grundstück sei zwar ebenfalls eine bauliche Anlage grenzständig vorhanden. Diese komme als so genannte Anbausicherung nicht in Betracht, da es sich nicht um ein Gebäude mit einer Hauptnutzung handele.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Die Antragsteller halten es für überprüfungsbedürftig, ob jede bauliche Anlage ungeachtet ihrer Nutzung (und Größe) schon dann eine öffentlich-rechtliche Anbausicherung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 b BauO NRW zu ersetzen vermag, wenn sie im Grenzbereich abstandrechtlich nicht zulässig ist. Zu fordern sei vielmehr ein Grenzanbau, der einer Hauptnutzung dient. Die Ansicht, es müsse sich bei dem anbaufähigen Grenzanbau um eine Hauptnutzung handeln, teilt der Senat jedoch nicht in der von den Antragstellern vertretenen umfassenden Sichtweise.

Gädtke/Temme/Heintz, BauO NRW, (10. Auflage) nimmt an den von den Antragstellern zitierten Stellen der Kommentierung (§ 6 Rdnr. 122 und 166) zur Begründung seiner Ansicht, anbaufähig sei nur eine Hauptnutzung, auf den Beschluss des 10. Senats vom 28.6. 2000 - 10 B 906/00 - Bezug. Dort hat der 10. Senat (in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 7. Senats des OVG, vgl. z. B. Beschluss vom 6. 11. 1998 - 7 B 2057/98 -) ausgeführt, § 6 Abs. 1 Satz 2 b BauO NRW erfasse nur die Fälle, in denen eine geschlossene Bauweise jedenfalls planungsrechtlich zulässig ist und erlaube deshalb das Bauen ohne Grenzabstand, wenn auf dem konkreten Grundstück eine Situation geschaffen werden solle, die der einer geschlossenen Bauweise entspricht. Das sei nur dann sichergestellt, wenn das an der Grenze bereits bestehende Gebäude für die geschlossene Bauweise aussagekräftig ist und es sich gerade nicht um ein Gebäude handelt, dass an der Grenze auch in offener Bauweise zulässig ist. Ein Gebäude ist jedoch nicht erst dann für die geschlossene Bauweise "aussagekräftig", wenn es sich um ein Gebäude mit einer Hauptnutzung handelt. Dies folgert Gädtke/Temme/Heintz, aaO, "im Umkehrschluss" daraus, dass sich die geschlossene Bauweise nur auf Gebäude der Hauptnutzung beziehe. Darauf kommt es im vorstehenden Zusammenhang jedoch nicht an. Ob nach planungsrechtlichen Vorschriften ein Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werden darf, beurteilt sich nach den für das Baugrundstück geltenden planungsrechtlichen Vorschriften. Ergibt die bauplanungsrechtliche Prüfung, dass auf dem Baugrundstück ohne Grenzabstand gebaut werden darf, besteht die entsprechende bauplanungsrechtliche Berechtigung grundsätzlich ungeachtet der Frage, wie sich die bauliche Situation auf dem Nachbargrundstück darstellt. Beispielsweise kann die Prüfung, welche Bauweise sich aus der Bebauung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ableitet, zu einem Ergebnis führen, das sich allein aus der Bebauungssituation des Nachbargrundstücks nicht ableiten lässt. Etwa kann die Beurteilung anhand der maßgebenden Umgebungsbebauung zu dem Ergebnis führen, eine Bebauung mit oder ohne Grenzabstand sei zulässig, während das Nachbargrundstück selbst beidseitig grenzständig oder beidseits mit Grenzabstand bebaut ist. § 6 Abs. 1 Satz 2 b BauO NRW geht daher insoweit über die sich aus dem Bauplanungsrecht ergebenden Anforderungen hinaus, als nicht nur vorausgesetzt wird, dass der Bauherr die für sein Grundstück geltenden bauplanungsrechtlichen Anforderungen einhält - die im vorliegenden Fall den Grenzanbau erlauben -, sondern weitergehende Anforderungen bauordnungsrechtlicher Art im Hinblick auf die Gegebenheiten auf dem Nachbargrundstück stellt. Diese müssen daher nicht bauplanungsrechtlichen Anforderungen für eine Bebauung in geschlossener Bauweise entsprechen, sondern erschöpfen sich nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 2 b) BauO NRW darin, dass öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ohne Grenzabstand gebaut wird. Dieser Sicherung haben die mit Bausachen befassten Senate des OVG, wie dargelegt, eine hinreichend aussagekräftige, mit anderen Worten gewichtige Bebauung auf dem Nachbargrundstück gleichgestellt. Sie haben nicht verlangt, es müsse sich um ein Gebäude mit einer Hauptnutzung handeln. Dass es sich bei der auf dem Grundstück der Antragsteller vorhandenen baulichen Anlage um eine für eine Anbausicherung hinreichend gewichtige Anlage handelt, hat das VG in dem angefochtenen Beschluss zutreffend dargelegt.

Das auf dem Grundstück der Antragsteller grenzständig zum Grundstück der Beigeladenen stehende Gebäude ist angesichts seiner Dimensionen geeignet, als Anbausicherung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 b BauO NRW zu dienen. Auf die weitergehenden allgemeinen Erwägungen der Antragsteller zu anderen Fallgruppen kommt es hier daher nicht entscheidungserheblich an. Die Antragsteller fürchten, eine massive bauliche Verdichtung könne eintreten, würde eine bauliche Nebennutzung als Anbausicherung als ausreichend angesehen. Diese Befürchtung teilt der Senat jedenfalls insoweit nicht, als ihr die Einschätzung zugrundeliegt, die mögliche bauliche Verdichtung sei nicht von Gesetzes wegen in Kauf genommen. Zunächst muss - wie dargelegt - der einzelne, abstandrechtlich nicht privilegierte, als Anbausicherung geeignete, einer Nebennutzung zuzuordnende Baukörper für die Bestimmung der Bauweise anhand der bauplanungsrechtlichen Vorschriften selbst nicht bedeutend sein. Nur dann, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften ohne Grenzabstand gebaut werden darf, stellt sich für die von § 6 Abs. 1 Satz 2 b BauO NRW geregelten Fälle die Frage, ob eine Nebenanlage als Anbausicherung dienen kann. Nicht das Bauordnungsrecht gibt demnach vor, ob und in welchem Umfang eine Bebauungsverdichtung möglich ist, sondern das Bauplanungsrecht. Die bauordnungsrechtlichen Abstandregelungen haben in diesem Zusammenhang nur die Funktion, die bauliche Nutzbarkeit des abstandrechtlich erheblichen Bereichs im Verhältnis zum unmittelbar benachbarten Grundstück zu regeln. Ob sich aus den tatsächlichen Grundstücksgegebenheiten eine entsprechende Bebauungsverdichtung über den Rahmen des einzelnen Grundstücks hinaus ergeben kann, ist mit anderen Worten keine Frage der bauordnungsrechtlichen Betrachtung, sondern eine des bauplanungsrechtlich vorgegebenen Rahmens. Dies zeigt auch § 6 Abs. 1 Satz 2 b BauO NRW durch die Regelung auf, dass eine öffentlich-rechtliche Anbausicherung ausdrücklich als Möglichkeit angesprochen wird, einen Grenzanbau zu verwirklichen, obwohl die öffentlich-rechtliche Sicherung regelmäßig nur auf einer entsprechenden Vereinbarung der jeweiligen Grundstücksnachbarn beruht und selbst ohne vorherige entsprechende tatsächliche bauliche Entwicklung zu einer Bebauungsverdichtung im maßgebenden Grundstücksbereich beiträgt. Dass der Grundstückseigentümer es im Übrigen regelmäßig selbst in der Hand hat, ob er im abstandrechtlich erheblichen Grenzbereich einen anbaufähigen Baukörper errichtet oder ihn dort stehen lässt, sei angemerkt.



Ende der Entscheidung

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