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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 30.11.2005
Aktenzeichen: 8 A 280/05
Rechtsgebiete: StVZO


Vorschriften:

StVZO § 31a Abs. 1
1. Eine Fahrtenbuchauflage kommt nach einem Verkehrsverstoß auch bei verspäteter Anhörung des Fahrzeughalters in Betracht, wenn der Fahrer nicht ermittelt werden kann, weil der Halter zur Aufklärung eines mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes nicht so weit mitwirkt, wie es ihm trotz der verstrichenen Zeit noch möglich und zumutbar ist.

2. Schon nach erstmaliger Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit, die nach Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) mit einem Punkt zu bewerten ist, ist die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage gerechtfertigt (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).


Tatbestand:

Der Kläger war Halter eines Kraftfahrzeugs, mit dem ein bis heute nicht ermittelter Fahrer außerhalb geschlossener Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nach Abzug einer Toleranz von 5 km/h um 68 km/h überschritt. Mehr als einen Monat nach der Geschwindigkeitsüberschreitung waren dem Kläger ein Anhörungsbogen und ein Fahrerfoto zugesandt worden. Er machte keine Angaben zum Fahrer, so dass der Täter letztlich nicht ermittelt werden konnte. Daraufhin wurde die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer eines Jahres angeordnet. Die Klage gegen die Anordnung der Fahrtenbuchauflage blieb in zwei Instanzen erfolglos.

Gründe:

Rechtsgrundlage für die angeordnete Fahrtenbuchauflage ist § 31 a Abs. 1 StVZO. Danach kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Feststellung des Fahrzeugführers ist im Sinne von § 31 a Abs. 1 StVZO nicht möglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen Maßnahmen ergriffen hat. Die Angemessenheit der Aufklärung beurteilt sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die in gleichliegenden Fällen erfahrungsgemäß Erfolg haben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1982 - 7 C 3.80 -, VRS 64, 466, 467, sowie Beschlüsse vom 21.10.1987 - 7 B 162.87 -, NJW 1988, 1104, und vom 9.12.1993 - 11 B 113.93 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 29.4.1999 - 8 A 699/97 -, NJW 1999, 3279.

Dazu gehört grundsätzlich, dass der Halter möglichst umgehend von dem Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine verspätete Anhörung schließt eine Fahrtenbuchauflage allerdings dann nicht aus, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.6.1987 - 7 B 139.87 -, DAR 1987, 393, und Urteil vom 13.10.1978 - 7 C 77.74 -, NJW 1979, 1054, 1056; OVG NRW, Urteile vom 31.3.1995 - 25 A 2798/93 -, NJW 1995, 3335, und vom 29.4.1999 - 8 A 699/97 -, a.a.O.

Die Anhörung begründet deshalb für den Halter, auch wenn sie nicht sofort erfolgt, eine Obliegenheit, zur Aufklärung eines mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Radarfoto erkannten Fahrer benennt oder zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.4.1999 - 8 A 699/97 -, S. 11 f. des Urteilsabdrucks, insoweit in NJW 1999, 3279 nicht abgedruckt, sowie Beschlüsse vom 9.9.2004 - 8 B 1815/04 - und vom 5.10.2005 - 8 A 4268/04 -.

Lehnt der Halter dagegen die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1982 - 7 C 3.80 -, a.a.O., sowie Beschlüsse vom 21.10.1987 - 7 B 162.87 -, a.a.O., und vom 9.12.1993 - 11 B 113.93 -, a.a.O.

Dies zugrunde gelegt sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 a Abs. 1 StVZO erfüllt. Nach der Geschwindigkeitsüberschreitung mit dem Fahrzeug des Klägers vom 5.5.2003, einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO und § 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO, konnte der Fahrer nicht ermittelt werden. Ein hierfür ursächliches Ermittlungsdefizit ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat den ihm übersandten Anhörungsbogen mit der Anmerkung zurückgesandt, die Ordnungswidrigkeit werde nicht zugegeben. Angaben zu den Personalien des Verantwortlichen hat er nicht gemacht. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bei der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitwirken wolle, obwohl ihm eine Mitwirkung nach Überzeugung des Senats trotz der seit dem Verkehrsverstoß verstrichenen Zeit von mehr als einem Monat noch zumutbar und möglich war. Mit Blick auf das im Verwaltungsvorgang enthaltene deutliche Fahrerfoto ist nicht im Ansatz nachvollziehbar, dass das dem Kläger zusammen mit dem Anhörungsbogen übersandte Fahrerfoto ihm eine Identifizierung des Fahrers nicht ermöglicht haben könnte. Er hat dies im Berufungsverfahren selbst nicht mehr behauptet.

Dieser Würdigung steht auch nicht die in einem Aktenauszug enthaltene Aktennotiz entgegen, die Grundlage für den unzutreffenden Vortrag in erster Instanz gewesen ist, nach der der Halter - also der Kläger - angegeben habe, das Foto sei zu schlecht. Denn dieser Aktennotiz liegt ersichtlich lediglich der Telefonvermerk vom 15.7.2003 zugrunde, nach dem der Ermittlungsdienst des Beklagten ein neues Foto angefordert habe, weil das von der Bußgeldbehörde übersandte Bild zu schlecht gewesen sei. Ungeachtet dessen, dass das im Verwaltungsvorgang enthaltene Bild deutlich ist und eine zu schlechte Bildqualität bereits von der Mitarbeiterin der Bußgeldbehörde nicht nachvollzogen werden konnte, belegt dieser Gesprächsvermerk gerade nicht, dass der Kläger die Qualität des Fotos gerügt hat.

Da die Einlassung des Klägers im Bußgeldverfahren keine konkreten Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen bot, obwohl ihm eine Mitwirkung zumindest anhand des übersandten Fotos möglich und zumutbar war, war eine weitere Aufklärung nicht geboten. Dennoch hat die Bußgeldbehörde das Ordnungsamt des Beklagten um weitere Ermittlungen anhand der Fahrerfotos gebeten und ein Foto des Sohnes des Klägers für einen Lichtbildvergleich angefordert, ohne dass hierdurch der Fahrer bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung nach § 26 Abs. 3 StVG ermittelt werden konnte.

Die im Ermessen des Beklagten stehende Entscheidung über die Anordnung der Fahrtenbuchauflage ist keinen rechtlichen Bedenken ausgesetzt, § 114 Satz 1 VwGO. Die Fahrtenbuchauflage erweist sich insbesondere hinsichtlich ihrer Dauer von einem Jahr nicht als unverhältnismäßig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats handelt die Straßenverkehrsbehörde ermessensfehlerfrei, wenn sie für die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage auf die Einstufung der Schwere des zugrunde liegenden Verkehrsverstoßes durch das Punktesystem in der Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18.8.1998 (BGBl. I S. 2214) - FeV - zurückgreift; die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage ist schon bei erstmaliger Begehung eines mit einem Punkt bewerteten Verkehrsverstoßes gerechtfertigt.

OVG NRW, Urteil vom 29.4.1999 - 8 A 699/97 -, a.a.O., bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 9.9.1999 - 3 B 94.99 -, NZV 2000, 386.

Danach begegnet die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage für eine Dauer von einem Jahr für einen erheblichen, gemäß Nr. 4.3 der Anlage 13 zur FeV bereits mit vier Punkten zu bewertenden Verkehrsverstoß, der zudem gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Bußgeldkatalog-Verordnung vom 13.11.2001 (BGBl. I S. 3033) - BKatV - und Nr. 9.3 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV und Tabelle 1 c) Nr. 11.3.9 des Anhangs zur BKatV mit einem Fahrverbot von zwei Monaten geahndet worden wäre, im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit keinen Bedenken.



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