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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 21.01.2003
Aktenzeichen: 8 A 4230/01
Rechtsgebiete: StVO, OBG NRW


Vorschriften:

StVO § 45 Abs. 1 Satz 1
StVO § 45 Satz 2 Nr. 3
StVO § 45 Abs. 9
OBG NRW § 48 Abs. 3 Satz 2
1. Ein Einschreiten zum Schutz vor Verkehrslärm nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 9 StVO setzt nicht voraus, dass ein bestimmter Schallpegel überschritten wird. Maßgeblich ist, ob der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss. Als Orientierungshilfe können die Lärmwerte des § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV herangezogen werden.

2. Die Orientierung an den Lärmwerten des § 2 Abs. 1 der 16 BImSchV ist nur aussagekräftig, wenn zur Ermittlung der Lärmbelastung das nach dieser Verordnung vorgesehene Berechnungsverfahren angewendet wird.

3. Der Begriff der Gefahrenstelle im Sinne des § 48 Abs. 3 Satz 2 OBG NRW ist nicht auf Unfallhäufungsstellen beschränkt. Geschwindigkeitsüberwachungen durch die Kreisordnungsbehörden und Großen kreisangehörigen Städte können auch bei unzumutbaren Lärmbelastungen der Straßenanlieger in Betracht kommen.


Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks. Östlich des Grundstücks verläuft eine Bundesstraße mit einem Lärmschutzwall. Der Kläger begehrte die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung aus Lärmschutzgründen. Seine Klage blieb in zwei Instanzen erfolglos.

Gründe:

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Erlass der begehrten verkehrsregelnden Anordnung gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 9 StVO in der Fassung der Verordnung vom 16.11.1970 (BGBl. I, S. 1565), zuletzt geändert durch Verordnung vom 7.5.2002 (BGBl. I, S. 1529), noch auf erneute Bescheidung seines Begehrens zu.

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten des Beklagten liegen lediglich für die Nachtzeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr vor, nicht jedoch für die übrige Zeit. Für die Nachtzeit hat der Beklagte ermessensfehlerfrei die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung abgelehnt (unter 2.).

a) Nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken oder verbieten oder den Verkehr umleiten. § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, eingefügt durch die Verordnung vom 7.8.1997 (BGBl. I S. 2028), verlangt zudem für Beschränkungen des fließenden Verkehrs, dass die Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen auf Grund besonderer Umstände zwingend geboten ist. Nach Satz 2 dieser Bestimmung ist eine Gefahrenlage erforderlich, die auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt.

§ 45 Abs. 1 StVO ist grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit gerichtet. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass der Einzelne einen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde gerichteten Anspruch auf verkehrsregelndes Einschreiten hat, wenn eine Verletzung seiner geschützten Individualinteressen in Betracht kommt. Die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne des § 45 Abs. 1 StVO umfassen nicht nur die Grundrechte wie körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG). Dazu gehört auch der Schutz vor Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen, insbesondere soweit § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO Anordnungen zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen vorsieht. Soweit die Bestimmung gegen derartige grundrechtsgefährdende oder billigerweise nicht mehr zuzumutende Verkehrseinwirkungen schützen will, kann ein öffentlich-rechtlicher Individualanspruch eines Straßenanliegers gegeben sein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.6.1986 - 7 C 76.84 -, BVerwGE 74, 234 (236); Bay. VGH, Urteil vom 18.2.2002 - 11 B 00.1769 -, VRS 103 (2002), Nr. 12, S. 34 (40 f.).

Die vorstehenden Grundsätze zum Anspruch eines Anwohners auf straßenverkehrsbehördliches Einschreiten bzw. auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber haben durch die Einfügung des § 45 Abs. 9 StVO keine Veränderung erfahren. Der Individualanspruch des Straßenanliegers bei billigerweise nicht mehr zumutbaren Verkehrseinwirkungen setzt zugleich besondere örtliche Verhältnisse, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung übersteigen, im Sinne des § 45 Abs. 9 StVO voraus.

Vgl. zu § 45 Abs. 9 StVO: BVerwG, Urteil vom 5.4.2001 - 3 C 23.00 -, NJW 2001, 3139; OVG Bremen, Urteil vom 10.11.1998 - 1 BA 20/97 -, VRS 98 (2000), Nr. 21, S. 53; Hentschel, Die StVO-Novelle vom 7.8.1997, NJW 1998, 344 (347 f.).

b) Ein Einschreiten zum Schutz vor Verkehrslärm setzt nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO nicht voraus, dass ein bestimmter Schallpegel überschritten wird; maßgeblich ist vielmehr, ob der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss. Die Grenze des billigerweise zumutbaren Verkehrslärms ist nicht durch gesetzlich bestimmte Grenzwerte festgelegt.

Die Vorschriften der 16. BImSchV finden bei der Beurteilung der zumutbaren Lärmbelästigung im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO zwar nicht unmittelbar Anwendung. Diese Verordnung bestimmt die Schwelle der Zumutbarkeit von Verkehrslärm nur für den Bau und die wesentliche Änderung u.a. von öffentlichen Straßen. Die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV können aber im Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als Orientierungshilfe herangezogen werden, weil sie ganz allgemein die Wertung des Normgebers zum Ausdruck bringen, von welcher Schwelle an eine nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung der jeweiligen Gebietsfunktion anzunehmen ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1993 - 11 C 45.92 -, DVBl. 1994, 758 (759); Bay. VGH, a.a.O, S. 41 f.; VG Berlin, Urteil vom 19.6.1995 - 11 A 568/93 -, NVwZ-RR 1996, 257 (258 f.).

Die Orientierung an der 16. BImschV trägt auch der linienförmigen Ausbreitung der Verkehrsimmissionen Rechnung und berücksichtigt die durch Pegelspitzen geprägte Geräuschcharakteristik des Straßenverkehrslärms.

Vgl. Hofmann, Der Schutz vor Verkehrsimmissionen - Maßnahmen des fließenden Verkehrs, verkehrsbezogene Abgaben, Verkehrsinfrastruktur, ZUR 2000, 173 (176).

Demgegenüber ist die Straßenverkehrsbehörde nicht an die im Planfeststellungsverfahren für die Frage des Lärmschutzes zu Grunde gelegten Beurteilungspegel gebunden. Insoweit ist der betroffene Straßenanlieger nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens auf die Möglichkeit nachträglicher Anordnungen gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG NRW zu verweisen.

Vgl. hierzu im Falle des Klägers bereits OVG NRW, Beschluss vom 12.2.1999 - 23 A 1497/96.A -.

c) Allerdings folgt für den Einzelnen aus § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auch dann grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn die Lärmbeeinträchtigungen so intensiv sind, dass sie im Rahmen einer Planfeststellung Schutzauflagen auslösen würden. Denn bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen ist eine Gesamtbilanz vorzunehmen. Zu prüfen ist, ob die Verhältnisse nur um den Preis gebessert werden können, dass an anderer Stelle neue Unzuträglichkeiten auftreten. Im Ergebnis würde sich die Gesamtsituation verschlechtern, wenn die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt oder wegen Änderungen von Verkehrsströmen noch gravierendere Lärmbeeinträchtigungen von Anliegern anderer Straßen drohen würden. Die Straßenverkehrsbehörde darf von Maßnahmen umso eher absehen, je geringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, dem entgegen gewirkt werden soll. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen entgegenstehende Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht auf diese verkehrsberuhigende oder verkehrslenkende Maßnahmen unterbleiben. Bei Lärmpegeln, die die in den Lärmschutz-Richtlinien-StV aufgeführten Richtwerte - in reinen Wohngebieten 70 dB (A) tags/60 db (A) nachts - überschreiten, kann sich das Ermessen der Behörde zur Pflicht zum Einschreiten verdichten; eine Ermessensreduzierung auf Null ist aber auch dann nicht zwangsläufig gegeben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.6.1986, a.a.O., S. 240; Bay. VGH, Urteil vom 18.2.2002, a.a.O., S. 42 f.; OVG NRW, Urteil vom 2.12.1997 - 25 A 4997/96 A -, NVwZ 1998, 627 (628).

Bei der Prüfung, ob und gegebenenfalls welcher Verkehrslärmschutz im Einzelfall geboten ist, ist auf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit sowie auf das Vorhandensein bzw. das Fehlen einer bereits gegebenen Lärmvorbelastung abzustellen. Maßgeblich sind auch andere Besonderheiten des Einzelfalles. Von Bedeutung für die Bewertung der Zumutbarkeit des Lärms ist dabei insbesondere, ob der ihn auslösende Verkehr die betroffenen Straßen funktionsgerecht oder funktionswidrig in Anspruch nimmt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 15.2.2000 - 3 C 14.99 - NJW 2000, 2121 (2122), und vom 4.6.1986 - 7 C 76.84 -, a.a.O., S. 239 f.; Hess. VGH, Urteil vom 7.3.1989 - 2 UE 319/84 -, NJW 1989, 2767 (2769); VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.5.1997 - 5 S 1842/95 -, NVwZ-RR 1998, 682 (683).

Dabei ist auch zu beachten, dass Verkehrslärm, der von den Anliegern einer Bundesfernstraße (einschließlich Ortsdurchfahrt) oder auch einer Landesstraße bzw. einer Kreisstraße wegen ihrer der Widmung entsprechenden Verkehrsbedeutung ertragen werden muss, den Anliegern einer Ortserschließungsstraße nicht ohne weiteres in gleicher Weise zumutbar ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.6.1986, a.a.O., S. 239; OVG NRW, Urteil vom 2.12.1997 , a.a.O., S. 629.

d) Gemessen an diesen Grundsätzen hat nur die Lärmbelastung für das Obergeschoss des Hauses des Klägers nachts in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr die Schwelle überschritten, die einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung begründet. Für die übrige Zeit liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor.

Das Grundstück des Klägers liegt nach den Festsetzungen des Bebauungsplans in einem reinen Wohngebiet. § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV sieht für ein reines Wohngebiet als Immissionsgrenzwerte 59 dB (A) am Tag und 49 dB (A) in der Nacht vor. Diese Werte sind - wie dargelegt - Orientierungspunkte für die Bestimmung der Grenze, deren Überschreitung die Straßenverkehrsbehörde zur Ermessensausübung verpflichtet. Der Landesbetrieb Straßenbau NRW hat unter Berücksichtigung einer durchschnittlichen täglichen Verkehrsmenge von 45.500 Kfz/24 h Mittelungspegel von 55,6/48,6 dB (A) tags/nachts für das Erdgeschoss und von 56,8/49,8 dB (A) tags/nachts für das Obergeschoss des Hauses des Klägers ermittelt. Nach dieser Berechnung werden die angeführten Immissionsgrenzwerte nur nachts im Obergeschoss geringfügig überschritten.

Die Einwände des Klägers gegen die ermittelten Werte führen zu keinem anderen Ergebnis. Der Beurteilungspegel ist nach der 16. BImSchV nicht - wie der Kläger geltend gemacht hat - durch örtliche Schallmessungen zu ermitteln, sondern zu berechnen. Die Orientierung an den Lärmwerten der 16. BImSchV ist nur möglich, wenn zur Ermittlung der Lärmbelastung das nach dieser Verordnung vorgesehene Berechnungsverfahren angewendet wird. Die Berechnung der Beurteilungspegel kann nicht durch Lärmmessungen ersetzt werden. Ein direkter Vergleich rechnerischer Werte mit gemessenen Werten ist nicht möglich.

Vgl. Schulze-Fielitz, Rechtsfragen der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), UPR 1994, 1 (6); vgl. zur Heranziehung der RLS-90 auch OVG NRW, a.a.O., S. 628; Bay. VGH, Urteil vom 18.5.2002 - 11 B 00.1769 -, a.a.O., S. 42.

Lärmwerte erlangen ihre Aussagekraft nur im Zusammenspiel mit dem Mess- oder Berechnungsverfahren, nach dem sie zu ermitteln sind. Ohne Bezugnahme auf ein derartiges Verfahren wären die Werte unbestimmt; ihnen fehlte die maßgebende Bezugsebene. Die Belastung des Menschen durch Lärm hängt von einem Bündel von Faktoren - z.B. Stärke, Dauer, Häufigkeit, Tageszeit, Frequenzzusammensetzung, Auffälligkeit - ab, die vielfach nur unvollkommen in einem einheitlichen Wert erfasst werden können. Unterschiedliche Verfahren können damit nicht ohne weiteres miteinander verglichen werden.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 21.3.1996 - 4 C 9.95 -, BVerwGE 100, 1 (4), und vom 20.10.1989 - 4 C 12.87 -, BVerwGE 84, 31 (40 ff.).

Die Berechnung des Verkehrslärms trägt darüber hinaus dem Umstand Rechnung, dass direkte Lärmmessungen vor Ort abhängig von der Witterungslage, den konkreten Verkehrsströmen und anderen Einflussfaktoren zu unterschiedlichen und nicht repräsentativen Ergebnissen führen. Nur die Anwendung eines einheitlichen Berechnungsverfahrens führt insoweit zu aussagekräftigen und vergleichbaren Werten.

Vgl. Kuschnerus, Der Schutz vor unzumutbarem Straßenverkehrslärm, DVBl. 1986, 429 (430).

Die RLS-90 sind eine Rechenkonvention mit zahlreichen Vereinfachungen, die sich zumeist zum Vorteil der betroffenen Straßenanlieger auswirken. Nach der Anlage 1 zu § 3 der 16. BImSchV bzw. der RLS-90 werden neben der Berechnung des Mittelungspegel für besondere, auch durch Messungen nicht erfassbare Geräuschsituationen Zu- oder Abschläge gemacht. Die vorgesehene energetische Mittelung des Schalldruckpegels führt zu einer stärkeren Berücksichtigung der Spitzenpegel, als dies bei einer arithmetischen Mittelung der Fall wäre. Die Summe aus Mittelungspegel und Zuschlägen ergibt den Beurteilungspegel, der mit den jeweiligen Grenz- bzw. Richtwerten verglichen werden kann.

Vgl. Schulze-Fielitz, a.a.O., S. 6.

Mögliche geringe Nachteile für Betroffene bei einzelnen Rechenschritten werden nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen im Allgemeinen überkompensiert, so dass der Mittelungspegel nur selten zu Ungunsten Betroffener zu niedrig ausfällt. Der Berechnung wird beispielsweise generell das nur auf Autobahnen anzutreffende Mischungsverhältnis von 75% mehrachsigen zu 25 % zweiachsigen Lkw zu Grunde gelegt. Im Stadtverkehr ist das Verhältnis aber eher umgekehrt, so dass die Auffassung vertreten wird, die Emissionen des Lkw-Verkehrs würden insoweit um 1 bis 2 dB(A) zu hoch angesetzt. Auch bei Landes- und Kreisstraßen wird der Anteil schwerer Lkw geringer eingeschätzt. In Bezug auf die Witterung werden ebenfalls für die Betroffenen ungünstige Verhältnisse unterstellt.

Vgl. im Einzelnen: Ullrich, Eine Analyse der Verfahren zur Berechnung von Beurteilungspegeln nach den "Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen RLS-90", Beitrag zur 5. Konferenz "Verkehrslärm an Straßen" 1996.

Soweit das Berechnungsverfahren in Sonderfällen die Lästigkeit bestimmter Lärmeinwirkungen nicht ausreichend erfasst, vgl. Hendlmeier, Zwei Jahre Erfahrung mit der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), NuR 1992, 463 (467), kann dem gegebenenfalls abweichend von dem Berechnungsverfahren durch einen Zuschlag zum Mittelungspegel Rechnung getragen werden.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 13.5.1997 - 8 B 96.3508 -, BayVBl. 1999, 118 (119).

Die von dem Landesbetrieb angesetzte durchschnittliche tägliche Verkehrsmenge von 45.500 Kfz/Tag und die dabei berücksichtigten Lkw-Anteile sind nicht zu beanstanden. (wird ausgeführt)

Im Übrigen würde eine tatsächlich geringfügig größere Verkehrsmenge nicht ins Gewicht fallen, weil sich selbst bei einer - hier nicht ansatzweise in Betracht kommenden - Verdoppelung die Lärmbelastung "lediglich" um 3 dB(A) erhöhen würde.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.3.1996 - 4 A 10.95 -, NVwZ 1996, 1006; OVG NRW, Beschluss vom 27.5.1999 - 8 B 414/99 -, Beschlussabdruck S. 16.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 9.10.2000 - 5 S 1887/99, juris.

Auch gegen die zu Grunde gelegten LKW-Anteile bestehen keine Bedenken. (wird ausgeführt)

Aus den in der 16. BImSchV vorgesehenen höheren Werten für die Lkw-Anteile ergibt sich nichts Abweichendes. Sie gehen auf Auswertungen einer manuellen Zählung aus dem Jahr 1970 zurück. Zudem sollten in der 16. BImschV Lkw-Anteile festgesetzt werden, die an mindestens 85 % des jeweiligen Straßennetzes nicht erreicht werden. Spätere Erhebungen haben ergeben, dass die Lkw-Anteile deutlich überschätzt worden sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.1.2001 - 4 A 13.99 -, Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 16; Ullrich, a.a.O., S. 2 und 4.

Auch die Berechnung nach dem sog. Teilstück-Verfahren (Nr. 4.4.2 der RLS-90) begegnet keinen Bedenken. Einwände gegen dieses Verfahren hat der Kläger nicht vorgebracht. Das Verfahren für "lange, gerade" Fahrstreifen schied aus, weil die Lärmemissionen und die Bedingungen für die Schallausbreitung im vorliegenden Fall nicht über die gesamte maßgebende Länge annähernd konstant sind.

Vgl. zum Teilstück-Verfahren: OVG NRW, Urteil vom 29.8.2002 - 11 D 90/96.AK -, UA S. 11.

...

Die Berechnung des Landesbetriebs wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass nach den Angaben des Klägers die bei der Berechnung berücksichtigte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h häufig überschritten wird. Es fehlt hierzu bereits an einer plausiblen Darlegung, dass es in Höhe des klägerischen Grundstücks tatsächlich in dem vom Kläger beschriebenen Umfang zu Geschwindigkeitsüberschreitungen kommt. (wird ausgeführt)

Abgesehen davon ist im Planungsrecht anerkannt, dass es dem Vorhabenträger unbenommen ist, sich an der zulässigen Höchstgeschwindigkeit als Berechnungsfaktor zu orientieren, auch wenn es keine absolute Gewähr dafür gibt, dass sie von allen Verkehrsteilnehmern eingehalten wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.7.1999 - 4 A 52.98 -, UA S. 19, und Beschluss vom 15.6.2000 - 4 B 38.00 -, S. 2 f. des Beschlussabdrucks m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 29.8.2002 - 11 D 90/96.AK -, UA S. 15.

Diese Erwägungen haben auch bei der Ermittlung der Lärmbelastung zur Prüfung straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen ihre Berechtigung. Die Behörde würde sich zu ihren eigenen Geschwindigkeitsanordnungen in Widerspruch setzen, wenn sie bei der Berechnung des Verkehrslärms von einer höheren als der tatsächlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausginge. Die Argumentation des Klägers liefe sonst darauf hinaus, dass die Straßenverkehrsbehörde eine niedrigere als die gebotene Höchstgeschwindigkeit anordnen müsste, damit die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten zu einer erträglichen Lärmbelastung führen.

...

e) Nach den oben erörterten Grundsätzen ist somit bei einer Orientierung an den Lärmwerten der 16. BImschV die Schwelle, die einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung begründen kann, für die Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr nicht überschritten. Für die Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr besteht demgegenüber ein solcher Anspruch. Sonstige Umstände, die bei der Bewertung der Zumutbarkeit der Lärmbelastung berücksichtigt werden könnten, sind nicht erkennbar. Insbesondere kann der Kläger - wie dargelegt - nicht verlangen, dass die Straßenverkehrsbehörde die Einhaltung der im Planfeststellungsverfahren zu Grunde gelegten Beurteilungspegel zu beachten hat.

2. Der Beklage hat den Antrag des Klägers hinsichtlich einer Geschwindigkeitsbeschränkung für die Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr ermessensfehlerfrei abgelehnt. Die Ermessensentscheidung kann das Gericht nur darauf überprüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens eingehalten und ob sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO).

a) Bei der Entscheidung über die Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen hat die zuständige Behörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens sowohl die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen als auch die Interessen der Anlieger anderer Straßen in Rechnung zu stellen, ihrerseits vor übermäßigem Lärm verschont zu bleiben, der als Folge verkehrsberuhigender oder verkehrslenkender Maßnahmen eintreten kann. Sie darf dabei in Wahrung allgemeiner Verkehrsrücksichten und sonstiger entgegenstehender Belange von derartigen Maßnahmen umso eher absehen, je geringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, dem entgegengewirkt werden soll. Aber auch bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen kann sie von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen ermessensfehlerfrei absehen, wenn dies mit Rücksicht auf die damit verbundenen Nachteile gerechtfertigt erscheint. Bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen müssen die der Anordnung verkehrsberuhigender oder verkehrslenkender Maßnahmen entgegenstehenden Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen allerdings schon von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht auf diese Belange ein Handeln der Behörde unterbleibt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.10.1999 - 3 B 105.99 -, NZV 2000, 386, und Urteil vom 4.6.1986, a.a.O., S. 240; OVG NRW, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O., S. 628; zur Ermessensreduzierung bei Überschreiten von 70 dB(A) tags/60 dB(A) nachts siehe oben unter 1. c).

Werden in erster Linie die Nacht-Werte der vorgesehenen Richtwerte überschritten und haben die betroffenen Anlieger bereits passive Schallschutzmaßnahmen erhalten, so können sie jedenfalls bei einer entsprechenden Vorprägung des Grundstücks darauf verwiesen werden, zur Erhaltung der Nachtruhe Fenster nachts grundsätzlich geschlossen zu halten. Denn in der Rechtsprechung ist geklärt, dass bei fehlender tatsächlicher Möglichkeit, etwa aktive Schallschutzmaßnahmen zu ergreifen, Anwohner auf passive Schallschutzmaßnahmen verwiesen werden dürfen mit der Folge, dass sie nicht davor geschützt sind, bei gelegentlichem Öffnen der Fenster erheblichem Verkehrslärm ausgesetzt zu sein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.4.1996 - 11 A 86.95 -, BVerwGE 101, 73.

Dieser von der Rechtsprechung für die Lärmvorsorge entwickelte Grundsatz muss erst recht für die im vorliegenden Verfahren erstrebte Lärmsanierung durch eine Geschwindigkeitsbeschränkung gelten.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O., S. 628.

Darüber hinaus hat die Straßenverkehrsbehörde zu prüfen, ob und welche Verkehrsregelungen, die den Verkehr zum Zwecke der Verkehrssicherheit oder -ordnung lenken oder beschränken sollen, zu dem angestrebten Zweck geeignet und erforderlich sind.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25.4.1980 - 7 C 19.78 -, DVBl. 1980, 1045 (1046), und vom 27.1.1993 - 11 C 35.92 -, BVerwGE 92, 32 (36); Beschluss vom 23.3.1990 - 3 B 25.90 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O., S. 627 f.

Im Rahmen der Ermessensabwägungen hat eine in Aussicht genommene Geschwindigkeitsbeschränkung zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Verkehrslärm um so geringeres Gewicht je geringfügiger die rechnerische Reduzierung des Beurteilungspegels durch die Maßnahme sein würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Differenz beim Dauerschallpegel von bis zu 2 dB(A) nach allgemeinen Erkenntnissen der Akustik für das menschliche Ohr kaum wahrnehmbar ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.11.1996 - 11 B 65.96 -, NVwZ 1997, 394 (395); Beschluss vom 19.2.1992 - 4 NB 11.91 -, NJW 1992, 2844; Urteile vom 19.8.1988 - 8 C 51.87 -, BVerwGE 80, 99 (108), und vom 22.5.1987 - 33.83 - u.a., BVerwGE 77, 285 (293); Hess. VGH, Urteil vom 31.3.1996 - 2 UE 2346/96 -, NJW 1999, 2057 (2058); vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BImSchV; Nr. 3.5 und 4.1 der Lärmschutz-Richtlinie-StV.

b) Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden (wird ausgeführt).

Der Beklagte durfte nach den oben dargelegten Grundsätzen auch berücksichtigen, dass die begehrte Geschwindigkeitsbeschränkung lediglich zu einer allenfalls geringfügigen bzw. kaum wahrnehmbaren Verbesserung der Lärmsituation führen würde. Nach den Berechnungen des Landesbetriebs, die wie ausgeführt nicht zu beanstanden sind, würde durch eine Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h lediglich eine Reduzierung um 0,7 db(A) nachts erreicht. Zudem sind hierbei die bereits bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht in vollem Umfang berücksichtigt worden, so dass die Differenz tatsächlich noch geringer ausfallen dürfte.

Soweit der Kläger demgegenüber auf eine vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebene Studie verweist, nach der bei einer Beschränkung auf 80 km/h von einer Lärmreduktion von 2,4 dB(A) auszugehen sei, liegt dieser Berechnung ein Lkw-Anteil von 0% zu Grunde. Sie ist deshalb auf die hier vorliegende Situation nicht übertragbar. Zudem wird aufgrund neuerer Erkenntnisse vertreten, dass die Abhängigkeit des Mittelungspegels von der Geschwindigkeit - insbesondere wegen der gestiegenen Fahrzeugemissionen durch die Verwendung von Breitreifen - geringer sei als in den RLS-90 angenommen. Dadurch ergebe sich für den reinen Pkw-Verkehr eine geringere Wirksamkeit von Geschwindigkeitsbeschränkungen. Bei einem Lkw-Anteil von 20 % soll eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h auf 80 km/h daher lediglich eine Minderung des Mittelungspegels um 0,2 dB (A) statt 0,6 dB (A) bewirken, vgl. Ullrich, a.a.O., S. 6 f.

Ob straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen, die zu einer Schallpegelminderung von weniger als 2 bzw. 3 dB(A) führen, in den Fällen einer besonders starken Lärmbelastung besonderes Gewicht gewinnen, weil dem rechnerischen Mittelungspegel dann nur eingeschränkte Aussagekraft zukommt und der Wegfall bzw. das Unterbleiben einzelner Spitzenpegel einen für das akustische Empfinden des Betroffenen durchaus bemerkbaren Unterschied ergeben kann, vgl. OVG NRW, Urteile vom 12.1.1996 - 25 A 2475/93 -, NJW 1996, 3024 (3027), und vom 17.2.1997 - 25 A 546/95 -, UA S. 20 ff., ist im vorliegenden Verfahren unerheblich. Ein solcher Fall liegt hier - wie dargelegt - nicht vor. Zudem ließen sich die von dem Kläger als besonders lästig hervorgehobenen Abbrems- bzw. Beschleunigungsgeräusche schon deshalb nicht verringern, weil im Bereich der Auffahrt bzw. Abfahrt bereits weiter gehende Geschwindigkeitsbeschränkungen angeordnet sind.

Sonstige Umstände, die bei der erforderlichen Abwägung zu Gunsten des Klägers hätten berücksichtigt werden müssen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere wird die Lärmbelastung durch die widmungsgemäße Nutzung der Bundesstraße verursacht. (wird ausgeführt).

3. Da der Beklagte somit den Antrag des Klägers auf Anordnung einer (weiteren) Geschwindigkeitsbeschränkung ermessensfehlerfrei abgelehnt hat, kommt auch die begehrte "einhergehende" Installierung einer Geschwindigkeitsüberwachungsanlage nicht in Betracht. Der Senat weist allerdings im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten darauf hin, dass der Beklagte nach § 48 Abs. 3 Satz 2 OBG NRW unbeschadet der Zuständigkeit der Polizeibehörden zuständig ist für die Überwachung der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten an Gefahrenstellen. Nach Auffassung des Senats ist der Begriff der Gefahrenstelle im Sinne dieser Bestimmung nicht - wie im Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen - auf Unfallhäufungsstellen und schutzwürdige Zonen in unmittelbarer Nähe von Kindergärten, Schulen und Seniorenheimen beschränkt.

Vgl. Erlass des Innenministeriums vom 19.12.1997 und das vorgelegte Schreiben der Bezirksregierung Detmold vom 5.6.1997.

Zwar hatte der Gesetzgeber ausweislich der Entstehungsgeschichte der Bestimmung vor allem Unfallschwerpunkte und besonders gefährdete Zonen bei der Schaffung der Regelung im Blick.

Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drucks. 10/5034, S. 6 ("insbesondere") und 11/7599; Bick/Kiepe, Geschwindigkeitsüberwachung, NZV 1990, 329.

Der Wortlaut der Bestimmung gibt für eine nur eingeschränkte Zuständigkeit des Beklagten jedoch nichts her. Er spricht vielmehr dafür, die Zuständigkeit der Kreisordnungsbehörden und der Großen kreisangehörigen Städte für Geschwindigkeitsüberwachungen bei jeder konkreten Gefährdung eines relevanten Schutzgutes anzunehmen. Daher kann auch eine unzumutbare Lärmbelastung der Straßenanlieger, die durch Geschwindigkeitsüberschreitungen - insbesondere durch die dadurch verursachten Spitzenpegel - herbeigeführt wird, die Kreisordnungsbehörden und großen kreisangehörigen Städte im Einzelfall zu Geschwindigkeitsmessungen veranlassen.

4. Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Neubescheidung bleibt aus den vorstehenden Erwägungen ebenfalls ohne Erfolg.

Ende der Entscheidung

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