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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.06.2003
Aktenzeichen: 8 B 719/03
Rechtsgebiete: GG, LV NRW


Vorschriften:

GG Art. 5 Abs. 3 Satz 1
LV NRW Art. 16
Die Widmung eines Lehrstuhls durch die Hochschule dient dem Ziel, ein zur Vermittlung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse geeignetes Lehrangebot und zur Weiterentwicklung des bestehenden Erkenntnisstandes geeignete Forschungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Kann ein Lehrstuhl trotz mehrerer Ausschreibungsverfahren nicht besetzt werden, kann dies ein hinreichender Anlass für eine Umwidmung des Lehrstuhls sein.
Tatbestand:

Der Antragsteller ist akademischer Oberrat und außerplanmäßiger Professor an der beigeladenen Universität und dort einem C 4 - Lehrstuhl im Fachbereich Elektrotechnik zugeordnet. Zwei Jahre vor der Emeritierung des bisherigen Stelleninhabers wurde die Stelle als Professur mit der Bezeichnung "Integrierte Schaltungen" erstmalig ausgeschrieben; der einzige auf der Berufungsliste platzierte Bewerber verfolgte seine Bewerbung wegen erfolgreicher Bleibeverhandlungen jedoch nicht weiter. Eine erneute Ausschreibung führte zur Aufstellung einer Berufungsliste mit drei Bewerbern, darunter auf Platz 2 der Antragsteller. Nachdem der Erstplatzierte den an ihn ergangenen Ruf nicht angenommen und das Ministerium für Schule, Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung die Berufung des Antragstellers abgelehnt hatte, weil die Voraussetzungen für eine Hausberufung nicht vorlägen, wurde die Stelle ein weiteres Mal ausgeschrieben. Diesmal wurde der Antragsteller auf Platz 1 der Berufungsliste gesetzt; dem Berufungsvorschlag waren vergleichende Gutachten beigefügt, die die von der Berufungskommission vorgeschlagene Reihung stützten. In einem weiteren, vom Ministerium eingeholten vergleichenden Gutachten wurde die Reihung der Berufungsliste als nicht nachvollziehbar bezeichnet. Nach zustimmender Stellungnahme der Fakultät wurde deshalb an den zweitplatzierten Bewerber ein Ruf erteilt; dieser lehnte den Ruf nach zunächst erfolgreichem Abschluss der Berufungsverhandlungen jedoch ab. Die vom Ministerium daraufhin geäußerte Absicht, nunmehr den Drittplatzierten der Berufungsliste zu berufen, wurde nicht verwirklicht, weil letzterer nicht mehr zur Verfügung stand. Daraufhin forderte das Ministerium die beigeladene Universität auf, einen Vorschlag für eine Umwidmung der Professur zu unterbreiten, da diese mit der bestehenden Widmung nicht besetzt werden könne. Dies führte dazu, dass das Rektorat der Beigeladenen auf Antrag der Fakultät für Elektrotechnik die Professur "Integrierte Schaltungen" in "Monolithische Systemintegration" umwidmete.

Der Antragsteller hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen das Land Nordrhein-Westfalen u.a. beantragt, die an die beigeladene Universität gerichtete Aufforderung, für die Professur "Integrierte Schaltungen" einen Umwidmungsvorschlag vorzulegen, zurückzunehmen. Der Antrag blieb in zwei Instanzen erfolglos.

Gründe:

Das VG hat den Antrag, dem Antragsgegner aufzugeben, seine an die Beigeladene gerichtete Aufforderung zur Vorlage eines Umwidmungsvorschlags für die C 4 - Professur "Integrierte Schaltungen" zurückzunehmen, zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis u.a. dann treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung ist die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Es kann offen bleiben, ob der Antragsteller ein rechtlich geschütztes Interesse am Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung geltend machen kann. Mit der von ihm angestrebten Anordnung könnte er jedenfalls nicht sein im Hauptsacheverfahren verfolgtes Begehren sichern, die Fortsetzung des Berufungsverfahrens und Erteilung des Rufes an ihn zu erreichen. Denn selbst wenn der Antragsgegner seine an den Rektor der Beigeladenen gerichtete Aufforderung, für den C 4 - Lehrstuhl "Integrierte Schaltungen" einen Umwidmungsvorschlag vorzulegen, zurücknähme, änderte dies nichts an dem Umstand, dass der Lehrstuhl mittlerweile auf Grund der Entscheidung des Rektorats vom 27.8.2002 mit der Widmung "Monolithische Systemintegration" versehen ist und diese Widmung allein durch Rücknahme der Umwidmungsaufforderung nicht wieder entfiele. Eine Rücknahme der Umwidmungsaufforderung hätte lediglich zur Folge, dass die Beigeladene nicht mehr gehindert - aber auch nicht verpflichtet - wäre, dem Lehrstuhl wieder die frühere Widmung zu verleihen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Umwidmung auch tatsächlich erfolgt; dies ergibt sich aus dem Schreiben des Rektors der Beigeladenen an den Antragsgegner vom 5.9.2002 sowie aus dem Umstand, dass das Stellenbesetzungsverfahren für die umgewidmete Professur durch Ausschreibung in Gang gesetzt worden ist. Wenn es in dem genannten Schreiben abschließend heißt, die Beigeladene bitte um Wiederzuweisung der Bewirtschaftung der Stelle auf der Grundlage "dieses Umwidmungsvorschlags", so ändert diese - im Zusammenhang mit der Entziehung der Bewirtschaftung stehende - Formulierung nichts daran, dass die zuständigen Universitätsgremien abschließend über den Antrag der Fakultät entschieden haben, den fraglichen Lehrstuhl mit einer neuen Widmung zu versehen.

Hiervon unabhängig hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch darauf zusteht, dass der Antragsgegner seine an den Rektor der Beigeladenen gerichtete Umwidmungsaufforderung zurücknimmt.

Die Widmung eines Lehrstuhls ist als eine durch Art. 16 LV NRW und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Selbstverwaltungsangelegenheit der in §§ 2 Abs. 1 HRG, 3 Abs. 1 HG NRW bezeichneten Aufgabenstellung der Hochschule verpflichtet; sie muss daher dem Ziel dienen, ein zur Vermittlung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse geeignetes Lehrangebot und zur Weiterentwicklung des bestehenden Erkenntnisstandes geeignete Forschungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Dies schließt es grundsätzlich aus, die Widmung eines Lehrstuhls an Individualinteressen einzelner Hochschulangehöriger zu orientieren; auch muss die Hochschule ihr Lehr- und Forschungsangebot entsprechend den Bedürfnissen von Lehre und Wissenschaft verändern können. Ob und inwieweit bei Veränderungen einer vorhandenen Organisationsstruktur oder inhaltlichen Prägung - etwa der Auflösung eines in Betrieb befindlichen Instituts, der Umwidmung einer besetzten Stelle oder der Ausgliederung eines (besetzten) Lehrstuhls aus einem Institut - die Berücksichtigung rechtlicher Individualinteressen geboten sein kann, muss der Senat im vorliegenden Verfahren nicht abschließend klären; insbesondere kann offen bleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein einzelner Hochschulangehöriger - als Lehrstuhlinhaber, Lehrstuhlvertreter, Bewerber um eine Stelle oder sonstiger Fakultätsangehöriger - etwa unter Berufung auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG oder den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ein subjektives Recht auf Erhalt einer Lehrstuhlwidmung geltend machen kann.

Dazu BVerfG, Beschluss vom 15.9.1997 - 1 BvR 406/96 und 1 BvR 1214/97 -, NVwZ-RR 1998, 175; ebenso Hess. VGH, Beschluss vom 30.5.1997 - 6 TG 144/97 -, NVwZ-RR 1998, 181; vgl. zur Denomination: Hess. VGH, Beschluss vom 13.7.1999 - 8 TG 2148/99 -, NVwZ-RR 2000, 223; zur Auslagerung eines Lehrstuhls: VG Karlsruhe, Urteil vom 12.11.1997 - 7 K 2329/97 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.1.2001 - 4 S 2062/98 -, WissR 2001, 202; zur Auflösung eines Instituts: OVG NRW, Beschluss vom 29.4.1999 - 8 B 1729/98 -; vgl. auch Brehm/ Zimmerling, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Hochschullehrerrecht, WissR 34 (2001), 329 (348. 352 f.).

Denn selbst wenn man unterstellt, dass dem Antragsteller als vormaligem Lehrstuhlvertreter und Bewerber um die ausgeschriebene C 4 - Stelle "Integrierte Schaltungen" individuelle Rechtspositionen zustehen, die bei der Umwidmungsentscheidung bzw. bei der Entscheidung über die Rücknahme der Umwidmungsaufforderung zu berücksichtigen wären, so ist die Umwidmung des Lehrstuhls "Integrierte Schaltungen" in "Monolithische Systemintegration" im vorliegenden Fall rechtlich nicht zu beanstanden; der Antragsgegner ist deshalb nicht verpflichtet darauf hinzuwirken, die ursprüngliche Widmung wiederherzustellen.

Der Rektor der Beigeladenen hat auf Antrag der Fakultät die Umwidmung des Lehrstuhls vorgenommen, weil die Funktionsbeschreibung "Integrierte Schaltungen", wie er dem Antragsgegner durch Schreiben vom 5.9.2002 mitgeteilt hat, aus der fachlichen Sicht der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik dem Stand der modernen Mikroelektronik nicht mehr entsprach. Dies rechtfertigt die Veränderung der bestehenden Widmung, da die neue Widmung der Erfüllung des Auftrags der Hochschule dient, ein den aktuellen fachlichen Bedürfnissen entsprechendes Lehrangebot zur Verfügung zu stellen (vgl. §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 81 HG NRW).

Zur vergleichbaren Problematik der Umstrukturierung von Hochschulen und zum Abbau von Hochschulkapazitäten noch: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.4.1999 - 9 S 2653/98 -, NVwZ-RR 1999, 636; BVerwG, Beschluss vom 15.10.1980 - VII C 15.77 -, Buchholz 421.2 HSchulR Nr 84; Brehm/Zimmerling, Abbau von Hochschulkapazitäten unter Berücksichtigung von Art. 12 Abs. 1 GG - Methoden, Begründungserfordernisse und Rechtsschutz, dargestellt am Beispiel medizinischer Studiengänge, WissR 33 (2000), 22 (27 ff., 33f., 38 ff.).

Zudem ist die Stelle mit der Widmung "Integrierte Schaltungen" in drei Ausschreibungsverfahren - 1993, 1996 und 1999 - nicht besetzt worden. Die Annahme des Antragsgegners und der Beigeladenen, dass sich die nach Emeritierung des letzten Stelleninhabers für die Neuausschreibung von "Elektronische Bauelemente" in "Integrierte Schaltungen" veränderte Widmung nicht bewährt hat, stellt einen weiteren tragfähigen Grund für die Umwidmung dar. Der Umstand, dass der Antragsteller im dritten Ausschreibungsverfahren möglicherweise hätte berufen werden können und nach seiner Auffassung hätte berufen werden müssen, ändert an dieser Feststellung nichts. Denn die Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik war nicht gehindert, auf die Weigerung des Antragsgegners, den erstplazierten Antragsteller zu berufen, zunächst mit dem Einverständnis mit einer Berufung des Zweitplazierten und schließlich mit einem Umwidmungsantrag zu reagieren, um die seit 1995 bestehende Vakanz auf einem zentralen Lehrstuhl des Fachbereichs zu beenden.

Anzeichen dafür, dass andere - unsachliche - Gründe zu der Umwidmung geführt haben, sind nicht glaubhaft gemacht und auch nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die ausführliche Begründung für die Umwidmungsentscheidung im Schreiben des Rektors der Beigeladenen an den Antragsgegner vom 5.9.2002, die über die wenigen in der Beschwerdeschrift in diesem Zusammenhang zitierten Bemerkungen im Besetzungsvorschlag vom 14.1.2000 weit hinausgeht, vermag der Senat die Einschätzung des Antragstellers, dass die neue Widmung eine Einschränkung des Aufgabenkreises der Professur mit sich bringe, nicht nachzuvollziehen; im übrigen wäre selbst dies - verbunden mit einer Aktualisierung des Anforderungsprofils, also einer Anpassung an den derzeitigen Wissens- und Forschungsstand - eine hinreichende Grundlage für eine Umwidmung. In Rechte des Antragstellers (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) greift die Umwidmungsentscheidung nicht ein. Der Antragsteller hat zwar über einen längeren Zeitraum die Lehrstuhlvertretung wahrgenommen, doch führt die Umwidmung des Lehrstuhls nicht dazu, dass ein laufender Vertretungsauftrag etwa vorzeitig beendet oder inhaltlich einseitig geändert worden wäre; der vom Antragsteller wahrgenommene Auftrag zur Lehrstuhlvertretung endete mit Ablauf des 31.3.2002.

Unabhängig von diesem Gesichtspunkt würde die Wahrnehmung der Lehrstuhlvertretung dem Antragsteller im vorliegenden Fall - die Notwendigkeit einer Berücksichtigung individueller Rechtspositionen unterstellt - unter dem Gesichtspunkt der Wissenschaftsfreiheit keinen Anspruch auf unveränderten Fortbestand des von ihm betreuten Lehrstuhls vermitteln; dem stünden sowohl das rechtlich relevante Interesse der Studierenden an einer dem aktuellen Forschungs- und Wissensstand entsprechenden Ausbildung als auch das Interesse der Beigeladenen an einem diesen Anforderungen genügenden Zuschnitt des Lehrangebots entgegen. Auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes ginge nicht so weit, einen derartigen Anspruch zu begründen.

BVerfG, Beschluss vom 15.9.1997 - 1 BvR 406/96 und 1 BvR 1214/97 -, NVwZ-RR 1998, 175.

Nichts anderes gilt hinsichtlich der von dem Antragsteller aufrecht erhaltenen Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle einer C 4 - Professur "Integrierte Schaltungen". Wie der Senat durch Beschluss gleichen Rubrums (8 B 720/03) vom heutigen Tage entschieden hat, steht es dem Antragsgegner als Dienstherrn frei, ein Bewerbungsverfahren jederzeit aus sachlichen Gründen zu beenden mit der Folge, dass ein Bewerber die Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens nicht erzwingen kann. Mit der Umwidmung der Stelle war das Bewerbungsverfahren um die Stelle "Integrierte Schaltungen" zwingend zu beenden, so dass die Bewerbung des Antragstellers ins Leere geht; seine Stellung als Bewerber um die im August 1999 ausgeschriebene Stelle verleiht ihm nicht das Recht, den Fortbestand jener Stelle mit unveränderter Widmung zu verlangen.

Ende der Entscheidung

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