Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 26.08.2009
Aktenzeichen: 8 E 1044/09
Rechtsgebiete: IFG NRW, GVG, VwGO, FGO


Vorschriften:

IFG NRW § 4 Abs. 1
IFG NRW § 4 Abs. 2
GVG § 17 Abs. 2
GVG § 17a Abs. 2 Satz 1
VwGO § 40 Abs. 1 Satz 1
FGO § 33 Abs. 1
FGO § 33 Abs. 2
1. Eine Verweisung des Rechtsstreits ist nur dann geboten und zulässig, wenn der beschrittene Rechtsweg schlechthin, d. h. für den Klageanspruch mit allen in Betracht kommenden Klagegründen, unzulässig ist (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 15.12.1992 - 5 B 144.91 -, NVwZ 1993, 358 <359>).

2. Es ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, ob § 30 AO (Steuergeheimnis) eine bereichsspezifische Ausschlussregelung gegenüber einem auf § 4 Abs. 1 IFG NRW gestützten Auskunftsbegehren darstellt.


Gründe:

I.

Der Kläger bat - ausdrücklich in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter - den Beklagten um Zusendung näher bezeichneter Speicherkontenauszüge "zur vollständigen Aufarbeitung der wirtschaftlichen und der steuerlichen Verhältnisse" seiner Mandantin. Sein Begehren stützte er auf einen steuer- und zivilrechtlichen Anspruch sowie - unter Bezugnahme auf den Insolvenzverwalter betreffenden Beschluss des beschließenden Senats vom 28.7.2008 (8 A 1548/07, ZIP 2008, 1542) - auf einen Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (IFG NRW). Der Beklagte lehnte die Übersendung mit Schreiben vom 20.11.2008 unter Hinweis auf § 5 Abs. 4 IFG NRW ab: Der Insolvenzschuldnerin seien die Informationen bereits in Form von Bescheiden und Buchungsmitteilungen zur Verfügung gestellt worden; von dieser könne der Kläger sich die Informationen beschaffen.

Mit seiner am 23.5.2009 beim VG eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein auf Übersendung der Jahreskontenauszüge gerichtetes Begehren weiter; er stützt die Klage ausschließlich auf das Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen. Das VG hat den Rechtsstreit gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 a Abs. 2 GVG an das FG verwiesen, nachdem der Beklagte - auf ein entsprechendes gerichtliches Hinweisschreiben hin - eine Verweisung befürwortet hat. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Die Verweisung verstößt gegen § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach spricht das Gericht, falls der der beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Die Regelung verfolgt den Zweck, die Rechtswegfrage im Interesse der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens sowie zur Kostenersparnis bereits im erstinstanzlichen Verfahren im Wege der Vorabentscheidung abschließend prüfen zu lassen. Nach Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift ist eine Verweisung nur dann geboten und zulässig, wenn der beschrittene Rechtsweg schlechthin, d. h. für den Klageanspruch mit allen in Betracht kommenden Klagegründen, unzulässig ist. Ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist, ist auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen. Dabei steht der Umstand, dass der Kläger sich auf eine materielle Anspruchsgrundlage beruft, für die der beschrittene Rechtsweg zulässig wäre, einer Verweisung dann nicht entgegen, wenn diese Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts so offensichtlich nicht gegeben sein kann, dass kein Bedürfnis dafür besteht, die Klage insoweit mit Rechtskraftwirkung abzuweisen.

BVerwG, Beschluss vom 15.12.1992 - 5 B 144.91 -, NVwZ 1993, 358 (359).

Hiervon ausgehend durfte das VG den Rechtsstreit nicht gem. § 17 a Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 40 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz VwGO i.V.m. § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO an das FG verweisen. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch aus dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen ist - in Übereinstimmung mit dem VG - als eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (nichtverfassungsrechtlicher Art) im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu qualifizieren; die geltend gemachte Anspruchsgrundlage ist auch nicht offensichtlich ausgeschlossen (1). Ob der Rechtsstreit zugleich "Abgabenangelegenheiten" im Sinne des § 33 Abs. 2 FGO betrifft, kann deshalb im Rahmen des Beschwerdeverfahrens offen bleiben. Sollten rechtswegfremde Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen, hätte das VG über diese gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG mitzuentscheiden (2).

1. Der Kläger stützt den mit der Klage geltend gemachten Auskunftsanspruch - allein - auf das Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen. Dass der in § 4 Abs. 1 IFG NRW geregelte Auskunftsanspruch - unabhängig davon, ob der jeweilige Beklagte tatsächlich ein Träger staatlicher Gewalt ist - grundsätzlich eine dem öffentlichen Recht zuzuordnende Anspruchsgrundlage darstellt, weil diese Vorschrift eine einseitige Verpflichtung von Trägern staatlicher Gewalt begründet, hat der Senat bereits entschieden; auf diese Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

OVG NRW, Beschluss vom 8.6.2005 - 8 E 283/05 -, OVGE MüLü 50, 136 = NWVBl. 2006, 295 f.

Die geltend gemachte Anspruchsgrundlage ist im konkreten Fall auch nicht offensichtlich ausgeschlossen.

a) Dass das Insolvenzrecht einen Informationszugangsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz auch dann nicht ausschließt, wenn der Anspruch von einem Insolvenzverwalter geltend gemacht wird, hat der Senat ebenfalls bereits entschieden.

OVG NRW, Beschluss vom 28.7.2008 - 8 A 1548/07 -, NWVBl. 2008, 59 f.; vgl. auch VG Hamb., Urteil vom 23.4.2009 - 19 K 4199/07 -, juris.

b) Es liegt auch nicht ohne Weiteres auf der Hand, dass die Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes durch die Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW gesperrt wird. Nach dieser Vorschrift tritt das Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zurück, soweit besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht bestehen. Insoweit sind nur solche Vorschriften als vorrangig in Betracht zu ziehen, die denselben Sachverhalt abschließend - sei es identisch, sei es abweichend - regeln. Konkurrenzfragen sind in jedem konkreten Einzelfall durch eine systematische, an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung der jeweiligen Informationszugangsrechte zu klären.

Vgl. genauer OVG NRW, Urteil vom 9.11.2006 - 8 A 1679/04 -, GewArch 2007, 213 ff. und Beschlüsse vom 31.1.2005 - 21 E 1487/04 -, DÖV 2005, 832 = NJW 2005, 2028 = NWVBl. 2006, 296, sowie vom 19.6.2002 - 21 B 589/02 -, NVwZ-RR 2003, 800 = NWVBl. 2002, 441; Partsch/Schurig, DÖV 2003, 482 (485).

Dass die Akteneinsichtsrechte von Beteiligten im Verwaltungsverfahren nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes bzw. des Landes (§ 29 VwVfG) und im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren (§ 25 SGB X) keine besonderen, ein Akteneinsichtsrecht auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes NRW ausschließenden Rechtsvorschriften im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW enthalten, ist in der Rechtsprechung des beschließenden Senats bereits geklärt. Im Unterschied zu dem Anspruch nach § 4 Abs. 1 IFG NRW, der allen natürlichen Personen unterschiedslos und ohne das Anknüpfen an bestimmte Bedingungen vom Grundsatz her einen allgemeinen Zugangsanspruch einräumt, gewähren die genannten Bestimmungen nämlich ein Akteneinsichtsrecht nur für bestimmte Personen (Beteiligte) und nur für bestimmte Situationen. Ihnen kommt auch keine abschließende Wirkung zu, da sich nicht feststellen lässt, dass ein über diesen Bereich hinausgehender umfassender Informationsanspruch dem Schutzzweck des § 29 VwVfG Bund/NRW bzw. des § 25 SGB X zuwider laufen würde.

OVG NRW, Beschluss vom 31.1.2005 - 21 E 1487/04 -, DÖV 2005, 832 (833).

Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Rechtsprechung wird auch in dem hier in Betracht kommenden § 30 AO (Steuergeheimnis) keine bereichsspezifische Ausschlussregelung gesehen. Die Regelung betreffe nur das Verhältnis des Amtsträgers zur Information sowie deren Offenbarung durch den Amtsträger.

Liedtke, NVWBl. 2006, 286 (289) m.w.N.

Abgesehen von der genannten Regelung zum Steuergeheimnis enthält die Abgabenordnung keine Vorschrift zum Akteneinsichtsrecht. Gerade aus dieser Nichtregelung folgert das FG Münster das Vorliegen einer bereichsspezifischen Ausschlussregelung i. S. d. § 4 Abs. 2 IFG NRW: In der fehlenden Statuierung eines Anspruchs des Steuerpflichtigen auf Einsichtnahme in die Steuerakten der Finanzverwaltung liege ein erkennbarer, absichtsvoller Regelungsverzicht des nach Art. 108 Abs. 5 Satz 1 GG für den Erlass der Abgabenordnung zuständigen Bundesgesetzgebers. Mit dem Regelungsverzicht habe er die ihm eingeräumte Regelungskompetenz zur Schaffung abschließender Regelungen für Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte im Bereich der Abgabenordnung ausgenutzt. Diese abschließende Entscheidung des Bundesgesetzgebers könne nach Art. 31 GG durch ein Landesgesetz weder geändert noch ergänzt werden.

FG Münster, Urteil vom 20.11.2003 - 12 K 6405/02 S -, juris, unter Bezugnahme auf BFH, Beschluss vom 4.6.2003 - VII B 138/01 -, BFHE 202, 231 = NVwZ 2004, 382; kritisch zur Rechtsprechung des BFH Fluck/Merenyi, VerwArch 97 (2006), 381 (395 f.).

Ausgehend von dem dargestellten Streitstand ist nicht von vorneherein unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen, dass der Nichtregelung des allgemeinen Auskunftsrechts für Beteiligte in der Abgabenordnung in Bezug auf § 4 IFG NRW keine abschließende Wirkung zukommt.

2. Das VG durfte den Rechtsstreit selbst dann nicht an das FG verweisen, wenn das Verfahren zugleich eine Abgabenangelegenheit i. S. d. § 33 Abs. 2 FGO darstellt (a), denn infolge der Regelung des § 17 Abs. 2 GVG ist das zuerst angerufene Gericht zuständig, sofern seine Zuständigkeit für zumindest einen Klagegrund gegeben ist (b).

a) Unter Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten zu verstehen (§ 33 Abs. 2 FGO). Da es dem Kläger um die Einsichtnahme in (ältere) Steuerakten seiner Mandatin geht, spricht hier einiges für die Annahme (zumindest auch) einer finanzgerichtlichen Streitigkeit.

Vgl. zur grundsätzlichen oder ausschließlichen Anwendbarkeit des § 33 Abs. 2 FGO auf Akteneinsichtsgesuche: FG Münster, Urteil vom 20.11.2003 - 12 K 6405/02 S -, juris (ohne nähere Erl.), sowie Urteil vom 5.11.2002 - 1 K 7155/00 S -, juris (abdrängende "Spezialzuständigkeit der Finanzgerichte"); FG Cottbus, Beschluss vom 20.4.2005 - 1 K 250/05 -, juris (Verneinung des Finanzrechtswegs bei Antrag auf Akteneinsicht "aus vollends außersteuerlichen Gründen"); Seer, in: Tipke/Kruse, Kommentar zu AO, Loseblattausgabe, Stand: Mai 2009, § 33 Rnrn. 24 ff.; für eine ausschließliche Zuständigkeit der VG: Liedtke, NWBl. 2006, 286 (290); Schoch, Kommentar zum IFG (Bund), 2009, § 9 Rn. 68.

b) Bei sogenannten "gemischten Rechtsverhältnissen", bei denen - wie hier - ein prozessualer Anspruch auf mehrere materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt werden kann, ist regelmäßig das zuerst angerufene Gericht zuständig. Dies liegt in der Konsequenz des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, demzufolge das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Angesichts dieses Wortlauts besteht keinerlei Notwendigkeit, nach einem ausschließlich oder vorrangig zulässigen Rechtsweg, etwa durch das - ohnehin recht unbestimmte - Kriterium des "Schwerpunkts des Rechtsstreits" zu suchen. Das Wahlrecht des Klägers wird lediglich dadurch eingeschränkt, dass sich der Rechtsweg nicht nach offensichtlich nicht einschlägigen Rechtsgrundlagen richtet (s.o.).

Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO-Kommentar, 2. Aufl. 2005, § 17 GVG Rnrn. 32 f.; Wittschier, in: Musielak, Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2008, § 17 GVG Rnrn. 6 ff.; ausführlich zu Sinn und Zweck von § 17 Abs. 2 GVG: BGH, Beschluss vom 10.12.2002 - X ARZ 208/02 -, NJW 2003, 828 (829 f.).

Ende der Entscheidung

Zurück