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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 16.05.2007
Aktenzeichen: 7 B 200/07.NE
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 6
1. Ein schwerer Nachteil, der die Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans nach § 47 Abs. 6 VwGO rechtfertigt, ist nicht schon zu bejahen, wenn der angegriffene Bebauungsplan verwirklicht werden soll, sondern setzt voraus, dass die Verwirklichung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eine schwerwiegende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Positionen des jeweiligen Antragstellers konkret erwarten lässt.

2. Die Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans kann aus anderen wichtigen Gründen geboten sein, wenn der Bebauungsplan sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtsfehlerhaft erweist, und setzt weiter voraus, dass die Umsetzung des Bebauungsplans den jeweiligen Antragsteller konkret so beeinträchtigt, dass die einstweilige Anordnung jedenfalls deshalb dringend geboten ist.


Gründe:

Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Der Begriff "schwerer Nachteil" stellt an die Aussetzung des Vollzugs einer (untergesetzlichen) Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einstweiliger Anordnungen im verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz stellt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.5.1998 - 4 VR 2.98 -, NVwZ 1998, 1065.

Der bloße Vollzug eines Bebauungsplans stellt noch keinen schweren Nachteil in diesem Sinne dar. Ein solcher ist vielmehr nur dann zu bejahen, wenn die Verwirklichung des angegriffenen Bebauungsplans in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eine schwerwiegende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Positionen des jeweiligen Antragstellers konkret erwarten lässt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.9.2005 - 10 B 9/05.NE -, BRS 69 Nr. 26 und Beschluss vom 9.11.2006 - 7 B 1667/06.NE -, JURIS.

"Aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten" sein kann die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans, wenn dieser sich bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtsfehlerhaft erweist und damit von einem zu erwartenden Erfolg des Antragstellers in dem zulässigerweise geführten Hauptsacheverfahren auszugehen ist. § 47 Abs. 6 VwGO gewährt jedoch einstweiligen Rechtsschutz nur im individuellen Interesse des jeweiligen Antragstellers. Die Außervollzugsetzung eines offensichtlich unwirksamen Bebauungsplans setzt mithin weiter voraus, dass seine Umsetzung den jeweiligen Antragsteller konkret so beeinträchtigt, dass die einstweilige Anordnung jedenfalls deshalb dringend geboten ist.

Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Außervollzugsetzung des angegriffenen Bebauungsplans nicht vor.

Aus dem Vorbringen der Antragsteller folgt nicht, dass sie bei der anstehenden Umsetzung des Bebauungsplans insbesondere durch den Ausbau der F. Straße einen schweren Nachteil im dargelegten Sinne zu gewärtigen haben.

Soweit der Bebauungsplan einen äußerst schmalen Streifen des im Eigentum der Antragsteller stehenden Flurstücks mit einer Gesamtfläche von 2 qm als Straßenverkehrsfläche überplant, liegt kein Anhalt dafür vor, dass die Antragsgegnerin im Rahmen des Ausbaus der F. Straße dieses Flurstück ohne entsprechenden Rechtstitel bzw. ohne Gestattung der Antragsteller in Anspruch nehmen wird. Ein sachgerechter Ausbau der F. Straße kann ersichtlich auch unter Verzicht auf die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans vorgesehene marginale Inanspruchnahme des Grundeigentums der Antragsteller erfolgen.

Im Wesentlichen machen die Antragsteller geltend, die näheren Modalitäten des Ausbaus der F. Straße, namentlich die genauen Veränderungen der Höhenlage sowie die konkrete Lage der Zufahrten sowohl zum neu ausgewiesenen Sondergebiet mit den dort anzulegenden Stellplätzen als auch zum Grundeigentum bzw. Betriebsgrundstück der Antragsteller, hätten im Bebauungsplan verbindlich geregelt werden müssen. Demgegenüber hebt die Antragsgegnerin hervor, sie habe die konkreten Details des Straßenausbaus nicht bereits im Bebauungsplan verbindlich festlegen müssen, sondern habe dies der Planumsetzung überlassen können. Dieser Sicht ist zuzustimmen.

Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan darf die Gemeinde Abstand nehmen, wenn die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist. Die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung sind indes überschritten, wenn bereits im Planungsstadium sichtbar ist, dass sich der offen gelassene Interessenkonflikt auch in einem nachfolgenden Verfahren nicht sachgerecht lösen lassen wird.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.7.1994 - 4 NB 25.94 -, BRS 56 Nr. 6.

Insoweit ist die Antragsgegnerin im Planaufstellungsverfahren davon ausgegangen, konkrete Regelungen zum Höhenniveau der Erschließungsanlage und der wegen des hängigen Geländes erforderlichen Anpassungsmaßnahmen würden in der Straßenausbauplanung getroffen. Hinsichtlich der Zufahrten hat sich die Antragsgegnerin davon leiten lassen, dass mit Rücksicht auf die noch nicht feststehenden Details der Nutzung des ausgewiesenen Sondergebiets die Gestaltung der Zufahrtsbereiche flexibel bleiben müsse und die Einzelheiten im Rahmen der Baugenehmigungsverfahren bzw. der Straßenausbauplanung abschließend geregelt würden. Diese Erwägungen sind nicht beanstanden. Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar, dass die Zufahrten zu dem im Plangebiet ausgewiesenen Sondergebiet so angelegt werden müssen, dass sie die verkehrliche Anbindung des an der östlichen Straßenseite außerhalb des Plangebiets gelegenen Betriebsgeländes der Antragsteller beeinträchtigen.

Dies gilt umso mehr, als die F. Straße bislang einen nur geringen Querschnitt hat. Nach den Erwägungen zum Satzungsbeschluss des Rates der Antragsgegnerin ist die F. Straße von ihrem Ausbau und ihren Dimensionen her derzeit nur unzureichend geeignet, die vorhandenen gewerblichen Nutzungen ordnungsgemäß zu erschließen. Insoweit liegt auf der Hand, dass bei der aus den vorliegenden Plänen ablesbaren vorhandenen Breite der F. Straße von weniger als 4 m ein Zufahrtverkehr zum Betriebsgelände der Antragsteller insbesondere mit dem in ihrer Antragsschrift hervorgehobenen "erheblichen Schwerlastverkehr" ersichtlich nicht stets ohne Inanspruchnahme von neben der F. Straße gelegenem Gelände möglich ist. Dass ein solcher Zustand auf Dauer erhalten bleibt, konnten die Antragsteller nicht erwarten. Sie mussten vielmehr Veränderungen der F. Straße in Rechnung stellen, nachdem die Bahnnutzung westlich der Straße aufgegeben worden ist und Nachfolgenutzungen zu erwarten waren. Dass dabei auch gewisse Veränderungen an den Zufahrten zu dieser Straße vorgenommen würden, liegt auf der Hand. Schließlich lässt das einschlägige Straßenrecht (vgl. § 20 StrWG NW) es durchaus zu, Zufahrten zu Straßen zu ändern oder zu verlegen. Entscheidend ist allein, dass das Anliegergrundstück weiterhin eine ausreichende Verbindung zu dem öffentlichen Straßennetz behält. Dafür, dass dies nicht gewährleistet werden könnte, sind konkrete Anhaltspunkte weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Der Umstand, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Konkretisierung der Ausbauplanung eine Lösung erwogen hat, nach der - mit Einverständnis der Antragsteller - eine Angleichung des durch eine beachtliche Höherlegung der F. Straße entstehenden Niveauunterschieds auf dem Grundstück der Antragsteller erfolgt, bedeutet noch nicht, dass ein sachgerechter Straßenausbau zwangsläufig nur unter Inanspruchnahme des Eigentums der Antragsteller erfolgen und zu gravierenden Anpassungsmaßnahmen auf dem Betriebsgelände führen muss. Hierzu ist bereits in den Erwägungen zum Satzungsbeschluss des Rates der Antragsgegnerin ausgeführt, die Anhebung des Höhenniveaus der F. Straße stelle nur "eine Variante dar, das neue Plangebiet optimal verkehrlich zu erschließen und ebene Zufahrten zu ermöglichen". Dabei bewegen sich die Niveauunterschiede zwischen der vorgesehenen neuen Gradiente der F. Straße und dem Urgelände im Bereich des "Grundstück S." nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Ausbauplänen in weiten Teilen lediglich im Zentimeterbereich. Größere Geländeangleichungen auf dem Betriebsgrundstück der Antragsteller zur Sicherstellung einer ausreichenden Anbindung an das öffentliche Straßennetz sind damit ersichtlich nicht zwingend geboten. Schließlich ist auch insoweit zu berücksichtigen, dass die Antragsteller nicht erwarten konnten, dass die F. Straße unverändert bleibt.

Der Hinweis der Antragsteller auf eventuelle sie treffende Kosten infolge des Ausbaus der F. Straße ist schon deshalb nicht geeignet, einen schweren Nachteil zu begründen, weil die Antragsteller - wie dargelegt - mit einem Ausbau der nach ihrem derzeitigen Zustand für die Abwicklung von Schwerlastverkehr ersichtlich nicht ausreichenden Straße rechnen mussten.

Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Antragsteller auch keine solche Beeinträchtigungen zu gewärtigen haben, die zwar nicht als "schwerer Nachteil" im dargelegten Sinne zu werten sind, aber jedenfalls die Schwelle einer solchen konkreten Beeinträchtigung erreichen, die bei einer offensichtlichen Unwirksamkeit des strittigen Bebauungsplans Voraussetzung für eine im Interesse der Antragsteller liegende Außervollzugsetzung ist. Auf den Vortrag der Antragsteller zu ihrer Meinung nach gegebenen durchgreifenden Mängeln des Plans kommt es damit nicht an.

Ende der Entscheidung

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