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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 17.08.2005
Aktenzeichen: 8 A 728/03
Rechtsgebiete: VwGO, BImSchG, TA Luft


Vorschriften:

VwGO § 42 Abs. 1
BImSchG § 5 Abs. 1
BImSchG § 6 Abs. 1
BImSchG § 12
BImSchG § 29 Abs. 1 Satz 2
TA Luft Nr. 5.2.5
TA Luft Nr. 5.3.3
1. Im Einzelfall kann es bei einer zu Gunsten des Klägers eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage unverhältnismäßig sein, im Rahmen der Anfechtungsklage auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen.

2. Ob eine genehmigungsbedürftige Anlage erhebliche Emissionsmassenströme luftverunreinigender Stoffe im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG verursacht, richtet sich nach den normkonkretisierenden Bestimmungen in Nr. 5.3.3 der TA Luft.

3. Liegen nach diesem Maßstab keine erheblichen Emissionsmassenströme vor, können kontinuierliche Messungen nur nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BImSchG im Einzelfall angeordnet werden.


Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich gegen Anordnungen in einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid, durch die ihr die Durchführung kontinuierlicher Messungen in der Abgasleitung der Entstaubungsanlage eines Schredders aufgegeben worden waren.

Die Klägerin betreibt seit 1971 eine Schredderanlage mit Nebenanlagen zum Zerkleinern und Aufbereiten von Altautos, leichtem Sammelschrott, Verbundstoffen, Elektromotoren, Schalterschrott und Nichteisenmetallschrott. Durch Beschwerden von Pächtern einer benachbarten Kleingartenanlage veranlasst wurden im Umfeld der Anlage Untersuchungen durchgeführt, die relativ hohe Schwermetallkonzentrationen und bedenklich hohe Konzentrationen an polychlorierten Biphenylen - PCB - nachwiesen. Wegen der Beschwerden beantragte die Klägerin die Genehmigung zur Änderung ihrer Schredderanlage durch Errichtung und Betrieb einer Entstaubungsanlage sowie einer Absiebanlage zur Trennung der Schredderleichtfraktion. Nach den Antragsunterlagen sollte dem Schredder ein Reihen-Ovalschlauchfilter mit einem Abgasvolumenstrom von 50.000 m³/h nachgeschaltet werden, durch den der Reststaubgehalt auf höchstens 5 mg/m³ reduziert werden sollte. An der geplanten Absiebanlage war ein Reihenschlauchfilter mit einem Abgasvolumenstrom von 15.000 m³/h vorgesehen. Mit einem dritten Trockenfilter, einem Patronenfilter, mit einer Luftleistung von 3.400 m³/h sollten schließlich die Stäube erfasst werden, die im Aufgabebunker der Absiebanlage entstünden. Nach einem nachträglich vorgelegten Emissionsmessungsbericht betrug die Emissionskonzentration an PCB in der Abluft der nach vorzeitiger Zulassung bereits betriebenen Schredderanlage bei einer Einzelmessung bei Einsatz von Elektroschrott im Mittel 3,6 µg/m³, die Maximalkonzentration lag bei 4,7 µg/m³.

Mit Genehmigungsbescheid vom 22.9.1997 gestattete der Beklagte die von der Klägerin beantragte Änderung mit zahlreichen Nebenbestimmungen (Abschnitt IV.). Unter Nr. IV.9 wurden Grenzwerte für die Massenkonzentration luftverunreinigender Stoffe im Abgas festgesetzt. Danach war für die Schredderentstaubung eine höchstzulässige Massenkonzentration für Gesamtstaub von 5 mg/m³ festgelegt. Für die Schlauchfilterabluft der Absiebanlage war eine maximale Massenkonzentration an Gesamtstaub von 2 mg/m³ und für die Patronenfilteranlage von 5 mg/m³ festgelegt. Unter Nr. IV.10 bis 19 enthielt der Genehmigungsbescheid bis ins Einzelne gehende Regelungen über den Einbau, die Wartung, die Prüfung und die Manipulationssicherung einer Messeinrichtung zur kontinuierlichen Ermittlung der Massenkonzentration an Staub in der Abgasleitung der Schredderentstaubungsanlage, über die Ermittlung der Massenkonzentrationen sowie über die Aufzeichnung und Auswertung der Messwerte. Die Anordnung kontinuierlicher Messungen war gestützt auf § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG, weil der Abgasstrom der Gesamtanlage mehr als 50.000 m³/h betrage und § 29 BImSchG insoweit mittlerweile über die Vorgaben in Nr. 3.2.3 der TA Luft hinausgehe.

Das VG hob die Nr. 10 bis 19 der Nebenbestimmungen des Genehmigungsbescheids auf. Die vom VG zugelassene Berufung des Beklagten blieb erfolglos.

Gründe:

I. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Nebenbestimmungen ist derjenige der gerichtlichen Entscheidung. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass es keine prozessrechtliche Norm gibt, nach der es bei der Anfechtungsklage für die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung grundsätzlich auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt. Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt richtet sich vielmehr nach materiellem Recht unter Beachtung des Regelungsgehalts einschließlich der zeitlichen Dimension der Regelung (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17.7.1995 - 1 B 23.95 -, NVwZ-RR 1996, 20, und vom 26.3.1996 - 1 B 50.96 -).

Nur in diesem Rahmen ist tendenziell davon auszugehen, dass es bei der Anfechtung eines belastenden Verwaltungsakts grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt, weil es im Anfechtungsprozess Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist, die Rechtmäßigkeit einer getroffenen Behördenentscheidung zu überprüfen und eine rechtswidrig getroffene Entscheidung aufzuheben (vgl. BVerwG, Urteile vom 3.11.1987 - 9 C 254.86 -, BVerwGE 78, 243 [244] m.w.N., und vom 6.12.1985 - 4 C 23 u. 24.83 -, NJW 1986, 1186 [1187]).

Von diesem Grundsatz gibt es eine Reihe von Ausnahmen. So sind bei der Anfechtung sogenannter Dauerverwaltungsakte Veränderungen der Sach- und Rechtslage bis zur gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.7.1995, a.a.O.). Im Einzelfall kann auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebieten, bei einer für den Kläger günstigen Änderung der Sach- oder Rechtslage auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.1.1989 - 4 B 132.88 -).

So liegt der Fall hier, weil die Durchsetzung der noch nicht vollzogenen angefochtenen Nebenbestimmungen - unabhängig davon, ob sie ursprünglich rechtmäßig gewesen sind - wegen einer inzwischen eingetretenen, für die Klägerin günstigen Änderung der Rechtslage und im Hinblick auf die zeitliche Dimension der angefochtenen Nebenbestimmungen unverhältnismäßig wäre.

Die Unverhältnismäßigkeit ergibt sich aus Folgendem: Die Klägerin ist im Zusammenhang mit den sachlich zusammengehörenden Nebenbestimmungen Nr. 10 bis 19 nicht nur zum einmaligen Einbau von Messeinrichtungen verpflichtet worden, sondern auch dazu, künftig weiterhin kontinuierlich zu messen. Insoweit haben die Regelungen Dauerwirkung, die es gebietet, bis zur gerichtlichen Entscheidung eintretende Veränderungen der Sach- und Rechtslage grundsätzlich zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen für eine Regelanordnung nach § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG liegen aber seit dessen Änderung durch das Siebte Gesetz zur Änderung des BImSchG vom 11.9.2002 (BGBl. I S. 3622) nicht mehr vor. Während nach § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG in der zur Zeit der Entscheidung über den Widerspruch geltenden Fassung des Gesetzes vom 19.10.1998 (BGBl. I S. 3178) - BImSchG F. 1998 - kontinuierliche Messungen im Regelfall auch bei Anlagen mit erheblichen Abgasströmen, insbesondere einem Abgasstrom von mehr als 50.000 m³/h, vorgesehen waren, kommt es nach der Neuregelung nur noch auf erhebliche Emissionsmassenströme an, die die Anlage der Klägerin aber nicht erreicht (dazu im Einzelnen unten unter II.1.). Aktuell darf der Klägerin deshalb nicht mehr auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG in der derzeit geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 26.9.2002 (BGBl. I S. 3830), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25.6.2005 (BGBl. I S. 1865), - BImSchG - nur wegen der Höhe des Abgasstroms der Anlage abverlangt werden, kontinuierliche Emissionsmessungen durchzuführen. Vor diesem Hintergrund wäre es unverhältnismäßig, wenn die zu Messungen nicht mehr ohne Weiteres verpflichtete Klägerin heute noch eine mit erheblichem Aufwand verbundene Messeinrichtung installieren müsste, obwohl nach den in der Neuregelung zum Ausdruck kommenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, die in der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft in ihrer Neufassung vom 24.7.2002 (GMBl. S. 511) - TA Luft - (II.1.a) sowie bereits in der alten Fassung vom 27.2.1986 (GMBl. S. 95, ber. S. 202) - TA Luft F. 1986 - (II.1.b) ihren Ausdruck gefunden haben, nicht zu rechtfertigen ist, eine genehmigungsbedürftige Anlage wie die der Klägerin nur deshalb kontinuierlichen Messungen zu unterwerfen, weil sie mit einem höheren Abgasstrom als 50.000 m³/h betrieben wird.

Für die Frage der Unverhältnismäßigkeit ist es unerheblich, ob der Klägerin kontinuierliche Messungen möglicherweise wegen der PCB-Problematik auch heute noch nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BImSchG aufgegeben werden könnten. Denn der Beklagte hat sein Ermessen insoweit bisher nicht ausgeübt. Es steht auch nicht fest, dass dieselben Anordnungen auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Satz 1 BImSchG tatsächlich ermessensfehlerfrei ergehen werden (dazu unten unter II.2.).

II. Als Rechtsgrundlage für die streitigen Nebenbestimmungen unter Nr. 10 bis 19 des Genehmigungsbescheids vom 22.9.1997 kommt § 12 Abs. 1 BImSchG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung u.a. mit Auflagen verbunden werden, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der in § 6 BImSchG genannten Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen. Nach § 6 Abs. 1 BImSchG ist eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und einer aufgrund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden (Nr. 1) und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen (Nr. 2). Die umstrittenen kontinuierlichen Messungen sind nicht zur Sicherstellung dieser Voraussetzungen erforderlich. Die Klägerin ist derzeit weder im Rahmen der Betreiberpflichten nach § 5 Abs. 1 BImSchG noch im Zusammenhang mit § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zur Durchführung kontinuierlicher Messungen verpflichtet. Insbesondere begründet § 29 Abs. 1 BImSchG keine derartige Pflicht.

1. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG liegen nicht vor.

Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BImSchG kann die zuständige Behörde bei genehmigungsbedürftigen Anlagen anordnen, dass bestimmte Emissionen oder Immissionen unter Verwendung aufzeichnender Messgeräte fortlaufend ermittelt werden (kontinuierliche Messungen). Nach Satz 2 sollen bei Anlagen mit erheblichen Emissionsmassenströmen luftverunreinigender Stoffe unter Berücksichtigung von Art und Gefährlichkeit dieser Stoffe Anordnungen nach Satz 1 getroffen werden, soweit eine Überschreitung der in Rechtsvorschriften, Auflagen oder Anordnungen festgelegten Emissionsbegrenzungen nach der Art der Anlage nicht ausgeschlossen werden kann. Auf den Umfang des Abgasstroms kommt es anders als nach § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG F. 1998 nicht mehr an, weil der Abgasstrom allein nicht als geeigneter Indikator für den Schadstoffausstoß von Anlagen angesehen wird. Vielmehr soll aufgrund der verschärften Anforderungen, die an die zulässige Konzentration von Schadstoffen im Abgasvolumen von Anlagen durch die TA Luft seit 1986 begründet werden, neben dem Massenstrom auch auf die Art und Gefährlichkeit der emittierten Stoffe abgestellt werden (BT-Drs. 14/8450, S. 11; vgl. dazu bereits BT-Drs. 10/1862 [neu], S. 12).

Die Konkretisierung dessen, ab welchem Umfang und welcher Schadstoffbelastung Emissionsmassenströme luftverunreinigender Stoffe im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG erheblich sind - auch unter Berücksichtigung von Art und Gefährlichkeit dieser Stoffe -, erfolgt durch die normkonkretisierenden Bestimmungen der TA Luft. Als solche sind diese auch im gerichtlichen Verfahren beachtlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.6.2001 - 7 C 21.00 -, NVwZ 2001, 1165 m.w.N.). Der Gesetzgeber hat sich in § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG bewusst der Terminologie bedient, die in Nr. 2.1.3 Satz 2 Buchst. a) und b) der TA Luft F. 1986 und nunmehr in Nr. 2.5 Satz 2 Buchst. a) und b) der TA Luft verwendet wird (vgl. Lechelt, in: GK-BImSchG, § 29 Rn. 13, wo allerdings der Begriff des Emissionsmassenstroms unzutreffend zitiert wird).

Die TA Luft sieht ebenso wie schon die TA Luft F. 1986 kontinuierliche Messungen allein bei Überschreiten bestimmter genau festgelegter Emissionsmassenströme an staubförmigen Stoffen und an weiteren im Einzelnen in Bezug genommenen Schadstoffen vor, die in der Anlage der Klägerin nicht erreicht werden. Nach beiden Fassungen ist das Überschreiten bestimmter Abgasströme allein kein maßgebendes Kriterium für die Anordnung von kontinuierlichen Messungen.

a) Die Voraussetzungen der Nr. 5.3.3 der TA Luft für die Anordnung kontinuierlicher Messungen liegen für die Anlage der Klägerin nicht vor. Nach Nr. 5.3.3.1 soll grundsätzlich eine Überwachung der Emissionen relevanter Quellen durch kontinuierliche Messungen gefordert werden, soweit die in Nr. 5.3.3.2 festgelegten Massenströme überschritten und Emissionsbegrenzungen festgelegt werden. Nach Nr. 5.3.3.2 sollen die relevanten Quellen bei Anlagen mit einem Massenstrom an staubförmigen Stoffen von 1 kg/h bis 3 kg/h mit Messeinrichtungen ausgerüstet werden, die in der Lage sind, die Funktionsfähigkeit der Abgasreinigungseinrichtung und die festgelegte Emissionsbegrenzung kontinuierlich zu überwachen (qualitative Messeinrichtungen); bei Anlagen mit einem entsprechenden Massenstrom von mehr als 3 kg/h sollen die Massenkonzentrationen der staubförmigen Emissionen an den relevanten Quellen kontinuierlich ermittelt werden.

Massenströme an staubförmigen Stoffen von mindestens 1 kg/h verursacht die Anlage der Klägerin nicht. Ausgehend von der maximal zulässigen Reingaskonzentration an Staub an der Schredderentstaubung von 5 mg/m³ und einem maximal zulässigen Abluftstrom von 50.000 m³/h (vgl. Nr. 5.3.3.1 Abs. 1 Satz 3 der TA Luft) ergibt sich ein Emissionsmassenstrom für Staub von 250 g/h (50.000 m³/h x 5 mg/m³). Hinzu kommen entsprechend ermittelte Emissionsmassenströme der übrigen Quellen der Anlage von insgesamt 47 g/h (15.000 m³/h x 2 mg/m³ + 3.400 m³/h x 5 mg/m³). Der sich daraus ergebende Gesamtmassenstrom von 297 g/h liegt deutlich unter den in Nr. 5.3.3.2 der TA Luft für die Anordnung qualitativer Messungen festgelegten Emissionsmassenströmen von mindestens 1 kg/h. Erst recht wird der Massenstrom von 3 kg/h unterschritten, dessen Erreichen quantitative Messungen rechtfertigt.

Ein erheblicher Emissionsmassenstrom liegt auch nicht unter Berücksichtigung von Art und Gefährlichkeit in der Abluft enthaltener Stoffe vor. Diesem Erfordernis trägt Nr. 5.3.3.2 Abs. 3 der TA Luft Rechnung, indem danach kontinuierliche Messungen auch erfolgen sollen bei Anlagen mit staubförmigen Emissionen an Stoffen nach den Nr. 5.2.2, 5.2.5 Klasse I oder 5.2.7 der TA Luft, wenn der Massenstrom das Fünffache eines der dort genannten Massenströme überschreitet. Das ist nach den durchgeführten und zu den Genehmigungsunterlagen genommenen Emissionsmessungen nicht der Fall und zwischen den Beteiligten nicht streitig. Auch im Hinblick auf die PCB-Belastung wird das Fünffache des in Nr. 5.2.5 Klasse I der TA Luft genannten Massenstroms von 0,10 kg/h nach allen bisher aktenkundig gewordenen Messungen bei Weitem unterschritten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dieser Wert bei Berücksichtigung der diffusen Quellen der Anlage erreicht würde. Dieser Massenstrom ist ungeachtet des Klammerzusatzes in Nr. 5.2.7.2 Abs. 2 der TA Luft für PCB maßgeblich, weil PCB im Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe (TRGS 905, www.baua.de) die Einstufungen K3, RF2 und RE2 erhalten hat und damit gemäß Nr. 5.2.5 Abs. 6 Satz 1 Spiegelstriche 1 und 2 der TA Luft der Klasse I zuzuordnen ist, obwohl es im Anhang 4 nicht namentlich genannt ist. Der vom Beklagten angeführte Bagatellmassenstrom von 0,25 µg/h für die hochtoxischen organischen Stoffe Dioxine und Furane nach Nr. 5.2.7.2 Abs. 1 der TA Luft gilt nicht für PCB. Allein das Bestehen des Emissionsminimierungsgebots nach Nr. 5.2.7 bzw. nach Nr. 5.2.7.2 Abs. 2 der TA Luft, das gegenüber dem nach Nr. 5.2.5 Klasse I der TA Luft einzuhaltenden Massenstrom weitergehende Anforderungen stellt, führt nach Nr. 5.3.3.2 der TA Luft nicht dazu, dass im Hinblick auf die unbestrittene Gefährlichkeit von PCB von einem erheblichen Emissionsmassenstrom im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG auszugehen ist. Das Emissionsminimierungsgebot kann damit allenfalls im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BImSchG von Bedeutung sein.

b) Dass kontinuierliche Messungen nach den Bestimmungen der TA Luft bei der Anlage der Klägerin grundsätzlich nicht durchgeführt werden müssen, hat sich gegenüber der Vorgängerfassung der TA Luft nicht geändert. Auch die nach Nr. 3.2.3.2 der TA Luft F. 1986 früher zugrunde zu legenden Emissionsmassenströme an staubförmigen Stoffen von mindestens 2 kg/h für qualitative Messeinrichtungen und von mindestens 5 kg/h für die kontinuierliche Ermittlung der Massenkonzentration werden damit erheblich unterschritten. Ebenso wird gemäß Nr. 3.2.3.2 Abs. 3 der TA Luft F. 1986 das jeweils Fünffache der in den Nr. 2.3, 3.1.4 oder 3.1.7 Klasse I der TA Luft F. 1986 genannten Massenströme für gefährliche Abgasbestandteile, die tendentiell niedriger sind als nach der TA Luft, bei Weitem unterschritten.

c) Liegen auch unter Berücksichtigung von Art und Gefährlichkeit der in der Abluft enthaltenen Stoffe bereits keine erheblichen Emissionsmassenströme vor, kommt es nicht mehr darauf an, ob eine Überschreitung der festgelegten Emissionsbegrenzungen nach der Art der Anlage ausgeschlossen werden kann.

2. Die angefochtenen Nebenbestimmungen können ihre Rechtfertigung nicht in § 29 Abs. 1 Satz 1 BImSchG finden. Das folgt schon daraus, dass der Beklagte das hierdurch eingeräumte Ermessen bisher nicht ausgeübt hat, weil er von einer Bindung durch die Sollvorschrift des § 29 Abs. 1 Satz 2 BImSchG F. 1998 ausgegangen ist. Unabhängig davon würden die im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vom Beklagten ergänzend zur Rechtfertigung angeführten Erwägungen, die vor allem auf die besondere Gefährlichkeit von PCB abstellen, allein für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht ausreichen. Eine Einzelfallentscheidung müsste sich mit den weiteren Besonderheiten des Falls auseinandersetzen: So stammt die vorhandene PCB-Belastung ganz überwiegend noch aus einer Zeit vor der Sanierung der Anlage der Klägerin. Darüber hinaus stellt nach Erkenntnissen des Landesumweltamts NRW vom Wind abgetragener Schredderleichtmüll und nicht die Abluft der Schredderentstaubung die maßgebliche PCB-Emissionsquelle dar. Dementsprechend sind für die PCB-Belastung der Nachbarschaft zumindest zu einem erheblichen Anteil Staubabwehungen aus dem Schrotteingangslager und sonstige diffuse Quellen verantwortlich, in Bezug auf die die Klägerin bereits im Verfahren erster Instanz Verbesserungen angekündigt hat.

Vor einer Ermessensentscheidung im Einzelfall über Anordnungen kontinuierlicher Messungen in der Abluft der Schredderentstaubung bedürfte es zudem einer näheren Prüfung, ob die Einhaltung des Emissionsminimierungsgebots für PCB wegen der Abhängigkeit von der Zusammensetzung der Einsatzstoffe durch Messungen der Massenkonzentration an Staub überhaupt sinnvoll überwacht werden kann und ob gegebenenfalls qualitative Messeinrichtungen (z. B. Abgastrübungsmessungen) oder sonstige Vorkehrungen hierfür ausreichen (vgl. zu Möglichkeiten einer Funktionskontrolle von Gewebefiltern Davids/Lange, Die TA Luft Ž86, 1986, Nr. 3.2.3.1 Anm. 161, Abs. 2 a. E.). In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist deutlich geworden, dass diese Gesichtspunkte vom Beklagten noch nicht hinreichend in den Blick genommen worden sind.

Ende der Entscheidung

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