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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.06.2008
Aktenzeichen: 8 A 2895/07
Rechtsgebiete: LVO-FF NRW


Vorschriften:

LVO-FF NRW § 1
1. Die Aufnahme eines Bewerbers in den aktiven Dienst der Freiwilligen Feuerwehr kann nach § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW aus einem "anderen wichtigen Grund" versagt werden, wenn durch die Aufnahme die Aufgabenerfüllung der Feuerwehr gefährdet würde.

2. Der unbestimmte Rechtsbegriff der "anderen wichtigen Gründe" räumt dem Leiter der Freiwilligen Feuerwehr keinen Beurteilungsspielraum ein.

3. Bei der Entscheidung über die Aufnahme eines Bewerbers in den aktiven Dienst der Freiwilligen Feuerwehr steht deren Leiter kein Ermessen zu.


Tatbestand:

Der Kläger stand bis zum Jahr 2000 im Dienst der Freiwilligen Feuerwehr L. Im Jahr 2000 verursachte ein Löschfahrzeug der Freiwilligen Feuerwehr L einen Verkehrsunfall, bei dem eine Frau getötet wurde. Am Unfalltag gab zunächst ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr wahrheitswidrig an, Fahrer des unfallbeteiligten Löschfahrzeugs gewesen zu sein. Erst am darauf folgenden Tag wurde der wahre Fahrer benannt. Der Kläger vermutete aufgrund verschiedener Umstände, dass die falsche Fahrerbenennung abgesprochen gewesen sei, um die Unfallursache zu vertuschen, und setzte sich für die Aufklärung des Geschehens ein. Unter den Kameraden fand er dabei wenig Rückhalt und stieß auch auf den Widerstand der Wehrleitung. Dies veranlasste ihn zum Austritt aus der Freiwilligen Feuerwehr. Nach strafrechtlicher Verurteilung von zwei Feuerwehrleuten beantragte er im Jahr 2003 seine Wiederaufnahme. Der Wehrführer lehnte den Antrag unter Anderem mit der Begründung ab, der Kläger habe sich unkameradschaftlich verhalten und durch den Austritt das kameradschaftliche Vertrauen zerstört. Die Klage auf Wiederaufnahme war in erster Instanz erfolgreich. Der gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Wiederaufnahme in die Freiwillige Feuerwehr ist § 12 Abs. 1 des Gesetzes über den Feuerschutz und die Hilfsleistung - FSHG NRW - vom 10.2.1998 (GV. NRW. S. 122), zuletzt geändert durch Art. 13 des Gesetzes vom 11.12. 2007 (GV. NRW. S. 662), i. V. m. § 1 der Verordnung über die Laufbahn der ehrenamtlichen Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr - LVO-FF NRW - vom 1.2.2002 (GV. NRW. S. 53), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19.07.2007 (GV. NRW. S. 311).

Gemäß § 12 Abs. 1 Halbs. 1 FSHG NRW und § 1 Abs. 1 LVO-FF NRW werden die ehrenamtlichen Angehörigen der Feuerwehr durch die Leiterin oder den Leiter der Feuerwehr in den Dienst der Freiwilligen Feuerwehr aufgenommen. § 1 Abs. 2 LVO-FF NRW bestimmt, dass in den aktiven Dienst der Freiwilligen Feuerwehr (Einsatzabteilung) nur aufgenommen werden darf, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat (a), wer den Anforderungen des Feuerwehrdienstes geistig und gesundheitlich entspricht (b) und wer nicht vorbestraft im Sinne des § 20 Abs. 2 Buchst. a bis c LVO-FF NRW ist (c). Die Aufnahme in den Dienst der Freiwilligen Feuerwehr kann nach § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW wegen mangelnder Eignung gemäß den Absätzen 2 und 3 dieser Vorschrift oder wegen mangelnden Personalbedarfs oder aus anderen wichtigen Gründen abgelehnt werden.

Das VG hat zu Recht angenommen, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Wiederaufnahme in die Freiwillige Feuerwehr der Stadt L. hat.

Ein Anspruch auf Wiederaufnahme in die Freiwillige Feuerwehr ist - wovon auch das VG ausgegangen ist - gegeben, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 LVO-FF NRW vorliegen sowie Ablehnungsgründe nach § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW nicht gegeben sind (1.) und § 1 LVO-FF NRW dem Beklagten kein Ermessen einräumt (2.).

1. Der Beklagte zieht mit seinem Zulassungsvorbringen weder in Zweifel, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 LVO-FF NRW in der Person des Klägers vorliegen, noch wendet er sich gegen die Ausführungen des VG zum mangelnden Personalbedarf.

Die von ihm erhobenen Einwendungen gegen die Annahme des VG, es lägen keine anderen wichtigen Gründe vor, die die Nichtaufnahme des Klägers in die Freiwillige Feuerwehr rechtfertigen könnten, greifen nicht durch.

Zu Unrecht meint der Beklagte, dem Leiter der Feuerwehr stehe hinsichtlich des unbestimmten Rechtsbegriffs der "anderen wichtigen Gründe" in § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW ein Beurteilungsspielraum zu.

Mit der Formulierung, "andere wichtige Gründe" knüpft die Regelung des § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW an einen unbestimmten Rechtsbegriff an. Auch solche Begriffe, deren Inhalt nicht durch einen fest umrissenen Sachverhalt ausgefüllt wird, sondern bei der Rechtsanwendung auf einen gegebenen Tatbestand im Einzelfall der Präzisierung bedarf, unterliegen grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Soweit Schlussfolgerungen aus einem unbestimmten Rechtsbegriff zu ziehen sind, erstreckt sich diese uneingeschränkte Kontrolle sowohl auf die Bestimmung des Sinngehalts der Norm als auch auf die Feststellung der Tatsachengrundlagen und die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs auf die im Einzelfall festgestellten Tatsachen. Das folgt aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die dem Bürger, der sich durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt glaubt, nicht nur den Zugang zu den Gerichten, sondern darüber hinaus auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Daraus ergibt sich grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Das schließt auch eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen im Grundsatz aus. Nur ausnahmsweise und bei Vorliegen ganz besonderer Voraussetzungen ist es daher zu rechtfertigen, der Verwaltungsbehörde bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs einen eigenen, gerichtlicher Kontrolle nicht mehr zugänglichen Beurteilungsspielraum einzuräumen. Ein solcher Ausnahmefall setzt nach der Rechtsprechung des BVerwG voraus, dass der jeweiligen Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen ist, der Verwaltung das abschließende Urteil über das Vorliegen der durch einen unbestimmten Gesetzesbegriff gekennzeichneten tatbestandlichen Voraussetzungen zu übertragen. Im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes ist es Aufgabe des Gesetzgebers, unter Beachtung der Grundrechte die Rechtspositionen zuzuweisen und auszugestalten, die Art. 19 Abs. 4 GG voraussetzt und deren gerichtlichen Schutz er gewährleistet.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1993 - 3 C 38.91 -, BVerwGE 94, 307 (308 ff.); vor dem Hintergrund des in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Rechts auf effektiven Rechtsschutz kritisch zur Anerkennung von Beurteilungsspielräumen: BVerfG, Beschluss vom 29.05.2002 - 2 BvR 723/99 -, NVwZ 2002, 1368.

Die hier maßgebenden Rechtsvorschriften lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber der Verwaltung die verbindliche Letztentscheidung über das Vorhandensein "anderer wichtiger Gründe" einräumen wollte.

Das Vorhandensein "anderer wichtiger Gründe" kann - wie auch die in § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW namentlich benannten Ablehnungsgründe ("mangelnde Eignung" und "mangelnder Personalbedarf") - im Einzelfall festgestellt werden. Das Tatbestandsmerkmal "andere wichtige Gründe" enthält kein planerisches oder wertendes prognostisches Element, was auf einen Beurteilungsspielraum hindeuten könnte. Auch handelt es sich bei der Feststellung des Vorliegens "anderer wichtiger Gründe" weder um eine sachverständige oder pluralistischen Gremien anvertraute Wertung noch ist sie maßgeblich von persönlichen oder situationsbezogenen Erfahrungen und Eindrücken abhängig.

Vgl. zu möglichen Fallkonstellationen, in denen ein Beurteilungsspielraum in Betracht kommt: BVerwG, Urteil vom 25.11.1993 - 3 C 38.91 -, a. a. O. (310 f.); Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., 2006, § 114 Rn. 316 ff.; Kopp/ Schenke, VwGO, 15. Aufl., 2007, § 114 Rn. 25; die Frage des Beurteilungsspielraums letztlich offen lassend: OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2000 - 21 B 1540/00 -, S. 9.

Dass die Entscheidung über die Aufnahme in den Dienst der Freiwilligen Feuerwehr ausdrücklich dem Leiter der Feuerwehr übertragen wurde, rechtfertigt nicht die Annahme eines Beurteilungsspielraums. Insofern handelt es sich allein um eine Zuständigkeitsregelung.

Sonstige Gesichtspunkte, die auf einen Beurteilungsspielraum schließen ließen, sind nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sind "andere wichtige Gründe" im Sinne des § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW nicht gegeben.

Ein derartiger "wichtiger Grund" läge vor, wenn durch die Aufnahme eines Bewerbers die Aufgabenerfüllung der Feuerwehr gefährdet würde. Die Wiederaufnahme des Klägers stellt jedoch - entgegen der Ansicht des Beklagten - die Funktionsfähigkeit der Freiwilligen Feuerwehr nicht nachhaltig in Frage. Voraussetzung hierfür wäre, dass es am Vertrauen zwischen den Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr im aktiven Dienst und dem Kläger fehlt und dass dafür berechtigte Gründe bestehen. Jedenfalls die letzte Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.

Das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen vom 17.6.2000 - namentlich seine Äußerungen zum Unfallgeschehen (a) und sein Austritt aus der Freiwilligen Feuerwehr (b) - bietet den Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt keinen berechtigten Anlass, dem Kläger das kameradschaftliche Vertrauen vorzuenthalten und in letzter Konsequenz für den Fall der Wiederaufnahme des Klägers mit dem eigenen Austritt zu drohen.

a) Zutreffend führt das VG, der Kläger sei in seinen Aussagen der ihm obliegenden Wahrheitspflicht nachgekommen und habe Verdachtsmomente geäußert, ohne sich von falsch verstandener Kameradschaft davon abhalten zu lassen. (Wird ausgeführt)

b) Zutreffend führt das VG mit Blick auf den Austritt des Klägers aus der Freiwilligen Feuerwehr aus, der Vorwurf gegenüber dem Kläger, er selbst habe die Vertrauensbasis sowohl zur Wehrführung als auch zu Feuerwehrkameraden durch seinen Austritt aus der Freiwilligen Feuerwehr zerstört, sei unhaltbar, weil ihm nicht im Geringsten vorzuwerfen sei, dass er aus Protest eine weitere Gemeinschaft mit Kameraden abgelehnt habe, die sich nicht uneingeschränkt für die Aufklärung strafbarer Handlungen eingesetzt hätten, zumal ihm kurz zuvor massiv mit Brandstiftung gedroht worden sei.

Allein der Umstand, dass der Kläger aus der Freiwilligen Feuerwehr ausgetreten ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. An eine Wiederaufnahme sind - entgegen der Auffassung des Beklagten - keine strengeren Maßstäbe anzulegen als an die erstmalige Aufnahme. Denn eine entsprechende gesetzlichen Differenzierung ist in § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW nicht erfolgt. Sofern durch den Austritt dokumentiert wird, dass es dem Austretenden an dem erforderlichen Vertrauensverhältnis zu den verbleibenden Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr fehlt, kommt es allein darauf an, ob das für die Aufgabenerfüllung erforderliche Vertrauen auch weiterhin fehlt. Die Rüge des Beklagten, es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern sich am Fehlen des Vertrauens des Klägers zu den damaligen Feuerwehrkameraden binnen vier Monaten etwas geändert habe, greift schon deshalb nicht durch, weil es nicht auf den Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung auf Wiederaufnahme ankommt, sondern auf den jetzigen Zeitpunkt. Zwischenzeitlich hat der Kläger - was der Beklagte übersieht - nicht nur ausdrücklichen Rückhalt bei seinem ehemaligen Löschzug gefunden, auch konnte er die in den Strafverfahren gegen die Herren I., N. und F. gewonnene (teilweise) Klärung in seine Überlegungen hinsichtlich des Vertrauensverhältnisses zu den ehemaligen Feuerwehrkameraden einbeziehen.

2. Der Beklagte rügt ohne Erfolg, das VG habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme des Klägers in die Freiwillige Feuerwehr um eine Ermessensentscheidung handele.

Vgl. in diesem Sinne Steegmann, Recht des Feuerschutzes und des Rettungsdienstes in Nordrhein-Westfalen, 4. Aufl., Stand: Oktober 2007, § 12 Rn. 9.

Eine Entscheidung steht nur dann im Ermessen der Behörde, wenn dieser nach der insoweit maßgeblichen Rechtsvorschrift ein gewisser Spielraum bei der Setzung der Rechtsfolge bleibt.

Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., 2008, § 40 Rn. 11.

Einen solchen Spielraum eröffnet § 1 LVO-FF NRW nicht. Er ist nicht bereits deshalb zu bejahen, weil die Entscheidung über die Aufnahme in den Dienst der Freiwilligen Feuerwehr positiv (Aufnahme) oder negativ (Ablehnung) sein kann. Denn § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW lässt eine negative Entscheidung nur bei Vorliegen der dort genannten Gründe ("mangelnde Eignung", "mangelnder Personalbedarf" oder "andere wichtige Gründe") zu. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW. Die in der Verordnung genannten Gründe werden nicht lediglich beispielhaft aufgeführt und die letzte Variante des § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW ("aus anderen wichtigen Gründen") ist im Sinne eines Auffangtatbestandes formuliert.

Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist auch nicht aus der Verwendung des Wortes "kann" in § 1 Abs. 4 LVO-FF NRW auf eine Ermessensentscheidung zu schließen. Hierin kommt lediglich zum Ausdruck, dass die Leiterin oder der Leiter der Feuerwehr zur Ablehnung bei Vorliegen der dort genannten Gründe sachlich befugt ist, ohne dass ihm ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wäre.

Vgl. zur Bedeutung von "Kann"-Bestimmungen Redeker/v. Oertzen, VwGO, 14. Aufl., 2004, § 114 Rn. 7.

Ende der Entscheidung

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