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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.11.2007
Aktenzeichen: 7 B 1339/07
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1
BauO NRW § 73 Abs. 1 Satz 2
Zur gebäudegleichen Wirkung eines 30,30 m hohen Mobilfunkmastes mit einem Basisdurchmesser von weniger als 1 m.
Tatbestand:

Die Antragstellerin begehrte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Basisstation für das Mobilfunknetz mit Schleuderbetonmast und Container. Das VG lehnte den Antrag ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hatte Erfolg.

Gründe:

Die aufschiebende Wirkung der Klage ist anzuordnen, weil nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung Überwiegendes dafür spricht, dass die angefochtene Baugenehmigung zu Lasten der Antragstellerin gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts verstößt.

Die genehmigte Basisstation für das Mobilfunknetz hält den erforderlichen Abstand zur Grenze des im Eigentum der Antragstellerin stehenden Grundstücks nicht ein.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind vor Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Eine der in § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW geregelten Fallgruppen, in denen die Einhaltung von Abstandflächen in Abweichung von dem sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW ergebenden Grundsatz nicht erforderlich ist, liegt hier nicht vor. Die Abstandflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW). Die Tiefe der Abstandfläche bemisst sich grundsätzlich nach der Wandhöhe (§ 6 Abs. 4 BauO NRW). Diese Regelungen gelten für die genehmigte Basisstation für das Mobilfunknetz gemäß § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW entsprechend, da von ihr Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen.

Nach § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW gelten die Absätze 1 bis 7 gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen entsprechend für Anlagen, die nicht Gebäude sind, soweit sie höher als 2 m über der Geländeoberfläche sind und von ihnen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen. Die Beurteilung, ob die Wirkungen einer Anlage mit denen eines Gebäudes vergleichbar sind, hat anhand des Gebäudetypischen zu erfolgen, vor dem § 6 BauO NRW schützen kann und soll. Seine Schutzzwecke liegen darin, dass er durch Mindestabstände die Gefahr der Brandübertragung, der Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung, der unangemessenen optischen Beengung oder der Störung des Wohnfriedens vorbeugen und ganz allgemein vermeiden soll, dass die Lebensäußerungen der in der Nachbarschaft wohnenden und arbeitenden Menschen zu intensiv aufeinander einwirken (sog. Sozialabstand).

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.1997 - 7 A 629/95 -, BRS 59 Nr. 110, sowie Beschlüsse vom 10.2.1999 - 7 B 974/98 -, BRS 62 Nr. 133, vom 28.2.2001 - 7 B 214/01 -, BRS 64 Nr. 124, und vom 23.12.2004 - 10 A 2918/02 -, juris; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Kommentar zur Landesbauordnung NRW, Stand: August 2007, § 6 Rdnr. 29.

Diesen einem Gebäude typischerweise zuzuordnenden Folgewirkungen vergleichbar sind die von der genehmigten Basisstation für das Mobilfunknetz ausgehenden Beeinträchtigungen jedenfalls hinsichtlich ihrer optisch bedrängenden Auswirkungen auf die Nachbargrenze. Der zugehörige Schleuderbetonmast ragt (ohne Berücksichtigung der auf die Mastspitze aufgesetzten Blitzschutzeinrichtung) 30,30 m über den gewachsenen Boden auf. Er hat am Fuß einen Durchmesser von 0,987 m und verjüngt sich bis zur Mastspitze auf 0,444 m. Im obersten Bereich des Mastes soll dieser auf insgesamt rd. 5 m Höhe mit Antennen versehen werden, so dass die Breite der Anlage hier insgesamt rd. 1,20 m betragen wird. Im unteren Teil dieses Bereichs sollen zudem schüsselartige Richtfunkantennen angebracht werden, so dass die Anlage hier eine Gesamtbreite von max. rd. 2 m aufweisen wird.

Die optischen Auswirkungen der vorbeschriebenen Basisstation für das Mobilfunknetz auf das benachbarte Grundstück der Antragstellerin sind erheblich. Der Schleuderbetonmast ist insbesondere wegen seiner beträchtlichen Höhe, die in erster Linie das Erscheinungsbild der Anlage bestimmt, in jeder Hinsicht dominant und optisch beherrschend. Die Wahrnehmung des Mastes ist trotz seiner relativ schlanken Gestalt unausweichlich. Dessen optischer Eindruck wird im oberen Bereich durch die vorgesehenen, wenn auch eher moderat konzipierten technischen Vorrichtungen zum Anbringen der Antennen sowie durch die Antennen verstärkt, so dass das Vorhaben hier im gesamten Querschnitt eine nicht unerhebliche Dimension aufweist. Hinzu kommt, dass die dominierende Erscheinung des Mastes nicht durch dessen Bauform entscheidend abgeschwächt wird. Er ist massiv und geschlossen gebaut. Der Betrachter hat keine Ausweichmöglichkeit in der Blickbeziehung. Wegen ihrer vor diesem Hintergrund anzunehmenden gebäudegleichen Wirkungen i.S.v. § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW hat die Anlage einen Grenzabstand einzuhalten, auf den die allgemeinen Regelungen über die Ermittlung des erforderlichen Abstandmaßes Anwendung finden.

Für diese Einschätzung ist im Übrigen auch anzuführen, dass - wie dargelegt - u.a. der sog. Sozialabstand zu den Schutzgütern des § 6 BauO NRW gehört und es nicht einzusehen wäre, derart prägende Anlagen auf der Grundlage des § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW von der Einhaltung von Abstandflächen freizustellen und damit letztlich ihre Errichtung auch unmittelbar an der Grundstücksgrenze zu ermöglichen.

Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 17.12.1997 - 1 S 746/96 -, BRS 59 Nr. 118.

Dass das Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen in seinem Schreiben vom 9.3.2006 in Anlehnung an die bis zum 31.12.2005 befristete Verwaltungsvorschrift zur Bauordnung NRW die Auffassung vertritt, Betonrundmasten mit einem Basisdurchmesser von nicht mehr als 1 m komme keine gebäudegleiche Wirkung zu, ist ohne Belang. Weder durch einen ministeriellen Erlass noch durch ein solches Schreiben können die sich aus der Gesetzesanwendung ergebenden Konsequenzen korrigiert werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.2.1999 - 7 B 974/98 -, a.a.O.

Zudem kann hier die Massivität im oberen Bereich der Anlage mit den dort angebrachten Antennen nicht vernachlässigt werden.

Die Tiefe der Abstandfläche bemisst sich nach der Wandhöhe; sie wird senkrecht zur Wand bemessen (§ 6 Abs. 4 Satz 1 BauO NRW). Dies bedeutet für eine runde Außenwand, dass sie - wie hier - senkrecht zu jedem Punkt der Außenwand zu messen ist und sich - anders als bei einer ebenen Außenwand - in Konsequenz dieser gesetzlich vorgegebenen Messweise eine kreisrunde Abstandfläche ergibt. Eine solche Abstandflächenform entspricht offenkundig auch dem Sinn und Zweck der Abstandvorschriften. Dass die optische Wirkung entsprechend der Baukörperrundung mit dem Rundungsverlauf zurücktritt, findet seine entsprechende Berücksichtigung in der dem Rundungsverlauf folgenden, nämlich kreisförmigen Abstandfläche.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.2.2001 - 7 B 214/01 -, a.a.O.

Die kreisförmige Abstandfläche um die 30,30 m hohe Basisstation für das Mobilfunknetz erstreckt sich auf das von der - für die Bestimmung der Abstandfläche maßgebenden - Außenwand des Schleuderbetonmastes ca. 10,50 m entfernte Grundstück der Antragstellerin. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf daher keiner näheren Ausführungen.

Dem mithin aus § 6 BauO NRW folgenden Abwehranspruch der Antragstellerin lässt sich durch die Zulassung einer Abweichung von den Anforderungen des § 6 BauO NRW nicht begegnen. § 73 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW lässt eine Abweichung von § 6 BauO NRW regelmäßig nur bei einer grundstücksbezogenen Atypik zu.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2.3.2007 - 10 B 275/07 -, BauR 2007, 1027, und vom 5.3.2007 - 10 B 274/07 -, BauR 2007, 1031.

Eine atypische Grundstückssituation oder sonstige vom Normalfall abweichende Umstände sind hier nicht ersichtlich.

Der nach alledem zu bejahende Verstoß gegen das Abstandflächenrecht ist auch nicht etwa deshalb unerheblich, weil die Antragstellerin - wie der Antragsgegner meint - ihr Grundstück im abstandrelevanten Bereich nicht baulich nutzen kann. Auf die konkrete bauliche Nutzung bzw. Nutzbarkeit des Grundstücks der Antragstellerin kommt es nicht an. Wenn das einschlägige Landesrecht für ein Vorhaben die Einhaltung eines bestimmten Grenzabstands vorgibt, kann der betroffene Nachbar, sofern die Zulassung einer Abweichung nach § 73 BauO NRW - wie hier - nicht in Betracht kommt, die Einhaltung dieses Abstands auch verlangen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.2.1999 - 7 B 974/98 -, a.a.O.

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