Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 03.06.2008
Aktenzeichen: 9 A 2762/06
Rechtsgebiete: AO, KAG NRW


Vorschriften:

AO § 130 Abs. 2
AO § 131 Abs. 2
KAG NRW § 12 Abs. 1 Nr. 3b)
1. Wird ein Gebührenbescheid aufgehoben, weil die zugrundeliegende Gebührensatzung als nichtig erkannt worden ist, enthält der Aufhebungsbescheid - sofern nicht im Einzelfall ein abweichender Regelungswille ausdrücklich oder schlüssig erklärt wird - regelmäßig jedenfalls dann keine Regelung des Inhalts, eine Gebühr solle dauerhaft nicht mehr geltend gemacht werden, wenn eine rückwirkende Korrektur des Satzungsrechts in Betracht kommt.

2. Eine nach rückwirkender Heilung des Satzungsmangels erfolgende neue Gebührenfestsetzung unterliegt in diesen Fällen grundsätzlich nicht den für die Rücknahme oder den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte bestehenden Einschränkungen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2001 bis 2003, nachdem der Beklagte die bereits zuvor für diese Jahre erhobenen Gebühren im hiergegen betriebenen Rechtsbehelfsverfahren - nach einem gerichtlichen Hinweis auf einen Satzungsmangel - auf Null festgesetzt hatte. Nach Absetzung der ursprünglich festgesetzten Gebühren setzte der Beklagte eine neue Satzung mit Rückwirkung in Kraft und zog den Kläger auf ihrer Grundlage erneut heran. Das VG wies die Klage ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die Zulassungsbegründung weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Das VG hat angenommen, dass die Bescheide, durch die zuvor die bereits vom Kläger erhobenen Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2001 bis 2003 auf Null festgesetzt worden seien, einer erneuten Heranziehung nach rückwirkender Korrektur des Satzungsrechts nicht entgegen stünden. Eines Widerrufs der Bescheide habe es nicht bedurft, weil sie nicht die Regelung enthalten hätten, dass endgültig für die Jahre 2001 bis 2003 keine Straßenreinigungsgebühren mehr verlangt werden könnten.

Der zentrale Einwand des Klägers, die Gebührenfestsetzungen "auf Null" seien bestandskräftige begünstigende Verwaltungsakte, die nur auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3b KAG NRW i.V.m. § 131 Abs. 2 AO widerrufen werden könnten, greift nicht durch. Denn die konkreten Festsetzungen "auf Null" dienten unstreitig und insbesondere auch nach dem Vorbringen des Klägers lediglich dazu, die Konsequenzen daraus zu ziehen, dass seinerzeit keine Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers zu Straßenreinigungsgebühren bestand, also die als rechtswidrig erkannten Erstbescheide aufzuheben. Dies wird ganz klar zum Ausdruck gebracht durch den Zusatz auf dem Bescheid vom 16.4.2003: "Absetzung aufgrund des VG-Vergleiches vom 28.03.2003". Es gilt wegen dieses vorangegangenen Bescheids und mit Blick auf den ergangenen gerichtlichen Hinweis aber letztlich in gleicher Weise für den Bescheid vom 27.8.2003, der nur den Hinweis enthält, mit ihm erledigten sich die Widersprüche des Klägers vom 8.1.2002 und vom 15.1.2003. Lediglich aus buchungstechnischen Gründen wurden die bereits festgesetzten Gebührenforderungen "abgesetzt" bzw. den Widersprüchen des Klägers abgeholfen. Rechtlich entspricht dies der Aufhebung der zuvor erfolgten Festsetzungen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sich in Anbetracht dieser Sachlage den Aufhebungsbescheiden bei verständiger Würdigung keine Absicht entnehmen lässt, die Straßenreinigungsgebühren sollten für die Jahre 2001 bis 2003 endgültig auf Null festgesetzt werden. Insbesondere ist den Bescheiden nicht ansatzweise zu entnehmen, der Beklagte habe über die seinerzeit aktuell gebotene schlichte Aufhebung der Festsetzung hinaus eine endgültige Regelung schaffen und damit die Möglichkeit aus der Hand geben wollen, nach rückwirkendem Inkrafttreten wirksamen Satzungsrechts die Gebührenerhebung nachzuholen.

Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterfällt eine Nacherhebung von Gebühren grundsätzlich nicht den für die Rücknahme oder den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte bestehenden Einschränkungen. Denn nicht jeder im Zusammenhang mit dem Erlass eines Verwaltungsakts tatsächlich oder vermeintlich eintretende Vorteil begründet oder bestätigt "ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil" im Sinne von § 130 Abs. 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3b) KAG NRW bzw. eine Begünstigung im Sinne von § 131 Abs. 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3b) KAG NRW. Grundsätzlich gilt, dass mit einer zu niedrigen Veranlagung nicht der erklärte Wille einhergeht, höhere Abgaben nicht mehr verlangen zu wollen. Ein solcher Wille kann allerdings im einzelnen Falle ausdrücklich oder schlüssig erklärt werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.2.1982 - 2 A 1503/81 -, KStZ 1983, 172 f., m.w.N., Beschluss vom 22.11.1995 - 9 B 2023/94 -; zur Nacherhebung kommunaler Steuern: OVG NRW, Urteil vom 1.10.1990 - 22 A 1393/90 -, NVwZ-RR 1992, 94, 99.

Dasselbe gilt für den hier vorliegenden Fall, in dem eine ursprüngliche Gebührenfestsetzung aufgehoben wird, weil eine wirksame Satzungsgrundlage nicht besteht. Auch der Regelungsinhalt eines derartigen Aufhebungsbescheids beschränkt sich wegen der vergleichbaren Interessenlage grundsätzlich auf die Beseitigung der früheren Festsetzung. Ein solcher Bescheid gewährt darüber hinaus regelmäßig keine Begünstigung des Inhalts, eine Gebühr solle dauerhaft nicht mehr geltend gemacht werden. Gerade wenn, wie im vorliegenden Fall, eine rückwirkende Korrektur des Satzungsrechts in Betracht kommt, soll der Regelungsinhalt eines Aufhebungsbescheids im Grundsatz nicht so weit reichen, dass er eine spätere Heranziehung des Gebührenpflichtigen zu den dann satzungsgemäßen Forderungen ausschließt.

Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung darüber hinaus angenommen worden ist, bereits aus der Tatsache des Erlasses der ursprünglichen Abgabenbescheide, die durch ihre Aufhebung nicht ungeschehen gemacht werde, könne sich ein Vertrauensschutz ergeben, der zumindest der Erhebung einer höheren Gebühr entgegen stehe, muss dem in diesem Zusammenhang nicht weiter nachgegangen werden. Denn der Kläger kann sich schon deshalb nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil er selbst die ursprünglichen Bescheide mit Rechtsmitteln angegriffen hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.1983 - 8 C 170.81 -, BVerwG 67, 129, 133 f., unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 12.7.1968 - VII C 48.66 -, BVerwGE 30, 132, 133 f., und Schröcker, NJW 1968, 2035, 2037.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich auch dann nicht, wenn man der vom BFH angeführten hiervon abweichenden Auffassung im überwiegenden steuerrechtlichen Schrifttum folgte, ein Geldleistungsbescheid enthalte grundsätzlich eine Regelung, dass nicht mehr als festgesetzt gefordert werden solle, so dass eine Nachforderung für sich aus dem gleichen Lebenssachverhalt ergebende Steuerschulden nur im Wege der Aufhebung des ersten Bescheids durch Rücknahme, Teilrücknahme oder Widerruf und Erlass eines neuen Bescheids zulässig sei.

Vgl. Nachweise zum Streitstand bei BFH, Urteil vom 25.5.2004 - VII R 29/02 -, BStBl. II, 2005, 3, 4 f.

Selbst nach dieser Auffassung ergäbe sich im vorliegenden Fall kein Hindernis für die nachträgliche Veranlagung des Klägers zu den streitigen Straßenreinigungsgebühren. Denn hier sind die ersten Gebührenfestsetzungsbescheide aufgehoben worden und stehen der Neufestsetzung auch nach dieser Rechtsauffassung nicht mehr entgegen.

Dass die Aufhebungen der ursprünglichen Gebührenbescheide ihrerseits einer Neufestsetzung entgegenstehen könnten, lässt sich selbst dieser Rechtsauffassung nicht entnehmen. Wie bereits oben angeführt, handelt es sich im konkreten Fall lediglich um Bescheide, die frühere Geldleistungsbescheide aufheben, nicht aber selbst um Geldleistungsbescheide, auf die die angeführte steuerrechtliche Sichtweise nur bezogen ist. Den rechtlichen Bestand dieser Abhilfeverfügungen lässt der streitgegenständliche Gebührenbescheid im Übrigen unberührt; er führt insbesondere nicht zum Wiederaufleben der ursprünglichen Gebührenfestsetzungen. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. 2 AO besteht keine Veranlassung, die danach an sich nicht einschlägigen Vorschriften aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gleichwohl anzuwenden. Allerdings entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass Abhilfebescheide, die nach erneuter Prüfung der Sache im Einspruchsverfahren ergangen sind und deshalb wegen des durch sie begründeten Vertrauens des Steuerpflichtigen einer erhöhten Bestandsgarantie unterliegen, bei unverändertem Sachverhalt in der Regel nicht lediglich aufgrund geänderter Rechtsauffassung der Verwaltung abgeändert werden können.

Vgl. BFH, Urteil vom 22.1.1985 - VII R 112/81 -, BStBl. II 1985, 562, 564.

Selbst diese erweiternde Auslegung steht der Veranlagung des Klägers nicht entgegen. Denn hiernach sind Abhilfeentscheidungen nur unter Vertrauensschutzgesichtspunkten insbesondere bei unverändertem Sachverhalt gegenüber einer nachträglich geänderten Rechtsauffassung der Verwaltung geschützt. Eine vergleichbare Vertrauenslage, aus der sich das Erfordernis einer Bestandsgarantie ergeben könnte, die die Heranziehung der §§ 130 Abs. 2 oder 131 Abs. 2 AO rechtfertigen würde, besteht hier nicht. Denn Grund für die Neufestsetzung war keine geänderte Rechtsauffassung der Behörde, sondern der rückwirkende Erlass einer wirksamen Gebührensatzung, mit der die Gebührenschuldner, die sich gegen die ursprüngliche Veranlagung mit Rechtsmitteln gewehrt hatten, schon deshalb rechnen mussten, weil die gebührenpflichtige Leistung erbracht und rechtzeitig erst später als unwirksam erkanntes Satzungsrecht für die streitgegenständlichen Veranlagungszeiträume erlassen worden war; damit hat die Stadt den Willen zum Ausdruck gebracht, dass eine Gebühr erhoben werden sollte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.1983 - 8 C 170.81 -, a.a.O., 131 f.; BVerfG, Urteil vom 19.12.1961 - 2 BvL 6/59 -, BVerfGE 13, 261, 271 f.

Ende der Entscheidung

Zurück