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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 22.05.2007
Aktenzeichen: 9 A 1517/04
Rechtsgebiete: AbwAG


Vorschriften:

AbwAG § 4 Abs. 4
AbwAG § 6 Abs. 1 Satz 2
AbwAG § 6 Abs. 2
Die der Berechnung der Abwasserabgabe zu Grunde zu legenden Schadeinheiten sind für einzelne Teilzeiträume gesondert zu ermitteln, wenn für einen Teil des Kalenderjahres weder ein Bescheid- (§ 4 Abs. 1 AbwAG) noch ein Erklärungswert (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG) gilt. Für den letztgenannten Teilzeitraum ist die Zahl der Schadeinheiten bei Vorliegen von Messergebnissen innerhalb dieses Teilzeitraums allein anhand des höchsten Messergebnisses (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG) zu ermitteln; eine Erhöhung nach § 4 Abs. 4 AbwAG wegen Überschreitens eines außerhalb dieses Teilzeitraums geltenden Bescheid- oder Erklärungswertes findet nicht statt.
Tatbestand:

Die Klägerin betrieb im Veranlagungszeitraum 1999 einen Geflügelschlacht- und Zerlegebetrieb. Das bei der Schlachtung und sonst auf dem Grundstück anfallende Schmutzwasser behandelte sie in der eigenen Betriebskläranlage. Für die Einleitung des Abwassers aus der Kläranlage in den Wasserlauf Nr. 2510 hatte sie in der Vergangenheit eine bis zum 31.12.1998 gültige Erlaubnis. Danach wurde der Klägerin erst wieder durch wasserrechtliche Erlaubnis vom 26.5.1999 die Einleitung gestattet. Die Erlaubnis setzte den Überwachungswert für den Parameter Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB) ab sofort auf 110 mg/l fest. Der Bescheid legte ferner fest, dass im Falle einer deutlichen Färbung der Probe durch Algen der CSB von der algenfreien Probe zu bestimmen sei. In diesem Fall verringere sich der festgelegte Wert beim CSB um 15 mg/l. Die Jahresschmutzwassermenge war auf 15.000 m³ festgesetzt.

Durch Bescheid vom 16.11.1999 widerrief die zuständige Untere Wasserbehörde die unter dem 26.5.1999 erteilte wasserrechtliche Erlaubnis mit Wirkung ab dem 30.11.1999.

Durch Bescheid vom 26.1.2001 setzte die Beklagte die Abwasserabgabe für das Kalenderjahr 1999 fest. Die Abgabenfestsetzung bezog sich u.a. auf den Schadstoffparameter CSB. Im Rahmen der Berechnung der Abgabe erhöhte die Beklagte gemäß § 4 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AbwAG wegen einer mehrmaligen Überschreitung des Überwachungswertes die für den Parameter ermittelten Schadeinheiten des gesamten Veranlagungszeitraumes.

Nach erfolglos eingelegtem Widerspruch erhob die Klägerin Klage, der das VG teilweise mit der Begründung stattgab, zwar habe die Beklagte für die Berechnung der Abwasserabgabe jeweils die maßgebliche Schadstofffracht zutreffend getrennt für die Zeitabschnitte vor und nach der Festlegung entsprechender Überwachungswerte durch die wasserrechtlichen Bescheide der Unteren Wasserbehörde ermittelt; die Erhöhung der sich danach für bestimmte Zeitabschnitte innerhalb des Festsetzungszeitraumes ergebenden Schadeinheiten nach § 4 Abs. 4 AbwAG dürfe indes nur für Zeiträume erfolgen, in denen ein Bescheidwert gegolten habe. Die zugelassene Berufung der Beklagten blieb insoweit erfolglos.

Gründe:

Die gegen die bezüglich des Parameters CSB festgesetzte Abwasserabgabe gerichtete Klage ist begründet, soweit die auf diesen Parameter entfallende Abgabe den Betrag von 1.499,74 Euro übersteigt. Der Bescheid der Beklagten ist im vorgenannten Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der angefochtene Bescheid ist - soweit er Gegenstand der zulässigen Klage ist - teilweise rechtswidrig, weil bei der Ermittlung der Abwasserabgabe für den Parameter CSB die Schadeinheiten gemäß § 4 Abs. 4 AbwAG für den gesamten Festsetzungszeitraum erhöht worden sind. Zutreffend hat das VG darauf abgestellt, dass für den Zeitraum, in dem die Ermittlung der Abwasserabgabe für CSB im Ausgangspunkt auf § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG beruhte, eine Erhöhung der Schadeinheiten nach § 4 Abs. 4 AbwAG ausscheidet.

Eine Erhöhung der Schadeinheiten gemäß § 6 Abs. 2 AbwAG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung von § 4 Abs. 4 AbwAG kommt vorliegend nicht für den Teilzeitraum in Betracht, in dem die Ermittlung der Abwasserabgabe auf der Grundlage des höchsten Messergebnisses erfolgte. Denn die Verweisung in § 6 Abs. 2 AbwAG reicht nur soweit, wie die in Bezug genommenen Regelungen in § 4 Abs. 2 bis 5 AbwAG auf die verschiedenen Fälle des § 6 Abs. 1 AbwAG übertragen werden können. Damit gilt die entsprechende Anwendung in erster Linie hinsichtlich der Ermittlung der Abgabe nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG anhand der durch die Erklärung des Einleiters festgelegten Werte, weil hierdurch das Bescheidsystem (vgl. § 4 Abs. 1 AbwAG) simuliert wird. Dagegen ist in den Fällen des § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AbwAG die in § 4 Abs. 4 AbwAG vorgesehene Gegenüberstellung von Überwachungswerten und Messergebnissen nicht möglich; für diese Fälle ist die Erhöhung der Schadeinheiten in Anwendung von § 6 Abs. 2 AbwAG i.V.m. § 4 Abs. 4 AbwAG nicht vorgesehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.1.2002 - 9 C 4.01 -, DVBl. 2002, 487 = juris, Rdnr. 26; ebenso Köhler/Meyer, AbwAG, 2. Aufl. 2006, § 6 Rdnr. 69.

Auch die Beklagte geht im Übrigen selbst davon aus, dass eine entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 4 AbwAG gemäß § 6 Abs. 2 AbwAG für Zeiträume, in denen weder ein Bescheid- noch ein Erklärungswert vorliegen, ausscheidet.

Eine Erhöhung der Schadeinheiten auch für die Zeiträume innerhalb des Veranlagungszeitraumes, in denen weder ein Bescheid- noch ein Erklärungswert vorlag, lässt sich ebenfalls nicht auf § 4 Abs. 4 AbwAG in unmittelbarer Anwendung stützen. Vielmehr hat das VG zutreffend darauf abgestellt, dass bezüglich der Ermittlung der Schadeinheiten eine getrennte Betrachtung des Zeitraumes, der nach § 4 AbwAG bzw. nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG erfasst wird, erforderlich ist.

Im Ergebnis ebenso: Köhler/Meyer, a.a.O., § 4 Rdnr. 301 i.V.m. § 11 Rdnr. 12 f.

Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich aus dem so genannten Jährlichkeitsprinzip nichts Abweichendes herleiten. Zwar beherrscht dies Prinzip das gesamte Abwasserabgabenrecht, weil es in zahlreichen Vorschriften des Abwasserabgabengesetzes zum Ausdruck kommt; eine Durchbrechung ist jedoch ausnahmsweise für bestimmte Regelungskonstellationen geboten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.12.2005 - 9 A 541/03 -, NVwZ-RR 2006, 641 = juris, Rdnr. 26.

Dementsprechend bedarf es im Einzelnen der Überprüfung, ob das Jährlichkeitsprinzip im jeweiligen Regelungszusammenhang zum Tragen kommen kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.3.2005 - 9 C 7.04 -, NVwZ 2005, 1067.

Die Erhöhungsvorschrift des § 4 Abs. 4 AbwAG passt von ihrem Regelungsgehalt nicht auf die Ermittlung der Abwasserabgabe für Zeiträume, in denen weder ein Bescheid- noch ein Erklärungswert vorliegen. Insbesondere können die Sätze 3 und 4 dieser Vorschrift nicht isoliert betrachtet werden. Sie stehen in untrennbarem Zusammenhang mit den übrigen Vorgaben im Abs. 4 der Regelung. Nach § 4 Abs. 4 Satz 1 AbwAG ist die Einhaltung des Bescheides im Rahmen der Gewässerüberwachung nach den wasserrechtlichen Vorschriften durch die zuständigen Stellen zu überwachen. Für Zeiträume, in denen kein Bescheidwert bzw. simulierter Bescheidwert gilt, kann ein solcher auch nicht überwacht werden. Die in § 4 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AbwAG vorgesehene Sanktionierung wegen Nichteinhaltung eines (simulierten) Bescheidwertes durch die Erhöhung der Schadeinheiten scheidet dementsprechend mangels Vorliegens eines Bescheidwertes aus. Überwachungsmaßnahmen bzw. Messungen während etwaiger Zeiträume ohne Bescheid- bzw. Erklärungswert dienen zunächst überhaupt dazu, die Grundlagen für die Festsetzung einer Abwasserabgabe zu ermitteln.

Die Ermittlung der Schadeinheiten jeweils getrennt für die einzelnen Teilzeiträume stellt sich im Übrigen als konsequente Fortführung der Methode zur Ermittlung der Schmutzfracht bei unterschiedlichen Überwachungsvorgaben dar. Denn für die jeweiligen Zeiträume mit bzw. ohne Bescheid- oder Erklärungswert werden zunächst getrennt die jeweiligen Teilschmutzwassermengen berechnet und anschließend aus ihnen unter Berücksichtigung der jeweiligen "Überwachungswerte" die entsprechenden Teilschmutzfrachten ermittelt.

Im Übrigen ist die hier vertretene Berechnungsmethode auch systemgerecht. Bei einer Erhöhung der Schadeinheiten über § 4 Abs. 4 AbwAG auch für Zeiträume, in denen grundsätzlich die Abwasserabgabe nach dem höchsten gemessenen Wert (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG) oder nach einem geschätzten Wert (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AbwAG) ermittelt wird, würde eine doppelte Sanktionierung der Schadstoffeinleitungen stattfinden. Dies ließe sich kaum mit dem in § 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG normierten Grundsatz in Einklang bringen, wonach sich die Abwasserabgabe nach der Schädlichkeit des Abwassers zu richten hat. Die Erhöhungsregelungen in § 4 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 AbwAG führen faktisch dazu, dass bei der Ermittlung der Schädlichkeit des Abwassers der höchste tatsächlich gemessene bzw. geschätzte Wert zu Grunde gelegt wird. Der Einleiter wird in Abkehr von den sonst nach § 4 Abs. 1 AbwAG relevanten fiktiven Werten zu einer Abwasserabgabe basierend auf seinem realem Einleitungsverhalten herangezogen. Mit anderen Worten wird der Einleiter dann grundsätzlich so behandelt, als hätte es keinen Bescheid- bzw. Erklärungswert gegeben. Zu der vorbeschriebenen doppelten Sanktionierung käme hinzu, dass der Einleiter in dem Zeitraum, in dem er gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG auf der Grundlage des höchsten Messergebnisses veranlagt wird, nicht die Privilegierung des § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG in Anspruch nehmen kann. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass - ggf. auch längere - Zeiträume ohne Geltung eines Bescheid- oder Erklärungswertes, in denen beispielsweise wegen eines Störfalles (nur) einmalig extrem hohe Schadstoffkonzentrationen gemessen werden, mit einer allein nach diesem tatsächlichen Messwert ermittelten Abwasserabgabe belegt werden. Läge hingegen auch in diesem Zeitraum ein Bescheid- oder Erklärungswert vor, käme u.U. die Regelung des § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG zum Tragen mit dem Ergebnis, dass eine deutlich geringere Abwasserabgabe festzusetzen wäre. Ferner fällt ins Gewicht, dass die in § 6 Abs. 1 AbwV vorgesehene Vergünstigung (Vier-aus-Fünf-Regelung) nur unter der Geltung eines Bescheidwertes eingreift.

Der Einwand der Beklagten, die vorstehende Sichtweise privilegiere regelmäßig einen Einleiter, der über einen Teil des Jahres sein Abwasser ohne wasserrechtliche Erlaubnis und ohne Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG in den Vorfluter einleite, führt nicht weiter. Denn auch durch die von der Beklagten angewandte Methode zur Ermittlung der Schadeinheiten kann ein Einleiter begünstigt werden. Leitet er z. B. im gesamten Veranlagungszeitraum ohne Geltung eines Bescheid- oder Erklärungswertes Abwasser ein, würde er i.d.R. allein auf der Grundlage der tatsächlichen Schmutzfracht veranlagt. Eine Erhöhung von Schadeinheiten schiede mangels Anknüpfungspunktes für eine Anwendung von § 4 Abs. 4 AbwAG auch aus Sicht der Beklagten aus.

Aus den von der Beklagten angeführten Entscheidungen des VG Köln (Urteil vom 3.8.2004 - 14 K 6521/01 -) und des VG Minden (Urteil vom 25.2.2004 - 11 K 4182/03 -, juris) lässt sich ebenfalls nichts Abweichendes herleiten. Beide Fälle betrafen nicht die Frage einer besonderen Berücksichtigung von Teilzeiträumen innerhalb eines Gesamtveranlagungszeitraumes, in denen - wie hier - weder ein Bescheidwert nach § 4 Abs. 1 AbwAG noch ein Erklärungswert nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorlag. Vielmehr lagen den zitierten VGlichen Entscheidungen Fallkonstellationen zu Grunde, in denen für einen Teilzeitraum die Heraberklärung eines geltenden Bescheidwertes bzw. eines Erklärungswertes (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG) gemäß § 4 Abs. 5 AbwAG erfolgt war.

Auf der Grundlage der vorstehend dargestellten Ermittlungsmethode hat das VG zutreffend die für den Parameter CSB festzusetzende Abwasserabgabe für den in Rede stehenden Veranlagungszeitraum in Höhe von 1.499,74 Euro berechnet.

Ende der Entscheidung

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