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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 28.03.2003
Aktenzeichen: 9 A 1299/96
Rechtsgebiete: AbwAG 1991, WHG 1987


Vorschriften:

AbwAG 1991 § 9 Abs. 5
WHG 1987 § 7a Abs. 1
1. Ein Anspruch auf Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 Satz 1 bzw. Satz 4 i.V.m. Satz 1 AbwAG 1991 setzt die Existenz von Verwaltungsvorschriften i.S.d. § 7a Abs. 1 WHG 1987 bzw. sonst allgemein anerkannten Regeln der Technik bezogen auf den maßgebenden Schadstoffparameter voraus (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, vgl. Urteil vom 30.8.2001 - 9 A 3726/96 -, KStZ 2002, 169 = ZfW 2002, 254 = NuR 2003, 46).

2. Diese Regeln müssen sich bei einem aus mehreren Teilströmen zusammengesetzten Abwasserstrom auf diesen beziehen. Das Vorhandensein allgemein anerkannter Regeln der Technik im Hinblick auf einzelne Teilströme genügt nicht.


Tatbestand:

Die Klägerin, ein Chemieunternehmen, leitete 1991 mit wasserrechtlicher Erlaubnis, die u.a. die Festsetzung eines Überwachungswertes für den Schadstoffparameter Quecksilber (Hg) von 1 µg/l in der 2 h-Mischprobe (Konzentration) und 50 g/2 h (Fracht) enthielt, über Auslässe von Mischkanälen für Schmutz- und Niederschlagswasser Abwasser - Kühlwasser und z.T. dezentral vorbehandeltes, anorganisch belastetes Abwasser - in den Rhein ein. Bei einer Probenahme am 11.11.1991 wurden für den Parameter Hg Werte von 12,57 ?g/l und 570,17 g/2 h festgestellt.

Unter Berücksichtigung dieser Werte und Zugrundelegung des vollen Abgabesatzes setzte der Beklagte die Abwasserabgabe für das Einleiten von Schmutzwasser für das Veranlagungsjahr 1991 fest.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, die das VG abwies. Die Berufung wurde zurückgewiesen.

Gründe:

Der Beklagte hat der Klägerin die begehrte Ermäßigung des Abgabesatzes für den Parameter Hg für das Jahr 1991 rechtmäßig versagt. ...

§ 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1991 ist, worauf schon das VG zutreffend hingewiesen hat, nicht unmittelbar anwendbar. 1991 existierten für das hier eingeleitete Abwasser und den maßgeblichen Parameter Hg keine einschlägigen Verwaltungsvorschriften nach § 7a Abs. 1 WHG (wird ausgeführt).

Eine Abgabesatzermäßigung nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1991 kommt auch nicht im Wege einer entsprechenden Anwendung über § 9 Abs. 5 Satz 4 AbwAG 1991 in Betracht. Bei der verweisenden Regelung des § 9 Abs. 5 Satz 4 AbwAG 1991 handelt es sich nicht nur um eine Rechtsfolgenverweisung, sondern um eine Rechtsgrundverweisung mit der Folge, dass der Abgabesatz nur ermäßigt wird, wenn die Einleitung der Schadstoffe auch den übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1991 entspricht. Dabei treten an die Stelle der "allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 7a Abs. 1 WHG" in § 9 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AbwAG 1991 die - anderweitig zu ermittelnden - allgemein anerkannten Regeln der Technik.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.1998 - 8 C 30.96 -, NVwZ 1999, 1116; Berendes, AbwAG, 3. Aufl. 1995, S. 143 und 145 (zu § 9 Abs. 5).

Voraussetzung ist danach in jedem Fall, dass im Veranlagungszeitraum (sonstige) allgemein anerkannte Regeln der Technik - sei es in Form bestimmter Grenzwerte, sei es in Gestalt bestimmter Verfahren - im Hinblick auf die Verminderung des jeweiligen Schadstoffes existieren.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.1998, a.a.O.; ferner: OVG NRW, Urteil vom 30.8.2001 - 9 A 3726/96 -, KStZ 2002, 169 = ZfW 2002, 254 = NuR 2003, 46 (bezogen auf den Schadstoff AOX in kommunalem Abwasser sowie das AbwAG 1989), bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 20.2.2002 - 9 B 87.01 -.

Das trifft vorliegend nicht zu. Für den hier streitigen Schadstoff Hg gab es 1991 keine allgemein anerkannten Regeln der Technik, die für Mischwasser der von der Klägerin in den Rhein eingeleiteten Art galten. Auf dieses Mischwasser als das eingeleitete Abwasser ist abzustellen; demgegenüber ist irrelevant, ob allgemein anerkannte Regeln der Technik für einzelne Teilströme des eingeleiteten Abwassers vorhanden (und eingehalten) sind.

Letzteres folgt zunächst daraus, dass das Abwasserabgabengesetz 1991 sich generell auf Abwasser bezieht, das in ein Gewässer eingeleitet wird. Die Abwasserabgabe wird für das Einleiten von Abwasser entrichtet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AbwAG 1991). Abgabepflichtig ist derjenige, der das Abwasser einleitet (§ 9 Abs. 1 AbwAG 1991). Einleiten bedeutet nach der Definition des Gesetzes das "unmittelbare" Verbringen in ein Gewässer (§ 2 Abs. 2 AbwAG 1991). Die Höhe der Abgabe richtet sich grundsätzlich nach der in Schadeinheiten bestimmten Schädlichkeit des Abwassers (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG 1991). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AbwAG 1991 errechnet sich die der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legende Schadstofffracht nach den Festlegungen des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheides. Dieser Regelungszusammenhang macht die Abhängigkeit der Höhe der Abgabe von der im Rahmen der Inanspruchnahme des Allgemeinguts "Gewässer" objektiv eingetretenen Umweltschädigung und damit von der Schädlichkeit des Abwassers an der Einleitungsstelle deutlich. Soll ausnahmsweise etwas anderes gelten, ist dies ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben, so wie bei Flusskläranlagen nach §§ 3 Abs. 2, 9 Abs. 2 AbwAG 1991. Daraus folgt insgesamt, dass nach dem Gesetz regelmäßig maßgeblich auf den eingeleiteten Abwasserstrom an der Übergabestelle in das Gewässer abzustellen ist, nicht aber auf etwaige noch isolierte Teilströme, die erst nach ihrem Zusammenfluss den eingeleiteten Abwasserstrom bilden.

Auch die in § 9 Abs. 5 AbwAG 1991 in Bezug genommene Vorschrift des § 7a Abs. 1 WHG regelt Anforderungen "an das Einleiten von Abwasser". Hiervon wird nur für den Fall abgewichen, dass im maßgeblichen wasserrechtlichen Bescheid auch Anforderungen für den Ort des Anfalls des Abwassers oder vor seiner Vermischung festgelegt werden (vgl. § 7a Abs. 1 Satz 5 WHG). Das ist hier gerade nicht der Fall.

Für ein Abstellen auf den eingeleiteten Abwasserstrom insgesamt und nicht auf einzelne im Vorfeld vorhandene Teilströme spricht des Weiteren die nach § 9 Abs. 5 AbwAG 1991 eintretende Rechtsfolge. Nach dieser Vorschrift wird der für jede Schadeinheit geltende Abgabesatz (§ 9 Abs. 4 Satz 2 AbwAG 1991) reduziert. Die Schadeinheiten werden nach Maßgabe der §§ 3, 4 AbwAG 1991 einheitlich für das Abwasser nach den Festlegungen des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheides ermittelt. Eine Ermittlung der Schadeinheiten nach Teilströmen, auf die dann jeweils der ermäßigte Abgabesatz angewendet werden könnte oder auch nicht, ist nicht vorgesehen.

Schließlich wird die hier vorgenommene Auslegung durch die weitere Gesetzesentwicklung bestätigt. Durch das 4. Änderungsgesetz vom 5.7.1994, BGBl. I S. 1453, wurde u.a. die Verrechnungsregelung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1991 geändert, die wie § 9 Abs. 5 AbwAG 1991 den Abwasserabgabepflichtigen durch eine Begünstigung dazu veranlassen will, Maßnahmen zur Verminderung der Schädlichkeit der Einleitung aus Gründen des Gewässerschutzes vorzunehmen.

Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes, BT-Drucks. 11/4942, S. 6 f. und 9 f.

Die Norm in ihrer bis dahin geltenden Fassung knüpfte den Verrechnungsanspruch noch daran, dass der Betrieb der zu errichtenden oder zu erweiternden Abwasserbehandlungsanlagen eine Minderung eines der der Ermittlung der Schadeinheiten zugrunde zu legenden Werte beim Einleiten in das Gewässer um mindestens 20 vom Hundert und eine entsprechende Verringerung der Schadstofffracht erwarten liess. Sie stellte damit allein maßgeblich auf die zu erreichende Verbesserung der Gesamteinleitung ab, was der grundsätzlichen Ausrichtung des Abwasserabgabengesetzes 1991 entsprach. Erstmals mit § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG in der seither geltenden Fassung des 4. Änderungsgesetzes führte der Gesetzgeber in ausdrücklicher Abkehr von dieser Sicht - vgl. die Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks. 12/4272 S. 7 - eine Berücksichtigung von Teilströmen ein, indem er lediglich eine zu erwartende Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen "in einem zu behandelnden Abwasserstrom" um mindestens 20 vom Hundert sowie eine Minderung der Gesamtschadstofffracht verlangte. Ein Hinweis in den Gesetzesmaterialien darauf, dass Teilströme bereits an anderer Stelle des Gesetzes Berücksichtigung fänden, fehlt. Das hätte aber nahe gelegen, wenn § 9 Abs. 5 AbwAG 1991 als eine Regelung mit vergleichbarer Zielsetzung eine solche schon damals zugelassen hätte. Die demgegenüber erstmalig vorgenommene ausdrückliche Einbeziehung von Teilströmen in die Überlegungen spricht vielmehr dafür, dass - wie bisher bei § 10 Abs. 3 AbwAG 1991 - auch bei § 9 Abs. 5 AbwAG 1991 der eingeleitete Gesamtstrom für die Beurteilung maßgeblich sein sollte.

Das alleinige Abstellen auf den Gesamtstrom macht auch Sinn. Die abgabenrechtlich relevante Schädlichkeit des eingeleiteten Abwassers hängt selbst bei einer ordnungsgemäßen Teilstrombehandlung nicht zwangsläufig von dem dabei erzielten Ergebnis ab. Das zeigt gerade der vorliegende Fall. Auch wenn die Klägerin eine Teilstrombehandlung nach insoweit existierenden allgemein anerkannten Regeln der Technik vorgenommen haben sollte, konnte es damit nicht sein Bewenden haben. Denn - wie das Probenahmeergebnis vom 11.11.1991 mit der erheblichen Hg-Fracht belegt - führte eine ordnungsgemäße Behandlung des Teilstroms nicht zu einer entsprechenden Minderung der Schadstofffracht der Gesamteinleitung. Eine mögliche Ursache dafür könnte sein - und das wird von der Klägerin auch geltend gemacht -, dass in den weiter führenden Kanalrohren Quecksilberablagerungen aus früheren Jahren vorhanden waren, die sich unter bestimmten Bedingungen lösten und anschließend mit dem vorbehandelten Teilstromwasser sowie ggf. weiter hinzu kommenden Teilströmen gemeinsam in den Rhein flossen. Damit wird deutlich, dass die Behandlung von Teilströmen im Vorfeld einer Einleitung wegen des Hinzutretens weiterer Teilströme und eines zusätzlichen Gefährdungspotentials im Verlauf der anschließenden Zuleitungsstrecke zur Einleitungsstelle nicht zwingend eine entsprechende Minderung der Schädlichkeit der Einleitung herbeiführt.

Die Beschränkung von § 9 Abs. 5 AbwAG 1991 auf den eingeleiteten Gesamtabwasserstrom verstößt schließlich nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 3 GG deshalb vor, weil das Vorhandensein und die Einhaltung von allgemein anerkannten Regeln der Technik in Bezug auf Teilströme anders als in Bezug auf den Gesamtstrom nicht zu einer Ermäßigung des Abgabesatzes führen kann. Eine Differenzierung zwischen beiden Fallgruppen erscheint nach dem bereits dargelegten Sinn und Zweck des Abwasserabgabengesetzes insgesamt (Gewässerschutz) wie auch der Sonderregelung des § 9 Abs. 5 AbwAG 1991 (Anreiz zu Gewässerschutzinvestitionen zur Verbesserung der Gesamteinleitung) und angesichts dessen, dass der Erfolg einer regelgerechten Teilstrombehandlung eines Parameters nicht zwangsläufig zu einer entsprechend reduzierten und damit zu vernachlässigenden Belastung des Gesamtstroms führt, vielmehr durchaus gerechtfertigt.

Letztlich ist zu beachten, dass es sich bei § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1991, wie dargelegt, um einen vom grundsätzlich geltenden Verursacherprinzip abweichen-den gesetzlichen Privilegierungstatbestand handelt. In diesen Fällen der Abgabenprivilegierung kommt dem Gesetzgeber ein weit reichender, auch von den Gerichten zu respektierender Gestaltungsspielraum zu.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.8.2001, a.a.O., unter Bezug auf den Beschluss vom 20.5.1999 - 9 A 1743/94 - und zu § 9 Abs. 5 AbwAG 1989.

Danach kommt die begehrte Abgabesatzermäßigung vorliegend nicht in Betracht. Im Veranlagungsjahr 1991 gab es in Bezug auf die Einleitung von Mischwasser, das sich - wie hier - ganz überwiegend aus Kühlwasser aus der Durchlaufkühlung ohne Zusätze sowie in geringem Umfang aus Niederschlagswasser und anorganisch belastetem Produktionsabwasser zusammensetzt, keine Anforderungen nach allgemein anerkannten Regeln der Technik an die Verminderung des Schadstoffes Hg. Dies folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen (wird ausgeführt).

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