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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 04.11.2005
Aktenzeichen: 10 A 10580/05.OVG
Rechtsgebiete: GG, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 16 a Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 1
Ungeachtet der neueren innenpolitischen Entwicklung in der Türkei (vgl. dazu zuletzt Urteil des Senats vom 12. März 2004 - 10 A 11952/03.OVG -) kann für Kurden bei einer Rückkehr dorthin nach wie vor ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko bestehen, wenn sie durch ein entsprechend nachhaltiges exilpolitisches Engagement als exponierte und ernstzunehmende Gegner des türkischen Staates in Erscheinung getreten sind (hier: verneint).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 A 10580/05.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Asylrechts (Türkei)

hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2005, an der teilgenommen haben

Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Falkenstett Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig ehrenamtliche Richterin Buchhalterin Glässer ehrenamtliche Richterin Versicherungskauffrau Hoffmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 18. November 2004 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die im Jahr 1972 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie sind miteinander verheiratet; ihre Kinder, die Kläger zu 3) bis 5), sind in den Jahren 1989, 1992 und 1996 geboren. Die Familie stammt aus dem in der Nähe von Pazarcik gelegenen Dorf T.... .

Der Kläger zu 1) reiste Anfang 1996 in das Bundesgebiet ein, wo er alsbald ein Asylverfahren einleitete. Zur Begründung machte er geltend: Er sei im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften in seinem Heimatdorf unter Druck gesetzt worden, obgleich er sich selbst politisch nicht betätigt habe. Er fürchte zudem, im Rahmen der in der Türkei praktizierten Sippenhaft verfolgt zu werden, nachdem Verwandte wegen ihrer politischen Gegnerschaft zum türkischen Staat in die Bundesrepublik geflüchtet seien und hier Asyl erhalten hätten. Außerdem habe er nach seiner Einreise aber auch selbst an verschiedenen prokurdischen Veranstaltungen im Bundesgebiet teilgenommen. Dieses Asylverfahren blieb ohne Erfolg (vgl. Beschluss des Senates vom 13. April 2000 - 10 A 12903/98.OVG -).

Ende 1999 reisten die Kläger zu 2) bis 5) nach Deutschland ein, wo sie ebenfalls um Asyl nachsuchten. Zur Begründung machten sie geltend: Seit der Ausreise des Klägers zu 1) habe sich die Lage der Dorfbewohner weiter verschlechtert, wobei auch auf die Klägerin zu 2) wegen des Verdachts der Unterstützung der PKK Druck ausgeübt worden sei. Auch ihnen drohe im Hinblick auf die genannten Verwandten Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft, zumal sie mit diesen regelmäßig Kontakt hätten. Dieses Asylverfahren blieb gleichfalls erfolglos (vgl. Beschluss des Senates vom 22. Oktober 2001 - 10 A 10529/01.OVG -).

Schon zuvor im Mai 2000 hatte der Kläger zu 1) einen ersten Asylfolgeantrag gestellt. Zur Begründung verwies er darauf, dass er zwischenzeitlich seine prokurdischen Aktivitäten in der Bundesrepublik ausgeweitet habe und damit im Zusammenhang in einem Fernsehbericht des auch in der Türkei ausgestrahlten Senders MED-TV gezeigt worden sei. Dieses Folgeverfahren blieb ebenfalls ohne Erfolg (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 17. Oktober 2000 - 1 K 809/00.MZ -).

Im Januar 2002 beantragten die Kläger die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Zur Begründung führten sie aus: Sie könnten nunmehr durch Zeugen belegen, dass der Kläger zu 1) schon vor seiner Ausreise aus der Türkei die PKK unterstützt gehabt habe und deshalb seinerzeit wiederholt festgenommen worden sei sowie dass nach dessen Ausreise die Klägerin zu 2) im Rahmen von Fahndungen unter Druck gesetzt worden sei. Inzwischen hätten beide Eheleute ihr prokurdisches Engagement im Bundesgebiet fortgeführt; dabei hätten sie in einer unter ihrem Namen in der Zeitung Ö.... im Mai 2002 veröffentlichten Anzeige die Umbenennung der PKK in KADEK begrüßt. Des Weiteren stehe einer Rückkehr in die Türkei der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2), die an einer psychischen Erkrankung leide, entgegen. Auch diesem Verfahren blieb der Erfolg versagt (vgl. Beschluss des Senates vom 3. Dezember 2002 - 10 A 11700/02.OVG -).

Mit neuerlichem - den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden - Folgeantrag vom 30. Dezember 2002 baten die Kläger ein weiteres Mal um die Gewährung von Asyl. Zur Begründung machten sie geltend: Es gebe mittlerweile einen weiteren Zeugen, der bestätigen könne, dass nach dem Kläger zu 1) wegen des Verdachts prokurdischer Aktivitäten gesucht werde. Zudem habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) weiter verschlechtert; sie befinde sich seit Herbst 2002 wegen depressiver Störungen in fortlaufender Behandlung, ohne dass jedoch in Anbetracht der ungesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung der Familie im Bundesgebiet mit einer Besserung zu rechnen sei.

Mit Bescheid vom 28. Januar 2003 lehnte die Beklagte sowohl die Durchführung eines neuerlichen Asylverfahrens als auch die Abänderung der bisherigen Asylbescheide bezüglich der Versagung sonstigen Abschiebungsschutzes ab; außerdem drohte sie dem Kläger zu 1), angesichts dessen, dass seit dem Erlass der zuletzt gegen ihn ergangenen Abschiebungsandrohung bereits zwei Jahre verstrichen waren, erneut die Abschiebung an. Zur Begründung führte sie aus: Die durch einen weiteren Zeugen belegte Suche nach dem Kläger zu 1) erlaube gegenüber den bisherigen Asylverfahren keine den Klägern günstigere Entscheidung, lasse sich doch aus dieser Suche in Abweichung von den bisherigen Feststellungen kein asylerhebliches Verfolgungsinteresse an dessen Person herleiten. Ebenso könne in der Erkrankung der Klägerin zu 2) kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 Ausländergesetz gesehen werden. Wie schon ebenfalls bereits im vorangegangenen Asylverfahren festgestellt, sei im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei nicht mit einer lebensbedrohlichen Verschlechterung ihrer Krankheit zu rechnen.

Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 4. Februar 2003 rechtzeitig Klage erhoben. Zur Begründung haben sie geltend gemacht: Inzwischen habe sich ausweislich einer Stellungnahme des Gesundheitsamtes .... vom 21. April 2004 herausgestellt, dass die Klägerin zu 2) an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide; offenbar sei sie vor ihrer Ausreise aus der Türkei Opfer sexueller Gewalt geworden, über die sie wegen der Traumatisierung jedoch nicht sprechen könne. Ein Abbruch der Behandlung im Bundesgebiet verbunden mit einer Rückführung in die Türkei würde eine massive Verschlimmerung ihres Leidens bewirken und die bei ihr bestehenden Suizidgedanken verstärken. Zwischenzeitlich habe der Kläger zu 1) erfahren, dass seine Mutter unter dem Vorwurf, im August 1998 fahrlässig einen Waldbrand verursacht zu haben, mit Urteil vom 3. Mai 2001 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden sei. Zu dieser Verurteilung sei es deshalb gekommen, weil sie sich im Strafverfahren mangels Kenntnis der türkischen Sprache nicht habe angemessen verteidigen können. Unter dessen habe seine Mutter am 30. September 2002 die Haft antreten müssen; frühester Entlassungszeitpunkt sei im Falle einer Aussetzung des Strafrestes der 28. August 2003. Darüber habe sich der Kläger zu 1) so erregt, dass er unter seinem Namen wie auch dem seiner Schwester H.... im Frühjahr 2003 einen öffentlichen Aufruf verfasst habe, den er an verschiedene Presseorgane aber auch an die an dem Strafverfahren gegen seine Mutter beteiligten Behörden und Gerichte geschickt habe. Wegen des Aufrufs sei mittlerweile ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Am 28. Dezember 2003 sei gegen ihn ein Versäumnishaftbefehl ergangen. Die Staatsanwaltschaft habe am 9. Januar 2004 Anklage wegen Beleidigung und Herabsetzung der Sicherheitskräfte, des Militärs und des Rechtswesens der Türkei nach Maßgabe der Art. 159 Abs. 1 tStGB erhoben. Dabei sei der von ihm verfasste Aufruf laut zu den Gerichtsakten gereichter Übersetzung mit folgendem Wortlaut zu Grunde gelegt worden:

"Meine Mutter, die im Dorf T.... der Kreisstadt Pazarcik der Provinz Maras wohnhaft ist, konnte im Gericht kein Türkisch sprechen und deswegen nicht aussagen. Aus diesem Grund wurde sie verhaftet und sitzt derzeit im Gefängnis. Meine 60-jährige Mutter B...., die den Brand im Erdnussfeld bekannt gab, wurde von den Gendarmen verhört und danach zum Haftrichter vorgeführt, sitzt seit sieben Monaten im Gefängnis. Meine Mutter schnitt die uns gehörenden Nussbäume und sammelte das Unkraut drum herum und wollte es verbrennen. In diesem Augenblick griff das Feuer das herumliegende Gebüsch an und wurde zu einem großen Brand. Sie bemühte sich eine Zeitlang, um das Feuer zu löschen. Sie merkte, dass sie es alleine nicht schafft, ging sie in das Dorf und benachrichtigte die Dorfbewohner. Die Dorfbewohner konnten das Feuer löschen. Inzwischen warnten die militärischen Einheiten auch vor Ort. Dort haben sie meine Mutter ohne Rücksicht auf ihren Zustand verhaftet. Da meine Mutter nicht türkisch kann, versuchte sie in kurdisch den Vorfall den Gendarmen zu erklären. Sie wurde von den Soldaten geschlagen und gezwungen, in türkisch zu sprechen. Sie blieb drei Tage in Gewahrsam und wurde von den Soldaten beleidigt. Meine Mutter, die seit September 2002 im Gefängnis von Gaziantep sitzt, wurde ohne Gerichtsverfahren ohne Rücksicht auf den Gesundheitszustand verhaftet, weil man keinen Dolmetscher holte.

Sie wissen sicherlich auch, dass Kurden seit mehreren Jahrhunderten dem Völkermord zum Opfer gefallen sind und massakriert wurden. Die Kurden waren immer als Menschen zweiter Klasse angesehen. Von den türkischen Soldaten wurden sie verbrannt. Sie waren dem Terror und der Gewalttaten dem faschistischen Republik der Türkei ausgesetzt. Der Grund hierüber ist, das kurdische Volk in seiner Zahl zu verringern und zu vernichten.

Die Handlanger dieses Regimes, die Richter haben mehrere kurdischen Menschen wie meine Mutter unberechtigt verhaftet und bestraft.

Nun möchte ich als Mensch meinen rechtlichen Anspruch einsetzen und gegen Regierungspräsidium von Maras, Sicherheitsdirektorium von Maras, Gendarmeriekommandantur von Maras, Landratsamt von Pazarcik, Gendarmeriekommandantur von Pazarcik, Sicherheitsdirektorium von Pazarcik und gegen die Strafkammer in Pazarcik meine Anzeige erstatten.

Meine derzeit gesundheitlich angeschlagene und im Gefängnis von Gaziantep inhaftierte Mutter wurde verhaftet und bestraft, weil sie nicht die gleiche Sprache spricht wie sie. Sie wurde in ihren Grundrechten gehindert. Sie wurde unter chounistischen Völkermordstraftaten von diesen Institutionen bestraft. Deswegen zeige ich sie an. Meine Mutter ist jetzt krank und braucht dringend ärztliche Hilfe.

In allen Institutionen der Republik Türkei gibt es unzählige Kurdenfeinde. Wir Kurden werden in allen Bereichen des Lebens als Menschen zweiter Klasse behandelt. Solange das kurdische Volk keinen eigenen Staat hat, werden diese Hohlköpfe uns niemals als gleichberechtigte Menschen ansehen. Ich rufe die gesamte Öffentlichkeit auf, die Augen aufzumachen und zu sehen, wie Kurden vom Staat und dessen Institutionen behandelt werden. Ein Gericht versagt jemanden das natürlichste Recht eines Menschen, sich in seiner eigenen Sprache zu reden und verweigert die zur Verfügungstellung eines Dolmetschers. So möchte ein Staat in die EU, wobei die Vernichtungspolitik gegen Kurden eine Staatspolitik ist. Viele Kurden wurden während des Krieges im Osten zu ungerechtfertigten Strafen verurteilt und gefoltert. Ich spreche alle Betroffenen an, schreit eure Wut gegen die ungleiche Behandlung von Menschen, denen das menschliche Leben versagt wird."

Einen ähnlichen Aufruf - so die Kläger weiter - habe der Kläger zu 1) außerdem auch in das Internet gestellt. Es hätten bereits verschiedene Gerichtstermine stattgefunden; das Gericht habe sich jedoch jeweils vertagt, da erst die Vollstreckung des Haftbefehls abgewartet werden solle. Außerdem habe das Justizministerium der Türkei ein Rechtshilfeersuchen erwogen, dann aber in der Annahme wieder verworfen, dass dieses von den deutschen Stellen ohnehin zurückgewiesen werde, da sie das Verfahren als politisches Verfahren ansehen würden. Vor diesem Hintergrund müssten der Kläger zu 1) und ähnlich alsdann auch die übrigen Kläger im Rahmen von Sippenhaft im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit politischer Verfolgung rechnen, zumal zu besorgen stehe, dass sie schon aus Anlass seiner Verhaftung und nachfolgenden Überstellung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden mit Folter und ähnlichen asylerheblichen Repressalien überzogen würden.

Dieser Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. November 2004 insoweit stattgegeben, als es der Klägerin zu 2) wegen ihrer Erkrankung Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zuerkannt hat. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hierzu ist in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Die Frage einer politischen Verfolgung der Kläger sei im vorliegenden Asylfolgeverfahren nur noch im Hinblick auf den von ihnen erstmals im gerichtlichen Verfahren eingeführten neuen Sachverhalt zu prüfen, wonach der Kläger zu 1) angesichts des von ihm verfassten Aufrufs mit einem Strafverfahren nach Art. 159 Abs. 1 tStGB rechnen müsse. Die ihm damit im Zusammenhang drohende Verfolgung habe indessen keinen politischen Charakter im asylrechtlichen Sinne. Die Bestimmung selbst knüpfe nicht an asylerhebliche Merkmale an, sondern stelle lediglich eine Vorschrift des allgemeinen Staatsschutzes dar, wie sie auch in Deutschland anzutreffen sei. Hinzu komme, dass die Bestimmung neuerdings wesentlich entschärft worden sei, indem der Strafrahmen auf Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis drei Jahren herabgesetzt worden sei und bloße Meinungsäußerungen, die nicht in der Absicht der Beleidigung, sondern lediglich der Kritik gemacht worden seien, gänzlich straflos blieben. Ebenso wenig stehe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu besorgen, dass der Kläger zu 1) durch die Sicherheitskräfte gefoltert werde, nachdem das türkische Recht Folter und Misshandlung verbiete und auch nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom April 2004 davon ausgegangen werden könne, dass zurückkehrende Asylbewerber in der Türkei nicht gefoltert würden. Aus dem Gesamtzusammenhang sei für jedermann ersichtlich, dass die in dem Aufruf enthaltenen verbalen Ausfälle und aggressiven Äußerungen gegen die Kurdenpolitik der Türkei in erster Linie auf der besonderen persönlichen Betroffenheit des Klägers zu 1) wegen der Verurteilung seiner Mutter beruhten. Da er in dem Aufruf außerdem auch noch seine Schwester als Mitunterzeichnerin benannt habe, sei er offenbar selbst nicht davon ausgegangen, dass der Aufruf zu gravierenden Folgen führen werde. Hinsichtlich der Kläger zu 2) bis 5) seien eigene asylerhebliche Umstände weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vor diesem Hintergrund hätten die Kläger auch keinen Anspruch auf die Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG. Ebenso bestünden zu Gunsten der Kläger zu 1) bzw. zu 3 - 5) keine anderweitigen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG. Die gegen den Kläger zu 1) ergangene Abschiebungsandrohung finde ihre rechtliche Grundlage in § 35 AsylVfG und sei ebenfalls nicht zu beanstanden.

Gegen dieses Urteils wenden sich die Kläger mit ihrer vom Senat hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG/§ 60 Abs. 1 AufenthG bezüglich des Klägers zu 1) bzw. des § 26 Abs. 4 AsylVfG bezüglich der Kläger zu 2) bis 5) zugelassenen Berufung. Zur Begründung machen sie geltend: Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Kläger zu 1) sowohl im Zusammenhang mit der ihm drohenden Bestrafung als auch im Rahmen der Begleitumstände des Strafverfahrens mit asylerheblichen Repressalien überzogen würde. Dies gelte um so mehr, als die Gefahr bestehe, dass das bisherige Strafverfahren auch auf separatistische Vorwürfe ausgedehnt werde, als der Konflikt zwischen der PKK und den Sicherheitskräften wieder aufgeflammt sei und als trotz aller Reformen deutlich werde, dass der Nationale Sicherheitsrat als "Staat im Staate" nicht gewillt sei, seine Stellung als unnachgiebiger Wächter des kemalistischen Erbes aufzugeben.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 18. November 2004 und teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 28. Januar 2003 zu verpflichten festzustellen, dass in der Person des Klägers zu 1) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG und in der Person der Kläger zu 2) bis 5) die Voraussetzungen des § 26 AsylVfG i. S. von Familienabschiebungsschutz vorliegen

hilfsweise,

festzustellen, dass die Kläger die Voraussetzungen eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung macht sie geltend: Das Begehren der Kläger könne schon deshalb keinen Erfolg haben, weil es sich bei dem Aufruf des Klägers zu 1) um einen nach dem Abschluss der früheren Asylverfahren von ihm selbst geschaffenen subjektiven Nachfluchtgrund handele, so dass der erstrebten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bereits die Bestimmung des § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegen stehe. Im Übrigen sei das angefochtene Urteil aber auch in der Sache selbst nicht zu beanstanden. Die Auffassung des Gerichts, dass türkischen Staatsangehörigen weder im Rahmen strafrechtlicher Verfolgung nach Art. 159 tStGB noch im Zusammenhang mit den Begleitumständen eines solchen Strafverfahrens politische Verfolgung drohe, werde nicht nur vom Auswärtigen Amt bestätigt, sondern auch von der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung geteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze in den Gerichtsakten sowie die vorgelegten Verwaltungsakten nebst den die bisherigen Asylverfahren der Kläger betreffenden Verwaltungs- und Gerichtsakten verwiesen. Die genannten Vorgänge sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse zur Lage der Kurden in der Türkei waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Kläger bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Kläger auch im Rahmen ihres neuerlichen Folgeverfahrens nicht darzutun vermögen, dass im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei dem Kläger zu 1) politische Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. den Klägern zu 2) bis 5) Familienabschiebungsschutz gemäß § 26 Abs. 4 AsylVfG zu gewähren ist oder den Klägern - über das der Klägerin zu 2) bereits vom Verwaltungsgericht zuerkannte Abschiebungshindernis hinaus - Abschiebungshindernisse im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG zur Seite stünden oder sie jedenfalls sonst die Voraussetzungen eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten.

Dem Kläger zu 1) steht ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu. Anspruch auf diese Feststellung hat der Ausländer, dem - in Entsprechung der rechtlichen Vorgaben des Art. 16 a Abs. 1 GG - bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit oder aber sonstige Eingriffe in andere Grundfreiheiten drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen. Diese Verfolgung ist dabei als politisch anzusehen, wenn sie in Anknüpfung an die asylerheblichen Merkmale der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung des Betroffenen erfolgt, weil sie alsdann den Einzelnen aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzt und ihm zugleich Anlass gibt, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage außerhalb seines Heimatlandes Schutz zu suchen. Die Gefahr einer derartigen Verfolgung setzt weiter voraus, dass diese Maßnahmen dem Schutzsuchenden unter Zugrundelegung einer auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichteten Zukunftsprognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen oder aber dass sie für ihn nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können, nachdem er in der Vergangenheit bereits politische Verfolgung erlitten hatte. Wer von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen war bzw. ist, ist allerdings erst dann als verfolgt bzw. vorverfolgt anzusehen, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist der Fall, wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann. Eine solche inländische Fluchtalternative besteht, wenn er in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm dort auch keine anderen Nachteile drohen, die ihrer Intensität und Schwere nach einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, wobei das Fehlen des wirtschaftlichen Existenzminimums nur dann für den Asylbewerber erheblich ist, wenn seine Notlage verfolgungsbedingt ist. Diese Fragen sind - bis auf die der Vorverfolgung und des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative vor der Ausreise - nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, also zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zu beurteilen (vgl. BVerwGE 105, 204). Wie bereits in den vorangegangenen Asylverfahren der Kläger wiederholt festgestellt, hat der Kläger zu 1) zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Türkei im Jahr 1996 keiner politischen Verfolgung unterlegen. An diesen Feststellungen müssen sich die Kläger ungeachtet dessen festhalten lassen, dass sie im vorliegenden Verfahren anfangs einen neuerlichen Zeugen dafür benannt hatten, dass nach dem Kläger zu 1) wegen des Verdachts, sich für die PKK engagiert bzw. diese unterstützt zu haben, gesucht werde, nachdem sie dieses Vorbringen bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht mehr weiterverfolgt haben. In Anbetracht dessen könnte der Kläger zu 1) mit seinem Begehren nur durchdringen, wenn zu besorgen stünde, dass er im Zusammenhang mit seinen nach der Einreise ins Bundesgebiet an den Tag gelegten exilpolitischen Aktivitäten, in Sonderheit mit seinem Aufruf vom Frühjahr 2003 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entweder bereits im Rahmen der Rückkehrkontrollen nebst der sich mit Blick auf den gegen ihn erlassenen Haftbefehl daran anschließenden Festnahme und Überstellung an das zuständige Gericht oder aber in einem nachfolgenden Ermittlungs- und Strafverfahren nebst Verurteilung und Strafverbüßung mit asylerheblichen Repressalien rechnen müsste. Dies ist indessen nicht der Fall.

Was zunächst die in Rede stehenden Rückkehrkontrollen anbelangt, so ist der Senat in ständiger Rechtsprechung bislang davon ausgegangen, dass diese regelmäßig dann zu einer umfassenden Überprüfung führen, wenn sich aus den von dem Rückkehrer mitgeführten Unterlagen ergibt, dass es sich bei ihm offenbar um einen Asylbewerber handelt, der nicht nur kurdischer Volkszugehörigkeit ist, sondern überdies aus einem Ort mit früher erhöhter Guerillatätigkeit stammt und bei dem zudem Namensgleichheit oder gar Verwandtschaft mit prokurdischen Aktivisten besteht. Die polizeiliche Überprüfung führt in derartigen Fällen alsdann nämlich zumeist zu einer intensiven persönlichen Befragung des Betroffenen, daneben in gleicher Weise aber auch zu ergänzenden Rückfragen bei den für seinen Heimatort zuständigen Behörden. Diese Ermittlungen dienen nicht nur der Feststellung der Personalien, Vorstrafen oder etwa anhängiger Verfahren, sondern auch der Aufklärung seiner politischen Einstellung sowie gegebenenfalls auch der Ausforschung der persönlichen Lebensverhältnisse bekanntermaßen in politischer Gegnerschaft zum türkischen Staat stehender naher Angehöriger. Im Zusammenhang mit den Rückfragen bei den Heimatbehörden spielen demgemäß die dort regional geführten Suchlisten und anderweitig vorgegebenen Erkenntnisse eine wesentliche Rolle. Ist der Betroffene in ihnen vermerkt oder besteht sonst - ungeachtet seiner längeren Abwesenheit - ein Interesse an seiner Person, weil etwa inzwischen gegen ihn anlässlich oder nach seiner Ausreise Verdachtsmomente bezüglich eines prokurdischen Engagements aufgetreten sind, die noch fortbestehen oder aus Anlass der Rückkehr wieder aufleben, so wird er auf entsprechendes Ersuchen festgenommen, weiter verhört und schließlich gegebenenfalls den Behörden an seinem Heimatort überstellt, wobei es bei allen diesen Maßnahmen auch zu schwerwiegenden Übergriffen bis hin zu Misshandlungen und Folterungen kommen kann. Letzteres gilt naturgemäß erst recht, wenn gegen den Rückkehrer wegen eines solchen Engagements bereits ein Haftbefehl vorliegt.

An dieser Einschätzung hat der Senat jedenfalls vom Ansatz her auch in seinem in das Verfahren eingeführten Urteil vom 12. März 2004 - 10 A 11952/03.OVG - mit Blick auf die neuere innenpolitische Entwicklung in der Türkei und deren Anstrengungen, die für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union vorgegebenen Kriterien des Kopenhagener Gipfels von 1993 zu erfüllen, festgehalten. Hierzu hatte er seinerzeit ausgeführt:

Begonnen hatte die angesprochene Entwicklung mit dem Ende des Ausnahmezustandes in den Provinzen von Diyarbakir und Sirnak - und damit in den letzten beiden Südostprovinzen - am 30. November 2002. Sie setzten sich dann - nachdem Erdogan im März 2003 Regierungschef wurde - fort mit dem Erlass mehrerer "Reformpakete". Die beiden ersten ergingen in der ersten Hälfte des Jahres 2003 und sahen eine Erschwerung von Parteischließungen und Politikverboten, Maßnahmen zur Verhütung und zur erleichterten Strafverfolgung sowie Bestrafung von Folter, Ausweitung der Vereinsfreiheit sowie die Wiederaufnahme von Verfahren nach einer Verurteilung der Türkei durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg vor. In zwei weiteren "Paketen" Mitte 2003 wurde u. a. die Meinungsfreiheit durch erneute Änderungen von Strafvorschriften ausgeweitet, die Benutzung von Kurdisch in Rundfunk und Fernsehen (die bereits in dem Reformpaket unter der Regierung Ecevit im August 2002 in geringerem Maße ermöglicht wurde) auch auf Privatsender ausgedehnt und mit einer umfassenden Reform des Nationalen Sicherheitsrates die zivile Kontrolle über das Militär gestärkt (vgl. dazu: AA, "Lagebericht" vom 12. August 2003 [Stand: August 2003], S. 8 f). Einen vorläufigen Höhepunkt erfuhr diese Entwicklung mit dem Erlass des "Gesetzes zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft" vom 29. Juli 2003. Dieses Gesetz gewährt Mitgliedern terroristischer Organisationen, die nicht an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt waren und sich freiwillig stellen, Straffreiheit. Straffrei sind danach auch solche Personen, die Anhänger solcher Organisationen lediglich, verpflegt, untergebracht oder auf sonstige Weise (allerdings nicht durch Waffen oder Munition) unterstützt haben. Weiterhin erhalten hiernach Mitglieder, die an Straftaten beteiligt waren und sich freiwillig stellen und dann auch noch hinreichende Informationen zur Organisation liefern, eine großzügige Strafminderung. Allerdings hatte dieses Gesetz in den hier wesentlichen Regelungen von vornherein nur eine Geltungsdauer von sechs Monaten und ist insoweit inzwischen, am 6. Februar 2004, außer Kraft getreten (vgl. dazu im Einzelnen den in einer Übersetzung abgedruckten Gesetzestext in der Anlage zum "Lagebericht" von August 2003).

Durch diese Entwicklung hat sich landesweit und auch in unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen eine "Atmosphäre der Hoffnung" ausgebreitet. Die Bevölkerung und wesentliche Gruppierungen und Organisationen in der Türkei sind vielfach sehr erleichtert, dass die bisherigen "Alt-Politiker" und deren Parteien keine Rolle mehr in Regierung und Parlament spielen. Sie hoffen ganz überwiegend auf die positive Entscheidung der EU Ende dieses Jahres über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und nehmen die dafür nötigen politischen Reformen in Kauf. Positiv wird diese Entwicklung auch von der EU und auch von Menschenrechtsorganisationen gesehen. So heißt es beispielsweise in dem Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte Bulgariens, Rumäniens und der Türkei auf dem Weg zum Beitritt vom 5. November 2003 u. a.: "Die türkische Regierung hat im vergangenen Jahr mit großer Entschlossenheit die Legislativreformen in den Bereichen beschleunigt, die unter die politischen Kriterien fallen. Sie hat auch wichtige Schritte unternommen, um ihre effektive Umsetzung sicherzustellen, damit die Grundfreiheiten und Menschenrechte im Einklang mit den europäischen Standards für alle türkische Bürger gelten. Diese Bemühungen stellen einen wesentlichen Fortschritt in Richtung Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen dar (...) Die Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Folter wurden verstärkt und die Haft ohne Kontakt zur Außenwelt wurde abgeschafft." (Bericht S. 16).

Andererseits sind sich die Beobachter einig, es könne zurzeit (noch) nicht festgestellt gestellt werden, dass diese Reformgesetze eine schon nachhaltige Verbesserung der Menschenrechtslage für die den türkischen Sicherheitskräften und auch der Justiz im sozialen Alltag in den Städten und auf dem Land bewirkt haben (vgl. etwa: AA: "Lagebericht", a.a.O., S. 9, sowie das Interview mit dem Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft in der Türkei, in: Die Welt vom 23. Februar 2004 ["Wir haben demokratische Gesetze auf dem Papier, aber die Köpfe sind noch nicht so weit"]). Auch der bereits erwähnte Bericht der Europäischen Kommission vom 5. November 2003 sieht gerade hier noch große Probleme, wenn es darin heißt: "Um die Umsetzung der Reformen zu intensivieren, müssen alle beteiligten Einrichtungen und Personen den Geist der Reformen akzeptieren (...) Die weit reichenden Veränderungen des politischen und rechtlichen Systems in der Türkei, die im vergangenen Jahr stattgefunden haben, sind Teil eines längerfristigen historischen Prozesses (...) Es wird seine Zeit dauern, bis Exekutive und Judikative auf allen Ebenen und im ganzen Land den Geist der Reformen verinnerlicht haben und die tatsächliche Umsetzung sichergestellt ist." (S. 17).

Diese Bedenken teilt der Senat. Der danach nötige allgemeine gesellschaftliche Bewusstseinswandel und eine dementsprechende Praxis sind noch nicht in einer Weise eingetreten, die es rechtfertigen würden, eine nachhaltige Verbesserung der Menschenrechtslage anzunehmen. Erforderlich hierfür ist vielmehr, dass sich die Gesellschaft in der Türkei "zivilisiert", d. h. die Macht von Militär und Geheimpolizei bricht und ein Eigenleben der Verwaltung weitgehend beseitigt - und zwar auch vor Ort, bei den Polizisten, den Gendarmas, den Soldaten und den Bürgermeistern. Dafür reicht es allein nicht aus, dass die bloßen Zahlen der Folteropfer zurückgehen, zumal wenn gleichzeitig festzustellen ist, dass Praktiken angewendet werden, die die erlittene Folter nicht sichtbar werden lassen (zu letzterem: AA: "Lagebericht", a.a.O., S. 42 f.; IMK-Menschrechtsinformationsdienst Nr. 190 - 191, S. 2 , FAZ vom 14. Februar 2004 sowie zum ganzen: Trauthig, in: ZAR 2004, S. 73 [76]). - Dabei darf auch nicht ganz die Möglichkeit außer Acht gelassen werden, dass dieser Reformprozess nicht notwendigerweise unumkehrbar ist. Denn es gab erst im Jahre 1997 einen "kalten Putsch" der Generäle, mit dem sie den damaligen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan aus dem Amt drängten. Bedenkt man, dass die Reaktion der Türkei - sollte die EU die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen Ende dieses Jahres ablehnen - auch ein Stück weit fraglich ist, ist etwa ein neuerlicher "Staatsstreich" ebenso wenig auszuschließen wie ein Rückgängigmachen der Entwicklung durch die Regierung und das Parlament von sich aus (vgl. dazu: SZ vom 4. März 2004).

Dass sich in dem seit dieser Entscheidung verstrichenen Zeitraum von 18 Monaten die innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei grundlegend geändert hätten, lässt sich nicht feststellen. Auch wenn es zutreffen mag, dass die Reformpolitik mit inzwischen insgesamt acht Reformpaketen nicht nur im Zusammenhang mit den Bestrebungen der Türkei gesehen werden kann, die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen zu erreichen, sondern erklärtermaßen auch auf eine weitere Demokratisierung und Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei zum Wohle ihrer Bürger abzielt und seitdem auch weiter vorangebracht wurde, so ist doch ebenso zu berücksichtigen, dass das Reformtempo so schnell war, dass der erforderliche begleitende Mentalitätswechsel in Verwaltung und Justiz damit nicht Schritt halten konnte. Die nach wie vor bestehenden Defizite bei der Umsetzung sind dabei auch darauf zu zurückzuführen, dass viele Entscheidungsträger in den Behörden und Gerichten aufgrund ihrer Sozialisation im kemalistisch-laizistisch-nationalen Staatsverständnis Skepsis und Misstrauen gegenüber der islamisch konservativen AKP-Regierung hegen und die Reformen als von außen oktroyiert und potentiell schädlich wahrnehmen. In ihrer Berufspraxis setzen sie diesen von daher großes Beharrungsvermögen entgegen und verteidigen damit aus ihrer Sicht das Staatsgefüge als Bollwerk gegen Separatismus und Islamismus. Dass sich die Regierung gleichwohl nachdrücklich dafür einsetzt, durch zahlreiche erklärende und anweisende Erlasse die Anwendung der Gesetze sicherzustellen, mag zwar auf längere Sicht zu den erwünschten Erfolgen führen, ändert aber dennoch nichts daran, dass sich diese jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer noch nicht im gebotenen Umfang eingestellt haben, auch wenn sich gerade im Hinblick auf etwaige schwerwiegende Übergriffe von Seiten der Sicherheitskräfte erkennen lässt, dass diese durch die einschlägigen Gesetzesänderungen erschwert werden und zumindest im Allgemeinen wohl auch rückläufig sind. Hinzu kommt, dass seit der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch die PKK/Kontra Gel bzw. die dadurch ausgelösten Operationen der staatlichen Sicherheitskräfte auf beiden Seiten wieder Tote zu beklagen sind, die bei den Sicherheitskräften zu unkontrollierten Handlungen bis hin zur Wiederaufnahme der schon früher eingesetzten Unterdrückungsmechanismen gegenüber der kurdischen Bevölkerung führen (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. Mai 2005, S. 7, NZZ vom 24. Juni 2005, Aydin vom 25. Juni 2005, S. 9, Welt vom 29. Juni 2005, FR vom 12. Juli 2005, SZ vom 14. Juli 2005, Oberdiek vom 2. August 2005, S. 18, Kaya vom 8. August 2005, S. 7 ff. und ai vom 20. September 2005, S. 2 sowie die von den Klägern vorgelegte umfangreiche Sammlung weiterer Artikel namentlich aus türkischen Zeitungen).

Vor diesem Hintergrund hatte der Senat in seinem soeben genannten Urteil vom 12. März 2004 entschieden, dass jedenfalls Vorverfolgten wegen des alsdann anzuwendenden herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabes nach wie vor nicht zugemutet werden kann, im Falle eines an ihrer Person fortbestehenden Verfolgungsinteresses sich erneut den Zugriffsmöglichkeiten der türkischen Sicherheitskräfte auszusetzen. Der Senat ist aber auch der Überzeugung, dass prokurdischen Aktivisten jedenfalls dann, wenn sie ein entsprechend nachhaltiges exilpolitisches Engagement an den Tag legen und damit als exponierte und ernstzunehmende Gegner des türkischen Staates in Erscheinung treten, auch heute noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Übergriffe drohen. Darunter sind in Sonderheit solche Aktivisten zu verstehen, die politische Ideen und Strategien entwickeln und zu deren Umsetzung von Deutschland aus maßgeblichen Einfluss auf die türkische Innenpolitik oder auf ihre in Deutschland lebenden Landsleute zu nehmen versuchen oder sonst eine auf Breitenwirkung zielende Meinungsführerschaft übernehmen. Diese Schwelle wird dabei etwa dann überschritten, wenn die Betreffenden als Auslöser prokurdischer Aktivitäten, als Organisator von Veranstaltungen oder als Anstifter oder Aufwiegler auftreten und wenn ihre Vorgehensweisen bzw. Verlautbarungen die Vermutung nahe legen, sie verfügten über besondere Kenntnisse der exilpolitischen Szene, über hervorgehobene Autorität bei ihren Landsleuten oder beabsichtigten gar, mit diesen eine Kampagne in Gang zu setzen. Gleiches gilt schließlich erst recht, wenn gegen die Betreffenden eines solchen nachhaltigen Engagements bereits ein Ermittlungsverfahren anhängig ist und dabei Staatschutzdelikte inmitten stehen (ebenso Urt. des OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 29. November 2004, Asylmagazin 1-2/205, S. 32, Urt. des OVG Saarland vom 1. Dezember 2004, Asylmagazin, a.a.O., S. 30 sowie Urt. des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, S. 85, 93 UA).

Ungeachtet dieser mithin auch heute noch zu verzeichnenden nicht unbeträchtlichen Verfolgungsgefahr für aus der Bundesrepublik zurückkehrende prokurdische Aktivisten, besteht eine solche für den Kläger zu 1) indessen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu besorgen. Der Senat hat sich nicht die Überzeugung zu bilden vermocht, dass der Kläger zu 1) zu dem hiernach gefährdeten Personenkreis gehört. Dies gilt ungeachtet des unter seinem Namen erfolgten Aufrufes und des daraufhin gegen ihn wegen Verstoßes gegen Art. 159 Abs. 1 tStGB eingeleiteten Ermittlungsverfahrens, genügen doch diese Umstände angesichts des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks, der unklaren Hintergründe des Aufrufes wie auch der daraufhin von den Sicherheitskräften gezeigten Reaktionen nicht, um ihn als einen exponierten und ernstzunehmenden politischen Gegner im soeben umschriebenen Sinne erscheinen zu lassen.

Der Kläger zu 1) stammt ersichtlich aus eher einfachen Verhältnissen. Nach dem fünfjährigen Besuch der Grundschule arbeitete er in der elterlichen Landwirtschaft. Bis zu seiner Ausreise im Alter von 24 Jahren hatte er sich weder politisch betätigt noch auch nur ein politisches Bewusstsein gebildet. Obgleich das Heimatdorf regelmäßig von der kurdischen Guerilla aufgesucht wurde, kannte er diese nur als "Revolutionäre", ohne dass ihm deren Zuordnung zur PKK bekannt war. Auch im Bundesgebiet blieb der Kläger zu 1) bei seinem Anschluss an die hier tätigen prokurdischen Organisationen zurückhaltend. Die von ihm in den vorangegangenen Asylverfahren angesprochenen Aktivitäten betrafen in erster Linie seine Teilnahme an verschiedenen Großveranstaltungen. Sie blieben zudem insgesamt gesehen nur sporadisch, indem sie immer wieder Lücken zum Teil von Zeiträumen von einem Jahr und länger aufwiesen. Mit seinem den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Folgeantrag vom 30. Dezember 2002 war er schließlich überhaupt nicht mehr auf ein von ihm etwa noch weitergeführtes prokurdisches Engagement konkret zu sprechen gekommen. Das so vom Kläger zu 1) gewonnene Bild eines Mitläufers wird auch nicht etwa durch seine .... in der Zeitung "Ö...." aufgegebene Anzeige, mit der er seinerzeit gemeinsam mit der Klägerin zu 2) die im Rahmen des 8. Partei-Kongresses erfolgte Umbenennung der PKK in KADEK begrüßt hatte, widerlegt. Denn hierzu in der mündlichen Verhandlung befragt, vermochte der Kläger zu 1) weder etwas zu den Hintergründen dieser Umbenennung noch zu deren aus seiner Sicht positiven Aspekten zu sagen bzw. wurde auch sonst nicht einmal ansatzweise erkennbar, warum sich ausgerechnet die beiden Eheleute zur Aufgabe dieser Anzeige veranlasst gesehen hatten.

An dem sich hieraus ergebenden Bild, dass es sich bei dem Kläger zu 1) nur um einen entfernten Mitläufer der prokurdischen Szene handelt, vermag der zwei Monate nach Klageerhebung unter seinem Namen veröffentlichte Aufruf nichts zu ändern. Dies beginnt schon damit, dass zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung der Vorfall der fahrlässigen Inbrandsetzung eines Waldstückes durch die Mutter des Klägers zu 1) bereits nahezu fünf Jahre, das gegen sie ergangene Urteil rund zwei Jahre und auch der Haftantritt etwa ein halbes Jahr zurücklagen. Soweit der Kläger diesbezüglich anfangs vorgetragen hatte, der späte Zeitpunkt des Aufrufs erkläre sich daraus, dass ihm diese Vorkommnisse zunächst bewusst verschwiegen worden seien, damit er sich nicht gräme, erscheint dies wenig überzeugend. Tatsächlich hat denn der Kläger zu 1) davon abweichend auf entsprechende Vorhalte des Gerichts eingeräumt, dass ihm der Brand selbst schon des längeren bekannt gewesen sei ebenso wie auch der Umstand, dass die Mutter seinerzeit in Handschellen abgeführt worden sei und hernach gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Seine Erklärung, dass diese Vorgehensweisen gegen seine Mutter zunächst von der Familie wie auch ihm selbst nicht ernst genommen worden seien, ist ebenfalls nicht verständlich. Dies gilt umso mehr, als der vom Kläger zu 1) diesbezüglich benannte Zeuge C.... hierzu schriftlich erklärt hatte, dass die Mutter unmittelbar nach dem Brand drei Tage lang auf der Wache festgehalten worden sei, dass hernach ihre Hände und Füße geschwollen gewesen seien und dass sie offenbar misshandelt worden sei. Wenn der Kläger zu 1) im Anschluss daran dennoch geltend macht, dass ihm jedenfalls die neuerliche Verhaftung seiner Mutter unmittelbar vor dem Haftantritt im September 2002 und die Haftverbüßung, wovon er zudem erst sechs Monate später erfahren habe, nunmehr so erbost habe, dass er sich zu dem in Rede stehenden Aufruf entschlossen habe, erscheint dies von daher wenig überzeugend. Dies gilt umso mehr, als nach seiner eigenen Darstellung schon zuvor seine Schwester H.... sich in der Türkei selbst bereits an die Öffentlichkeit gewandt und dort eine Wiederaufnahme des Verfahrens und die Freilassung der Mutter gefordert hatte.

Dass der Kläger zu 1) ungeachtet des unter seinem Namen veröffentlichten Aufrufes nicht als Meinungsführer im oben dargestellten Sinne angesehen werden kann, wird des Weiteren auch daran deutlich, dass er selbst in der mündlichen Verhandlung nur mit Mühe in der Lage war, die Vorkommnisse um seine Mutter in geordneter Form darzustellen, und es erst mehrfacher Rückfragen durch den Senat sowie entsprechender Richtigstellungen durch ihn bedurfte, bis etwa deutlich wurde, von welchen der beiden Verhaftungen der Mutter unmittelbar nach dem Brand oder vor deren Strafantritt der Kläger zu 1) jeweils berichtete bzw. wann er denn nun tatsächlich von den einzelnen Vorkommnissen erfahren habe. An dieser Einschätzung vermag auch der sprachlich gewandt verfasste Text des Aufrufs nichts zu ändern, steht er doch in einem solch auffallenden Gegensatz zu den vom Kläger zu 1) im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat in der mündlichen Verhandlung gemachten Äußerungen, dass ihm seine Behauptung, dass er der Urheber des Aufrufes sei und der von ihm zur Niederlegung zugezogene Freund nur das aufgeschrieben habe, was er ihm diktiert habe, nicht abgenommen werden kann.

Vor diesem Hintergrund spricht entgegen den Beteuerungen des Klägers zu 1) letztlich eben doch alles dafür, dass er sich zu dem Aufruf in erster Linie wohl deshalb entschlossen hat, um seinem Asylbegehren nach drei vorangegangenen erfolglosen Asylverfahren nun doch noch zum Erfolg zu verhelfen, ohne dass dieser jedoch tatsächlich auf einer in ihm verwurzelten exponierten und ernstzunehmenden politischen Gegnerschaft zum türkischen Staat beruht. Dies gilt ungeachtet der in dem Aufruf enthaltenen zum Teil recht harschen Angriffe auf den türkischen Staat, seine Sicherheitskräfte und Gerichte, die von der Türkei denn tatsächlich auch zum Anlass genommen wurden, gegen ihn ein Ermittlungsverfahren nach § 159 Abs. 1 tStGB einzuleiten, nachdem es sich insoweit im wesentlichen um Parolen und Schlagworte handelt, wie sie wiederum auch reinen Mitläufern durchaus geläufig sind. Dafür, dass der Kläger zu 1) sich selbst gar nicht bewusst war, dass aus dem Aufruf eine ernstzunehmende Gegnerschaft oder gar Meinungsführerschaft abgeleitet werden könnte, spricht darüber hinaus auch der Umstand, dass er unter diesen Aufruf nicht nur seinen eigenen Namen, sondern ebenso auch den seiner in der Türkei lebenden Schwester H.... nebst deren Telefonnummer setzen ließ, ohne sich dabei klarzumachen, dass er diese damit möglicherweise in erhebliche Bedrängnisse bringen könnte. Überdies hat er sich selbst auf entsprechende Vorhalte durch das Gericht nicht etwa bestürzt gezeigt, wie ihm denn ein solcher Fehler seinerzeit habe unterlaufen können.

Dieses Persönlichkeitsbild des Klägers, die Bedeutung des Aufrufes und dessen Hintergründe sind ersichtlich auch dem türkischen Staat nicht verborgen geblieben. Dies wird jedenfalls daran deutlich, dass dieser abgesehen von der schon erwähnten Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und dem damit verbundenen Erlass eines Haftbefehls keinerlei Reaktionen gezeigt hat, aus denen sich entnehmen ließe, dass er an der Person des Klägers ein weiterführendes politisches Verfolgungsinteresse habe. So fällt gerade mit Blick auf die in dem Aufruf mit angeführte Schwester auf, dass sie bei ihrer Einvernahme zwei Tage nach dessen Veröffentlichung keinerlei Repressalien ausgesetzt war, sondern von den Beamten lediglich nach ihrer Miturheberschaft befragt wurde, wobei sich diese alsdann mit deren Versicherung zufrieden gaben, dass sie selbst mit der Sache nichts zu tun habe, obgleich gegen ihre Einlassung eigentlich sprach, dass es gerade auch sie gewesen war, die sich schon zuvor wegen der gleichen Angelegenheit an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf die weiteren damit im Zusammenhang vom Kläger zu 1) geschilderte Befragungen weiterer Angehöriger - sei es seiner damals noch in Haft befindlichen Mutter, sei es seines Vaters und seiner übrigen Geschwister, sei es einer Schwägerin im Rahmen einer Buskontrolle; in keinem Fall wurde deutlich, dass diese Befragungen von schwerwiegenden Übergriffen begleitet gewesen wären. Ebenso heißt es in der vorgelegten Eingabe des D.... an den Menschenrechtsverein Gaziantep insofern lediglich, dass die Geschwister wegen des Aufrufs zum Polizeipräsidium geladen und dort zu dieser Sache vernommen worden seien sowie dass sich die türkischen Sicherheitskräfte zusätzlich bei der regelmäßigen Kontrolle von Personalien bei den Verwandten des Klägers zu 1) über diesen erkundigen und dabei die Verwandten belästigen würden, ohne dass diese Belästigungen jedoch als solche nachvollziehbar verdeutlicht werden. Endlich deckt sich diese Einschätzung auch mit dem weiteren Vortrag des Klägers zu 1), wonach während des Zuckerfestes bei der Wohnung seiner Schwester eine Hausdurchsuchung stattgefunden habe, anlässlich derer sich die Sicherheitskräfte jedoch erneut mit deren Erklärung, dass sie letztmals vor einem Monat mit ihm telefoniert und dabei aber nur über allgemeine Dinge und das persönliche Befinden gesprochen habe, zufrieden gegeben und schließlich lediglich Fotos von ihm mitgenommen hätten.

Endlich kommt in diesem Zusammenhang hin zu, dass seit dem Aufruf vom März 2003 mittlerweile über zweieinhalb Jahre bzw. seit der nachfolgenden Einrichtung der Website vom November 2003 rund zwei Jahre verstrichen sind. Auch wenn das wegen des Aufrufs in der Türkei gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren nach wie vor anhängig geblieben ist, so fällt doch weiter auf, dass der Kläger zu 1) nicht etwa davon zu berichten wusste, dass es seitdem zu irgendwelchen Weiterungen gekommen wäre. So verfügt der Kläger zu 1) offenbar über keinerlei Rückmeldungen derart, dass etwa andere Kurden tatsächlich seinem Aufruf folgend die von ihm angeprangerte Unterdrückung des kurdischen Volkes in der Türkei zum Anlass für entsprechende Eingaben an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte genommen hätten. Ebenso hat der Kläger zu 1) nicht einmal dargetan, dass wenigstens er selbst gemäß seiner in dem Aufruf abgegebenen Erklärung zwischenzeitlich das Verfahren gegen seine Mutter vor dieses Gericht gebracht hätte.

Wenn vor diesem Hintergrund sich auch die Gefahr, dass es gegen den Kläger zu 1) bei den in Rede stehenden Rückkehrkontrollen zu asylerheblichen Übergriffen kommen kann, nicht völlig ausschließen lässt, so ist doch ebenso nicht ersichtlich, dass ihm eine solche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte. Dies gilt um so mehr, als er aufgrund des bestehenden Haftbefehls auf der einen Seite zwar mit seiner Festnahme rechnen muss, auf der anderen Seite aber - bei regelmäßigem Verlauf der Dinge - alsdann binnen 24 Stunden einem Haftrichter vorgeführt sowie im Anschluss daran an den Ort des für ihn zuständigen Gerichts verbracht wird. Da in diesem Rahmen den Sicherheitskräften nur eine begrenzte Aufgabenstellung zukommt, ist auch von daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylerheblichen Repressalien zu rechnen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass ungeachtet dessen gegebenenfalls einzelne Bedienstete eine Art von informeller Befragung - und sei es auch nur aus persönlicher Neugier - zu den Hintergründen des Ermittlungsverfahrens durchführen können und es alsdann auch zu Misshandlungen mit dem Ziel einer Art von Vorverurteilung kommen kann (so Aydin, a.a.O., S. 7 ff. und Oberdiek, a.a.O. S. 18 f.); indes handelt es sich insoweit lediglich um Spekulationen, die jedenfalls eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für derartige Maßnahmen nicht zu begründen vermögen.

Besteht nach der Überzeugung des Senats kein weiterführendes Interesse an einer Verfolgung des Klägers zu 1) als eines ernstzunehmenden politischen Gegners, so steht endlich ebenso nicht zu besorgen, dass gegen ihn im Rahmen des Strafverfahrens selbst in asylrelevanter Weise vorgegangen würde, er im Falle einer Verurteilung mit einer überhöhten Strafe wegen seiner prokurdischen Äußerungen im Sinne eines Politmalus rechnen müsste oder es spätestens dann doch noch während einer sich etwa anschließenden Haftverbüßung zu erheblichen Übergriffen käme. Diese Einschätzung gilt hierbei selbstverständlich unabhängig davon, dass das türkische Justizministerium seinerzeit von einem ins Auge gefassten Auslieferungsverfahren in der Erwägung Abstand genommen hatte, dass die deutschen Gerichte in dem gegen den Kläger zu 1) anhängigen Verfahren ein politisches Verfahren sehen und demgemäß einem Auslieferungsersuchen nicht Folge leisten dürften. Soweit der Kläger zu 1) befürchtet, die gegen ihn erhobene Anklage könnte unter Umständen auf den Vorwurf separatistischer Propaganda ausgeweitet werden, vermag dem der Senat gleichfalls nicht zu folgen. Gegen eine solche Befürchtung spricht vielmehr, dass die Staatsanwaltschaft sich bereits im Juli 2003 bei der zuständigen Kreisgendarmerie nach dem Kläger zu 1) erkundigt und diese dabei nach ihrer Einschätzung seiner Person, nach seinen politischen Tendenzen, seinem Verhalten zur Unteilbarkeit der Türkei und deren Grundprinzipien befragt hatte, so dass sie von daher beim Vorliegen entsprechender belastender Erkenntnisse ihre Anklage von Anfang an in dieser Richtung erstreckt hätte.

Kann nach alledem der Kläger zu 1) nicht die Zuerkennung von Abschiebungsschutz als politischer Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthG verlangen, so folgt hieraus für die Kläger zu 2) bis 5 ), dass auch ihnen kein abgeleiteter Familienabschiebungsschutz nach Maßgabe des § 26 Abs. 4 AsylVfG gewährt werden kann. In diesem Zusammenhang kann überdies dahinstehen, inwieweit in Anbetracht der eingeschränkten Zulassung der Berufung gegebenenfalls auch noch der Frage nach einer diesen Klägern etwa unmittelbar drohenden politischen Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG nachzugehen ist, nachdem beachtliche Anhaltspunkte in dieser Richtung weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind. Dies gilt dabei namentlich auch hinsichtlich der Klägerin zu 2). Auch wenn ihr nunmehr eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund vor der Ausreise aus der Türkei erlittener sexueller Gewalt bescheinigt wird, so ist doch nichts dafür dargetan, dass diese im Zusammenhang mit einer politischen Verfolgung gestanden hätte bzw. ihr anderenfalls diesbezüglich keine inländische Fluchtalternative eröffnet gewesen wäre.

Steht gemäß den bisherigen Ausführungen nicht zu befürchten, dass für die Kläger im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei die Gefahr von Folter oder der Todesstrafe oder anderweitiger sonstiger schwerwiegender Übergriffe besteht, so können sie sich auch nicht, wie von ihnen hilfsweise beantragt, auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG berufen. Ebenso bleibt schließlich auch ihr weiterer Hilfsantrag ohne Erfolg, die Beklagte zur Festzustellung zu verpflichten, dass sie in ihrer Person die Voraussetzungen eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen, da insoweit die gleichen Anforderungen gelten, wie sie oben schon im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG geprüft und verneint wurden.

Endlich begegnet auch die gegen den Kläger zu 1) neuerlich ausgesprochene Abschiebungsandrohung keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre gesetzliche Grundlage in den §§ 71 Abs. 4 i.V.m. 34 und 36 Abs. 1 AsylVfG sowie § 71 Abs. 5 S. 1 AsylVfG a.F.

Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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