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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: 10 A 11759/03.OVG
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 67 Abs. 1 S. 3
VwGO § 124 a Abs. 3 S. 5
VwGO § 124 a Abs. 6
VwGO § 125 Abs. 2
ZPO § 85 Abs. 2
Der mit der Prozessführung einer Behörde betraute Beamte ist jedenfalls verpflichtet, bei gegebenem Anlass die Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu kontrollieren.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

10 A 11759/03.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Leistungsbescheid nach § 84 AuslG (Türkei)

hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 28. Januar 2004, an der teilgenommen haben

Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Falkenstett Richter am Oberverwaltungsgericht Möller

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 27. August 2003 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen einen Leistungsbescheid des Beklagten, mit dem dieser ihm gegenüber gemäß §§ 84, 82 Abs. 2 AuslG die Kosten der Abschiebung von dessen Bruder geltend macht. Im Einzelnen liegt dem folgender Sachverhalt zugrunde:

Durch Erklärung vom 19. März 2001 verpflichtete sich der Kläger gegenüber der Stadtverwaltung K.... aus Anlass des ins Auge gefassten Besuches seines Bruders Ke...., gegebenenfalls auch die vorerwähnten Ausreisekosten zu tragen. Am 2. Mai 2001 reiste der Bruder mit einem für drei Monate gültigen Besuchervisum ein und stellte am 27. Dezember 2001 einen Asylantrag, der erfolglos blieb. Am 8. Mai 2002 musste der Bruder abgeschoben werden, wodurch Ausreisekosten in Höhe von 4.108,75 € entstanden. Diese forderte der Beklagte durch Leistungsbescheid vom 27. Juni 2002 beim Kläger an. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Kreisrechtsausschuss bei der Kreisverwaltung T.... durch Bescheid vom 20. März 2003 zurück.

Daraufhin hat der Kläger am 17. April 2003 Klage erhoben, mit der er geltend gemacht hat, der Leistungsbescheid könne keinen Bestand haben, weil er über die Folgen und Risiken seiner Verpflichtungserklärung vom 19. März 2001 seitens des Beklagten nicht hinreichend belehrt worden sei. Das Verwaltungsgericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen und der Klage durch Urteil vom 27. August 2003 stattgegeben.

Auf den Antrag des Beklagten hat der Senat durch Beschluss vom 28. Oktober 2003 gegen dieses Urteil die Berufung zugelassen. Die Ausfertigung dieses Beschlusses ist dem Beklagten durch Schreiben des Gerichts vom 29. Oktober 2003 am 31. Oktober 2003 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Nachdem die Berufung nicht innerhalb eines Monats begründet worden war, hat der Senat den Beklagten durch Verfügung vom 12. Dezember 2003 hierauf hingewiesen und dazu gehört, dass die Berufung danach durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen sei.

Sodann hat der Beklagte mit am 9. Dezember 2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 8. Dezember 2003 die Berufung begründet und wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Hierzu macht er geltend:

Nach der Verwaltungsorganisation der Kreisverwaltung T.... würden die Verfahrensakten im Anschluss an ein durchgeführtes Widerspruchsverfahren durch die Geschäftsstelle des Kreisrechtsausschusses geführt. Leiter dieser Geschäftsstelle sei Verwaltungsangestellter F.... . Im Verhinderungsfalle werde er von der Verwaltungsangestellten C.... , die zusammen mit ihm in der Geschäftsstelle eingesetzt sei, vertreten. Bei beiden Mitarbeitern handele es sich um sehr zuverlässige, langjährig erfahrene Verwaltungsangestellte, die die Verwaltungsprüfung II. bzw. I. abgelegt hätten. Nach der für sie geltenden Regelung, die ihnen bei der Einweisung in ihren Arbeitsplatz mündlich bekannt gemacht worden sei, hätten die Mitarbeiter gerichtliche Schreiben nach Eingang zunächst daraufhin zu prüfen, ob sich aus ihnen die Notwendigkeit der Einhaltung einer Frist ergebe. Diese Fristen würden dann in einer Fristentabelle, die in elektronischer Form geführt werde, mit einer zusätzlichen Vorfrist von fünf Tagen eingetragen. Beide Mitarbeiter hätten darüber zu wachen, dass die entsprechenden Vorgänge rechtzeitig vor Ablauf der Frist einem der drei Geschäftsbereichsleiter der Kreisverwaltung, denen die Vertretung vor dem Verwaltungsgericht Trier und dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz obliege, zur Fertigung der fristgebundenen Vorgänge vorgelegt würden. Die Zuordnung von Verwaltungsstreitverfahren zu den einzelnen Geschäftsbereichsleitern ergäbe sich aus dem jeweiligen Vorsitz im vorangegangenen Widerspruchsverfahren. Danach sei vorliegend Kreisverwaltungsdirektor B.... mit der Prozessvertretung betraut gewesen.

Ausweislich der auf dem Schreiben des Gerichts vom 29. Oktober 2003 angebrachten Vermerke sei dieses Herrn B.... als zuständigem Juristen auch vorgelegt worden, der am 14. November 2003 davon Kenntnis genommen habe. Das Schriftstück sei sodann dem Amt .... (Ausländerwesen) der Kreisverwaltung zur Kenntnisnahme zugeleitet worden, die dort am 19. November 2003 erfolgt sei. Dieses Amt habe anschließend das Schreiben wieder an die Geschäftsstelle des Kreisrechtsausschusses zurückgeleitet.

Eine Berufungsbegründung sei dann jedoch unterblieben, weil Frau C.... den Vorgang bei dessen Eingang versehentlich nicht in die Fristentabelle eingetragen habe. Zwar werde die Eintragung und Einhaltung der Fristen auch von dem Geschäftsstellenleiter F.... überwacht, zum Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens des Oberverwaltungsgerichts habe sich dieser indessen krankheitsbedingt nicht im Dienst befunden und auch nach Rücklauf des Schreibens vom Amt .... versehentlich versäumt zu überprüfen, ob die Wiedervorlagefrist für die Abgabe der Stellungnahme in der Fristentabelle ordnungsgemäß eingetragen worden sei.

Zur Glaubhaftmachung dieser Wiedereinsetzungsgründe legt der Beklagte eidesstattliche Versicherungen der Verwaltungsangestellten C.... vom 8. Dezember 2003 und des Geschäftsstellenleiters F.... vom 11. Dezember 2003 vor.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Nach seiner Auffassung hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt.

Der Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der Gerichtsakten war Gegenstand der Beratung.

II.

Die Berufung ist gemäß §§ 124 a Abs. 3 Satz 5, 125 Abs. 2 VwGO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht gemäß § 124 a Abs. 6 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des sie zulassenden Beschlusses begründet worden ist und dem Beklagten wegen der Versäumung dieser Frist nicht gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.

Nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung am 31. Oktober 2003 ist die Berufungsbegründungsfrist gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 3 und 193 BGB am 1. Dezember 2003, einem Montag, abgelaufen. Die Berufungsbegründung des Beklagten ist indessen nicht innerhalb dieser Frist, sondern erst nach entsprechendem Hinweis durch den Senat vom 4. Dezember 2003 am 9. Dezember 2003 bei Gericht eingegangen. Zwar hat der Beklagte damit innerhalb der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die versäumte Rechtshandlung nachgeholt, ihm kann jedoch keine Wiedereinsetzung gewährt werden, weil er nicht ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Das Versäumnis beruht vielmehr auf einem vorwerfbaren Verhalten des vom Beklagten mit seiner Vertretung vor dem Oberverwaltungsgericht betrauten Kreisverwaltungsdirektors B...., das sich der Beklagte gemäß §§ 67 Abs. 1 Satz 3, 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass bei einem mit der Prozessführung betrauten Beamten einer Behörde mit der Befähigung zum Richteramt an die Sorgfaltspflichten bezüglich der Einhaltung einer Rechtsmittelfrist die gleichen Anforderungen zu stellen sind, wie bei einem Rechtsanwalt (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Kopp-Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 60 Anm. 23). Auch für einen solchen Beamten gehört die Wahrung der Rechtsmittelfristen zu den wesentlichen Aufgaben seiner Prozessvertretung, denen er seine besondere Sorgfalt widmen muss. Dies macht es erforderlich, dass er diese Fristen grundsätzlich eigenverantwortlich überwacht. Zwar schließt dies nicht aus, dass er die Notierung, Berechnung und Kontrolle der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Behörde häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeit macht, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlässt. Es erscheint aber schon zweifelhaft, ob zu diesen Fristen auch die hier in Rede stehende Berufungsbegründungsfrist gehört. Zu den Fristen, deren Feststellung und Berechnung gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal überlassen werden darf, gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu beachtenden Rechtsmittelbegründungsfristen jedenfalls nicht. Es spricht manches dafür, dass die dafür maßgebliche Überlegung, die Führung eines Revisionsverfahrens stelle keine Routineangelegenheit dar, sondern werde von den Anwälten in aller Regel nur gelegentlich übernommen, auch für den nach den Erfahrungen des Senats eher seltenen Fall gilt, dass die Verwaltung nach Zulassung der Berufung zu ihren Gunsten die Berufungsbegründungsfrist beachten muss.

Dies kann hier jedoch offen bleiben, weil jedenfalls vorliegend Kreisverwaltungsdirektor B.... aufgrund der konkreten Umstände des Falles die Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich hätte überprüfen müssen, nachdem er am 14. November 2003 von dem Vorgang selbst Kenntnis genommen hatte. Denn der mit der Abfassung eines fristgebundenen Rechtsmittelantrags oder dessen Begründung befasste Behördenvertreter ist ebenso wie der Rechtsanwalt in vergleichbarer Situation verpflichtet, anlassbezogen eine eigenverantwortliche Fristenkontrolle vorzunehmen, mag er auch ansonsten die Fristenkontrolle seinem zuverlässigen und überwachten Büropersonal überlassen können. Ein solcher Anlass ist zwar nicht bei jeder Vorlage der Akten im Rahmen des routinemäßigen Bürobetriebes gegeben, von der Rechtsprechung indessen etwa dann angenommen worden, wenn dem Prozessvertreter die Akten gerade im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung oder nach Anforderung anderer Vorgänge zur Einsicht vorgelegt werden (vgl. Beschluss des BGH vom 11. Dezember 1991, NJW 1992, 841; Beschluss des BVerwG vom 7. März 1995, NJW 1995, 2122; Beschluss des OVG Lüneburg vom 25. August 2003, NJW 2003, 3362). Danach war auch hier Kreisverwaltungsdirektor B.... verpflichtet, am 14. November 2003 die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist selbst sicher zu stellen. Zunächst war für ihn an diesem Tage ohne weiteres zu erkennen, dass die Berufungsbegründungsfrist schon nahezu zur Hälfte abgelaufen war. Vor allem aber mussten sich ihm aufgrund der auf dem gerichtlichen Schreiben vom 29. Oktober 2003 handschriftlich niedergelegten Verfügung der Verwaltungsangestellten C.... ernstliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Notierung der Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist aufdrängen. Denn dort war lediglich, wie dies beim Eingang normalen Schriftverkehrs zu geschehen pflegt, vermerkt: "1. Herrn B.... z. gefl. Knts., 2. Amt .... z. gefl. Knts., 3. zurück an KRA", während ein Vermerk des Inhalts, dass die Berufungsbegründungsfrist notiert worden sei, fehlte. Nimmt man noch hinzu, dass es in dem gerichtlichen Schreiben vom 29. Oktober 2003 lediglich hieß, anliegend werde eine Ausfertigung des Beschlusses vom 28. Oktober 2003 übersandt, das Berufungsverfahren werde nunmehr unter dem Aktenzeichen 10 A 11759/03.OVG geführt, während sich das Erfordernis der Einhaltung der einmonatigen Berufungsbegründungsfrist allein aus der Rechtsmittelbelehrung des mit diesem Schreiben übersandten Beschlusses vom 28. Oktober 2003 ergab, so wird vollends deutlich, dass der Prozessvertreter des Beklagten zu diesem Zeitpunkt selbst Vorkehrungen dafür treffen musste, dass ihm der Vorgang rechtzeitig vor Ablauf der Frist zur Anfertigung der Berufungsbegründung wieder vorgelegt wurde. Dies wäre ohne weiteres dadurch zu bewerkstelligen gewesen, dass er anstelle des bloßen Vermerks der Kenntnisnahme etwa "Wiedervorlage mir .... Tage vor Fristablauf" verfügt hätte. Dann wäre der Geschäftsstelle ihr eigenes Versäumnis sofort aufgefallen und die Berufungsbegründungsfrist hätte unschwer eingehalten werden können.

Danach braucht nur noch am Rande erwähnt zu werden, dass angesichts der Verfügung der Verwaltungsangestellten C.... und des Inhalts deren eidesstattlicher Versicherung vom 5. Januar 2004 darüber hinaus auch vieles dafür spricht, dass die Verwaltungsangestellte bei ihrer ohnehin nur mündlich erfolgten Einweisung in die durchzuführenden Fristenkontrollen über die nach Zulassung der Berufung zugunsten der Behörde zu beachtende Berufungsbegründungsfrist seitens des Beklagten nicht hinreichend belehrt worden ist. Denn in dieser Versicherung ist bezeichnenderweise immer noch lediglich davon die Rede, dass nach der Regelung des Verfahrensablaufes in der Geschäftsstelle des Kreisrechtsausschusses "dieses Schreiben", gemeint ist ersichtlich das Schreiben des Senats vom 29. Oktober 2003, aus dem sich nach den obigen Ausführungen die zu beachtende Berufungsbegründungsfrist gerade nicht ergab, "daraufhin durchzusehen" war, "ob sich aus ihm die Notwendigkeit zur Einhaltung einer gerichtlichen Frist" ergab. Ein solches Organisationsverschulden stünde der beantragten Wiedereinsetzung jedoch ebenfalls entgegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.108,75 € festgesetzt (§§ 13 Abs. 2, 14 GKG).

Ende der Entscheidung

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