Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 01.06.2007
Aktenzeichen: 9 A 956/03
Rechtsgebiete: StrReinG NRW, KAG NRW


Vorschriften:

StrReinG NRW § 3
KAG NRW § 6
Zur Ermittlung des Kostenanteils für das Allgemeininteresse an der Straßenreinigung.

Die Gemeinde hat im gerichtlichen Verfahren die Höhe des von ihr berücksichtigten Anteils für das Allgemeininteresse plausibel zu machen.


Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin zweier Grundstücke an der H. Straße in der Stadt V. Die H. Straße, an der die Grundstücke liegen, ist in diesem Bereich im Straßenverzeichnis gemäß § 2 Abs. 1 der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt (SRGS) dem Straßentyp "B" zugeordnet. Bei Straßen dieses Typs (im Folgenden: B-Straßen) obliegt der Stadt die wöchentliche Reinigung der Fahrbahnen einschließlich Winterwartung. Die Reinigung einschließlich Winterwartung der Gehwege ist den Eigentümern der an die Gehwege angrenzenden und durch sie erschlossenen Grundstücke auferlegt. Bei den A-Straßen (Anliegerstraßen ohne Bedeutung für das Gesamtverkehrsnetz) ist die einmal wöchentliche Reinigung aller Straßenteile einschließlich der Winterwartung den Eigentümern auferlegt.

Der Beklagte zog die Klägerin durch Bescheid vom 26.1.2001 u.a. zu Straßenreinigungsgebühren heran.

Nach erfolglosem Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin Klage. Das VG gab der Klage mit der Begründung statt, dass die Satzungsbestimmung über den Gebührensatz nichtig sei. Der in der Gebührenkalkulation zur Abgeltung des Allgemeininteresses angesetzte pauschalierte Eigenanteil von 15 % der Gesamtkosten der Straßenreinigung sei zu niedrig bemessen. Die Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Es fehlt für den hier interessierenden Zeitraum an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu Straßenreinigungsgebühren. Die maßgebliche Satzung über die Straßenreinigung und die Straßenreinigungsgebührensatzung der Stadt ist bezogen auf die Gebührenregelung unwirksam. Der in § 6 Abs. 3 Satz 1 SRGS geregelte Gebührensatz ist nichtig. Er verstößt gegen das Kostenüberschreitungsverbot des § 6 Abs. 1 Satz 3 KAG NRW i.d.F.v. 15.6.1999, GV. NRW. S. 386.

Nach § 3 Abs. 1 StrReinG NRW i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 3 KAG NRW soll das veranschlagte Gebührenaufkommen die voraussichtlichen Kosten der Einrichtung oder Anlage nicht übersteigen. Diesen Voraussetzungen wird der Gebührensatz in § 6 Abs. 3 Satz 1 SRGS nicht gerecht.

Wird die Straßenreinigung in einer Gemeinde insbesondere bei Straßen mit innerörtlichem oder überörtlichem Durchgangsverkehr nicht nur im Interesse der Anlieger, sondern auch im Interesse der übrigen Straßenbenutzer und damit im Allgemeininteresse durchgeführt, verstößt es gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn Kosten, die die Befriedigung dieses Allgemeininteresses an sauberen Straßen betreffen, den Anliegern aufgebürdet werden.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 7.4.1989 - 8 C 90.87 -, BVerwGE 81, 371, und vom 25.5.1984 - 8 C 55 und 58.82 -, BVerwGE 69, 242, 245 f.

Die Festlegung der Höhe des auf das Allgemeininteresse entfallenden Kostenanteils liegt im Ermessen des Ortsgesetzgebers. Insoweit steht ihm eine weitgehende Einschätzungsfreiheit zu. Er hat sich bei seiner Entscheidung an den örtlichen Verhältnissen zu orientieren und insbesondere das Verhältnis zwischen den Straßen mit ihren je unterschiedlichen Anlieger- bzw. Allgemeininteressen zu berücksichtigen. Dabei hat er, ohne den Gleichheitssatz zu verletzen, die Wahl: Er kann den von der gemeindlichen Straßenreinigungseinrichtung im Allgemeininteresse aufgewendeten Kostenanteil bei der Ermittlung der durch Gebühren zu deckenden Kosten entweder insgesamt (vorweg) absetzen oder in der Satzung unterschiedliche, je nach Verkehrsbedeutung (z.B. Anliegerstraßen, innerörtliche Straßen, überörtliche Straßen) abgestufte Gebührensätze vorsehen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25.5.1984 - 8 C 55 und 58.82 -, a.a.O., S. 246, und vom 7.4.1989 - 8 C 90.87 -, a.a.O.

Hier hat sich der Satzungsgeber der Stadt zulässigerweise für die erste Möglichkeit entschieden. Allerdings hält die Ermittlung des Anteils des Allgemeininteresses mit 15 % der Gesamtkosten der Straßenreinigung einer rechtlichen Kontrolle nicht Stand.

Nach der bis zum 31.12.1997 geltenden Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 StrReinG NRW legte das Gesetz den zu berücksichtigenden Anteil des allgemeinen öffentlichen Interesses zur Sicherung einer gleichmäßigen Untergrenze generell auf mindestens 25 % der Gesamtkosten fest. Die Gemeinden durften höchstens 75 % ihrer Reinigungskosten über Gebühren decken und auf die jeweiligen An- und Hinterlieger umlegen konnten. Dabei war nach der Ansicht des Gesetzgebers das allgemeine öffentliche Interesse an der Reinigung einer Durchgangs- oder Hauptverkehrsstraße erheblich höher zu bewerten sein, als das bezüglich einer reinen Anliegerstraße.

Vgl. Gesetzesbegründung zu § 3 StrReinG NRW vom 18.12.1975, LTDrs. 8/33, S. 8; so auch schon OVG NRW, Urteil vom 18.12.1968 - II A 1550/66 -, KStZ 1969, 97, zu § 4a Abs. 3 WegeRG.

§ 3 Abs. 1 Satz 2 StrReinG NRW ist durch das Gesetz zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen gestrichen worden. Hierdurch sollte den Gemeinden die Möglichkeit gegeben werden, von der Begrenzung des Gebührenaufkommens auf höchstens 75 % der Gesamtkosten der Straßenreinigung im Gemeindegebiet abzuweichen. Dabei sei allerdings - so ausdrücklich die Gesetzesbegründung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG - zu berücksichtigen, dass es auch weiterhin zwingend erforderlich sei, den auf die Interessen der Allgemeinheit entfallenden Kostenanteil zu ermitteln und von den Gesamtkosten der Straßenreinigung abzusetzen. Andernfalls würde die Gemeinde gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

Vgl. Gesetzesbegründung zu Art. 1 (Gesetz für ein Kommunalisierungsmodell) LT-Drs. 12/2340, S. 1, 3f.

Bei der Ermittlung des Kostenanteils für das Allgemeininteresse kann sich der Satzungsgeber an den in § 3 Abs. 2 StrReinG NRW genannten drei Straßentypen, den Straßen für den Anliegerverkehr sowie den für den innerörtlichen und überörtlichen Verkehr, orientieren. Er kann aber auch im Rahmen seines weiten Organisationsermessens entsprechend den örtlichen Verhältnissen und etwaigen satzungsrechtlichen Besonderheiten weiter differenzieren. So kann er zusätzliche Untergruppen oder z.B. für Geschäftsstraßen oder Fußgängerzonen eigenständige Straßengruppen bilden, die den örtlichen Besonderheiten Rechnung tragen. Die Höhe des auf die einzelnen Straßengruppen entfallenden öffentlichen Interesses ist unter Berücksichtigung der jeweiligen Spannbreite innerhalb der einzelnen Gruppen und der Nutzungsintensität durch Nichtanlieger zu ermitteln. Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass das Allgemeininteresse um so höher zu bewerten sein wird, je intensiver die Straße durch Nichtanlieger in Anspruch genommen wird. Dabei dürfte das Allgemeininteresse bei den Anliegerstraßen, die nach gemeindlicher Praxis in der Regel - wie auch hier - im Wesentlichen die Straßen aller Wohngebiete der Gemeinde erfassen, als eher gering anzusehen sein. Bei den Straßen mit innerörtlichem Verkehr liegt die Nutzung durch Nichtanlieger im Schnitt bereits deutlich höher; demgemäß ist das darauf entfallende Interesse als beträchtlich einzustufen. Bei Straßen für den überörtlichen Verkehr ist das Allgemeininteresse demgegenüber erheblich, weil diese am intensivsten durch Nichtanlieger in Anspruch genommen werden. Ist das Allgemeininteresse für jede Straßengruppe festgelegt, sind die Straßengruppen hinsichtlich des Umfangs der jeweiligen Reinigungsflächen ins Verhältnis zu setzen; danach ist der prozentuale Kostenanteil des Allgemeininteresses an den Gesamtkosten der Straßenreinigung zu berechnen.

Gemessen an den vorstehenden Ausführungen hat der Beklagte nicht plausibel gemacht, dass der Satzungsgeber der Stadt ermessensfehlerfrei den Anteil des Allgemeininteresses in der Stadt mit 15 % der Gesamtkosten angemessen angesetzt hat. Es ist nicht nachvollziehbar, dass dieser Prozentsatz durch die örtlichen Verhältnisse und die satzungsrechtlichen Besonderheiten in der Stadt gerechtfertigt ist.

Die insoweit vom Beklagten angeführte Begründung, die Stadt sei kein Kurort und auch nicht touristisch geprägt, führt nicht weiter. Beide Merkmale stehen unabhängig neben den sich aus den einzelnen Straßentypen ergebenden Anhaltspunkten für ein öffentliches Interesse. Sie können dieses allenfalls erhöhen, ihr Fehlen jedoch das öffentliche Interesse nicht verringern.

Ebenfalls nicht zu überzeugen vermag der Hinweis des Beklagten, in der Stadt herrsche kein erheblicher Durchgangsverkehr. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Stadt nach § 1 Abs. 1 SRGS die Reinigung der öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslagen als öffentliche Einrichtung nur betreibt, soweit die Reinigung nicht nach § 2 den Grundstückseigentümern übertragen ist. Letzteres trifft zu auf die Reinigung einschließlich der Winterwartung aller Straßenteile sämtlicher A-Straßen sowie auf die Reinigung einschließlich der Winterwartung der Gehwege der B-Straßen (§ 2 Abs. 1 SRGS i.V.m. dem Straßenverzeichnis, das als Anlage Bestandteil der Satzung ist). Von der Stadt werden somit nur die Fußgänger- bzw. fußgängerfreundlich ausgebauten Straßen (B1- bis B4-Straßen) insgesamt und die Fahrbahnen der B-Straßen gereinigt. Bei den im Straßenverzeichnis aufgeführten B-Straßen handelt es sich nach Angaben des Beklagten im Wesentlichen um Hauptverkehrs- und Haupterschließungsstraßen, also Straßen, die in mehr oder weniger erheblichem Umfang auch von Nichtanliegern genutzt werden. Anliegerstraßen gehören zu den B-Straßen nur, wenn sie für das Gesamtverkehrsnetz Bedeutung haben und damit ebenfalls der Kategorie der Straßen mit jedenfalls innerörtlichem Durchgangsverkehr zuzurechnen sind. Zu berücksichtigen ist ferner, dass zu den B-Straßen - möglicherweise zwar nicht viele, aber - auch Straßen mit erheblichem überörtlichen Durchgangsverkehr gehören. Im Gegensatz zu den A-Straßen als normalen Anliegerstraßen besteht deshalb bei den B-Straßen und damit bei allen von der Straßenreinigung betroffenen Straßen bereits auf Grund ihrer Funktion und Bedeutung für den öffentlichen Straßenverkehr ein Allgemeininteresse an einer ordnungsgemäßen Straßenreinigung, das von beträchtlich bis erheblich reicht. Auf welcher Grundlage unter diesen Umständen das Allgemeininteresse mit 15 % der Gesamtkosten abgedeckt sein soll, lässt sich dem Vortrag des Beklagten nicht entnehmen. Ein Anteil von 15 % für das öffentliche Interesse kann auch nicht als offensichtlich angemessen angesehen werden. Denn er bedeutet, dass trotz der beträchtlichen bzw. erheblichen Nutzung aller gereinigten Straßen durch Nichtanlieger der Anteil des Allgemeininteresses nur gut 1/7 der Gesamtkosten beträgt, während die Anlieger etwa 6/7 der Gesamtkosten zu tragen haben.

Der Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf andere gesetzliche Regelungen berufen, die pauschal einen Gemeindeanteil von 10 % fordern (z.B. § 129 Abs. 1 BauGB). Denn die Bewertung des Allgemeininteresses an einer ordnungsgemäßen Straßenreinigung ist mit anderen rechtlichen Regelungen, die genaue Abzugsgrößen benennen, nicht zu vergleichen. Vielmehr ist mit der Novellierung des § 3 Abs. 1 StrReinG NRW, mit der ein Mindestabzug von 25 % der Gesamtkosten gerade gestrichen worden ist, dem Satzungsgeber mit Hinweis auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ausdrücklich auferlegt worden, eigenständige an den örtlichen Verhältnissen ausgerichtete Ermittlungen wegen des Abzugsanteils zu treffen.

Im Übrigen ist der Senat gehindert, den Kostenanteil für das Allgemeininteresse zu bestimmen. Vielmehr bleibt es dem Satzungsgeber vorbehalten, im Rahmen seines Ermessens den genauen Kostenanteil festzulegen.

Schließlich ist nicht ersichtlich, dass der Gebührensatz unabhängig von dem vorzunehmenden Ansatz für das öffentliche Interesse wirksam sein könnte. Anhaltspunkte dafür, dass ein etwaig zu geringer Ansatz für das öffentliche Interesse durch andere fehlende oder zu niedrig bemessene Kostenpositionen ausgeglichen werden könnte, sind nicht ansatzweise erkennbar.

Ende der Entscheidung

Zurück