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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 27.05.2004
Aktenzeichen: 7a D 55/03.NE
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 20
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 24
BauGB § 35
BauGB § 179
VwGO § 47 Abs. 2
§ 179 BauGB ermächtigt die Gemeinde nicht, dem Betreiber einer Windenergieanlage durch Bebauungsplanfestsetzung die Beseitigung der Anlage nach Nutzungsaufgabe aufzuerlegen.

Überplant die Gemeinde die einzige im Flächennutzungsplan dargestellte Konzentrationszone, um die dortige Zulässigkeit von Windenergieanlagen im Detail (beispielsweise durch Höhenbegrenzung) zu regeln, muss sie in die Abwägung einstellen, ob die Konzentrationszone auch unter Berücksichtigung der beschränkenden Regelungen des Bebauungsplans wirtschaftlich noch sinnvoll genutzt werden kann.


Tatbestand:

Die Antragstellerin wendet sich mit dem Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan Nr. 32 der Antragsgegnerin, der die Zulässigkeit von Windenergieanlagen für die eine im Flächennutzungsplan dargestellte Konzentrationszone für Windenergieanlagen im Detail regelt.

Der Bebauungsplan erfasst eine ca. 25 ha große, als Ackerland genutzte Fläche. Er setzt ein sonstiges Sondergebiet mit der Zweckbestimmung "Windpark" fest. Durch Baugrenzen legt er drei quadratische überbaubare Grundstücksflächen mit einer Kantenfläche von jeweils 40 m fest, innerhalb derer die Errichtung jeweils einer Windenergieanlage zulässig ist. Der Bebauungsplan beschränkt die zulässige Gesamthöhe der Windenergieanlage auf 74 m, gemessen ab dem gewachsenen Boden. Durch textliche Festsetzungen regelt der Bebauungsplan Einzelheiten zur Zulässigkeit von Nebenanlagen und bestimmt u.a. unter Nr. 4, dass der Eigentümer der baulichen Anlagen verpflichtet ist, die baulichen Anlagen nach Aufgabe der Nutzung zu beseitigen und die nicht mehr genutzten Flächen wieder nutzbar zu machen.

Der Normenkontrollantrag hatte Erfolg.

Gründe:

Mehrere Festsetzungen des Bebauungsplans hat die Antragsgegnerin ohne Ermächtigungsgrundlage getroffen. Der Gemeinde steht kein bauplanerisches Festsetzungsfindungsrecht zu. Vielmehr besteht für bauplanungsrechtliche Festsetzungen ein Typenzwang. Durch den Bebauungsplan bestimmt die Gemeinde Inhalt und Schranken des Eigentums der im Planbereich gelegenen Grundstücke. Hierfür bedarf sie gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Sie findet sich in § 9 BauGB und in den ergänzenden Vorschriften der nach § 2 Abs. 5 BauGB erlassenen Baunutzungsverordnung. Durch sie wird der festsetzungsfähige Inhalt eines Bebauungsplans abschließend geregelt. Weicht die Gemeinde bei der Aufstellung von Bebauungsplänen von den Vorgaben des § 9 BauGB und der Baunutzungsverordnung ab, so ist die von diesem Fehler betroffene Festsetzung wegen Verstoßes gegen den bauplanungsrechtlichen Typenzwang, durch den die Beachtung des Gesetzesvorbehalts des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet wird, nichtig, und zwar unabhängig von der Frage, ob das mit ihr verfolgte planerische Ziel materiell-rechtlich zulässig ist und möglicherweise sogar auf andere Weise realisiert werden könnte.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.1.1995 - 4 NB 48.93 -, BauR 1995, 351 = BRS 57 Nr. 23.

U.a. die textliche Festsetzung Nr. 4 ist im vorstehenden Sinne ermächtigungslos. Sie hat keine Grundlage in der Baunutzungsverordnung oder im Baugesetzbuch.

Die Antragsgegnerin war allerdings grundsätzlich ermächtigt, die bauliche Nutzung der im Flächennutzungsplan dargestellten Konzentrationszone durch Windenergieanlagen durch Festsetzung eines Sondergebiets und weiterer Einzelregelungen zu steuern. Durch § 2 Abs. 5 BauGB ist § 11 BauNVO in Bezug genommen, der die Gemeinde berechtigt, ein sonstiges Sondergebiet festzusetzen. Im sonstigen Sondergebiet sind die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung darzustellen und festzusetzen (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO). Die Gemeinde kann die Art der baulichen Nutzung in einem Sondergebiet über die Möglichkeiten hinaus, die § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 9 BauNVO eröffnen, konkretisieren und zu diesem Zweck die Merkmale bestimmen, die ihr am besten geeignet erscheinen, um das von ihr verfolgte Planungsziel zu erreichen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2002 - 4 CN 5.01 -, BRS 65 Nr. 67; Beschluss vom 16.9.1998 - 4 B 60.98 -, BauR 1999, 146 = BRS 60 Nr. 30.

Ferner sieht die Baunutzungsverordnung Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung, seiner Berechnung, zur Bauweise, zu den überbaubaren und nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie zu den in den Baugebieten zulässigen baulichen und sonstigen Anlagen vor. Die textliche Festsetzung Nr. 4 legt jedoch weder die Art der im Sondergebiet zulässigen Nutzungen näher fest noch dient sie einer anderen auf der Grundlage der Baunutzungsverordnung möglichen Regelung. Davon ist auch der Rat der Antragsgegnerin nicht ausgegangen, sondern hat sich auf Bestimmungen des Baugesetzbuchs gestützt, denen eine entsprechende Festsetzungsermächtigung zu entnehmen sei. Der fraglichen Festsetzung korrespondiert jedoch keine der dort genannten und auch keine andere Ermächtigungsgrundlage.

Die textliche Festsetzung Nr. 4, mit der der Eigentümer zur Beseitigung baulicher Anlagen verpflichtet wird, wobei Einzelheiten in einem städtebaulichen Vertrag geregelt werden sollen, findet keine Ermächtigungsgrundlage in § 179 Abs. 1 BauGB. § 179 BauGB ermöglicht es nach Maßgabe weiterer Voraussetzungen lediglich, Eigentümern durch Verwaltungsakt Duldungspflichten aufzuerlegen, nicht jedoch diese selbst zur Beseitigung baulicher Anlagen zu verpflichten. Die nach § 179 BauGB möglichen Rückbau- und Entsiegelungsmaßnahmen hat danach die Gemeinde auf ihre Kosten durchzuführen. Auch die weiteren Regelungen des Baugesetzbuches gestatten die Festsetzung eines vom Eigentümer umzusetzenden Abbruchgebots oder die Verpflichtung zur Beseitigung baulicher Anlagen in einem Bebauungsplan nicht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.6.1988 - 4 NB 13.88 -, Buchholz 406.11 § 39 BBauG Nr. 1.

Schon gar nicht gibt § 179 BauGB eine Grundlage dafür, den Abschluss eines städtebaulichen Vertrags vorzuschreiben.

Der Bebauungsplan genügt darüber hinaus den Anforderungen des Abwägungsgebots nicht.

Die Abwägung wird dem Gewicht der Belange des Eigentümers der im Plangebiet gelegenen Grundstücke und auch der Belange der Antragstellerin nicht gerecht. Der Rat hatte sich abwägend auch zur Frage zu verhalten, ob die von der eigentumsgestaltenden Darstellung einer Konzentrationszone im Flächennutzungsplan erfassten Flächen in wirtschaftlich sinnvoller Weise genutzt werden können. Aufgrund der Darstellung im Flächennutzungsplan steht dem Eigentümer vorbehaltlich entgegenstehender öffentlicher Belange grundsätzlich ein Anspruch auf Genehmigung einer Windenergieanlage zu. Die ausgewiesene Konzentrationszone lässt nach den Angaben der Antragstellerin die Errichtung von jedenfalls fünf Windenergieanlagen einer deutlich über die nach dem Bebauungsplan zulässigen Höhe hinausgehenden Höhe zu, und zwar zudem in Abständen voneinander, die die gegenseitige Beeinflussung durch Windturbulenzen minimiert. Demgegenüber beschränkt der Bebauungsplan die mögliche Windenergienutzung. Ob er dies in einer Weise tut, die den Interessen an der Windenergienutzung Rechnung trägt, hatte der Rat auch im Hinblick auf die Anregungen zu erwägen, die von der Antragstellerin und dem Grundstückseigentümer der im Bebauungsplangebiet gelegenen Grundstücke vorgebracht worden waren. Das Gewicht ihres durch Art. 14 GG gestützten Interesses hat der Rat der Antragsgegnerin nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt.

Zunächst ist allerdings schon fraglich, ob der Rat das erforderliche Abwägungsmaterial ermittelt oder nicht vielmehr auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage entschieden hat. Die Antragstellerin hat im Planaufstellungsverfahren vorgetragen, mit Anlagen einer Gesamthöhe von bis 74 m sei ein wirtschaftlicher Betrieb nicht möglich. Die Antragsgegnerin hält dem entgegen, es seien im Bebauungsplanverfahren (und auch im vorliegenden Normenkontrollverfahren) keine nachvollziehbaren Berechnungen vorgelegt worden, aus denen sich ergebe, dass Windenergieanlagen dieser Größe im Plangebiet nicht wirtschaftlich betrieben werden könnten. Es ist jedoch Sache des Rates, eine dem Gewicht der betroffenen Belange entsprechende Abwägungsgrundlage zu schaffen. Zwar sind beispielsweise betriebliche (Erweiterungs-)Interessen nur dann abwägungsbeachtlich, wenn sich der planenden Stelle die Tatsache ihrer Betroffenheit aufdrängen musste.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.11.1979 - 4 N 1.78, 4 N 2 - 4.79 -, BRS 35 Nr. 24; Beschluss vom 10.11.1998 - 4 BN 44.98 -, BRS 60 Nr. 3; Beschluss vom 5.9.2000 - 4 B 56.00 -, BauR 2001, 83 = BRS 63 Nr. 107.

Jedenfalls aufgrund der von der Antragstellerin vorgetragenen Anregungen musste sich der benannte Gesichtspunkt der Antragsgegnerin jedoch als abwägungsbeachtlich aufdrängen. Der Antragsgegnerin ist zwar einzuräumen, dass nicht von vornherein offenkundig sein mag, ob im Bebauungsplangebiet der Betrieb von nur bis 74 m hohen Windenergieanlagen unwirtschaftlich ist. Auf den entsprechenden Hinweis der Antragstellerin oblag es jedoch nicht dieser, ungefragt substantiierte Wirtschaftlichkeitsberechnungen vorzulegen, sondern der Antragsgegnerin, sich - ggf. durch Nachfrage bei der Antragstellerin - eine substantiierte Vorstellung über die wirtschaftlichen Folgen ihrer Planung zu verschaffen.

Die Ermittlung des vollständigen Abwägungsmaterials war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der wirtschaftliche Betrieb von Windenergieanlagen nicht gewährleistet werden müsse. Der Bau- und Planungsausschuss der Antragsgegnerin hat Entsprechendes unter Bezug auf das Urteil des Senats vom 30.11.2001 - 7 A 4857/00 -, BRS 64 Nr. 101 formuliert. Der Rat missversteht die Ausführungen des Senats im vorgenannten Urteil. Selbstverständlich muss der Rat sich mit den Interessen auch an der Windenergieanlagennutzung in substantieller Weise abwägend auseinandersetzen. Dies gilt um so mehr, wenn er die einzige Konzentrationszone der Gemeinde überplant, deren Eignung für die Windenergienutzung aufgrund des gesamtgemeindlichen Planungskonzepts, das zur Darstellung der Konzentrationszone geführt hat, von ihm vorauszusetzen ist. Eine bloße Alibiplanung, die Flächen für die Windenergienutzung ausweist, ohne zu prüfen, ob diese Flächen tatsächlich auch für eine entsprechende Nutzung (u.a. unter Berücksichtigung der Windverhältnisse sowie der finanziellen Förderung der Windenergie) geeignet sind, trägt den abwägungsbeachtlichen Belangen an einer wirtschaftlich sinnvollen Windenergienutzung keine hinreichende Rechnung.

Der Bau- und Planungsausschuss hat als weiteres Argument angeführt, Windkraftanlagen mit einer Höhe von 74 m würden auch heute noch von der Industrie hergestellt und angeboten. Ob solche Windenergieanlagen jedoch im Bebauungsplangebiet wirtschaftlich betrieben werden können, ist nicht davon abhängig, ob Anlagen der festgelegten Größenordnung tatsächlich auf dem Markt erhältlich sind. Hinzu kommt, dass mit dem Bebauungsplan Windenergieanlagen nicht nur hinsichtlich ihrer Höhe, sondern auch hinsichtlich des möglichen Rotordurchmessers begrenzt worden sind. Durch die Festsetzung überbaubarer quadratischer Grundstücksflächen mit einer Kantenlänge von 40 m dürfen die Windenergieanlagen, die im Plangebiet errichtet werden können, keinen Rotordurchmesser aufweisen, der mehr als nur in geringfügigem Ausmaß 40 m überschreitet (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Ob sich unter beiden die Zulässigkeit von Windenergieanlagen beschränkenden Festsetzungen noch eine wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit ergibt, hat der Rat nicht erwogen.

...

Für eine sachgerechte Abwägung der Beschränkung der Zahl zulässiger Windenergieanlagen auf drei ergibt sich auch nichts aus den Erwägungen des Bau- und Planungsausschusses, mit denen er begründet hat, weshalb die drei Standorte der Windenergieanlagen näher aneinander gerückt werden könnten, als dies in dem ursprünglichen Bebauungsplanentwurf zunächst vorgesehen war. Es seien "nochmals die Abstände zu den Ortschaften als auch die Abstände der Windenergieanlagen zueinander gewürdigt worden". In der Abwägung war jedoch davon auszugehen, dass der Flächennutzungsplan für die ihn konkretisierende Bebauungsplanung verbindlich vorgibt, welche Flächen für die Windenergienutzung als grundsätzlich geeignet anzusehen sind. In das auf die gesamträumliche Planung bezogene Abwägungsgefüge des Flächennutzungsplans greift der Rat ein, wenn er die Abstände zur Wohnnutzung durch den Bebauungsplan der Sache nach vergrößert. Eine solche konkretisierende Bebauungsplanung ist nicht von vornherein ausgeschlossen, setzt jedoch eine Abwägung mit den für die Windenergienutzung bestehenden Interessen voraus. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die Eigentümer der innerhalb einer Konzentrationszone gelegenen Grundstücke grundsätzlich (vorbehaltlich anderer entgegenstehender öffentlicher Belange) als Folge der Darstellung der Konzentrationszone im Flächennutzungsplan berechtigt sind, dort Windenergieanlagen zu errichten.

Es kann nach alledem dahinstehen, ob der Bebauungsplan noch den sich aus § 8 Abs. 2 BauGB ergebenden Anforderungen gerecht wird. Stellt die Gemeinde im Flächennutzungsplan Konzentrationszonen dar, dann geschieht dies auf Grundlage eines gesamträumlichen Planungskonzepts, das der Windenergienutzung substantiellen Raum lässt. Ein solches Anliegen hat die Antragsgegnerin mit dem Flächennutzungsplan verfolgt. Ob dieses Konzept durch den Bebauungsplan deshalb in Frage gestellt wird, weil kein substantieller Raum für die Windenergienutzung mehr bleibt, bedarf keiner Entscheidung.

Die festgestellten Mängel führen zur Nichtigkeit des Bebauungsplans (wird ausgeführt).



Ende der Entscheidung

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