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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.10.2002
Aktenzeichen: 9 A 4564/99
Rechtsgebiete: AbwAG 1991, LWG NRW 1989, FlusskläranlagenVO vom 15.11.1990


Vorschriften:

AbwAG 1991 § 1 Abs. 1
AbwAG 1991 § 3 Abs. 1
AbwAG 1991 § 3 Abs. 2
AbwAG 1991 § 6 Abs. 1
AbwAG 1991 § 9 Abs. 1
AbwAG 1991 § 9 Abs. 3
LWG NRW 1989 § 69 Abs. 4
FlusskläranlagenVO vom 15.11.1990 Abl. Reg. Ddf. 1990 S. 275 § 4
1. Die Anwendung des § 3 Abs. 2 AbwAG 1991 - wonach die Zahl der Schadeinheiten unterhalb der Flusskläranlage maßgeblich ist - setzt voraus, dass für den jeweiligen Schadstoffparameter durch den Landesgesetzgeber von der Möglichkeit der Übertragung der Abgabepflicht nach § 9 Abs. 3 AbwAG 1991 Gebrauch gemacht worden ist.

2. Bei einer Schätzung der Überwachungswerte nach § 6 Abs. 1 Satz 3 AbwAG 1991 können grundsätzlich auch Messwerte berücksichtigt werden, die erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes ermittelt worden sind.


Tatbestand:

Die Klägerin leitete Schmutzwasser aus ihrer zentralen Schlammbehandlungsanlage in ein Gewässer ein, in dessen weiteren Verlauf sich eine von ihr betriebene Flusskläranlage befindet. Für die Einleitung ist der Klägerin eine wasserrechtliche Erlaubnis erteilt worden, die keine Festlegungen zur Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten enthält. Für das Veranlagungsjahr 1993 gab die Klägerin keine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG 1991 ab; behördliche Überwachungswerte lagen ebenfalls nicht vor. Mit Bescheid vom 25.10.1995 setzte der Beklagte die von der Klägerin zu zahlende Abwasserabgabe für mehrere Schadstoffparameter auf insgesamt 754.980,- DM fest, wobei er die Überwachungswerte für die jeweiligen Parameter schätzte. Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage. Zur Begründung verwies sie u.a. auf drei niedrigere Eigenmesswerte aus dem Jahr 1993. Außerdem vertrat sie die Ansicht, dass die Werte unterhalb der Flusskläranlage und nicht - wie vom Beklagten angenommen - an der Einleitungsstelle maßgeblich seien. Das VG wies die Klage ab. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wurde abgelehnt.

Gründe:

Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils liegt nicht vor.

Der Vortrag der Klägerin, maßgeblicher Ort für die Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten sei das Gewässer unterhalb der Flusskläranlage, begründet keine ernstlichen Zweifel. Die Ausführungen des VG, wonach vorliegend für die Höhe der Abgabe auf die Schadeinheitenzahl unmittelbar an der Einleitungsstelle abzustellen sei, sind nicht zu beanstanden. Etwas Anderes folgt nicht aus §§ 3 Abs. 2, 9 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1991 i.V.m. § 69 Abs. 4 LWG 1989 und § 4 FlusskläranlagenVO.

Nach § 3 Abs. 2 AbwAG 1991 richtet sich die Abgabe (nur) "in den Fällen des § 9 Abs. 3 (Flusskläranlagen)" nach der Zahl der Schadeinheiten im Gewässer unterhalb der Flusskläranlage. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AbwAG 1991 nicht schon dann gegeben, wenn eine Flusskläranlage vorhanden ist, die das Gewässer, in das die Klägerin einleitet, im weiteren Verlauf reinigt. Wie das VG zu Recht ausgeführt hat, steht einer solchen Annahme bereits der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Danach wird nicht bloß an die Existenz einer Flusskläranlage angeknüpft - dann hätte eine Formulierung wie "Bei Flusskläranlagen richtet sich ..." völlig genügt -; die Vorschrift verweist vielmehr ausdrücklich auf die Fälle des § 9 Abs. 3 AbwAG 1991. Diese Verweisung kann allein bedeuten, dass die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 2 AbwAG 1991 nur eingreifen soll, wenn und soweit von der in § 9 Abs. 3 AbwAG 1991 vorgesehenen Möglichkeit der Übertragung der Abgabepflicht durch den Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht worden ist.

Vgl. Siedler-Zeitler-Dahme, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, Loseblattkommentar, Stand 1.3.2002, § 3 AbwAG Rn. 28; Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Auflage 1995, S. 48; vgl. in diesem Zusammenhang auch: BT-Drs. 7/2272, S. 35 (zu § 16 des Regierungsentwurfs).

Sinn und Zweck von § 3 Abs. 2 AbwAG 1991 gebietet keine andere Auslegung. Ort der Schadstoffmessung und Übertragung der Abgabenpflicht können nicht isoliert betrachtet werden, sondern stehen in engem Zusammenhang.

Bliebe es trotz Übertragung der Abgabepflicht auf den Betreiber der Flusskläranlage nach § 9 Abs. 3 AbwAG 1991 i.V.m. dem jeweiligen Landesrecht bei der Grundregelung der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 AbwAG 1991, würde der Betreiber der Flusskläranlage nach den hohen Werten an der Einleitungsstelle der einzelnen Abwasserströme veranlagt, ohne dass eine von ihm erbrachte Reinigungsleistung berücksichtigt werden könnte. Dies erschien nicht sachgerecht zu sein.

Außerdem würde es - worauf das VG ebenfalls bereits hingewiesen hat - in der Tat keinen Sinn machen, es für den Fall des Untätigbleibens des Landesgesetzgebers i.S.v. § 9 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1991 bei der subjektiven Abgabepflicht des Direkteinleiters nach § 9 Abs. 1 AbwAG 1991 zu belassen, zugleich aber zu seinen Gunsten einen Messpunkt unterhalb der Flusskläranlage, d.h. nach Vermischung des Abwassers mit dem Flusswasser und nach Klärung, für maßgeblich zu erklären. Hierfür gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, da der Direkteinleiter zu der so erreichten Minderung der Schadeinheiten unmittelbar in keiner Weise beigetragen hat.

Das gilt zumal angesichts dessen, dass das Abwasserabgabengesetz der Flankierung des wasserrechtlichen Vollzuges dient. Durch die Abgabe soll nämlich mittelbar Druck auf den Einleiter ausgeübt werden, die Schadstoffbelastung des Schmutzwassers zurück zu führen. Dieses Ziel kann regelmäßig nur erreicht werden, wenn das Abgabenrecht an der Stelle einsetzt, an der die wasserrechtlichen Anforderungen zu erfüllen sind, d.h. dort, wo das mit gefährlichen Stoffen belastete Abwasser eingeleitet wird. Folgte man der Auffassung der Klägerin, fehlte hingegen trotz subjektiver Abgabepflicht jeder abgabenrechtliche Reiz für den Einleiter gefährlicher Stoffe, diese vor der Einleitung in das Gewässer, welches zur Flusskläranlage gelangt, (weiter) zu reinigen.

Der von der Klägerin angestellte Vergleich der "Klärleistung" einer Flusskläranlage mit der einer Kläranlage, der Abwasser aus einer geschlossenen Kanalisation zugeführt wird, führt nicht weiter. Es fehlt bereits - soweit abgabenrechtlich von Belang - an der von der Klägerin angenommenen Gleichartigkeit der Reinigungsleistung. Flusskläranlagen kommt nicht die Eigenschaft von Abwasserbehandlungsanlagen zu, denn sie dienen nicht dazu, i.S.d. § 2 Abs. 3 AbwAG 1991 die Schädlichkeit von Abwasser i.S.d. § 2 Abs. 1 AbwAG 1991 zu vermindern oder zu beseitigen.

Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 15.9.1998 - 9 A 2/96 -; Berendes, a.a.O., S. 130; Nisipeanu, Abwasserabgabenrecht, 1997, S. 110:

Aber auch aus weiteren Gründen kann nicht, wie die Klägerin meint, von einer gleich hohen "Klärleistung" einer konventionellen Kläranlage und einer Flusskläranlage ausgegangen werden: Wird das in einer geschlossenen Kanalisation einer Kläranlage zugeführte Abwasser in der Regel unverdünnt oder allenfalls leicht verdünnt dort ankommen, ist dies bei Einleitung von Abwasser in einen Fluss und anschließender Reinigung durch ein im weiteren Flussverlauf eingerichtetes Flussklärwerk gerade nicht der Fall; hier erfolgt schon auf der Strecke von der Einleitungsstelle bis zum Einlauf des Flusses in das Mündungsklärwerk durch die Vermischung des Abwassers mit dem Flusswasser ohne Zutun des Einleiters oder des Betreibers der Flusskläranlage eine gewisse Selbstreinigung oder "Vorklärung" im Sinne einer Verdünnung der Schadstoffkonzentrationen.

Soweit es um die hier streitigen Schadstoffparameter geht, liegt eine Übertragung der Abgabepflicht gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1991 i.V.m. § 69 Abs. 4 Satz 1 LWG 1989 und § 4 Abs. 1 FlusskläranlagenVO nicht vor. Insoweit hat das Land Nordrhein-Westfalen von der Ermächtigung des § 9 Abs. 3 AbwAG 1991 keinen Gebrauch gemacht, sondern die Übertragung (anders als z.T. für frühere Veranlagungszeiträume) durch § 69 Abs. 4 Satz 1 LWG 1989 und hiermit korrespondierend durch § 4 Abs. 1 Satz 1 FlusskläranlagenVO bei Schmutzwassereinleitungen allein auf den Teil der Abwasserabgabe beschränkt, der sich nach der Zahl der Schadeinheiten für CSB, Phosphor und Stickstoff bestimmt.

Dass § 9 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1991 i.V.m. § 69 Abs. 4 LWG 1989 eine derart nach Schadstoffparametern differenzierende Übertragung der Abgabepflicht auf den Betreiber der Flusskläranlage zulässt, hat schon das VG nachvollziehbar dargelegt. Von weiteren Ausführungen hierzu wird daher abgesehen. Angesichts der hiernach zulässigerweise auf die genannten Parameter beschränkten Übertragung der Abgabepflicht auf die (Klägerin als) Flusskläranlagenbetreiberin bleibt es hinsichtlich der übrigen Schadstoffeinleitungen, wie sie hier der Abgabenerhebung zugrunde liegen, bei den Grundregeln der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 9 Abs. 1 AbwAG 1991, d.h. bei der Abgabepflicht des Einleiters und der Ermittlung der Schadstoffeinheiten an der Einleitungsstelle.

Letztlich vermögen auch die Angriffe der Klägerin nicht durchzugreifen, soweit sie sich gegen die Ausführungen des VG dazu richten, dass die Schätzung der Höhe der Schadeinheiten für die o.g. Schadstoffe nicht zu beanstanden sei.

Eine Schätzung beinhaltet zwangsläufig ein wertendes Moment. Wegen der fehlenden Bescheid-, Erklärungs- und behördlichen Überwachungswerte ist aufgrund anderer Anhaltspunkte ein Ergebnis zu ermitteln, das nur ein hohes Maß Wahrscheinlichkeit für sich haben muss. Daraus ergibt sich notwendigerweise ein Beurteilungsspielraum der schätzenden Behörde, den das Gericht grundsätzlich zu respektieren hat und aus dem folgt, dass das Gericht nicht seine eigene Schätzung anstelle derjenigen der Behörde setzen darf, und zwar sowohl hinsichtlich des Weges der Schätzung als auch bezüglich der Plausibilität des erzielten Ergebnisses.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 19.8.1988 - 8 C 47.86 -, BVerwGE 80, 73 und vom 29.1.2001 - 11 C 3.00 -, NWVBl. 2001, 298; Siedler-Zeitler-Dahme, a.a.O., § 6 Rn. 20; Berendes, a.a.O., S. 114; Nisipeanu, a.a.O., S. 73.

In derartigen Fällen beschränkt sich die Prüfungsbefugnis der Gerichte auf die Vertretbarkeit des angewandten Schätzungsverfahrens und die Plausibilität der erzielten Ergebnisse. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Behörde zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, aufwändige Aufklärungsarbeit zu leisten.

Vgl. Berendes, a.a.O., S. 114.

Hiervon ausgehend lassen sich keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der von dem Beklagten vorgenommenen Schätzung erkennen. Insbesondere ist nicht zu bemängeln, dass der Beklagte bei seiner Schätzung auch Werte aus dem Jahr 1994 (und damit nach Ablauf des Veranlagungszeitraums) mit berücksichtigt hat. Die Klägerin selbst bestreitet nicht, dass die Berücksichtigung von Messwerten aus mehreren Jahren grundsätzlich eine solidere Tatsachenbasis für eine Schätzung bietet, also im o.g. Sinne generell "vertretbar" ist. Es lässt sich auch nicht beanstanden, dass die Beklagte die jeweils drei Messwerte aus dem Veranlagungsjahr nicht für ausreichend erachtet und deshalb auch solche aus Folgezeiträumen berücksichtigt hat. Wie schon das VG unter Rückgriff auf die von ihm zitierte Rechtsprechung des Senats ausgeführt hat, reichen drei Messergebnisse für ein tragfähiges Ergebnis einer behördlichen Überwachung und erst recht einer eigenen Überwachung des Einleiters regelmäßig nicht aus. Hieran anknüpfend ist es gut vertretbar, bei der Schätzung nach § 6 Abs. 1 Satz 3 AbwAG 1991 Messergebnisse eines Folgezeitraums mit zu berücksichtigen. Etwas Anderes hat hier nicht deshalb zu gelten, weil - wie die Klägerin behauptet - die in 1994 von ihr selbst festgestellten Werte deutlich über denen des Vorjahres gelegen hätten und deshalb für das Veranlagungsjahr 1993 nicht herangezogen werden dürften. Vor dem Hintergrund, dass nach der von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Übersicht die Ergebnisse der Eigenmessungen in den Jahren 1993 bis 1995 mitunter stark von einander abweichen, ist es durchaus möglich, dass die wenigen Messungen innerhalb von drei Monaten des Veranlagungsjahres 1993 nur zufällig für die Klägerin günstig ausgefallen sind.

Ende der Entscheidung

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