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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: 1 C 10503/07.OVG
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 3
BauGB § 1 Abs. 3 Satz 1
BauGB § 1 Abs. 7
BauGB § 3 Abs. 2
BauGB § 13 Abs. 2 Nr. 2
BauGB § 13 a Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 47 Abs. 2
VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 47 Abs. 2 a
VwGO § 47 Abs. 5 Satz 2
VwGO § 195 Abs. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am: 11.10.2007

1 C 10503/07.OVG

In dem Normenkontrollverfahren

wegen Normenkontrolle (Bebauungsplan)

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2007, an der teilgenommen haben

Richter am Oberverwaltungsgericht Kappes-Olzien als Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Schauß Richter am Verwaltungsgericht Ermlich

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bebauungsplan "Im Ungefüg" der Stadt Neuwied wird für unwirksam erklärt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Antragsteller zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 075 I "Im Ungefüg" der Antragsgegnerin, der am 08. Juni 2006 als Satzung beschlossen und am 21. Juni 2006 ortsüblich bekannt gemacht worden ist.

Er ist Eigentümer des im Plangebiet gelegenen Grundstücks G..., Parzelle ..., das mit einem Wohnhaus bebaut ist. Das etwa 3,2 ha große Bebauungsplangebiet liegt nordöstlichen Ortsrand des Stadtteils F... in der Gemarkung W..... In einer Entfernung von 90 m bzw. 170 m zum Plangebiet liegen die Schießstände der Schützengilde F.... bzw. der Schützengesellschaft W... e.V. 1933. Ziel des Bebauungsplans ist die Schaffung der planungsrechtlichen Voraussetzungen für neue Wohnbaugrundstücke sowie deren Erschließung, um dem Bedarf und der Nachfrage an Baugrundstücken im Stadtteil F... Rechnung zu tragen; ferner sollen die vorhandenen, lediglich provisorisch hergestellten Straßen im Plangebiet zum Zweck eines verkehrsgerechten Ausbaus überplant werden. Das Baugebiet ist als allgemeines Wohngebiet (WA) ausgewiesen; in ihm sollen über die bereits vorhandene Bebauung hinaus etwa 15 Baugrundstücke entstehen, die mit eingeschossigen Einzelhäusern mit maximal zwei Wohneinheiten bebaut werden sollen.

Im Hinblick auf etwaige von den Schießständen ausgehende Lärmemissionen beauftragte die Antragsgegnerin das Ingenieurbüro K... Schalltechnik GmbH ein mit der Erstellung zweier schalltechnischer Gutachten. Bezüglich des Schießstandes der Schützengemeinschaft W... kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Beurteilungspegel für die Schießgeräusche in Bezug auf die Nachtzeit bei 50 dB(A) liegt.

Des Weiteren holte die Antragsgegnerin im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens einen landespflegerischen Planungsbeitrag sowie eine faunistisches Gutachten ein.

Nachdem der Antragsteller bereits im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens Einwendungen gegen die beabsichtigte Planung erhoben hatte, stellte er bei Gericht am 21. Mai 2007 den vorliegenden Normenkontrollantrag. Er macht im Wesentlichen geltend:

Er sei antragsbefugt, denn durch die Ausweisung 15 weiterer Bauplätze im Plangebiet, die u.a. über die G... erschlossen würden, werde sich die bislang ohnehin angespannte Straßensituation noch weiter verschärfen.

Der Bebauungsplan sei nicht i. S. von § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich. Dies ergebe sich bereits daraus, dass zwischen Planaufstellungsbeschluss und Inkrafttreten ein Zeitraum von 10 Jahren liege. Darüber hinaus bestehe im Gebiet der Antragsgegnerin ein Bedarf an neuen Baulandflächen, denn bis zum Jahr 2050 sei in Neuwied ein drastischer Bevölkerungsrückgang bei gleichzeitiger Überalterung der Gesellschaft zu verzeichnen. Schon jetzt sei der Baulandbedarf durch die vorhandenen Baulandflächen gedeckt. Der Bebauungsplan sei auch nicht deshalb erforderlich, weil er einen "baulich sinnvollen Abschluss" der Siedlungsfläche biete, denn abgesehen davon, dass die vorhandene Bebauung erst durch eine Vielzahl von erteilten Einzelbaugenehmigungen zu dem derzeit gegebenen Bild geführt habe, würde sich daran durch die geplante Bebauung nichts wesentliches ändern.

Darüber hinaus bestünden Bedenken hinsichtlich der ordnungsgemäßen Bewältigung der vorhandenen Lärmschutzproblematik. Die geplante Bebauung befinde sich zwischen zwei bestandsgeschützten Schießständen, die in einem Abstand von 170 m bzw. 90 m zu dem Plangebiet lägen. Ein allgemeines Wohngebiet in unmittelbarer Nähe zu diesen Schießständen verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot. Es sei abwägungsfehlerhaft, dass als Maßnahme gegen die zu erwartenden Beeinträchtigungen lediglich vorgesehen sei, dass man eine Schießzeitenbegrenzung auf 22.00 Uhr mit der Schützengemeinschaft W... vertraglich vereinbaren wolle. Es sei völlig ungewiss, ob eine Schießzeitenbegrenzung auf diese Weise zustande komme.

Ferner seien die ökologischen Belange nicht ausreichend berücksichtigt worden. Bei den zur Bebauung vorgesehenen Flächen, die im Geltungsbereich des Naturparks Rhein-Westerwald liegen, handele es sich um ökologisch höchst wertvolle landwirtschaftliche Flächen mit am Rande des Neuwieder Beckens selten gewordenen Streuobstwiesen von erheblicher floristischer und faunistischer Bedeutung. Zudem leide das faunistische Gutachten an Ermittlungsdefiziten bezüglich der streng geschützten Arten wie Zauneidechse, Fledermäuse, Schleiereule und Grünspecht. Abgesehen davon habe der Gutachter übersehen, dass in dem Plangebiet auch die Ringelnatter vorkomme. Auch der landespflegerische Beitrag arbeite die Problematik der streng geschützten Arten nicht ab. Es sei kein eigenständiges landespflegerisches Maßnahmenkonzept unter Berücksichtigung der Planungsabsicht entwickelt worden. Die Hinweise zur Eingriffsminimierung aufgrund der faunistischen Untersuchung seien schlichtwegs ignoriert worden. Soweit Ausgleichsmaßnahmen im Engerser Feld angedacht seien, stellten diese keine Verbesserung für die lokal betroffenen, streng geschützten Arten dar und seien somit ungeeignet.

Der Antragsteller beantragt,

den Bebauungsplan Nr. 075 I "Im Ungefüg" der Antragsgegnerin für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Normenkontrollantrag abzulehnen.

Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:

Der Bebauungsplan sei i. S. von § 1 Abs.3 BauGB erforderlich. Der zusätzliche Wohnbaulandbedarf sei im Rahmen der Bauflächenplanung nach umfangreicher Prüfung aller planungsrelevanten Belange und unter Berücksichtigung einer sinnvollen Weiterentwicklung der Neuwieder Stadtteile im Stadtgebiet verortet worden. Wie gerade die Vermarktung des Bebauungsplans Nr. ... I "Bienenkaul" im Stadtteil H... zeige, bestehe Bedarf insbesondere an Baugrundstücken für Ein- und Zweifamilienhäuser. Der betreffende Bereich bilde den Abschluss einer Ortsrandlage. Die immissionsschutzrechtlichen Belange seien in die Abwägung eingestellt worden.

Soweit in dem schalltechnischen Gutachten bezüglich des Schießstandes der Schützengemeinschaft W... eine Überschreitung der Lärmrichtwerte für die Nachtzeit festgestellt worden sei, könne eine nächtliche Benutzung des Schießstandes auf der Grundlage des Bundesimmissionsschutzgesetzes ausgeschlossen und durch die Ordnungsbehörde unterbunden werden. Bestandschutz beschränke sich auf genehmigte Nutzungen; für den Schießstand liege jedoch keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die im Gutachten genannten Nutzungs- bzw. Trainingszeiten vor.

Der ökologische Wert der zu bebauenden Flächen sei im Rahmen umfangreicher Untersuchungen vor dem Hintergrund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen ermittelt worden. Im Rahmen der landespflegerischen Planung zum Bebauungsplan sei die Bestimmung der Biotoptypen, die Aufnahme des floristischen Arteninventars und der Vegetationsstrukturen sowie eine Kartierung der vorhandenen Obstbäume in ein Obstbaumkataster erfolgt. Zur Prüfung der artenschutzrechtlichen Belange seien darüber hinaus die Tierartengruppen Fledermäuse, Brutvögel und Heuschrecken untersucht und auf ihre Schutzwürdigkeit geprüft worden. Sowohl der landespflegerische Planungsbeitrag als auch das faunistische Gutachten seien von qualifizierten und erfahrenen Planungsbüros erstellt worden. Ergebnis dieser Untersuchung sei gewesen, dass der Bebauungsplan bzw. die geplante Bebauung nach den gesetzlichen Vorschriften zulässig und nicht im Widerspruch zu naturschutzrechtlichen Bestimmungen stehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Planaufstellungsunterlagen des Bebauungsplans 075 I "Im Ungefüg" (3 Aktenordner nebst Planurkunde). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Der Antrag auf gerichtliche Normenkontrolle ist zulässig und begründet.

Als Eigentümer eines Grundstücks, das innerhalb des Plangebiets liegt und durch die Festsetzungen des Bebauungsplans unmittelbar betroffen wird, ist der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt.

Die Zulässigkeit des Antrags scheitert auch nicht an § 47 Abs. 2 a VwGO, der durch Art. 3 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenstadtentwicklung der Städte vom 21. Dezember 2006 (BGBl. S. 3316) zum 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist. Nach dieser Vorschrift ist ein von einer natürlichen oder juristischen Person gestellter Antrag, der u.a. einen Bebauungsplan zum Gegenstand hat, unzulässig, wenn die den Antrag stellende Person nur Einwendungen geltend macht, die sie im Rahmen der öffentlichen Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB oder im Rahmen der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 bzw. § 13 a Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht oder verspätet geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können, und wenn auf diese Rechtsfolge im Rahmen der Beteiligung hingewiesen worden ist. Diese Vorschrift, die einen Fall der formellen Präklusion zum Gegenstand hat, ist - anders als die Änderung der Antragsfrist in § 47 Abs. 2 VwGO durch Art. 3 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes vom 21. Dezember 2006 - auch auf Bebauungspläne anzuwenden, die vor dem 1. Januar 2007 in Kraft getreten sind, da es an einer dem § 195 Abs.7 VwGO vergleichbaren Regelung fehlt. Vorliegend kann die Rechtsfolge des § 47 Abs. 2 a VwGO dem Antrag des Antragstellers aber schon deshalb nicht entgegen gehalten werden, weil dieser im Rahmen der öffentlichen Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB nicht auf diese Rechtsfolgen hingewiesen wurde und schon von daher eine Präklusion nicht eintreten kann.

In der Sache selbst leidet der Bebauungsplan indessen an einem Mangel, der gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu der gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans führt.

Die Fehlerhaftigkeit des angegriffenen Plans folgt freilich nicht daraus, dass nach der Auffassung des Antragstellers die städtebauliche Erforderlichkeit für die Planung nicht gegeben ist. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. In der Rechtsprechung und im Schrifttum ist anerkannt, dass die Entscheidung, ob und in welcher Form und in welchem Umfang eine Planung betrieben wird, grundsätzlich dem gerichtlich nicht überprüfbaren Planungsermessen der Gemeinde obliegt und das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit praktisch nur bei groben und einigermaßen offensichtlichen Missgriffen eine Schranke der Planungsbefugnis darstellt. Was die städtebaulichen Entwicklung und Ordnung i.S. des § 1 Abs. 3 BauGB erfordert, ist nicht nach allgemeinen Grundsätzen aus räumlichen Vorgegebenheiten oder sonstigen abstrakten Vorgaben zu bestimmen. Vielmehr legt die Gemeinde Kraft ihrer Planungshoheit und planerischen Gestaltungsfreiheit selbst fest, welche städtebauliche Konzeption mit der Planung verfolgt wird; der Begriff der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung wird durch die politischen Willensentscheidungen der Gemeinde ausgefüllt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1999, NVwZ 2000, 813, 814). Insoweit besitzt die Gemeinde im Bereich der städtebaulichen Erforderlichkeit ein weites planerisches Ermessen. Werden mit einer planerischen Festsetzung Ziele im Rahmen des der Planung zugrunde liegenden städtebaulichen Konzepts verfolgt, dann ist auch die Festsetzung erforderlich i.S. von § 1 Abs. 3 BauGB. Zur Planung befugt ist die Gemeinde schon dann, wenn sie hierfür hinreichend wichtige städtebauliche Allgemeinbelange ins Feld führen kann (vgl. Urteil des Senats vom 29. August 2007 - 1 A 10076/07.OVG - m.w.N.).

Vorliegend hat die Antragsgegnerin hinreichend gewichtige städtebauliche Belange ins Feld geführt. Sie hat die Aufstellung des Bebauungsplans damit begründet, dass die relativ kleine Wohnbauerweiterungsfläche der Abrundung des vorhandenen Ortsrandes diene und einen städtebaulichen sinnvollen Abschluss der Siedlungsfläche bilde (vgl. Ziffer 1.3 der Begründung). Damit solle in Gestalt einer Angebotsplanung dem Bedarf und der Nachfrage an Baugrundstücken im Stadtteil F... Rechnung getragen werden (vgl. Ziffer 1.4 der Begründung). Darüber hinaus sollten die vorhandenen, lediglich provisorisch hergestellten Straßen bzw. Straßenansätze zwecks verkehrsgerechtem Ausbau im Rahmen des Planverfahrens überplant werden (vgl. a.a.O. Ziffer 1.4).

Demgegenüber vermögen die Einwände des Antragstellers nicht durchzugreifen. Soweit er die Erforderlichkeit der Ausweisung neuer Bauflächen insbesondere mit dem Hinweis auf die demographische Entwicklung bestreitet und geltend macht, infolge des zu erwartenden Einwohnerrückgangs in Neuwied seien bereits ausreichend freie Bauflächen und leerstehende Wohnhäuser vorhanden (vgl. Bl. 5, 49 der Gerichtsakten), vermag dies die städtebauliche Erforderlichkeit nicht in Zweifel zu ziehen. Denn abgesehen davon, dass der Antragsteller mit einer derartigen Argumentation das weite Planungsermessen der Gemeinde unterlaufen und sich zu einer Art Ersatzplaner aufschwingen würde, hat die Antragsgegnerin insoweit substantiiert und nachvollziehbar ausgeführt, dass die Ausweisung des Plangebiets auf der im Rahmen des aktuellen Verfahrens zur Fortschreibung des Flächennutzungsplans erstellten Bauflächenplanung beruhe, deren Leitwerte insbesondere aufgrund der erheblichen Änderungen im Verlauf der demografischen Entwicklung anhand jüngerer statistischer Daten und Prognosen einer erneuten Revision unterzogen und angepasst worden seien. In Anbetracht des weiten Planungsermessens der Gemeinde, das auch die Entscheidung darüber umfasst, an welcher Stelle des Gemeindegebiets Bauflächen im Sinne einer Angebotsplanung für einen vorhandenen oder prognostizierten Bedarf ausgewiesen werden sollen, sind die Erwägungen der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden.

Der Bebauungsplan leidet allerdings insoweit an einem zur Unwirksamkeit führenden Mangel, als er gegen das in § 1 Abs. 7 BauGB geregelte Abwägungsgebot verstößt. Dieses Gebot ist dann verletzt, wenn entweder eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. Urteile vom 12. Dezember 1969, BVerwGE 34, 301, 309 ff., und vom 5. Juli 1974, BVerwGE 45, 309, 314, 315). Hingegen ist das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde innerhalb dieses Rahmens in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen Belanges entscheidet. Das Vorziehen und Zurücksetzen bestimmter Belange innerhalb des vorgegebenen Rahmens ist die "elementare planerische Entschließung" der Gemeinde über die städtebauliche Entwicklung und Ordnung und kein aufsichtlich oder gerichtlich nachvollziehbarer Vorgang. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich im Rahmen des Abwägungsgebots daher auf die Frage, ob der Plangeber die abwägungserheblichen Gesichtspunkte zutreffend bestimmt hat und ob er auf der Grundlage derart ermittelten Abwägungsmaterials die aufgezeigten Grenzen der ihm obliegenden Gewichtung eingehalten hat (vgl. BVerwG, Urtiel vom 12. Dezember 1969, a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Abwägung hinsichtlich des etwa 170 m westlich des Plangebiets gelegenen Schießstandes der Schützengesellschaft W... e.V. 1933 als unzureichend, denn insoweit bewältigt der Bebauungsplan nicht den Konflikt, der aus den vom Betrieb des Schießstandes ausgehenden Lärmemissionen herrührt.

Das Gebot der Konfliktbewältigung verlangt im Grundsatz, dass der Bauleitplan die ihm zuzurechnenden Konflikte bewältigt, also die betroffenen Belange untereinander zu einem gerechten Ausgleich bringt (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Bd. 1, Stand: März 2007, § 1 Rdnr. 216). Zuzurechnen sind dem Bebauungsplan grundsätzlich von ihm selbst bewirkte Konflikte, die dadurch entstehen, dass Planziele ausgleichsbedürftige Betroffenheiten zur Folge haben (vgl. Söfker, a.a.O.). Das Ergebnis des Ausgleichs muss sich im Planinhalt niederschlagen. Dies bedeutet, dass aus der Sicht des Betroffenen in bestimmter Weise erkennbar und vorhersehbar sein muss, mit welchen Nutzungen auf den von den Festsetzungen erfassten Flächen und mit welchen Auswirkungen auf das Eigentum zu rechnen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. März 1988, BRS 48 Nr. 8). Dies wird dadurch unterstützt, dass der Bebauungsplan seine rechtsverbindlichen Regelungen grundsätzlich "konkret-individuell", d.h. "im Angesicht der konkreten Sachlage" zu treffen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.01.1976, NJW 1976, 1329, 1330)

Das Gebot der Konfliktbewältigung verlangt jedoch nicht, dass der Bebauungsplan sämtliche auftretende Konflikte selbst einer Lösung zuführt. Vielmehr ist es durchaus möglich und zulässig, Problemlösungen aus dem Bebauungsplanverfahren auf ein nachfolgendes Verwaltungshandeln zu verlagern. Dies gilt zunächst soweit, als der Bauleitplanung zur Bewältigung anstehender Konflikte die gesetzlichen Befugnisse fehlen, etwa im Bereich des technischen Immissionsschutzes (vgl. Söfker, a.a.O. Rdnr 218). Soweit die Bauleitplanung im Hinblick auf Immissionsschutzaspekte Regelungsbefugnisse hat - etwa bei der Regelung standortbezogener Umweltfragen - kann sie von einer abschließenden Konfliktlösung im Bebauungsplan dann Abstand nehmen, wenn die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planverfahrens im Rahmen der Verwirklichung der Planung sichergestellt oder zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 1994, NVwZ-RR 1995, 130, 131, vom 25. August 1997, NVwZ-RR 1998, 483, 484 und vom 21. Februar 2000, BRS 63 Nr. 224). Dies hat die Gemeinde prognostisch zu beurteilen; ist die künftige Entwicklung im Zeitpunkt der Beschlussfassung hinreichend sicher abschätzbar, so darf sie dem bei ihrer Abwägung Rechnung tragen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 1994 und 21. Februar 2000, jeweils a.a.O.). Die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung sind indes überschritten, wenn bereits im Planungsstadium absehbar ist, dass sich der offen gelassene Interessenkonflikt auch in einem nachfolgenden Verfahren nicht sachgerecht lösen lassen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juli1994, a.a.O.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen genügt der Bebauungsplan der Beklagten nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Konfliktbewältigung. Die Beklagte hat im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens in Bezug auf den Schießstand der Schützengemeinschaft W... ein schalltechnisches Gutachten (Schalltechnische Untersuchung zum Bebauungsplan Nr. 075 I und zu westlich angrenzenden Wohnbauflächen bezüglich des Schießstandes der Schützengesellschaft W... e.V. 1993 vom 21. Februar 2001) eingeholt. Der Gutachter hat dabei unter Ziffer 3.2 "Nutzung der Schießanlage" u.a. festgestellt, dass an zwei Tagen in der Woche in der Zeit von 19.00 Uhr bis 23.00 Uhr Training mit maximal 300 Schuss je Schießtag (75 Schuss/Stunde) stattfindet (vgl. 6 des Gutachtens). Ausgehend von diesen Feststellungen hat der Gutachter sodann bezüglich der Schießgeräusche einen Beurteilungspegel für das Plangebiet von 47 dB(A) am Tag bzw. 50 dB (A) in der Nacht ermittelt (vgl. S. 9 des Gutachtens). Aus diesen Feststellungen des Gutachters ergibt sich, dass jedenfalls in Bezug auf die Nachtzeit (22.00 Uhr bis 06.00 Uhr, vgl. Ziffer 6.4 Abs. 1 Nr. 2 der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. August 1998, GMBl. 1998, S. 503) der nach Ziffer 6.1. TA Lärm für allgemeine Wohngebiete (WA) festgelegte Immissionsrichtwert für den Beurteilungspegel von 40 dB(A) um 10 dB(A) überschritten wird.

Hiervon ausgehend genügt der Bebauungsplan der Antragsgegnerin nicht den Anforderungen an eine dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB genügende Konfliktbewältigung. Der Bebauungsplan selbst enthält keine Festsetzungen, mit denen dem Immissionskonflikt in auch nur irgendeiner Weise Rechnung getragen werden soll. Aber auch die von Antragsgegnerin offenbar beabsichtigte Verlagerung der Konfliktbewältigung auf die nachgelagerte Ebene des Planvollzugs genügt nicht den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen. Die Antragsgegnerin hat insoweit unter Ziffer 2.1 "Schalltechnische Untersuchungen" der Begründung zum Bebauungsplan ausgeführt: "Als Maßnahme zur Schallminderung sollte daher eine nächtliche Nutzung der Schießanlage der Schützengesellschaft W... (nach 22.00 Uhr) durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen untersagt werden" (vgl. S. 5 der Begründung, Bd. 2 Bl. 150 der Planunterlagen).

Bei einer derartigen Verfahrensweise durfte die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan keinesfalls mit hinreichender Sicherheit davon ausgehen, dass die Durchführung notwendiger Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planverfahrens im Rahmen der Verwirklichung der Planung sichergestellt oder zu erwarten ist, denn allein die Absicht, eine solche - privatrechtliche - Vereinbarung mit der Schützengesellschaft W... zu schließen, stellt das Zustandekommen einer solchen Vereinbarung in keiner Weise sicher (vgl. hierzu auch OVG NW, Urteil vom 28. November 2005 - 1 D 76/03.NE -, juris). Diese erhebliche Ungewissheit wird auch dadurch bestätigt, dass es zu einer entsprechenden Vereinbarung offenbar bis heute nicht gekommen ist.

Soweit die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren nunmehr vorträgt, eine nächtliche Benutzung des Schießstandes könne jedoch auf der Grundlage des Bundesimmissionsschutzgesetzes ausgeschlossen und durch die Ordnungsbehörde unterbunden werden, da für den Schießstand keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die im Gutachten zugrunde gelegten Nutzungs- bzw. Trainingszeiten vorliege (vgl. S. 4 der Antragserwiderung, Bl. 23 der Gerichtsakten), vermag dies zu keiner anderen Entscheidung zu führen. Denn dieses Vorbringen ist schon deshalb irrelevant, weil es im für die Abwägung maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) nicht Gegenstand des Abwägungsmaterials war. Darüber hinaus sagt allein der Umstand, dass eine immssionsschutzrechtliche Genehmigung nicht auffindbar ist, für sich genommen noch nichts über eine Genehmigungssituation aus. In Anbetracht dessen, dass es nach eigenen Angaben der Antragsgegnerin hinsichtlich des Schießstandes der Schützengemeinschaft W... bislang zu keinen Beanstandungen gekommen ist und auch vor Inkrafttreten des Bundesimmissionsschutzgesetzes ein Schießstand als emittierende Anlage einer Genehmigung nach gewerberechtlichen Vorschriften (vgl. schon § 16 der Reichsgewerbeordnung vom 26. Juli 1900 (RGBl. S. 871) bedurfte, spricht jedenfalls zunächst nichts für einen - auch hinsichtlich der Betriebszeiten - illegalen Betrieb des Schießstandes. Hiervon ging offensichtlich auch bislang die Antragsgegnerin aus, denn im Falle ungenehmigter Betriebszeiten hätte es der angestrebten vertraglichen Vereinbarung nicht bedurft, sondern es hätten rechtmäßige Zustände mittels einer immissionsschutzrechtlichen Verfügung herbeigeführt werden können.

Der Abwägungsfehler ist auch nicht unbeachtlich. Wie sich aus §§ 214 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB ergibt, sind Fehler in der Abwägung dann erheblich, wenn der Mangel offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Hierbei gilt es zunächst zu berücksichtigen, dass Mängel in der Ermittlung und Bewertung bzw. im Abwägungsvorgang auf das Abwägungsergebnis nur dann von Einfluss gewesen sind, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit eines solchen Einflusses besteht, d.h. wenn Anhaltspunkte z.B. in den Planunterlagen oder sonst erkennbare oder nahe liegende Umstände darauf hindeuten, dass ohne den Fehler anders geplant worden wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 1981, NJW 1982, 591, 592). In Anbetracht dessen, dass vorliegend in Bezug auf den Schießstand der Schützengesellschaft W... eine erhebliche Überschreitung des zulässigen Immissionsrichtwertes für die Nachtzeit festgestellt wurde und die Antragsgegnerin die hieraus resultierende Immissionsproblematik sehr wohl erkannt , jedoch in völlig unzureichender Art und Weise versucht hat, diese zu lösen, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht ausschließen, dass es zu anderen planerischen Festsetzungen gekommen wäre, wenn der Stadtrat der Antragsgegnerin die Unzulänglichkeit der angestrebten Konfliktlösung erkannt hätte.

Da der aufgezeigte Mangel in einem ergänzenden Verfahren gemäß § 214 Abs. 4 VwGO geheilt werden kann, wäre vor Fassung eines neuen Satzungsbeschlusses zu bedenken, gegebenenfalls zu der vom Antragsteller vorgebrachten Kritik hinsichtlich der bisherigen Einschätzungen betreffend den Arten- und Naturschutz eine fachliche Stellungnahme einzuholen und diese bei der Abwägung zu berücksichtigen.

Dem Antrag des Antragstellers war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zu entsprechen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,-- € festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V. mit Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ-RR 2004, 1327 ff.).

Ende der Entscheidung

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