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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 10.02.2006
Aktenzeichen: 8 A 2621/04
Rechtsgebiete: BImSchG


Vorschriften:

BImSchG § 3 Abs. 1
Ein für sich genommen unauffälliger Geruch, der durch die Verbrennung von Tierkörpern in einem Kleintierkrematorium hervorgerufen wird, ist nicht bereits deshalb unzumutbar, weil er von Anwohnern mit dem Krematorium in Verbindung gebracht und allein wegen der Kenntnis seiner möglichen Herkunft als ekelerregend empfunden wird.
Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen für die Errichtung und den Betrieb eines Kleintierkrematoriums in der Nähe seines im Außenbereich liegenden Grundstücks erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Das VG wies die Klage ab. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos.

Gründe:

Die Antragsbegründung stellt die Annahme des VG nicht durchgreifend in Frage, der mit der Klage angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 14.12.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung vom 26.11.2003 verstoße nicht gegen Rechtsvorschriften, die zu Gunsten des Klägers drittschützend seien.

Das VG hat unter Bezugnahme auf die Gründe des an den Kläger gerichteten Widerspruchsbescheids vom 26.11.2003 insbesondere angenommen, dass der Betrieb des Kleintierkrematoriums nicht zu unzumutbaren Geruchsbelästigungen für den Kläger führe. Die Darlegungen der Zulassungsbegründung lassen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme erkennen. Der Kläger stellt nicht in Frage, dass die durch den Anlagenbetrieb verursachten Geruchsimmissionen auf seinem Grundstück voraussichtlich an höchstens 4 % der Jahresstunden wahrnehmbar sind. Dieser Wert, von dem die Widerspruchsbehörde ausgeht, lässt sich der vom Kläger selbst vorgelegten Geruchsprognose des Gutachters T. entnehmen.

Der Kläger hält die Gerüche vielmehr - ausgehend von dieser Geruchsprognose - schon deshalb für unzumutbar, weil sie sein Grundstück überhaupt erreichen. Die Gerüche lösten bei ihm deshalb Ekel oder Übelkeit aus, weil er wisse, dass sie aus einem Kleintierkrematorium stammten. Er beanstandet insbesondere auch die Annahme des VG, mögliche Ekelgefühle bei ihm seien für die Erheblichkeit von Geruchsimmissionen unbeachtlich, weil sie "auf die subjektive, nicht ohne Weiteres verallgemeinerungsfähige Einstellung des Betroffenen zur Geruchsquelle" abstellten.

Damit werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht aufgezeigt. Insbesondere liegt nicht bereits darin ein Verstoß gegen das nachbarschützende und als öffentlicher Belang in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme, dass Gerüche aus dem Kleintierkrematorium auf dem Grundstück des Klägers überhaupt wahrgenommen werden können. In Bezug auf Immissionskonflikte bestimmt das Bundes-Immissionsschutzgesetz die Grenze der Zumutbarkeit für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht. Danach sind Immissionen unzumutbar, die im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen - Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen - hervorzurufen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 30.9.1983 - 4 C 74.78 -, BVerwGE 68, 58 (59 f.), vom 27.8.1998 - 4 C 5.98 -, NVwZ 1999, 523 (526), und vom 23.9.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314 (319 f.).

Es ist aber nicht ersichtlich, dass durch das Kleintierkrematorium der Beigeladenen unter Verstoß gegen die ebenfalls drittschützende Betreiberpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG auf dem Grundstück des Klägers hervorgerufen würden. Nach diesen Bestimmungen sind nicht jegliche durch den Anlagenbetrieb verursachte Nachteile oder Belästigungen zu vermeiden, sondern nur solche, die erheblich sind. Geringfügige Belästigungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle sind in einer modernen Industriegesellschaft üblich und deshalb auch der Nachbarschaft zuzumuten.

Vgl. BT-Drs. 7/179, S. 29; Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 3 BImSchG Rn. 14; Jarass, BImSchG, 6. Aufl. 2005, § 3 Rn. 46.

Ob Immissionen als erhebliche Belästigungen in diesem Sinne anzusehen sind, richtet sich insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit, wobei wertende Elemente wie die Herkömmlichkeit, die soziale Adäquanz und die allgemeine Akzeptanz mitbestimmend sind.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.4.1988 - 7 C 33.87 -, BVerwGE 79, 254 (260), vom 30.4.1992 - 7 C 25.91 -, BVerwGE 90, 163 (165 f.) und vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 -, DVBl. 1993, 652.

Da für die Ermittlung und Bewertung von Geruchsbelästigungen keine konkretisierenden verbindlichen Rechtsvorschriften bestehen, können aus technischen Regelwerken wie der Geruchsimmissions-Richtlinie NRW (GIRL), welche das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW durch Erlass vom 12.1.1995 zunächst probeweise zur Orientierung bei anstehenden Verwaltungsentscheidungen eingeführt hatte und die inzwischen in der ersten ergänzten Fassung vom 21.9.2004 vorliegt (im Internet unter www.lua.nrw.de), grundsätzlich Anhaltspunkte für die Beurteilung der Erheblichkeit der Belästigung durch Geruchsimmissionen nach § 3 Abs. 1 BImSchG gewonnen werden. Dabei verbietet sich allerdings eine schematische Anwendung von Grenzwerten im Hinblick auf die gebotene Einzelfallbeurteilung anhand der jeweiligen Situation.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 -, a.a.O., Beschlüsse vom 27.1.1994 - 4 B 16.94 -, NVwZ-RR 1995, 6, und vom 8.7.1998 - 4 B 38.98 -, BRS 60 Nr. 179; OVG NRW, Urteile vom 25.9.2000 - 10a D 8/00.NE -, NWVBl. 2001, 185 (186) und vom 28.10.2005 - 7 D 17/04.NE -, sowie Beschlüsse vom 19.5.2003 - 22 A 5565/00 - und vom 24.6.2004 - 21 A 4130/01 -; Hansmann, Rechtsprobleme bei der Bewertung von Geruchsimmissionen, NVwZ 1999, 1158.

Nach Nr. 3.1 der GIRL ist eine Überschreitung einer Geruchshäufigkeit von 10 % in Wohn- und Mischgebieten und von 15 % in Gewerbe- und Industriegebieten in der Regel als erhebliche Belästigung zu werten. Sonstige Gebiete, in denen sich Personen nicht nur vorübergehend aufhalten, sind entsprechend den Grundsätzen des Planungsrechts diesen Werten zuzuordnen. Nr. 5 der GIRL sieht eine ergänzende Sonderbeurteilung unter anderem dann vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass wegen außergewöhnlicher Verhältnisse hinsichtlich der Hedonik und Intensität der Geruchswirkung, der ungewöhnlichen Nutzungen in dem betroffenen Gebiet oder sonstiger atypischer Verhältnisse trotz Einhaltung der Immissionswerte schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden (z. B. Ekel und Übelkeit auslösende Gerüche) oder trotz Überschreitung der Immissionswerte eine erhebliche Belästigung der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit durch Geruchsimmissionen nicht zu erwarten ist (z. B. bei Vorliegen eindeutig angenehmer Gerüche).

An diesen Grundsätzen hat sich auch die Widerspruchsbehörde - und ihr folgend das VG - orientiert. Sie hat im Anschluss an die Erwägungen des Beschlusses des OVG NRW vom 18.11.2002 - 21 B 1502/02 - keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass die an 4 % der Jahresstunden auftretenden Gerüche aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls - trotz deutlicher Unterschreitung sogar der für Wohngebiete geltenden Immissionswerte am im Außenbereich liegenden Grundstück des Klägers - als erheblich angesehen werden müssten.

Die Antragsbegründung stellt die in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen im Widerspruchsbescheid nicht substantiiert in Zweifel. Der Kläger behauptet lediglich, es sei normal, dass sich ein Mensch ekele, wenn er die Gerüche von verbrannten Tierkadavern aufnehme. Damit wird schon nicht dargelegt, dass die im genehmigten Kleintierkrematorium bei einer Verbrennungstemperatur von 850°C unter Einsatz moderner Abgasreinigungstechnik entstehenden Gerüche aufgrund ihrer Geruchscharakteristik als ekelerregend zu bewerten sind. Der Kläger leitet die behauptete ekelerregende Wirkung unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen auch selbst nicht aus einer bestimmten Eigenart der Gerüche ab. Er geht vielmehr davon aus, dass sich die Gerüche aus dem Kleintierkrematorium von Gerüchen anderer Herkünfte (Gülle, Verbrennung von Abfallholz etc.) nicht unterscheiden ließen.

Vor diesem Hintergrund hält der Kläger die Gerüche aus dem Kleintierkrematorium der Beigeladenen sowie alle sonstigen Gerüche, die von anderen Quellen auf sein Grundstück einwirken und von ihm gleichfalls auf das Krematorium projiziert werden, nur deshalb für ekelhaft, weil er sie mit der Herkunft aus dem Kleintierkrematorium in Verbindung bringt. Darin liegt jedoch lediglich eine persönliche Assoziation des Klägers, die wie sonstige persönliche Empfindlichkeiten bei der Beurteilung der Erheblichkeit keine Rolle spielen kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.9.1999 - 4 C 6.98 -, a.a.O., S. 324, sowie Beschluss vom 5.3.1984 - 4 B 20.84 -, NVwZ 1984, 647.

Soweit der Kläger darüber hinaus meint, jeder normale Mensch würde sich aus denselben Gründen an seiner Stelle ekeln, ist dies lediglich eine nicht weiter belegte rein spekulative Behauptung. Aber selbst wenn durchschnittlich empfindliche Menschen vergleichbaren Ekel empfinden würden wie der Kläger, würde dies nicht die Annahme rechtfertigen, die Gerüche des Kleintierkrematoriums führten zu erheblichen Belästigungen oder gar Gefahren im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG. Denn eine derartige empfundene Belästigung würde nicht durch Art und Charakteristik der Gerüche des Kleintierkrematoriums und durch die bloße Wahrnehmbarkeit dieser Gerüche hervorgerufen; sie würde vielmehr erst durch das Hinzutreten der Kenntnis ihrer Herkunft und einer negativen - wenn auch möglicherweise nachvollziehbaren - Einstellung zur Emissionsquelle ausgelöst.

Ende der Entscheidung

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