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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 20.06.2005
Aktenzeichen: 8 B 940/05
Rechtsgebiete: GenTG, Richtlinie 2001/18/EG


Vorschriften:

GenTG § 17a
Richtlinie 2001/18/EG Art. 25
Zu den vertraulich zu behandelnden Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zählt im Gentechnikrecht nicht die "Beurteilung der vorhersehbaren Wirkungen, insbesondere schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt" im Sinne des § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG. Diese Regelung nimmt bei europarechtskonformer Auslegung nicht nur eine ergebnishafte, wertende Zusammenfassung der im Rahmen der Risikobewertung (Umweltverträglichkeitsprüfung) vorgelegten Unterlagen vom Geheimnisschutz aus, sondern auch das dem Prüfungsergebnis zugrunde gelegte Tatsachenmaterial (hier: die sogenannten Rohdaten einer Tierversuchsstudie).
Tatbestand:

Die Antragstellerin beabsichtigt, genveränderten Mais (MON 863) in das Bundesgebiet einzuführen. Im Rahmen des beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anhängigen Zulassungsverfahrens reichte sie zum Nachweis der gesundheitlichen Unbedenklichkeit des Konstrukts eine Tierversuchsstudie ein. Gestützt auf das Umweltinformationsgesetz beantragte der Beigeladene, eine Umweltschutzorganisation, bei dem Bundesamt, ihm Einsicht in die Studie zu gewähren. Das Bundesamt, das dem Antrag des Beigeladenen entsprechen will, entschied durch an die Antragstellerin gerichteten Bescheid, dass die Tierversuchsstudie nach § 17a GenTG nicht als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis vertraulich zu behandeln sei, und ordnete die sofortige Vollziehung dieses Bescheides an.

Das VG lehnte den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs ab. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Das Beschwerdevorbringen stellt den angefochtenen Beschluss des VG im Ergebnis nicht in Frage. Der Senat beschränkt sich insoweit nicht auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache. Gemäß Art. 19 Abs. 4 GG sind die Gerichte gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenn diese Versagung zu schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen führt, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14.5.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 (363 f.), vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69 (74 f.), und vom 25.2.2002 - 1 BvR 300/02 - , NJW 2002, 2225.

Die Voraussetzungen sind hier gegeben, weil sich die durch die sofortige Vollziehung des Bescheides entstehenden Folgen nach einem etwaigen Klageverfahren nicht rückgängig machen lassen. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitbefangenen Bescheides, durch den die Antragsgegnerin entschieden hat, die Studie nach § 17a GenTG nicht als vertraulich zu behandeln.

Ermächtigungsgrundlage für die behördliche Entscheidung über die Vertraulichkeit von Angaben, die ein Betreiber - das ist auch derjenige, der Produkte in Verkehr bringen will, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen (§ 3 Nr. 7 GenTG) - als vertraulich gekennzeichnet hat, ist § 17a Abs. 1 Satz 3 GenTG. Nach § 17a Abs. 1 Satz 1 GenTG sind Angaben, die ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis darstellen, vom Betreiber als vertraulich zu kennzeichnen. Darüber hinaus obliegt es ihm, begründet darzulegen, dass eine Verbreitung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ihm betrieblich oder geschäftlich schaden könnte (§ 17a Abs. 1 Satz 2 GenTG). Da das Gentechnikgesetz ebenso wie das Umweltinformationsgesetz (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 3 UIG) keine eigenständige Definition des Begriffs des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses enthält, liegt es nahe, an das vor allem im Wettbewerbsrecht geläufige Begriffsverständnis anzuknüpfen, dessen Voraussetzungen und Reichweite durch Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend geklärt sind.

Vgl. hierzu etwa OVG NRW, Beschluss vom 12.7.2004 - 13a D 43/04 -, LRE 48, 411; v. Danwitz, DVBl. 2005, 597 ff.

Der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gilt im Anwendungsbereich des Gentechnikrechts jedoch nur eingeschränkt. § 17a GenTG konkretisiert die Reichweite des Geheimnisschutzes für den Bereich des öffentlichen Rechts, insbesondere des Informationsrechts nach § 4 Abs. 1 UIG, indem bestimmte, in § 17a Abs. 2 GenTG bezeichnete Angaben und Unterlagen, die den wettbewerbsrechtlich geprägten Begriff des Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses erfüllen mögen, für den hier betroffenen Rechtsbereich aus dem Schutzbereich ausgenommen werden.

Zum Verhältnis von UIG und § 17a Abs. 2 GenTG: Schrader, in: Schomerus/Schrader/Wegener, UIG, § 8 Rn. 22; Moormann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 8 UIG, Rn. 10.

Die Antragstellerin wendet sich in erster Linie gegen die Annahme des VG, sie habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Kenntnis der Rattenfütterungsstudie ihren Konkurrenten ungerechtfertigt Vorteile bringen würde.

Soweit sie allgemein - ohne konkreten Bezug auf die im Rahmen der Studie erhobenen sog. Rohdaten, auf die sie ihr Geheimhaltungsinteresse beschränkt sieht - geltend macht, das VG nehme eine unzulässige Spekulation vor, wenn es meine, die Studie könne in anderen Genehmigungsverfahren bei ähnlichen Konstrukten keine Rolle spielen, stellt dieses Vorbringen die Richtigkeit der betreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss nicht in Frage. Die Antragstellerin ist der ihr obliegenden Pflicht nicht nachgekommen, im Sinne von § 17a Abs. 1 Satz 2 GenTG "begründet" darzulegen, auf welche Weise einem Wettbewerber, der ein anderes als das in der Studie untersuchte Konstrukt MON 863 auf den Markt bringen möchte, Vorteile aus der Kenntnis der Rohdaten erwachsen sollten. Die diesbezüglichen Ausführungen gehen nicht über die allgemeine Erkenntnis hinaus, dass in einem früheren Verfahren gesammelte Erfahrungen und Erkenntnisse bei zukünftigen Kontakten mit der Genehmigungsbehörde hilfreich sein können. Das allein reicht jedoch zur Begründung eines Betriebsgeheimnisses nicht aus. Welche weiter gehende Bedeutung den im Rahmen einer speziell auf das Produkt MON 863 bezogenen Studie gewonnenen Rohdaten in einem Genehmigungsverfahren bezüglich eines anderen Produkts konkret zukommen und welcher geschäftliche Schaden der Antragstellerin hieraus entstehen könnte, zeigt die Beschwerdeschrift insoweit nicht in einer Weise auf, die einer begründeten Darlegung im Sinne von § 17a Abs. 1 GenTG genügen würde. Dabei geht der Senat davon aus, dass die Anforderungen an eine begründete Darlegung des Geheimhaltungsbedürfnisses nicht überspannt werden dürfen. Es liegt auf der Hand, dass dem Betreiber nicht abverlangt werden kann, die möglichen Folgen einer Offenlegung der von ihm als vertraulich eingeschätzten Informationen so detailliert zu schildern, dass damit zugleich Rückschlüsse auf den Inhalt des jeweiligen Betriebsgeheimnisses ermöglicht werden. Andererseits ist dem unmissverständlichen Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen, dass der bloße - aus Sicht des Unternehmens ohne weiteres verständliche - Wunsch, Unterlagen und Angaben möglichst als vertraulich zu behandeln, um das stets abstrakt bestehende Risiko zu vermeiden, dass Dritte hierdurch oder in Zusammenhang mit sonstigen Informationen Einblicke gewinnen, nicht ausreicht, solange nicht die Kennzeichnung als vertraulich im Einzelfall nachvollziehbar begründet wird.

Der Senat lässt offen, ob die Antragstellerin mit ihren weiteren Ausführungen, wonach ein Wettbewerber die Studie im Rahmen eines Zulassungsverfahrens in einem Staat verwenden könnte, in dem das Konstrukt MON 863 (noch) nicht patentrechtlich geschützt ist, ein schützenswertes Interesse im Sinne von § 17a Abs. 1 Satz 2 GenTG begründet dargelegt hat. Es kann auch dahinstehen, ob aus den Regelungen über die Verwendung von Tierversuchsstudien im Verfahren eines Zweitanmelders (§ 17 GenTG), die allerdings wohl nur die Verwendung einer bereits vorliegenden Studie durch die Behörde, nicht deren Herausgabe an den Zweitanmelder, betreffen, vgl. zu der vergleichbaren Regelung in § 14 PflSchG: BGH, Urteil vom 6.5.1993 - III ZR 72/92 -, UPR 1993, 342, mit dem VG darauf geschlossen werden kann, dass für Tierversuchsstudien grundsätzlich kein absoluter Geheimnisschutz beansprucht werden kann.

Auf diese Fragen kommt es nicht an, weil die hier streitbefangene Rattenfütterungsstudie im Anwendungsbereich des Gentechnikrechts gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG keinen Schutz als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis genießt. Nicht unter das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis i.S.v. § 17a Abs. 1 GenTG fällt nach dieser Vorschrift die "Beurteilung der vorhersehbaren Wirkungen, insbesondere schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt". Dieser Ausschlusstatbestand erfasst entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht nur eine ergebnishafte, wertende Zusammenfassung der zum Nachweis der Umweltverträglichkeit (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 GenTG) vorgelegten Unterlagen, sondern darüber hinaus das dem Prüfungsergebnis zugrunde gelegte Tatsachenmaterial.

Dieses Verständnis des Begriffs der "Beurteilung" ist deshalb geboten, weil § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG nur bei dieser weiten Auslegung mit den Vorgaben der insoweit maßgeblichen Freisetzungsrichtlinie vom 12.3.2001, 2001/18/EG (Amtsblatt Nr. L 106, S. 1 ff.) in Einklang steht; eine solche europarechtskonforme Auslegung überschreitet auch nicht die Grenzen der unter Berücksichtigung von Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik möglichen Auslegung des § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG.

Nach Art. 25 Abs. 4 der Freisetzungsrichtlinie, die nach ihrem Art. 34 bis zum 17.10.2002 in nationales Recht umzusetzen war, aber bislang durch das Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts vom 21.12.2004 (BGBl. I 2005, S. 186) nur teilweise umgesetzt worden ist, können bestimmte, in einem Anmelde- oder Genehmigungsverfahren vorgelegte Informationen auf keinen Fall vertraulich behandelt werden. Dazu zählt insbesondere die nach dem 3. Spiegelstrich genannte "Umweltverträglichkeitsprüfung". Dieser Begriff ist in Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie definiert als "Bewertung der direkten oder indirekten, sofortigen oder späteren Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die mit der absichtlichen Freisetzung oder dem Inverkehrbringen von GVO (genetisch veränderten Organismen, Art. 2 Nr. 2), verbunden sein können und die gemäß Anhang II durchgeführt wird. Schon Abschnitt A des Anhangs II nennt neben der Evaluierung das Ermitteln der schädlichen Auswirkungen von GVO als (selbstständiges) Ziel der Umweltverträglichkeitsprüfung. Des Weiteren wird unter anderem das allgemeine Prinzip formuliert, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung in wissenschaftlich fundierter und transparenter Weise auf der Grundlage wissenschaftlicher und technischer Daten durchzuführen ist (Anhang II.B.). Nach detaillierten Vorgaben zur Methodik der Umweltverträglichkeitsprüfung (Anhang II.C.) gibt die Richtlinie schließlich vor, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung auch Schlussfolgerungen über die möglichen Auswirkungen der Freisetzung bzw. des Inverkehrbringens von GVO auf die Umwelt enthalten muss (Anhang II. D.). Diese Schlussfolgerungen sind demnach nur ein Teil der aus mehreren Teilen bestehenden Umweltverträglichkeitsprüfung. Eine Auslegung des § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG, nach der der Betreiber für die bei der Untersuchung der schädlichen Auswirkungen des jeweiligen gentechnisch veränderten Organismus entstehende Datensammlung Geheimnisschutz beanspruchen könnte und nur die Offenlegung eines abschließenden, wertenden Ergebnisses dulden müsste, stünde demnach nicht im Einklang mit der Freisetzungsrichtlinie.

Das Urteil des schwedischen Berufungsgerichts vom 10.11.2004 - Az. 2822-04 - , wonach nur Schlussfolgerungen und Wertungen, nicht jedoch der ihnen zugrunde liegende Sachverhalt von der Vertraulichkeit ausgenommen sein sollen, stellt die Richtigkeit der Auffassung des Senats nicht ernstlich in Frage. Die vorliegende - im Übrigen nach den unbestrittenen Angaben des Beigeladenen nicht rechtskräftige - Entscheidung des schwedischen Berufungsgerichts leitet ihre Auslegung der Richtlinie ausschließlich aus dem Wortlaut der englischen bzw. französischen Begriffe für "Umweltverträglichkeitsprüfung" her, ohne die weitere Konkretisierung, welche Verfahrensschritte und Unterlagen im Anwendungsbereich der Freisetzungsrichtlinie nach deren Inhalt unter dem Begriff der Umweltverträglichkeitsprüfung zusammen gefasst sind, in den Blick zu nehmen.

Auch die deutschen Gesetzgebungsorgane gehen ersichtlich davon aus, dass der Begriff der Umweltverträglichkeitsprüfung in einem umfassenden Sinn zu verstehen ist. Der Deutsche Bundestag hat am 18.3.2005 einen Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen, der u.a. - ebenso wie schon der insoweit im Vermittlungsverfahren gescheiterte Gesetzentwurf der Bundesregierung für das Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts vom 21.12.2004 (BT-Drs. 15/3988) - eine Ergänzung des § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG vorsieht; danach sollen dem Wort "Beurteilung" die Wörter "Risikobewertung oder" vorangestellt werden.

Vgl. BT-Drs. 15/4834, S. 6; BR-Drs. 189/05.

Diese Änderung soll eine "redaktionelle Anpassung" an Art. 25 Abs. 4, 3. Spiegelstrich der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG bewirken, wobei der in der Richtlinie verwendete Begriff "Umweltverträglichkeitsprüfung" an die deutsche Terminologie ("Risikobewertung") angepasst wurde. Unter der Risikobewertung ist nach der Legaldefinition in § 6 Abs. 1 GenTG die umfassende Bewertung der insbesondere mit dem Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen verbundenen Risiken für die in § 1 Nr. 1 GenTG genannten Rechtsgüter zu verstehen, die ein Betreiber "vorher" vorzunehmen und der zuständigen Behörde einzureichen hat. Der Begriff "bewerten" lässt ebenso wie der Begriff "beurteilen" verschiedene Auslegungen zu. Aus Sinn und Zweck der vom Betreiber nach § 6 GenTG zu erstellenden Risikobewertung folgt indessen, dass hierunter auch die - mit naturwissenschaftlichen und/ oder technischen Mitteln erfolgende - Ermittlung der Risiken gentechnischer Vorhaben zu verstehen ist, ohne die eine Bewertung nicht möglich ist. Der Begriff des Bewertens i.S.v. § 6 GenTG umfasst danach die Ermittlung und Beschreibung der Grundlagen, auf denen die Risikobewertung beruht (Tatsachenbasis), den Bewertungsvorgang (mit Offenlegung der Bewertungsmethoden) sowie die Feststellung des Bewertungsergebnisses. Denn erst auf dieser Grundlage kann die Behörde die Risikoermittlung und -bewertung nachvollziehen.

Vgl. Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 GenTG, Rn. 35 und 45.

Auch wenn das Gesetzgebungsverfahren betreffend das Zweite Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts derzeit noch nicht abgeschlossen ist - wiederum ist der Vermittlungsausschuss angerufen worden -, bleibt doch festzustellen, dass die Änderung des § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG weder in diesem noch in dem vorangegangenen Gesetzgebungsverfahren in Streit stand, und dass die beteiligten Organe offenkundig davon ausgehen, dass die Einfügung des Wortes Risikobewertung keine inhaltliche Änderung des nationalen Rechts, sondern lediglich eine sprachliche Anpassung bedeutet.

Die aufgezeigte europarechtskonforme Auslegung des § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG in der derzeit geltenden Fassung, wonach bereits die darin genannte "Beurteilung" die vollständigen zur Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. Risikobewertung vorzulegenden Unterlagen erfasst, ist mit Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik des geltenden Rechts vereinbar.

Der Wortlaut lässt durchaus eine weite Auslegung zu, wenn er sie auch nicht zwingend gebieten mag. Eine weite Auslegung des § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG ist auch aus Gründen der Gesetzessystematik nicht ausgeschlossen. Denn auch die in § 17a Abs. 2 Nr. 4 GenTG (Sicherheitsstufe und Sicherheitsmaßnahmen) und § 17a Abs. 2 Nr. 5 GenTG (Methoden und Pläne zur Überwachung der gentechnisch veränderten Organismen und für Notfallmaßnahmen) geregelten Ausschlusstatbestände führen dazu, dass der Betreiber die Offenlegung von Art und Inhalt der Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen, mithin durchaus sensibler Informationen über seinen Betrieb, dulden muss. Zudem dürften die nach § 17a Abs. 2 Nr. 4 und 5 GenTG nicht als Betriebsgeheimnisse geschützten Sicherheits- und Überwachungspläne häufig in nahem, wenn nicht gar oft untrennbarem Zusammenhang mit den in § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG genannten schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt stehen.

Vor diesem Hintergrund hält der Senat den von der Antragstellerin angesprochenen Widerspruch zwischen dem so verstandenen § 17a Abs. 2 GenTG und § 17a Abs. 3 GenTG nicht für unüberwindbar. § 17a Abs. 3 GenTG verpflichtet die Behörde, im Rahmen eines Anhörungsverfahrens nach § 18 GenTG nach Möglichkeit von der Preisgabe vertraulicher Daten abzusehen, wenn sie die in das Anhörungsverfahren von Amts wegen einzubringenden Unterlagen zusammenstellt. Die Bestimmung ist ersichtlich vergleichbaren Regelungen des nationalen Rechts über förmliche Genehmigungsverfahren nachgebildet. § 17a Abs. 2 GenTG hingegen wurde erst später im Zuge des Ersten Änderungsgesetzes zum Gentechnikgesetz gerade im Hinblick auf die bevorstehende Einführung eines gesetzlichen Umweltinformationsanspruches Dritter eingeführt.

Vgl. BT-Drs. 12/5145, S. 15.

Daher liegt die Annahme nahe, dass die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben hinsichtlich des Umweltinformationsanspruchs die ältere nationale Regelung, die auf einen stärkeren Schutz der Vertraulichkeit zielt, teilweise überlagert.

Die von der Antragstellerin aufgeworfenen europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die ihr im Anwendungsbereich des Gentechnikrechts auferlegte Pflicht, die Offenlegung der hier in Rede stehenden Daten zu dulden, teilt der Senat nicht. Die Einschätzung der Antragstellerin, es überschreite die Grenze einer Inhaltsbestimmung des Eigentums, wenn die Privatnützigkeit des eigentumsrechtlich geschützten Rechtsgutes aufgehoben werde, damit gewissermaßen ein Popularmisstrauen Raum greifen könne, ist unbegründet.

Ungeachtet der Frage, ob die Antragstellerin sich mit Blick auf Art. 19 Abs. 3 GG überhaupt auf Grundrechte berufen kann, ist im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG davon auszugehen, dass Vorschriften des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich nicht der Überprüfung am Maßstab der nationalen Grundrechtsbestimmungen unterliegen, solange nicht ersichtlich ist, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH nach Ergehen der sogenannten Solange II-Entscheidung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken ist.

Vgl. BVerfG, Urteile vom 22.10.1986 - 2 BvR 197/83 -, BVerfGE 73, 339 (Solange II) vom 12.10.1993 - 2 BvR 2134 und 2159/92 -, BVerfGE 89, 155 (Maastricht), Beschluss vom 7.6.2000 - 2 BvL 1/97 -, BVerfGE 102, 147.

Das schließt es aus, einer nationalen Rechtsvorschrift, die lediglich eine rechtsgültige gemeinschaftsrechtliche Bestimmung umsetzt, unter Berufung auf nationale Grundrechte die Gültigkeit abzusprechen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.2.1999 - 3 C 10.98 -, BVerwGE 108, 289.

Nichts anderes kann gelten, wenn eine Norm des nationalen Rechts im Einklang mit einer EG-Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist europarechtskonform ausgelegt wird.

Erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der hier in Rede stehenden Vorgaben der Freisetzungsrichtlinie bestehen nicht. Anhaltspunkte dafür, dass die auf europäischem Sekundärrecht beruhende Offenlegung der Rattenfütterungsstudie mit dem europäischen Primärrecht, insbesondere mit der gemeinschaftsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums und der Berufsfreiheit, unvereinbar wäre oder gegen das gemeinschaftsrechtliche Übermaßverbot verstieße, sind nicht ersichtlich. Entsprechendes gilt im Übrigen mit Blick auf die vor der Antragstellerin angeführten grundrechtlichen Gewährleistungen.

Es ist nicht ersichtlich, dass durch die Offenlegung der tatsächlichen Grundlagen, auf denen eine Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. eine Risikobewertung beruht, die Privatnützigkeit des Eigentums aufgehoben würde. Da die Umweltverträglichkeit jeweils bezogen auf den konkreten Sachverhalt - das bestimmte gentechnisch veränderte Produkt und die konkrete anmeldungs- bzw. genehmigungsbedürftige Handlung - geprüft wird, bleibt die Privatnützigkeit der Untersuchungsergebnisse grundsätzlich gewahrt, weil sie auf andere Sachverhalte nicht übertragbar sind. Die speziellen Vorschriften des Gentechnikrechts über die Vertraulichkeit von Unterlagen zielen nicht auf die Offenlegung eines Produktionsgeheimnisses, das das Know-how eines Unternehmens, und damit sein - auch wirtschaftlich werthaltiges - geistiges Eigentum verkörpert. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation maßgeblich von dem von der Antragstellerin in Bezug genommenen Fall der Futtermitteletikettierung,

hierzu: Bay. VGH, Beschluss vom 3.9.2004 - 19 CE 04.1973 -, BayVBl. 2005, 280, in dem die sekundärrechtlich vorgeschriebene Angabe der Futtermittelbestandteile und der jeweiligen Gewichtsanteile letztlich eine Offenlegung des Produktionsgeheimnisses erfordert.

Die Beschränkung von Freiheitsrechten durch § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG bzw. Art. 25 Abs. 3 der EG-Richtlinie 2001/18/EG ist auch zur Erreichung wichtiger im Gemeinschaftsrecht - und im Übrigen auch im Grundgesetz (vgl. Art. 20a GG) - verankerter Ziele gerechtfertigt. Dabei geht es ersichtlich nicht um ein allgemeines Misstrauen gegen behördliche Entscheidungen. Die Regelungen der Richtlinie beruhen vielmehr auf der grundsätzlichen Erkenntnis, dass lebende Organismen, die in großen oder kleinen Mengen zu experimentellen Zwecken oder in Form vom kommerziellen Produkten in die Umwelt freigesetzt werden, sich in der Umwelt fortpflanzen und sich über die Landesgrenzen hinaus ausbreiten können, wodurch andere Mitgliedstaaten in Mitleidenschaft gezogen werden können, und dass die Auswirkungen solcher Freisetzungen unumkehrbar sein können.

Vgl. Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2001/18/EG.

Die weitgehenden Einschränkungen der Vertraulichkeit von Unterlagen stellen ersichtlich einen gewissen Ausgleich dafür dar, dass der Kreis der von einer geplanten Freisetzung individuell Betroffenen nicht oder kaum bestimmbar ist. Zugleich dient die Freisetzungsrichtlinie einschließlich der darin enthaltenen Informationspflichten angesichts des als hoch eingeschätzten Gefahrenpotentials der Schärfung des Umweltbewusstseins und der Effektuierung der von den Mitgliedstaaten umzusetzenden Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften.

Vgl. zum Umweltinformationsanspruch nach § 4 UIG: BVerwG, Urteil vom 25.3.1999 - 7 C 21.98 -, BVerwGE 108, 369.

Die Umstände des vorliegenden Falles lassen die Offenlegung der tatsächlichen Grundlage der Rattenfütterungsstudie auch im Einzelfall nicht als unverhältnismäßig erscheinen. Der Kernbereich des geistigen Eigentums der Antragstellerin ist durch die Offenlegung der Daten nicht erkennbar berührt, zumal diese die aus ihrer Sicht wesentlichen Ergebnisse der Studie bereits zugänglich gemacht hat. Überdies steht hier nicht in Streit, dass die Methodik der Tierversuchsstudie kein schützenswertes Betriebsgeheimnis darstellt, weil die Studie nach allgemein üblichen, von der OECD vorgegebenen Regeln durchgeführt wurde. Die Offenlegung der Rohdaten einer Tierversuchsstudie berührt danach lediglich einen Randbereich der geschützten Grundfreiheiten. Da diese Rohdaten nach dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten keinen Rückschluss auf die konkrete Beschaffenheit des gentechnisch veränderten Organismus ermöglichen, könnte die Kenntnis der vollständigen Studie einem Konkurrenten allenfalls einen gewissen finanziellen und zeitlichen Vorteil verschaffen. Die Gefahr, dass Dritte den von der Antragstellerin bzw. ihrer Muttergesellschaft entwickelten Mais in einem Land, in dem ein patentrechtlicher Schutz fehlt, anbaut, kann durch die Zurückhaltung der Studie letztlich nicht abgewendet werden.

Auch insoweit sieht der Senat trotz des Hinweises der Antragstellerin auf die Ausführungen des schwedischen Berufungsgerichts keine Zweifel an der Richtigkeit seiner Einschätzung. In jener Entscheidung heißt es zwar, ein Wettbewerber könne Vorteile dadurch erlangen, dass er vergleichbare Produkte entwickele, die mit den Produkten der Antragstellerin konkurrieren könnten. Diese Aussage ist jedoch ebenso allgemein gehalten wie die diesbezüglichen Ausführungen der Antragstellerin. Einen konkreten Zusammenhang, wie das im Rahmen einer konkreten Umweltverträglichkeitsprüfung ermittelte Datenmaterial einem Wettbewerber nützen sollte, wenn sich aus den Daten keine weiter gehenden Hinweise auf Produktionsgeheimnisse ergeben, zeigt die schwedische Entscheidung nicht auf.

Ausgehend von dem oben dargelegten Begriffsverständnis der "Beurteilung" im Sinne von § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG ist der angefochtene Bescheid vom 19.3.2005 keinen durchgreifenden rechtlichen Zweifeln ausgesetzt. Das bei der Studie gewonnene Datenmaterial ist nicht als Betriebsgeheimnis vertraulich zu behandeln. Es bildet die Tatsachenbasis für die Bewertung bzw. Beurteilung der Antragstellerin, dass von dem genveränderten Maiskonstrukt MON 863 keine unvertretbaren schädlichen Einwirkungen auf die in § 1 Nr. 1 GenTG bezeichneten Rechtsgüter, insbesondere Leben und Gesundheit von Menschen und Tieren, ausgehen.

Die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheides ist im Hinblick auf das überwiegende private Interesse des Beigeladenen an der Informationsgewährung, die aufgrund der im Übrigen positiven Entscheidung der Antragsgegnerin allein von der Vollziehbarkeit des streitbefangenen Bescheides abhängt, gerechtfertigt.

Die Interessenabwägung muss nicht deshalb zugunsten der Antragstellerin ausfallen, weil sie bereits den 19-seitigen Bericht vom 24.5.2004 offen gelegt hat. Der Senat schließt allerdings jedenfalls für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit Blick auf die in § 17a GenTG angelegte Abwägung zwischen den gegenläufigen Geheimhaltungsinteressen und Informationsinteressen sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht aus, dass der Betreiber durch Vorlage einer Zusammenfassung, die dem Zweck des § 17a Abs. 2 GenTG hinreichend Rechnung trägt, die Offenlegung der gesamten Betriebsgeheimnisse i.S.v. § 17a Abs. 1 GenTG enthaltenden Untersuchungsunterlagen abwenden kann. Die Antragstellerin hat indessen nicht dargelegt, dass die wissenschaftliche und methodische Korrektheit der Studie und deren Plausibilität aufgrund des als "Supplemental Analysis of Selected Findings on the Rat 90-Dy Feeding Study with MON 863 Maize Report MSL 18175" bezeichneten Schriftstücks vom 24.5.2004 bereits hinreichend beurteilt werden könnte. Sie ist den insoweit von der Beigeladenen geltend gemachten Bedenken nicht mit stichhaltigen und überzeugenden Gründen entgegen getreten. Auch nach Auffassung des Senats versetzen die in dem Schriftstück enthaltenen Informationen den Leser nicht in die Lage, Art und Wahrscheinlichkeit der im Falle des Inverkehrbringens der gentechnisch veränderten Maissorte MON 863 zu erwartenden schädlichen Einwirkungen hinreichend beurteilen zu können. Dagegen spricht bereits, dass es sich ausweislich der Ausführungen auf Seite 1 um eine ergänzende Stellungnahme handelt, die als Reaktion auf die von der französischen Commission du Génie Biomoléculaire geltend gemachten Bedenken erstellt wurde, um darzulegen, wie die Antragstellerin die Ergebnisse der Studie, darunter von ihr selbst als statistisch signifikant bezeichnete, während der insgesamt über 13 Wochen erfolgten Fütterung mit dem Produkt aufgetretene Veränderungen von Blutwerten und organischen Befunden bei einigen der Versuchstiere, interpretiert bzw. aufgrund welcher Überlegungen sie zu der Schlussfolgerung gelangt, dass diese Befunde nicht auf der Verabreichung des gentechnisch veränderten Mais enthaltenden Futters beruhen. Es handelt sich mithin eher um eine Verteidigungsschrift als um einen wissenschaftlichen Bericht. Die Analyse weckt vielmehr ein Bedürfnis nach weitergehenden Informationen, um das Prüfungsergebnis plausibel und die vorgenommene Risikobewertung transparent werden zu lassen.

Auch wenn durch die Offenlegung der Rattenfütterungsstudie die Hauptsache vorweggenommen wird und die hierdurch dem Beigeladenen vermittelten Erkenntnisse nicht mehr rückholbar sind, rechtfertigt dies im vorliegenden Fall nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt, dass ihr durch das Bekanntwerden der Rohdaten mit ernstlicher Wahrscheinlichkeit gravierende wirtschaftliche Nachteile entstehen werden.

Demgegenüber würde die Hauptsache zu Lasten des Beigeladenen weitgehend - wenn nicht im Rechtssinne, so doch immerhin faktisch - vorweggenommen, wenn die Informationsgewährung auf die Zeit nach Durchführung und rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens verlagert würde. Nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten stehen die abschließenden Beratungen der europäischen Organe, deren Entscheidungen nach Maßgabe der Bestimmungen der auf § 16 GenTG beruhenden Gentechnik-Beteiligungsverordnung für die Antragsgegnerin bindend sind, in Kürze, möglicherweise noch im laufenden Monat, bevor. Eine Stellungnahme, etwa durch Aufzeigen etwaiger wissenschaftlicher oder methodischer Defizite der Studie, kann sinnvollerweise nur im gegenwärtig laufenden Entscheidungsprozess, hingegen voraussichtlich nicht mehr zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt erfolgen.

Die Wertung, dass Informationen mit zunehmendem zeitlichen Abstand an Bedeutung verlieren, ist im Übrigen in den gesetzlichen Fristenregelungen zum Ausdruck gekommen, die eine Behörde verpflichten, über einen Informationsanspruch zeitnah zu entscheiden (§ 5 UIG). Den Beigeladenen entsprechend den Ausführungen der Antragstellerin darauf zu verweisen, den fachlichen Entscheidungen der zuständigen Behörden zu vertrauen, würde bedeuten, diesem effektiven Rechtsschutz in Bezug auf die Wahrnehmung seines ebenfalls gesetzlich begründeten Informationsanspruchs zu verwehren.

Ende der Entscheidung

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