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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.09.2005
Aktenzeichen: 8 B 417/05
Rechtsgebiete: BImSchG, 4. BImSchV


Vorschriften:

BImSchG § 19
4. BImSchV
Die Klärung der Frage, ob an der Auffassung festzuhalten ist, dass § 10 BImSchG und § 3 UVPG keine nachbarschützenden Vorschriften sind, oder ob im Hinblick auf Art. 10 a der UVP-Richtlinie, der bis zum 25.6.2005 von den Mitgliedstaaten umzusetzen war und eine gerichtliche Überprüfung auch der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen durch "Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit" vorsieht, eine europarechtskonforme Auslegung der insoweit maßgeblichen innerstaatlichen Verfahrensvorschriften als drittschützend geboten ist, bleibt einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Tatbestand:

Der Antragsteller ist Eigentümer eines im Außenbereich gelegenen Grundstücks. Durch Bescheid vom 18.6.2004 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen nach Durchführung eines Vorprüfungsverfahrens gemäß § 3 c UVPG im vereinfachten Verfahren die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windfarm mit vier pitch-gesteuerten Windenergieanlagen vom Typ GE Wind Energy 1.5sl (Nennleistung 1500 kW, Rotordurchmesser 77 Meter). Die Nabenhöhe der in dem Genehmigungsbescheid unter Nr. 1 und 2 aufgeführten Anlagen sollte 61,4 m betragen, die Nabenhöhe der unter Nr. 3 und 4 aufgeführten Anlagen 96 m. In Bezug auf die beiden letztgenannten Anlagen lagen bereits Baugenehmigungen vor. Der Standort der dem Grundstück des Antragstellers nächstgelegenen Anlagen Nr. 1 und Nr. 2 ist ca. 370 m bzw. 700 m entfernt; der Abstand zu den Anlagen Nr. 3 und 4 beträgt etwa 820 m bzw. 1050 m. Am 22.7.2004 ordnete die Antragsgegnerin, nachdem ein Anwohner Widerspruch erhoben hatte, auf Antrag der Beigeladenen die sofortige Vollziehung an.

Nachdem der Antragsteller beim VG die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs beantragt hatte, verzichtete die Beigeladene auf die Errichtung der unter Nr. 1 und 2 des Genehmigungsbescheides aufgeführten Windenergieanlagen. Das VG lehnte den Antrag des Antragstellers ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Soweit die angefochtene Genehmigung die Errichtung und den Betrieb der beiden vorgesehenen Anlagen mit einer Nabenhöhe von je 61,4 m betrifft, ist der Antrag auf Regelung der Vollziehung unzulässig. Ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Vollziehbarkeit der Genehmigung ist insoweit nicht erkennbar, nachdem die Beigeladene auf die Errichtung dieser beiden Anlagen verzichtet hat und die Genehmigung dadurch insoweit erloschen ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1989 - 4 C 36.86 -, BVerwGE 84, 209.

...

Bezüglich der beiden verbleibenden Windkraftanlagen kann dahinstehen, ob der Antrag nach Inkrafttreten des § 67 Abs. 9 BImSchG - eingefügt durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2003 zur Änderung der Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen vom 25.6.2005 (BGBl. I S. 1865) - weiterhin zulässig ist. Für diese beiden Anlagen hat der Landrat des Kreises X. nach Aktenlage bereits am 31.10.2002 Baugenehmigungen erteilt, die nach § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG nunmehr als immissionsschutzrechtliche Genehmigungen gelten dürften. Die Frage, ob die Baugenehmigungen derzeit noch wirksam und vollziehbar sind sowie ob der Antragsteller Errichtung und Betrieb dieser Anlagen ungeachtet des Ausgangs des vorliegenden Verfahrens ohnehin dulden muss, kann offen bleiben, da die Beschwerde jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hat.

Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gibt keinen Anlass, dem Suspensivinteresse des Antragstellers größeres Gewicht beizumessen als den Interessen der Beigeladenen.

Rechtsgrundlage der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist § 6 Abs. 1 i.V.m. § 5 BImSchG. Nach diesen Vorschriften ist die - hier nach § 4 BImSchG i.V.m. Nr. 1.6 des Anhangs der 4. BImSchV (in der derzeit ebenso wie in der bis zum 30.6.2005 geltenden Fassung) erforderliche - Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten erfüllt werden und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen.

Die Rüge des Antragstellers, die Genehmigung sei zu Unrecht nach Nr. 1.6 Spalte 2 des Anhangs der 4. BImSchV in einem Genehmigungsverfahren nach § 19 BImSchG und nicht nach Nr. 1.6 Spalte 1 des Anhangs der 4. BImSchV (jeweils in der bis zum 30.6.2005 geltenden Fassung) einem förmlichen Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG mit Öffentlichkeitsbeteilung und unter Einschluss einer Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt worden, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

Die Klärung der Frage, ob an der Auffassung festzuhalten ist, dass § 10 BImSchG und § 3 UVPG keine nachbarschützenden Vorschriften sind, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7.1.2004 - 22 B 1288/03 -, oder ob im Hinblick auf Art. 10 a der UVP-Richtlinie - eingefügt durch die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, Richtlinie 2003/35/EG, ABl. Nr. L 156 vom 25.6.2003, S. 17 ff. -, der bis zum 25.6.2005 von den Mitgliedstaaten umzusetzen war und eine gerichtliche Überprüfung auch der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen durch "Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit" vorsieht, eine europarechtskonforme Auslegung der insoweit maßgeblichen innerstaatlichen Verfahrensvorschriften als drittschützend geboten ist, so OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 25.1.2005 - 7 B 12114/04 -, DÖV 2005, 436; kritisch Lecheler, ZNER 2005, 127 (130 f.), muss allerdings einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11.3.2005 - 10 B 2462/04 -, und vom 27.4.2005 - 10 B 355/05 -.

Entsprechendes gilt für die damit in Zusammenhang stehende weitere Frage, ob unter Berücksichtigung der am 1.7.2005 in Kraft getretenen Änderung der Nr. 1.6 des Anhangs zur 4. BImSchV - Verordnung zur Änderung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und zur Änderung der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20.6.2005 (BGBl. I S. 1687) - ein zum maßgeblichen Zeitpunkt noch erheblicher Verfahrensfehler vorliegt. Danach ist über die immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer Windkraftanlage mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern grundsätzlich in einem Verfahren nach § 19 BImSchG - also ohne Öffentlichkeitsbeteiligung - zu entscheiden, es sei denn, nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein Verfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c der 4. BImSchV).

Das allein vermag aber ein Überwiegen des Suspensivinteresses des Antragstellers nicht zu begründen. Zwar erweist sich die angefochtene Genehmigung nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht als offensichtlich rechtmäßig. Gleichwohl fällt die bei dieser Sachlage vorzunehmende weitere Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Das wirtschaftliche Interesse der Beigeladenen, von der Genehmigung Gebrauch zu machen, ist von erheblichem Gewicht; demgegenüber ist dem Antragsteller zuzumuten, den Betrieb der zwei noch in Rede stehenden Windkraftanlagen vorläufig während der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens hinzunehmen, da ihm dadurch offensichtlich jedenfalls keine materiell-rechtlichen Nachteile drohen. Anhaltspunkte für eine unzulässige Beeinträchtigung des Antragstellers durch diese beiden Anlagen sind nicht dargelegt.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Die Verursachung derartiger schädlicher Umwelteinwirkungen i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG durch die beiden noch in Rede stehenden Windenergieanlagen ist in Würdigung des Beschwerdevorbringens des Antragstellers nicht ersichtlich.

Die Antragsgegnerin und das VG sind zutreffend davon ausgegangen, dass Bewohnern des Außenbereichs von Windenergieanlagen ausgehende Lärmpegel von 60 dB(A) tagsüber und 45 dB(A) nachts in Anlehnung an die für Mischgebiete nach der TA-Lärm 1998 festgelegten Grenzwerte zuzumuten sind.

Vgl. zur ständigen Rechtsprechung des OVG NRW, Beschlüsse vom 3.9.1999 - 10 B 1283/99 -, NVwZ 1999, 1360, vom 26.4.2002 - 10 B 43/02 -, NWVBl. 2003, 29, und vom 13.5.2002 - 10 B 671/02 -, NVwZ 2002, 1131, 1132, Urteil vom 18.11.2002 - 7 A 2127/00 -, NVwZ 2003, 756, m.w.N., Beschlüsse vom 28.4.2004 - 21 B 573/03 -, und vom 23.7.2004 - 21 B 753/03 -.

Auf der Grundlage des der angefochtenen Genehmigung zugrunde liegenden schalltechnischen Gutachtens und unter Berücksichtigung des Verzichts auf die Realisierung der genehmigten Anlagen Nr. 1 und 2 bestehen auch in Anbetracht der Beschwerdebegründung des Antragstellers keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass die durch diese Genehmigung vorgegebenen Lärmwerte eingehalten werden. (Wird ausgeführt)

Dass das schalltechnische Gutachten im Übrigen auf fehlerhaften Grundlagen beruht oder die Prognose der Lärmimmissionen unzutreffend sein könnte, ist ebenso wenig vorgetragen wie Anhaltspunkte für sonstige den Antragsteller belastende Umwelteinwirkungen ersichtlich sind.

Ende der Entscheidung

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