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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.08.2003
Aktenzeichen: 7 B 1537/03
Rechtsgebiete: BauNVO, 18. BImSchV, BauO NRW


Vorschriften:

BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
18. BImSchV § 1
18. BImSchV § 2 Abs. 6
18. BImSchV § 6 Abs. 4
18. BImSchV § 6 Abs. 5
18. BImSchV Anhang Nr. 1.2
18. BImSchV Anhang Nr. 1.5
BauO NRW § 65 Abs. 1 Nr. 29
Ein Nachbar kann ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine Baugenehmigung haben, die für ein genehmigungsfreies Vorhaben erteilt worden ist.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Baugenehmigung kann sich auf solche Vorhabensbestandteile beschränken, die mit weiteren von der Baugenehmigung erfassten Vorhabenbestandteilen keine bautechnische Einheit bilden und auch keine enge funktionale Verbindung aufweisen.

Der Betrieb einer einem Freibad zugeordneten Breitwasserrutsche kann mit Nachbarn unzumutbaren Lärmimmissionen verbunden sein. Für die Zumutbarkeitsbewertung kann die 18. BImSchV Anhaltspunkte ergeben.


Gründe:

Die Antragsteller haben ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Die nach § 80 Abs. 5 VwGO mögliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen eine Baugenehmigung gerichteten Klage setzt voraus, dass die Ausnutzung der Baugenehmigung mit überwiegenden Interessen des Klägers nicht vereinbar ist. Für diese Frage ist ohne Belang, ob die Baugenehmigung die Errichtung auch solcher Anlagen umfasst, die selbst - wie hier entsprechend der Regelung in § 65 Abs. 1 Nr. 29 BauO NRW vom VG für die "Breitwasserrutsche" angenommen - keiner Baugenehmigung bedürften. Die Baugenehmigung ist ein Verwaltungsakt, der mit Wirkung auch gegenüber den Antragstellern feststellt, dass das von der Baugenehmigung umfasste Vorhaben mit den geprüften Vorschriften des öffentlichen Baurechts übereinstimmt. Es ist ein berechtigtes Anliegen der Antragsteller, diese Feststellungswirkung abzuwehren. Ob die von der Baugenehmigung umfassten Anlagenteile auch ohne Baugenehmigung errichtet werden dürften, vgl. zur sog. Salamitaktik: Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, BauO NRW, § 65 Rdnr. 8, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.

Der Antrag ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Baugenehmigung die Antragsteller in nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts insoweit verletzt, als sie die Erweiterung des Technikraums, die Aufteilung des vorhandenen Schwimmbeckens in einen Schwimmer- und einen Nichtschwimmerbereich sowie die Auskleidung des Beckens mit Edelstahl zulässt. Demgegenüber ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Errichtung der "Breitwasserrutsche" dem Antragsteller zu 1. unzumutbare Immissionen auslöst. Eine getrennte Prüfung der Regelungswirkungen der Baugenehmigung ist hier möglich.

Auf die Rutsche kann als einzelnes Element der Prüfung abgestellt werden, ob die Baugenehmigung zu den Antragstellern unzumutbaren Auswirkungen führt, obwohl ihre Errichtung von der einen Baugenehmigung mit erfasst wird, die sich auch auf die Unterteilung des Schwimmbeckens und seine Auskleidung mit Edelstahl sowie die Erweiterung des Technikraums bezieht. Zwar weisen die Antragsteller zutreffend darauf hin, dass ein zur Genehmigung gestelltes Bauvorhaben regelmäßig ein einheitliches Ganzes darstellt, sei es, dass die einzelnen Bestandteile des Vorhabens eine bautechnische Einheit bilden, sei es, dass sie unter Nutzungsgesichtspunkten eine enge funktionale Verbindung aufweisen, sei es, dass der eine Bestandteil ohne den anderen baurechtlich nicht zulässig ist oder sei es, dass die Einheitlichkeit des Vorhabens dem ausdrücklich geäußerten Willen des Bauherrn entspricht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12.12.1991 - 7 A 172/89 -, BRS 54 Nr. 180; Beschluss vom 4.9.2001 - 10 B 232/01 -, BauR 2002, 432.

Die Rutsche stellt mit den weiteren von der Baugenehmigung umfassten Maßnahmen jedoch keine bautechnische Einheit dar und weist auch keine enge funktionale Verbindung auf, sondern ergänzt das Angebot des bestehenden Freibades um ein selbständiges Element, dessen rechtliches Schicksal die übrigen genehmigten Maßnahmen unberührt lässt. Die Beigeladene geht auch nicht von einem notwendig einheitlichen Vorhaben aus.

Die Genehmigung der "Breitwasserrutsche" geht allerdings über das zur Erhaltung des Freibades Erforderliche hinaus. Insoweit steht den Antragsteller grundsätzlich nach Maßgabe des von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO umfassten Gebots der Rücksichtnahme ein Abwehranspruch gegenüber unzumutbaren Immissionen zu, die von dem mit Rutsche betriebenen Freibad ausgehen. Die Antragsteller berufen sich auf die 18. BImSchV, die eine normative Festlegung der Zumutbarkeitsschwelle im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG enthält, vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.11.1994 - 7 B 73.94 -, BRS 56 Nr. 194, die auch für das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot maßgeblich ist. Ob die 18. BImSchV auf die Genehmigung einzelner, ein bestehendes Freibad ergänzender Anlagenteile allerdings überhaupt anwendbar ist, bedarf für das vorliegende Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes keiner Entscheidung. Jedenfalls ergeben sich aus der 18. BImSchV gewichtige Anhaltspunkte für die Frage der Zumutbarkeit der durch die Rutsche verursachten Immissionen.

Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass durch die Nutzung des mit Rutsche betriebenen Freibads dem Antragsteller zu 1. unzumutbare Immissionen entstehen. Dies ergibt sich bereits aus der im Auftrag der Beigeladenen erstellten schalltechnischen Beurteilung, der für das Haus des Antragstellers zu 1. unter Berücksichtigung einer ganztägig betriebenen Rutsche sonn- und feiertags einen Beurteilungspegel von max. rund 67 dB (A) - gegenüber bislang 65 dB (A) -, werktags außerhalb der morgendlichen Ruhezeit max. 65 dB (A) - gegenüber bislang 62 dB (A) - errechnet hat. Die Rutsche soll zudem zwischen Schwimmbecken und dem Wohnhaus des Antragstellers zu 1. in nur rund 11 m Entfernung vom Wohnhaus errichtet werden (vgl. zum maßgebenden Immissionsort: Nr. 1.2 der Anlage zur 18. BImSchV).

Eine Steigerung der Geräuschimmissionen des vorhandenen Freibades durch zusätzliche, den Geräuschpegel erhöhende Anlagen, ist dem Antragsteller zu 1. nicht zumutbar. Die zu erwartenden Geräuschpegel liegen deutlich über den gemäß § 2 der 18. BImSchV hier jedenfalls als Anhaltspunkt zu berücksichtigenden Immissionsrichtwerten für allgemeine Wohngebiete. Die gegenteiligen Feststellungen des von der Beigeladenen beauftragten Gutachters gehen von unzutreffenden Ausgangspunkten aus.

Der Gutachter nimmt an, maßgebend seien die in der 18. BImSchV für Mischgebiete bestimmten Immissionsrichtwerte, denn das Freibad befinde sich neben einer Wohnbebauung. Daher sei von einer Gemengelage auszugehen und eine Beurteilung wie für ein Mischgebiet vorzunehmen. Diese Interpretation ist mit § 2 Abs. 6 der 18. BImSchV nicht zu vereinbaren. Danach kommt es grundsätzlich auf den Gebietscharakter im Einwirkungsbereich der Sportanlage an. Nach den vom Antragsgegner nicht substantiiert in Abrede gestellten Angaben der Antragsteller, denen im Hauptsacheverfahren ggf. nachzugehen sein wird, stellt sich die Umgebung als ein allgemeines Wohngebiet dar. Der Gutachter meint ferner, es könne für vor Inkrafttreten der 18. BImSchV vorhandene Sportstätten eine Überschreitung der jeweiligen Immissionsrichtwerte von 5 dB (A) in Ansatz gebracht werden. Die Altanlagen privilegierende Regelung des § 5 Abs. 4 der 18. BImSchV rechtfertigt jedoch keine generelle Erhöhung der Richtwerte bei der Beurteilung von Altanlagen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.9.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314; OVG NRW, Urteil vom 28.5.1993 - 21 A 1532/90 -, UPR 1994, 75; Urteil vom 7.12.2000 - 7a D 60/99.NE -.

Der Gutachter meint schließlich, für die Nutzung des Freibades an Sonn- und Feiertagen werde (bei in den Ruhezeiten gesperrter Rutsche) jedenfalls der Grenzwert für seltene Ereignisse eingehalten, auf die abzustellen sei. Ob jedoch von einem seltenen Ereignis im Sinne des § 5 Abs. 5 der 18. BImSchV - also einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte durch ein besonderes Ereignis (so die in § 5 Abs. 5 der 18. BImSchV in Bezug genommene Nr. 1.5 des Anhangs zur 18. BImSchV) - auch dann gesprochen werden kann, wenn die Überschreitung des Immissionsrichtwertes an jedem Sonn- und Feiertag mit einer hinreichend hohen Besucherzahl eintreten kann, ist durchaus fraglich.

Angesichts der ohnehin schon bestehenden (allerdings vorgegebenen) Lärmbelastung ist dem Antragsteller zu 1. eine weitere Steigerung des Lärmpegels durch die Errichtung weiterer Freibadanlagen auch nicht vorübergehend bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zumutbar und war die aufschiebende Wirkung der Klage daher hinsichtlich der "Breitwasserrutsche" anzuordnen.

Ende der Entscheidung

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