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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 17.03.2008
Aktenzeichen: 8 A 929/07
Rechtsgebiete: BImSchG, BauNVO, BauGB


Vorschriften:

BImSchG § 24 Satz 1
BImSchG § 25 Abs. 2
BauNVO § 8 Abs. 3 Nr. 1
BauGB § 29
1. Eine formell und materiell illegale Wohnnutzung ist gegen unzumutbare Schallimmissionen nicht geschützt. Zu Gunsten einer solchen Nutzung kann von der Behörde kein immissionsschutzrechtliches Einschreiten verlangt werden.

2. Die Genehmigung einer Betriebswohnung im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO wird mit der endgültigen Aufgabe des Betriebs, dem die Wohnnutzung zugeordnet ist, gegenstandslos.

3. Die Umwandlung von in einem Gewerbegebiet gelegenen Betriebswohnungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in allgemeine Wohnungen ist eine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB.


Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich gegen von einem benachbarten Betriebsgrundstück ausgehende Lärmimmissionen und verlangte von der Behörde ein immissionsschutzrechtliches Einschreiten. Sie ist Eigentümerin des in einem festgesetzten Gewerbegebiet gelegenen Grundstücks, auf dem ein Büro- und Wohngebäude steht. Die Baugenehmigung aus dem Jahr 1971 legt fest, dass die Wohnungen nur an Beschäftigte des auf dem (seinerzeit noch) gleichen Grundstück liegenden, zwischenzeitlich in Insolvenz gegangenen Betriebs vermietet werden dürfen. Aus der Betriebsbeschreibung geht hervor, dass je eine Wohnung für den Betriebsleiter und den Hausmeister vorgesehen war. Seit einigen Jahren sind die Wohnungen frei vermietet. Den Antrag der Klägerin auf immissionsschutzrechtliches Einschreiten lehnte die Behörde ab. Die daraufhin erhobene Klage blieb erfolglos. Auch der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Rechtsgrundlage für das von der Klägerin begehrte immissionsschutzrechtliche Einschreiten des Beklagten ist § 24 Satz 1 BImSchG bzw. § 25 Abs. 2 BImSchG. Danach kann die Behörde im Einzelfall die zur Durchführung des § 22 BImSchG und der auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz gestützten Rechtsverordnungen erforderlichen Anordnungen treffen bzw. soll die Behörde den Betrieb der Anlage ganz oder teilweise untersagen, wenn die von einer Anlage hervorgerufenen schädlichen Umwelteinwirkungen die Gesundheit von Menschen gefährden und die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht auf andere Weise ausreichend geschützt werden kann.

Vgl. zum Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander: BVerwG, Urteil vom 24.9.1992 - 7 C 6.92 -, BVerwGE 91, 92 (93 f.); Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. 1, Kommentar, § 25 BImSchG Rn. 6a und 22.

Das VG hat zutreffend angenommen, dass der Beklagte nicht auf Grund dieser Vorschriften zum Einschreiten verpflichtet ist, weil die durch nächtliche Schallimmissionen allein beeinträchtigte tatsächliche Wohnnutzung im Haus der Klägerin baurechtlich nicht genehmigt (I.) und auch nicht genehmigungsfähig (II.) ist.

Vgl. zum grundsätzlich fehlenden Anspruch auf immissionsschutzrechtliches Einschreiten bei formeller und materieller Illegalität der Nutzung, für die Schutz begehrt wird: BVerwG, Urteile vom 25.2.1992 - 1 C 7.90 -, BVerwGE 90, 53 (56), und vom 24.9.1992 - 7 C 6.92 -, BVerwGE 91, 92 (96).

I. Die Klägerin ist zu Unrecht der Auffassung, die tatsächlich ausgeübte Wohnnutzung entspreche der Baugenehmigung.

1. Die Baugenehmigung ist, soweit sie das Wohnen erlaubt, mit der endgültigen Aufgabe des Betriebs T. unwirksam geworden. Eine erteilte Baugenehmigung wird zumindest in Bezug auf die genehmigte Nutzung nach § 43 Abs. 2 VwVfG NRW gegenstandslos und damit unwirksam, wenn die zugelassene Nutzung endgültig aufgegeben wird.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.11.2000 - 4 B 36.00 -, NVwZ 2001, 557 (558); VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.5.2003 - 5 S 2751/01 -, BauR 2003, 1539 (1540).

Mit der hier in Rede stehenden endgültigen Aufgabe des Betriebs teilen die zugehörigen Betriebswohnungen das Schicksal des Betriebs mit der Folge, dass die Baugenehmigung für die Betriebswohnungen gegenstandslos geworden ist. Denn die ausnahmsweise Zulässigkeit von Betriebswohnungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO kann nur in Bezug auf den konkreten Betrieb, dem die Wohnnutzung zugeordnet werden soll, festgestellt werden. Sie knüpft sowohl an die Größe als auch an die Struktur eines bestimmten Betriebes an. Soll die Wohnnutzung einem anderen Betrieb dienen, stellt sich die Frage neu, ob die Wohnungen - wie es § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO verlangt - dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind und ob das Wohnen in der Nähe des Betriebs erforderlich ist.

2. Selbst wenn die Baugenehmigung hinsichtlich der Nutzung zum Wohnen als wirksam angesehen würde, führt dies nicht zur formellen Legalität der tatsächlich vorhandenen Wohnnutzung. Das VG hat insoweit zutreffend angenommen, die derzeitige Nutzung der Wohnungen verstoße gegen die Bestimmung unter Nr. 18 der Baugenehmigung. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung dürfen die Wohnungen nur an Beschäftigte des damals auf dem gleichen Grundstück liegenden Betriebes vermietet werden. Die Klägerin stellt nicht in Frage, dass dies hier nicht der Fall ist.

Die Rüge der Klägerin, das VG habe hieraus nicht schließen dürfen, die allgemeine Wohnnutzung sei baurechtswidrig, bleibt ohne Erfolg.

a) Der Auffassung der Klägerin, bei der unter Nr. 18 der Baugenehmigung getroffenen Regelung handele es sich nicht um eine bodenrechtlich relevante Nutzungsfestsetzung, sondern eine Vermietungsbeschränkung, welche die nach dem Inhalt der Baugenehmigung allgemein zulässige Wohnnutzung nicht berühre, ist nicht zu folgen. Sie beruht auf einer unzutreffenden Auslegung dieser Regelung.

Nach dem im öffentlichen Recht entsprechend anzuwendenden Auslegungsgrundsatz des § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Maßgeblich ist, wie der Genehmigungsadressat und potentiell Drittbetroffene die Erklärung unter Berücksichtigung der ihnen bekannten oder erkennbaren Umstände, insbesondere der durch Zugehörigkeitsvermerk gekennzeichneten Bauvorlagen, bei objektiver Auslegung verstehen mussten.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 11.2.1983 - 7 C 70.80 -, DVBl. 1983, 810 (811), und vom 7.6.1991 - 7 C 43.90 -, NVwZ 1993, 177 (179); OVG NRW, Urteil vom 17.11.1983 - 4 A 1791/82 -, DVBl. 1984, 1081 (1082), und Beschluss vom 20.9.2007 - 10 A 4372/05 -, BauR 2008, 81 (82).

Unter Beachtung dieser Auslegungsgrundsätze ist die Regelung unter Nr. 18 der Baugenehmigung als die zulässige Nutzung begrenzende Inhaltsbestimmung zu verstehen, wonach das Wohnen nur dem jeweiligen Betriebsleiter und dem jeweiligen Hausmeister des seinerzeit auf demselben Grundstück liegenden Betriebs T. erlaubt war.

Für ein solches gegenüber der Vorstellung der Klägerin enges Verständnis spricht bereits, dass nach der Baubeschreibung die jeweilige Wohnung im 1. bzw. 2. Obergeschoss des Gebäudes für den Betriebsleiter bzw. den Hausmeister vorgesehen war. Im Übrigen ist anzunehmen, dass der Oberkreisdirektor des Kreises H. bei Erteilung der Baugenehmigung im Zweifel im Einklang mit dem Gesetz handeln wollte. Schon die seinerzeit geltenden gesetzlichen Vorgaben zwangen aber zu einem restriktiven Verständnis zulässiger Wohnnutzung. Denn das Gebäude lag bereits zum Zeitpunkt der Baugenehmigungserteilung innerhalb eines durch den Bebauungsplan Nr. 7 festgesetzten Gewerbegebiets. Innerhalb dieses Gebiets konnten gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1962 nur ausnahmsweise Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter zugelassen werden. Eine darüber hinaus gehende Erweiterung des berechtigten Personenkreises war allenfalls im Wege einer hier nicht ersichtlichen Befreiung nach § 31 Abs. 2 BBauG 1960 denkbar.

Vgl. hierzu: Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, Kommentar, 3. Aufl., 1971, § 9 BauNVO Tn. 117.

b) Der weitere Einwand der Klägerin, dass auch im Falle eines Verstoßes gegen die unter Nr. 18 der Baugenehmigung getroffene Regelung keine Änderung der Benutzungsart vorliege, weil das öffentliche Baurecht für eine Wohnnutzung durch Beschäftigte eines auf dem Grundstück etwa vorhandenen Betriebes keine anderen oder weiteren Anforderungen stelle als für eine Wohnnutzung durch den Eigentümer oder andere Personen, meint der Sache nach, die derzeit ausgeübte Wohnnutzung halte sich innerhalb der Variationsbreite der zulässigen Wohnnutzung und stelle keine Nutzungsänderung dar. Dem ist nicht zuzustimmen.

Die Umwandlung von in einem Gewerbegebiet gelegenen Betriebswohnungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in allgemeine Wohnungen ist eine Nutzungsänderung im Sinne von § 29 Abs. 1 BauGB. Denn beim Übergang von der einen auf die andere Nutzungsweise stellt sich in bodenrechtlicher Hinsicht die Genehmigungsfrage neu. Dies kommt bereits darin zum Ausdruck, dass das Bauplanungsrecht das Wohnen von Aufsichts- und Bereitschaftspersonen, des Betriebsinhabers und des Betriebsleiters in § 7 Abs. 2 Nr. 6, § 8 Abs. 3 Nr. 1 und § 9 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO anders behandelt als das allgemeine Wohnen, wie es etwa in den Wohn-, Dorf- und Mischgebieten im Sinne der §§ 3 - 6 BauNVO zulässig ist. Die allgemeine Wohnnutzung begründet im Gewerbegebiet bodenrechtlich beachtliche, erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen, weil sie schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt wäre oder künftig werden könnte. Demgegenüber setzt der Gesetzgeber voraus, dass Aufsichts- und Bereitschaftspersonal sowie Betriebsinhaber und -leiter, die aus betrieblichen Gründen in unmittelbarer Nähe zum Betrieb wohnen, ein höheres Maß an Störungen für das Wohnen hinnehmen müssen, als dies für die allgemeine Wohnnutzung gilt. § 8 Abs. 1 BauNVO geht nämlich davon aus, dass Gewerbegebiete der Unterbringung belästigender Betriebe auch dann dienen sollen, wenn dort ausnahmsweise die genannten Betriebswohnungen zugelassen werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.5.1983 - 4 C 67.78 -, BauR 1983, 443 f.

II. Die Feststellung des VG, dass die erfolgte Umwandlung von Betriebswohnungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in allgemeine Wohnungen nach der jetzigen Rechtslage nicht genehmigungsfähig ist, hat die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht in Zweifel gezogen. Angesichts der vom Gesetzgeber gewollten Unzulässigkeit allgemeiner Wohnbebauung im Gewerbegebiet ist für eine Zulässigkeit der Nutzungsänderung auch nichts ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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