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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 12.03.2004
Aktenzeichen: 10 A 11952/03.OVG
Rechtsgebiete: GG, AuslG


Vorschriften:

GG Art. 16 a Abs. 1
AuslG § 51 Abs. 1
Zur Frage, ob einem wegen Unterstützung der PKK in den ländlichen Regionen der Südosttürkei vorverfolgten Kurden mit Blick auf die zwischenzeitliche innenpolitische Entwicklung in der Türkei eine Rückkehr dorthin zugemutet werden kann (hier verneint in Fortführung und Aktualisierung der bisherigen Rechtsprechung des Senats).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 A 11952/03.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Folgeantrages und Abschiebungsandrohung (Türkei) hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2004, an der teilgenommen haben

Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Falkenstett Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig ehrenamtliche Richterin Hausfrau Fasel ehrenamtliche Richterin Kontoristin Hoffmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 16. Oktober 2003 und unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Juni 2003 verpflichtet festzustellen, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei erfüllt.

Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der im Jahre 1975 in einem Dorf im Kreis M.... in der Provinz B.... geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er begehrt im Wege des Folgeverfahrens aufgrund geltend gemachter Vorverfolgung die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes.

Nach seinen Angaben reiste er am 23. Juni 1998 zum ersten Mal in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seinen alsbald gestellten Asylantrag nahm er am 2. Juli 1998 gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wieder zurück. Daraufhin wurde er am 10. Juli 1998 in die Türkei abgeschoben.

Unter dem Datum des 15. August 2002 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und trug hierbei in einem schriftlichen Bericht sowie bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt unter Vorlage von Unterlagen im Wesentlichen vor:

Er gehöre zum Stamm der B.... . Dessen Angehörige seien Nomaden, die unter anderem auf dem Hochland zwischen B.... und D.... ansässig seien. Dort hätten sie auch ihre Weiden. Diese lägen sehr nahe an einem dichten Wald, in dem sich oft PKK-Guerillas versteckt hätten. Nachts kämen sie dann aus dem Wald heraus und gingen in die umliegenden Häuser, um Nahrungsmittel zu besorgen. Sie seien auch zu seiner Familie gekommen, hätten Listen gehabt und von ihnen verlangt, dass sie ihnen die dort aufgeschriebenen Lebensmittel und andere Dinge beschafften. Gezwungenermaßen hätten sie das für sie getan. Pro Saison seien die Guerillas etwa zehn Mal zu ihnen gekommen. Immer wieder hätten sie wegen der sich ergebenden Schwierigkeiten gebeten, sie nicht mehr aufzusuchen. Die Guerilla hätten ihnen jedoch gesagt, es sei ihre Pflicht als Dorfbewohner und Kurden, sie zu unterstützen. Die Kämpfer seien immer wieder gekommen. Den türkischen Sicherheitskräften und den Dorfschützern sei der Wald als Versteck der PKK-Kämpfer bekannt gewesen. Sie hätten auch den Verdacht gehabt, dass die Dorfbewohner die Guerillas unterstützen würden. Deswegen hätten sie sie oft schikaniert. Dazu sei es vor allem gekommen, wenn sie ihre Herden auf das Hochland getrieben hätten. Dabei hätten sie mehrere Gendarmeriewachen passieren müssen. Immer wieder hätten die Gendarmas sie zur Wache mitgenommen. Man habe sie dort drei bis vier Stunden festgehalten, ihnen vorgeworfen, die PKK zu unterstützen, und versucht, sie einzuschüchtern. Bei manchen Kontrollen seien sie auch geschlagen und beschimpft worden.

In diese Situation sei er, der Kläger, hineingeboren. Zunächst habe er die Schule besucht und auch Abitur gemacht. In dieser Zeit sei der Stamm der B.... im Sommer nicht mehr mit den Herden auf das Hochland gegangen. Immer wieder seien sie dort zwischen die Fronten der türkischen Sicherheitskräfte und der kurdischen Guerilla geraten. Deshalb seien sie ab 1993 auch im Sommer in ihrem Winterquartier in einem Stadtteil von B.... geblieben und hätten die in der Nähe des Dorfes gelegenen Felder bewirtschaftet. Aber auch dort hätten die türkischen Sicherheitskräfte sie nicht in Ruhe gelassen, da man sie mit "Terrorismus" gleich gesetzt habe. Viele der Stammesangehörigen und gerade nähere Verwandte von ihm seien daraufhin nach Deutschland geflohen, weil sie die Unterdrückung nicht mehr ausgehalten hätten. Auch sein Vater und er selbst seien häufig festgenommen und gefoltert worden, oft sei ihr Haus nachts durchsucht worden.

In dieser Zeit habe er sich auf die Zulassungsprüfung für die Universität vorbereitet und die Prüfung dann auch bestanden. Er habe vor gehabt, Wirtschaftswissenschaften und Informatik zu studieren, habe dann aber das Studium nicht aufnehmen können.

Im Jahre 1998 seien sein Vater, sein Bruder und er Mitglieder der HADEP geworden. In dieser Zeit habe er seine Frau kennen gelernt, die dann ebenfalls bei ihnen gelebt habe. Dadurch hätten die Drangsalierungen noch zugenommen, da ein Bruder seiner Frau PKK-Kämpfer gewesen sei. Sehr oft seien deshalb Mitglieder einer Spezialeinheit zu ihnen nach Hause gekommen und hätten sie und seine Frau beschimpft. Eines Nachts hätten sie seinen Vater und ihn mitgenommen, gefoltert und bedroht. Sie hätten sie nach zwei Tagen frei gelassen, weil sie ihnen nichts hätten nachweisen können. Mitte 1998 habe er diese Situation nicht mehr ausgehalten und sei das erste Mal nach Deutschland geflohen. Hier sei er zwar gerettet gewesen, sei aber bei dem Gedanken, dass seine Familie in der Türkei weiter unterdrückt werde, fast wahnsinnig geworden. Er habe Selbstmordgedanken gehabt und habe wenige Tage nach der Asylantragstellung und noch vor der Anhörung beim Bundesamt den Asylantrag zurückgenommen.

Nach seiner Rückkehr in sein Heimatdorf sei die Unterdrückung wie bisher weiter gegangen. Im folgenden Jahr, im Jahr 1999, habe er seinen Wehrdienst ableisten müssen. Eines Tages im April 2001 - als er bereits aus dem Wehrdienst entlassen gewesen sei - sei er nachts auf dem Nachhauseweg von seiner anderswo wohnenden Schwester von einem Panzer angehalten worden. Die Besatzung habe ihn mitgenommen. Sie hätten ihm vorgeworfen, dass bei ihnen zu Hause Versammlungen stattfänden und auch PKK-Leute zu ihnen kämen. Unterdessen habe die Panzerbesatzung ihn zu einem Wald gebracht. Sie hätten von ihm verlangt, für die Sicherheitskräfte die HADEP auszuspionieren, dann würden sie ihn und seine Familie in Ruhe lassen. Als er sich geweigert habe, hätten sie gedroht, seine Familie auf die Polizeistation zu schleppen und ihn vor Ort umzubringen. Als er sich immer noch geweigert habe, hätten sie ihm einen Gegenstand ins Gesicht geschlagen; daraufhin habe er das Bewusstsein verloren. Als er wieder zu sich gekommen sei, sei er völlig blutverschmiert gewesen. Mit dem Panzer habe man ihn in die Nähe seines Hauses gefahren und dort abgesetzt. Schwindelig sei er zu Haus angekommen, seine Zähne seien ausgeschlagen, sein Kopf verletzt und seine Ohrmuschel gerissen gewesen. Er sei dann ärztlich versorgt worden. Bis heute habe er diese Ereignisse nicht verarbeiten können. Nachts könne er nicht mehr schlafen und habe Angst.

Im Januar 2002 sei er nur knapp einer Festnahme entgangen. Vorausgegangen sei eine Presserklärung der HADEP zum Verschwinden von S.... D.... und E.... D...., das sich zum dritten Mal gejährt habe. An dieser Veranstaltung hätten u. a. sein Vater, der inzwischen für die HADEP dem Stadtrat von B.... angehört habe, und auch er teilgenommen. Daraufhin seien 71 Personen festgenommen worden, darunter sein Vater. Er, der Kläger, habe hingegen fliehen können. Die Inhaftierten seien einen Tag lang auf der Polizeistation festgehalten und dann dem Staatsanwalt vorgeführt worden. Während einige von ihnen daraufhin freigelassen worden seien, habe man seinen Vater und 22 andere einem Richter vorgeführt. Dieser habe schließlich die meisten von ihnen, auch seinen Vater, freigelassen.

Am 10. Mai 2002 seien seine Familie und andere wieder mit ihren Herden auf das Hochland, auf die Weide M...., gezogen und hätten dort ihr Lager aufgeschlagen. Etwa 20 Tage später seien ein Soldat und ein Dorfschützer zu ihnen gekommen. Sie hätten gedroht und geschimpft: "Wenn ihr dieses Jahr die PKK unterstützt, werde ich euch alle töten" und "Ihr vom Stamm B.... seid alle Terroristen". Dann seien sie wieder gegangen, aber die Dorfschützer aus G.... hätten sie nicht mehr in Ruhe gelassen. Einige Wochen später, Ende Juni 2002, seien, als sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hätten, fünf PKK-Leute zu ihnen gekommen. Sie hätten mit ihnen zusammen Tee getrunken. Die Guerilla-Kämpfer hätten von ihnen wiederum verlangt, dass sie entsprechend einer Liste ihnen Ausrüstungsgegenstände und Material besorgen sollten. Obwohl sie sich geweigert hätten, sei ihnen doch nichts anderes übrig geblieben, als dem Folge zu leisten. Die PKK-Leute hätten ihnen aufgetragen, die Sachen zu besorgen und zu Hause aufzubewahren; sie würden sie später dort abholen. Am nächsten Tag hätten er und andere sich nach Hause begeben, seien erst ein Stück geritten und dann mit dem Dolmus in die Stadt gefahren. Sie hätten die Sachen dort besorgt und seien am Abend nach Hause zurückgekehrt. Dann seien sie wieder zu den Schafen gegangen. Gegen Morgen hätten sie erfahren, dass ihr Haus durchsucht und die tags zuvor von ihnen besorgten Sachen beschlagnahmt worden seien. Angehörige hätten sie gewarnt und ihnen geraten, die Weide zu verlassen und in ein anderes Dorf zu gehen. Das hätten sie auch getan und hätten von dort einen Freund ausgeschickt, um nähere Informationen zu erhalten. Dieser sei abends zurückgekommen und habe ihnen berichtet, dass die Sicherheitskräfte einige Männer - wie einen Onkel väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits, aber auch seinen Vater und einen Bruder - festgenommen und verhört hätten. Unter Druck hätten diese die ganze Wahrheit gesagt und dabei auch Namen preisgegeben. Diese seien die derjenigen gewesen, die sich in dem Dorf versteckt hätten, nämlich er selbst, ein Sohn seines Onkels väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits namens C.... T.... . Daraufhin habe man die Festgenommenen wieder frei gelassen. Ihnen selbst sei zur Flucht geraten worden. Der Freund habe sie fünf Tage später mit einer Ladung Schafswolle nach M.... gebracht.

Von dort aus seien sie mit dem Bus nach Istanbul gefahren. Nach einigen Tagen Aufenthalt bei Verwandten hätten sie Schlepper gefunden und diese mit dem Geld bezahlt, das ihnen ihr Onkel inzwischen geschickt habe. Am 10. August 2002 hätten sie - das sei außer ihm noch sein Cousin D.... D.... gewesen - in einem Lkw die Türkei verlassen. Schon einige Zeit zuvor sei sein Onkel C.... T...., der ebenfalls wegen des Vorfalls gesucht worden sei, aus der Türkei geflüchtet.

Seine Familie und er hätten in guten Verhältnissen gelebt. Sein Vater sei zuletzt Stellvertreter des Bürgermeisters von B.... gewesen. Sie hätten zwei Geschäfte und mehrere Fahrzeuge besessen, u. a. einen Linienbus und einen Lkw. Den Lkw hätten sie verkaufen müssen, weil ihnen die türkischen Sicherheitskräfte immer wieder vorgeworfen hätten, sie würden damit Material für die PKK-Kämpfer in den Bergen transportieren. Überhaupt seien sie von den Sicherheitskräften ständig unter Druck gesetzt worden. Sein Vater sei wiederholt verhaftet worden, zurzeit schwebe ein Strafverfahren gegen ihn; er sei sicher, dass sein Vater irgendwann einmal im Gefängnis lande. Auch er - der Kläger - habe Verfolgung und Diskriminierungen erfahren müssen. So habe man ihn, obwohl er die Oberschule abgeschlossen habe und dann auch noch die Prüfung für den öffentlichen Dienst bestanden habe, dort nicht eingestellt; der Grund dafür liege darin, dass er zum Stamm der B.... gehöre. Dass die Verfolgung der Mitglieder des Stammes B.... weitergehe, belege auch ein Artikel aus der Zeitung Özgür Gündem vom 26. September 2002. Darin werde berichtet, dass die Region S..../B.... von Militär durchkämmt worden sei, weil man dort Mitglieder der PKK/KADEK vermutet habe. 20 Angehörige des B....-Stammes seien festgenommen und zur Gendarmerie nach S.... gebracht worden. Nach Verhören seien diese Personen einige Tage später wieder freigelassen worden.

Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 27. Juni 2003 mit der Begründung ab, das geltend gemachte Lebensschicksal stelle keine asylrelevante Verfolgung dar, weil dem Kläger im Westen der Türkei eine inländische Fluchtalternative offen gestanden habe und noch offen stehe.

Daraufhin hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Mit ihr hat er sein Vorbringen im Wesentlichen wiederholt. Insbesondere hat er darauf hingewiesen, dass er wegen der Vorfälle in der Türkei ausweislich eines Berichts der Psychiatrischen Klinik der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz vom 27. August 2003 an einer Zwangsstörung mit Selbstverletzungstendenz leide und deshalb in der Universitätsklinik behandelt worden sei, sowie darauf, dass sein Onkel C.... T..., der wegen des gleichen Vorfalls aus der Türkei geflohen sei, inzwischen als politischer Flüchtling gemäß § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes anerkannt worden sei. Sein Vater sei weiter für die Sache der Kurden aktiv und sei inzwischen im Vorstand der neu gegründeten DEHAP.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Oktober 2003 im Wesentlichen aus den Gründen des ablehnenden Bescheides des Bundesamtes abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat stattgegeben hat.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er legt noch einen Strafbefehl der Strafkammer des Friedensgerichts B.... vom 24. Dezember 2003 vor. Darin wird sein Vater, der als Vorstandsmitglied der DEHAP bezeichnet wird, wegen des Auffindens von Büchern und Zeitschriften anlässlich einer Hausdurchsuchung am 9. August 2003 zu einer Haftstrafe von drei Monaten und einer Geldstrafe von 86 Mill. Türkische Lira verurteilt, die dann in eine Geldstrafe von 606 Millionen Türkische Lira umgewandelt wurden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 16. Oktober 2003 und unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Juni 2003 die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass er die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei erfüllt.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist insbesondere darauf, dass der vom Kläger vorgelegte, seinen Vater betreffende Strafbefehl der Strafkammer des Friedensgerichts B.... keinen Anhaltspunkt dafür gebe, dass sein Vater und erst recht nicht der Kläger eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten.

Wegen des Sach- und Streitstandes in allen Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Schriftstücke sowie auf die das Verfahren betreffenden Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Vorgänge sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn der Kläger hat einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des zuvor zu seinem Nachteil abgeschlossenen Asylverfahrens. Bei Durchführung eines weiteren Verfahrens hätte die Beklagte feststellen müssen, dass er die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt. Da dies nicht geschehen ist, hätte die Vorinstanz auf die Klage hin die Beklagte dazu verpflichten müssen.

Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages ein weiteres Asylverfahren dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. So liegt es hier, nachdem der Kläger nach seiner Rückkehr in die Türkei im Juli 1998 dort mehrere Jahre gelebt hat, nach seiner Darstellung vor unmittelbar drohender Verfolgung geflohen ist und wenige Tage nach seiner erneuten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland den vorliegenden Antrag auf Asyl gestellt hat. Dies liegt auf der Hand und bedarf deshalb keiner weiteren Erörterung.

Das danach gebotene Wiederaufgreifen des Verfahrens führt auch - entgegen der in den angefochtenen Entscheidungen des Bundesamtes und des Verwaltungsgerichts vertretenen Auffassung - zur Feststellung, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt.

Anspruch auf die Feststellung dieser Voraussetzungen hat gemäß § 51 Abs. 2 Satz 2 AuslG i V. m. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG der Ausländer, der sich auf politische Verfolgung beruft, damit einen Asylantrag i. S. v. § 13 Abs. 1 AsylVfG stellt und dem - in Entsprechung der rechtlichen Vorgaben des Art. 16 a Abs. 1 GG - bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit oder aber sonstige Eingriffe in andere Grundfreiheiten drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen. Diese Verfolgung ist dabei als politisch anzusehen, wenn sie in Anknüpfung an die asylerheblichen Merkmale der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung des Betroffenen erfolgt, weil sie alsdann den Einzelnen aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzt und ihm zugleich Anlass gibt, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage außerhalb seines Heimatlandes Schutz zu suchen. Die Gefahr einer derartigen Verfolgung setzt weiter voraus, dass diese Maßnahmen dem Schutzsuchenden unter Zugrundelegung einer auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichteten Zukunftsprognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen oder aber dass sie für ihn nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können, nachdem er in der Vergangenheit bereits politische Verfolgung erlitten hatte. Wer von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen war bzw. ist, ist allerdings erst dann als verfolgt bzw. vorverfolgt anzusehen, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist der Fall, wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann. Eine solche inländische Fluchtalternative besteht, wenn er in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm dort auch keine anderen Nachteile drohen, die ihrer Intensität und Schwere nach einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, wobei das Fehlen des wirtschaftlichen Existenzminimums nur dann für den Asylbewerber erheblich ist, wenn seine Notlage verfolgungsbedingt ist. Diese Fragen sind - bis auf die der Vorverfolgung und des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative vor der Ausreise - nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, also zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zu beurteilen (vgl. BVerwGE 105, 204).

Hiernach steht dem Kläger ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei zu. Im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland ist für ihn nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass er wegen der Gründe, die zu seiner Flucht aus der Türkei geführt haben, auffallen wird und - wenn möglicherweise auch nicht unmittelbar an den Grenzen der Türkei im Rahmen der dort zu verzeichnenden Rückkehrkontrollen, so doch - zumindest alsbald bei einer Niederlassung in Istanbul oder nach seiner Rückkehr in die Heimatregion erhebliche, asylbeachtliche Repressalien befürchten muss.

Dabei ist der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt grundsätzlich das Urteil vom 26. Januar 2001 - 10 A 11907/00.OVG -) bislang davon ausgegangen, dass die Rückkehrkontrollen regelmäßig dann zu einer umfassenden Überprüfung führen, wenn sich aus den von dem Rückkehrer mitgeführten Unterlagen ergibt, dass es sich bei ihm offenbar um einen Asylbewerber handelt, der nicht nur kurdischer Volkszugehörigkeit ist, sondern überdies aus einem Ort mit früher erhöhter Guerillatätigkeit stammt und bei dem zudem Namensgleichheit oder gar Verwandtschaft mit prokurdischen Aktivisten besteht. Die polizeiliche Überprüfung führt in derartigen Fällen alsdann nämlich zumeist zu einer intensiven persönlichen Befragung des Betroffenen, daneben in gleicher Weise aber auch zu ergänzenden Rückfragen bei den für seinen Heimatort zuständigen Behörden. Diese Ermittlungen dienen nicht nur der Feststellung der Personalien, Vorstrafen oder etwa anhängiger Verfahren, sondern auch der Aufklärung seiner politischen Einstellung sowie gegebenenfalls auch der Ausforschung der persönlichen Lebensverhältnisse bekanntermaßen in politischer Gegnerschaft zum türkischen Staat stehender naher Angehöriger. Im Zusammenhang mit den Rückfragen bei den Heimatbehörden spielen demgemäß die dort regional geführten Suchlisten und anderweitig vorgegebenen Erkenntnisse eine wesentliche Rolle. Ist der Betroffene in ihnen vermerkt oder besteht sonst - ungeachtet seiner längeren Abwesenheit - ein Interesse an seiner Person, weil etwa inzwischen gegen ihn anlässlich oder nach seiner Ausreise Verdachtsmomente bezüglich eines prokurdischen Engagements aufgetreten sind, die noch fortbestehen oder aus Anlass der Rückkehr wieder aufleben, so wird er auf entsprechendes Ersuchen festgenommen, weiter verhört und schließlich gegebenenfalls den Behörden an seinem Heimatort überstellt, wobei es bei allen diesen Maßnahmen immer wieder zu schwerwiegenden Übergriffen bis hin zu Misshandlungen und Folterungen kommen kann.

An dieser Einschätzung hält der Senat vom Ansatz her auch mit Blick auf die zwischenzeitlichen innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei und deren Anstrengungen fest, um für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union die Kriterien des Kopenhagener Gipfels von 1993 zu erfüllen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es seit den letzten (vorgezogenen) Parlamentswahlen am 3. November 2002 und der Bildung der konservativ-islamischen Regierung von zunächst Abdullah Gül und dann von Recep Tayyip Erdogan zu grundlegenden Veränderungen gekommen ist. Diese wirken sich aber für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht aus, da der Kläger - wie noch im Einzelnen auszuführen sein wird - als Vorverfolgter die Türkei verlassen hat und ihm als solchem mit dem sich daraus ergebenden herabgeminderten Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht zugemutet werden kann, sich wiederum der Zugriffsmöglichkeit des Verfolgerstaates auszusetzen (vgl. dazu: BVerfGE 54, 360).

Begonnen hatte die angesprochene Entwicklung mit dem Ende des Ausnahmezustandes in den Provinzen von Diyarbakir und Sirnak - und damit in den letzten beiden Südostprovinzen - am 30. November 2002. Sie setzten sich dann - nachdem Erdogan im März 2003 Regierungschef wurde - fort mit dem Erlass mehrerer "Reformpakete". Die beiden ersten ergingen in der ersten Hälfte des Jahres 2003 und sahen eine Erschwerung von Parteischließungen und Politikverboten, Maßnahmen zur Verhütung und zur erleichterten Strafverfolgung sowie Bestrafung von Folter, Ausweitung der Vereinsfreiheit sowie die Wiederaufnahme von Verfahren nach einer Verurteilung der Türkei und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg vor. In zwei weiteren "Paketen" Mitte 2003 wurde u. a. die Meinungsfreiheit durch erneute Änderungen von Strafvorschriften ausgeweitet, die Benutzung von Kurdisch in Rundfunk und Fernsehen (die bereits in dem Reformpaket unter der Regierung Ecevit im August 2002 in geringerem Maße ermöglicht wurde) auch auf Privatsender ausgedehnt und mit einer umfassenden Reform des Nationalen Sicherheitsrates die zivile Kontrolle über das Militär gestärkt (vgl. dazu: AA, "Lagebericht" vom 12. August 2003 [Stand: August 2003], S. 8 f). Einen vorläufigen Höhepunkt erfuhr diese Entwicklung mit dem Erlass des "Gesetzes zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft" vom 29. Juli 2003. Dieses Gesetz gewährt Mitgliedern terroristischer Organisationen, die nicht an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt waren und sich freiwillig stellen, Straffreiheit. Straffrei sind danach auch solche Personen, die Anhänger solcher Organisationen lediglich, verpflegt, untergebracht oder auf sonstige Weise (allerdings nicht durch Waffen oder Munition) unterstützt haben. Weiterhin erhalten hiernach Mitglieder, die an Straftaten beteiligt waren und sich freiwillig stellen und dann auch noch hinreichende Informationen zur Organisation liefern, eine großzügige Strafminderung. Allerdings hatte dieses Gesetz in den hier wesentlichen Regelungen von vornherein nur eine Geltungsdauer von sechs Monaten und ist insoweit inzwischen, am 6. Februar 2004, außer Kraft getreten (vgl. dazu im Einzelnen den in einer Übersetzung abgedruckten Gesetzestext in der Anlage zum "Lagebericht" von August 2003).

Durch diese Entwicklung hat sich landesweit und auch in unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen eine "Atmosphäre der Hoffnung" ausgebreitet. Die Bevölkerung und wesentliche Gruppierungen und Organisationen in der Türkei sind vielfach sehr erleichtert, dass die bisherigen "Alt-Politiker" und deren Parteien keine Rolle mehr in Regierung und Parlament spielen. Sie hoffen ganz überwiegend auf die positive Entscheidung der EU Ende dieses Jahres über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und nehmen die dafür nötigen politischen Reformen in Kauf. Positiv wird diese Entwicklung auch von der EU und auch von Menschenrechtsorganisationen gesehen. So heißt es beispielsweise in dem Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte Bulgariens, Rumäniens und der Türkei auf dem Weg zum Beitritt vom 5. November 2003 u. a.: "Die türkische Regierung hat im vergangenen Jahr mit großer Entschlossenheit die Legislativreformen in den Bereichen beschleunigt, die unter die politischen Kriterien fallen. Sie hat auch wichtige Schritte unternommen, um ihre effektive Umsetzung sicherzustellen, damit die Grundfreiheiten und Menschenrechte im Einklang mit den europäischen Standards für alle türkische Bürger gelten. Diese Bemühungen stellen einen wesentlichen Fortschritt in Richtung Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen dar (...) Die Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Folter wurden verstärkt und die Haft ohne Kontakt zur Außenwelt wurde abgeschafft." (Bericht S. 16).

Andererseits sind sich die Beobachter einig, es könne zurzeit (noch) nicht festgestellt gestellt werden, dass diese Reformgesetze eine schon nachhaltige Verbesserung der Menschenrechtslage für die den türkischen Sicherheitskräften und auch der Justiz im sozialen Alltag in den Städten und auf dem Land bewirkt haben (vgl. etwa: AA: "Lagebericht", a.a.O., S. 9, sowie das Interview mit dem Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft in der Türkei, in: Die Welt vom 23. Februar 2004 ["Wir haben demokratische Gesetze auf dem Papier, aber die Köpfe sind noch nicht so weit"]). Auch der bereits erwähnte Bericht der Europäischen Kommission vom 5. November 2003 sieht gerade hier noch große Probleme, wenn es darin heißt: "Um die Umsetzung der Reformen zu intensivieren, müssen alle beteiligten Einrichtungen und Personen den Geist der Reformen akzeptieren (...) Die weit reichenden Veränderungen des politischen und rechtlichen Systems in der Türkei, die im vergangenen Jahr stattgefunden haben, sind Teil eines längerfristigen historischen Prozesses (...) Es wird seine Zeit dauern, bis Exekutive und Judikative auf allen Ebenen und im ganzen Land den Geist der Reformen verinnerlicht haben und die tatsächliche Umsetzung sichergestellt ist." (S. 17).

Diese Bedenken teilt der Senat. Der danach nötige allgemeine gesellschaftliche Bewusstseinswandel und eine dementsprechende Praxis sind noch nicht in einer Weise eingetreten, die es rechtfertigen würden, eine nachhaltige Verbesserung der Menschenrechtslage anzunehmen. Erforderlich hierfür ist vielmehr, dass sich die Gesellschaft in der Türkei "zivilisiert", d. h. die Macht von Militär und Geheimpolizei bricht und ein Eigenleben der Verwaltung weitgehend beseitigt - und zwar auch vor Ort, bei den Polizisten, den Gendarmas, den Soldaten und den Bürgermeistern. Dafür reicht es allein nicht aus, dass die bloßen Zahlen der Folteropfer zurückgehen, zumal wenn gleichzeitig festzustellen ist, dass Praktiken angewendet werden, die die erlittene Folter nicht sichtbar werden lassen (zu letzterem: AA: "Lagebericht", a.a.O., S. 42 f.; IMK-Menschrechtsinformationsdienst Nr. 190 - 191, S. 2 , FAZ vom 14. Februar 2004 sowie zum ganzen: Trauthig, in: ZAR 2004, S. 73 [76]). - Dabei darf auch nicht ganz die Möglichkeit außer Acht gelassen werden, dass dieser Reformprozess nicht notwendigerweise unumkehrbar ist. Denn es gab erst im Jahre 1997 einen "kalten Putsch" der Generäle, mit dem sie den damaligen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan aus dem Amt drängten. Bedenkt man, dass die Reaktion der Türkei - sollte die EU die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen Ende dieses Jahres ablehnen - auch ein Stück weit fraglich ist, ist etwa ein neuerlicher "Staatsstreich" ebenso wenig auszuschließen wie ein Rückgängigmachen der Entwicklung durch die Regierung und das Parlament von sich aus (vgl. dazu: SZ vom 4. März 2004).

Unter den dargelegten Umständen hat der Senat jedenfalls noch keinen Anlass, seine bisherige Rechtsprechung zur Rückkehrgefährdung abgelehnter kurdischer Asylbewerber, die als Vorverfolgte ihr Heimatland verlassen haben, wesentlich zu ändern. Auf der Grundlage dieser Einschätzung ist der Kläger im Falle seiner Rückkehr nicht hinreichend sicher.

Zunächst muss in jedem Fall damit gerechnet werden, dass er bei seiner Einreise überhaupt auffallen und einer näheren Überprüfung mit persönlicher Befragung sowie ergänzenden Rückfragen bei den zuständigen Sicherheitsbehörden überzogen wird. Er verfügt über keinen Reisepass und es spricht überdies alles dafür, dass er sich im Bundesgebiet nur zur Durchführung eines Asylverfahrens aufgehalten hat. Der Kläger hat nämlich die Türkei bereits im August 2002 verlassen und sich seitdem im Ausland aufgehalten, ohne dass ein sonstiger Aufenthaltstitel für seinen nunmehr eineinhalb Jahre währenden Verbleib im Bundesgebiet erkennbar wäre. Überdies wird auffallen, dass der Kläger bereits im Juni 1998 die Türkei illegal verlassen hatte und dann einen Monat später aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben werden musste. Zudem handelt es sich bei ihm um einen Kurden aus der Stadt B..... Diese Stadt ist nicht erst seit den Selbstmordanschlägen in Istanbul, die offenbar in einem Internet-Café in B.... organisiert wurden, in den Schlagzeilen der Medien geraten, sondern schon früher, stand sie doch in den letzten Jahren in Verbindung mit dem (Bürger-)Krieg zwischen der kurdischen PKK-Guerilla und den türkischen Sicherheitskräften (vgl. NZZ vom 26. November 2003).

Diese Überprüfung wird alsdann nach Einschaltung der für den Kläger örtlich zuständigen Sicherheitsbehörden weiter aufdecken, dass dieser tatsächlich dort bereits vor seiner Ausreise über Jahre hin im Blickfeld der Sicherheitskräfte gestanden hatte. Der Senat hat sich nämlich unter Berücksichtigung der insoweit geltenden Beweiserleichterungen die hinreichende Überzeugungsgewissheit gebildet, dass der Kläger tatsächlich das geschilderte Lebensschicksal in der Türkei erlebt und durchlitten hat und bei seiner Flucht aus dem Heimatland unmittelbar von politischer Verfolgung bedroht war.

Zunächst glaubt der Senat dem Kläger, dass er aus einer prokurdisch eingestellten Familie stammt, die seit Anfang der 1990er Jahre in den Bürgerkrieg der kurdischen Guerilla gegen die türkischen Sicherheitskräfte lange Zeit und in vielfältiger Weise hineingezogen war und die PKK-Kämpfer tatsächlich bzw. jedenfalls in den Augen der Sicherheitskräfte unterstützt hat. Belegt wird dies etwa durch die Schilderungen des Onkels C.... T.... in dessen Asylverfahren. Dieser Onkel, der aus dem gleichen Grund wie der Kläger aus der Türkei geflohen und inzwischen als politischer Flüchtling in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt ist, hat auch nach Auffassung des Senats überzeugend berichtet, wie er Mitte der 90er Jahre auf dem Hof eines seiner Brüder in eine Schießerei zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK-Kämpfern geraten sei, die dadurch ausgelöst worden sei, dass sich eine PKK-Kämpferin, mit der man bekannt gewesen sei, bei dem Bruder versteckt habe. In dem Schusswechsel sei dann nicht nur die Kämpferin getötet, sondern auch er, der Onkel, sei von zwei Schüssen getroffen worden. Dabei hat er u. a. einen Bauchdurchschuss erlitten, wodurch seine Därme an sechs Stellen verletzt worden seien. Eine ganze Woche habe er auf der Intensivstation des Krankenhauses in B.... im Koma gelegen, sei dann operiert worden und habe noch über einen Monat im Krankenhaus behandelt werden müssen. Seit diesem Vorfall hat man der Familie des Klägers erst recht vorgeworfen, die PKK zu unterstützen, denn die Sicherheitskräfte waren davon ausgegangen, dass des Onkels Bruder - also ein anderer Onkel des Klägers - die PKK-Kämpferin bei sich versteckt gehabt habe. Dabei übten die türkischen Sicherheitskräfte derartig massiv Druck auf die Familie des Klägers aus, dass diese sogar davon Abstand nahm, ihre Herden im Sommer weiterhin auf der Hochweide zu halten. Die Familienmitglieder verließen nicht mehr ihre stadtnahen Felder und begannen stattdessen, diese zu bewirtschaften. Der Vater des Klägers hat sogar einen Lkw verkauft, damit man ihm nicht mehr den Vorwurf machen konnte, mit diesem Material für die PKK zu transportieren.

Ende der 90er Jahre engagierte sich die Familie des Klägers in prokurdischen Parteien. 1998 wurden sein Vater, aber auch der Kläger und ein Bruder Mitglied in der HADEP. Sein Vater, der Inhaber zweier Geschäfte in B.... war und mehrere Fahrzeuge besaß, wurde für die HADEP bald Stadtrat und später sogar stellvertretender Bürgermeister. Wiederholt wurde er schikaniert und festgenommen. Teilweise geschah dies im Zuge von Drangsalierungen gegen die Familie im Allgemeinen, zum Teil aber auch ganz gezielt wegen und aus Anlass seiner politischen Aktivitäten im engeren Sinne. So wurde der Vater im Januar 2002 - im Vorfeld des im März 2002 verhängten Verbots der HADEP - in B.... bei einer Gedenkveranstaltung bzw. einem Pressetermin für drei HADEP-Mitglieder, die drei Jahre zuvor von Sicherheitskräften festgenommen und umgebracht worden waren, mit 70 anderen Personen festgenommen und erst später durch eine gerichtliche Entscheidung wieder auf freien Fuß gesetzt. Noch im selben Jahr - Dezember 2002 (als der Kläger schon in der Bundesrepublik war) - wurde er offenbar im Zusammenhang mit einer Erstürmung des HADEP-Gebäudes in B.... einen Monat in Haft gehalten. Ende Januar 2003 wurde er bei einer erneuten Erstürmung des HADEP-Gebäudes wiederum festgenommen, bald aber wieder freigelassen. Nach dem Verbot der HADEP ist der Vater des Klägers - offenbar als Unabhängiger - weiterhin stellvertretender Bürgermeister von B.... geblieben und hat sich inzwischen für die neu gegründete prokurdische Partei DEHAP engagiert. In diesem Zusammenhang hat am 9. August 2003 - wie der vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegte Strafbefehl der Strafkammer des Friedensgerichts B.... vom 24. Dezember 2003 belegt - eine Durchsuchung u. a. im Haus des Vaters des Klägers stattgefunden, bei der man Zeitungen und politische Bücher gefunden hat, die verboten waren. Deshalb ist der Vater mit dem genannten Strafbefehl zu drei Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt worden, die zu einer Gesamt-Geldstrafe in Höhe von 606 Mill. Türk. Lira umgewandelt wurde.

Während dieser politischen Aktivitäten des Vaters des Klägers ist die Familie wieder auf die Hochweide zurückgekehrt. Als sie die Herden im Jahre 2000 dort weiden ließen, war der Onkel C.... T.... Augenzeuge, wie offenbar ein PKK-Kämpfer von Dorfschützern umgebracht wurde. Sogleich geriet der Onkel wieder in den Verdacht, die PKK unterstützt zu haben. Er wurde in Gegenwart seines Sohnes, der vor Todesangst schrie, misshandelt, festgenommen und nach B.... gebracht. Dort wurde er gefoltert und seine Operationswunden verursachten ihm große Schmerzen. Er kam erneut ins Krankenhaus, wurde ein zweites Mal operiert und nach einem Monat entlassen. Zu Hause kam es erneut zu Blutungen. Eine weitere, dritte Operation wurde notwendig. Auch diese brachte keine endgültige Heilung. Seitdem muss der Onkel um seinen Bauch ein Korsett tragen und es kommt immer wieder zu Blutungen. Des Weiteren geriet dieser Onkel Ende Juni 2002 "zwischen die Fronten". Dieser Vorfall war dann Anlass für ihn, zusammen mit dem Kläger und einem weiteren Neffen zu fliehen. Noch im September 2002, als der Kläger bereits in der Bundesrepublik Deutschland war, sind 20 Angehörige der Clans des Klägers - wie ein vom Kläger vorgelegter Artikel aus der Zeitung "Özgür Politika" vom 26. September 2002 belegt - bei der Suche des Militärs nach PKK-Leuten auf der Hochweide festgenommen worden. Nach einem mehrtägigen Aufenthalt auf der Gendarmeriekommandantur und Verhören wurden sie wieder freigelassen.

Dieses Familienschicksal steht für den Senat fest aufgrund der wiederholten Darstellungen des Klägers in diesem Verfahren und den Schilderungen seines Onkels C.... T.... in dessen Asylverfahren wie auch teilweise denen seines weiteren Cousins A.... D...., der ebenfalls ein Asylverfahren betreibt. Während der Cousin A.... nicht zusammen mit ihnen geflohen ist und deshalb seine Angaben nicht in allem mit denen des Klägers übereinstimmen, hat der als politischer Flüchtling anerkannte Onkel die Angaben des Klägers, soweit er über die Familie und gemeinsam Erlebtes berichtet hat, voll und bis in die Details bestätigt. Zudem hat der Kläger seine Darstellung belegt durch den Zeitungsartikel aus "Özgür Gündem" sowie durch den Strafbefehl der Strafkammer des Friedensgerichts B..... Im Übrigen halten sich die Angaben des Klägers in dem Rahmen der innenpolitischen Verhältnisse wie sie dem Senat aus anderen Erkenntnismitteln bekannt sind, wie etwa zur Situation in B.... (vgl. NZZ vom 26. November 2003) oder zu Repressalien der türkischen Sicherheitskräfte gegen die HADEP und deren (exponierten) Mitglieder (vgl. IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 145 vom 1. bis 7. Februar 2002 S. 2 "Anklage gegen HADEP-Mitglieder" sowie Nr. 147 vom 15. bis 22. Februar 2002 S. 2 "90 HADEP-Mitglieder festgenommen. Generalstaatsanwalt fordert vom Verfassungsgericht Verbot von HADEP").

In diese Repressalien gegenüber seiner Familie und dem Clan war der Kläger ebenfalls einbezogen, er befand sich im Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte in seiner näheren Heimatregion und war selbst eigenständigen Repressionen ausgesetzt.

Dies begann im Jahr 1998 - einem Umbruchjahr für den Kläger. Nach seinem Schulabschluss und dem Bestehen der Universitäts-Aufnahmeprüfung war es ihm nicht möglich, das von ihm ins Auge gefasste Studium der Wirtschaftwissenschaften und Informatik aufzunehmen. Er blieb zu Hause bei seinen Eltern in B..... Zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder trat er in die damals noch legale HADEP ein. Er heiratete eine Frau, deren Bruder ein PKK-Kämpfer war. Vor allem auch wegen seines Schwagers kamen sehr oft Mitglieder einer Spezialeinheit zu ihnen nach Hause, wo der Kläger mit seiner Frau lebte, und beschimpften sie. Eines Nachts kamen sie wieder und nahmen seinen Vater und ihn mit, folterten und bedrohten sie. Zwei Tage später hat man sie wieder freigelassen, weil ihnen nichts nachzuweisen war. Um dem weiteren Druck zu entgehen, reiste er in die Bundesrepublik aus, kehrte aber schon nach zwei Wochen wieder in die Türkei zurück. Von 1999 an leistete er seinen Wehrdienst ab und geriet dann - wieder zu Hause - massiv unter Druck, als er auf dem Heimweg von der Besatzung eines Panzers angehalten und mitgenommen wurde. Man warf ihm vor, dass bei ihnen zu Hause Versammlungen stattfänden und auch die PKK zu ihnen käme. Man verlangte von ihm, die HADEP, dessen Mitglied er war und bei der sein Vater eine führende Rolle spielte, auszuspionieren. Als er sich weigerte, schlugen ihn die Soldaten bewusstlos, schlugen ihm dabei Zähne aus und setzten ihn blutverschmiert und mit einer gerissenen Ohrmuschel in der Nähe des elterlichen Hauses ab. Er wurde ärztlich versorgt, kann aber bis heute diese Ereignisse nicht verarbeiten und hat vor allem nachts Angstzustände.

Während der Kläger im Januar 2002 - anders als sein Vater - bei der Gedenkveranstaltung bzw. bei dem Pressetermin einer Festnahme entgehen konnte, geriet er wenig später in die Vorfälle im Frühjahr 2002 auf der Hochweide, in die auch - wie bereits kurz erwähnt - sein Onkel C.... T.... verwickelt war und die dann für beide Anlass zur Flucht waren.

Es begann damit, dass sie, nachdem sie am 10. Mai 2002 mit ihren Herden wieder auf die Hochweide gezogen waren, von einem Soldaten und einem Dorfschützer beschimpft und eindringlich davor gewarnt worden waren, auch dieses Jahr wieder die PKK-Leute zu unterstützen. Tatsächlich sind einige Wochen später, Ende Juni 2002, fünf PKKler eines Abends zu ihnen gekommen, haben mit ihnen Tee getrunken und haben sie, vor allem den Kläger, seinen Onkel C.... T.... und seinen Cousin D.... D.... überredet, für sie Gegenstände und Materialien zu besorgen. Dafür habe jeder von ihnen eine Liste erhalten. Am nächsten Tag sind die drei nach B.... gefahren, haben die Dinge eingekauft, sie im Zeltlager versteckt und sind dann in der Nacht bzw. bei Morgengrauen auf die Hochweide zurückgekehrt. Inzwischen hatten die türkischen Sicherheitskräfte die versteckten Sachen gefunden und Männer der Familie, die sie dort antrafen, festgenommen. Ein Onkel des Klägers hat unter Folter die Namen der Einkäufer, darunter auch den Namen des Klägers, preisgegeben. Der daraufhin eingeleiteten Suche nach ihnen konnten sich die drei, da sie von Angehörigen gewarnt waren, gerade noch entziehen. Sie flüchteten zu einem entfernteren Verwandten des Klägers namens H.... in ein Nachbardorf. Dieser nahm sie auf, erkundigte sich über weitere Einzelheiten und bewerkstelligte etwa fünf Tage später die Flucht nach M...., indem er sie unter Baumwolle, die er dorthin zu transportieren hatte, versteckte. Von M.... aus fuhren sie mit einem Linienbus nach Istanbul, kamen dort vorübergehend bei einem Verwandten unter, suchten Schlepper und reisten, als sie sie gefunden hatten, aus, zunächst der Onkel und dann der Kläger mit seinem Cousin D.... .

Dieser Sachverhalt steht für den Senat aufgrund der Angaben des Klägers im vorliegenden Verfahren und der Darstellung seines Onkels in dessen Asylverfahren sowie der sonstigen Umstände fest. Dabei spricht für die Glaubwürdigkeit gerade des Klägers, dass er sein Lebens- und Verfolgungsschicksal von Beginn des Verfahrens an sehr detailreich und immer wieder in sich widerspruchsfrei und ohne Steigerungen im Vortrag geschildert hat. Zudem fällt auf, dass er sein Schicksal bei jeder Anhörung immer detailreicher, plastischer, lebensnäher und bis hin zu den Namen der von ihm erwähnten Personen angegeben hat. Überdies stehen seine Angaben in vollem Einklang mit der Schilderung der Vorfälle durch seinen Onkel C.... T.... . Für den Kläger nahm den Senat weiter ein, dass nach dem Ergebnis des erstinstanzlichen Verfahrens eigentlich nur zwei Unklarheiten bestanden hatten und er diese bei der erneuten Darstellung seines Verfolgungsschicksals vor dem Senat von selbst auflöste, ohne dass das Gericht auch nur einen Hinweis geben musste oder dem Kläger sonst wie erkennbar war, dass es für seine Glaubwürdigkeit auf diese Einzelheiten zuletzt entscheidend ankam.

Die eine Unklarheit betraf den Ort, in den der Kläger Ende Juni 2002 zu seinem entfernten Verwandten H.... geflohen ist. Hatte er nämlich in seiner schriftlichen Einlassung das Dorf K.... "in S...." angegeben, so hat er in der mündlichen Verhandlung von sich aus erklärt, er habe sich in das Dorf K.... "im Kreis S...." begeben. Die letztere und maßgebliche Angabe stimmt aber mit den Örtlichkeiten überein, denn in der Tat gibt es nördlich von B.... eine Stadt mit Namen "S....". Die andere betraf die Frage, ob die fünf PKK-Leute, die Ende Juni 2002 nachts zu ihnen auf die Hochweide gekommen waren, jedem von ihnen (also jeweils dem Onkel C.... T...., dem Cousin D.... D.... und dem Kläger) eine eigene Liste für die Einkäufe übergaben oder ob es sich nur eine einzige Liste handelte. Denn während es im Statement des Klägers noch unklar hieß, die PKK-Leute hätten gesagt: "Heval, wie ihr wisst, geben wir den Leuten Listen der Dinge, die wir brauchen. Aus diesem Grund werden wir auch euch eine Liste geben", hatte der Onkel des Klägers bei seiner Anhörung angegeben, er, der Onkel, habe eine Liste erhalten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger von sich aus nun ausgesagt, jeder von ihnen habe eine eigene Liste erhalten und entsprechend dieser Liste hätten sie dann die Dinge in der Stadt B.... eingekauft.

Mit dieser glaubhaften Darstellung zu den Listen erledigt sich zugleich auch die Würdigung der Vorinstanz, der Kläger habe im Gegensatz seinem Onkel nicht behauptet, in B.... die von den PKK-Leuten verlangten Sachen eingekauft zu haben. Das Gegenteil ist richtig, so heißt es etwa schon im schriftlichen Statement des Klägers: "Am Morgen gingen wir nach Hause. Wir ritten auf Pferden in ein Dorf, das talabwärts lag. Dort stiegen wir in den Dorfomnibus und fuhren in die Stadt. Wir besorgten die Sachen und kehrten gegen Abend (...) nach Hause zurück. Von dort gingen wir zu den Schafen." Von daher rundet seine Klarstellung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, er habe eine eigene Liste erhalten und habe entsprechend dieser in B.... eingekauft, nur noch seine schon zuvor gegebene Schilderung ab.

Ist nach alledem das Vorbringen des Klägers glaubhaft, so ist er in unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben aus der Türkei geflohen, denn er war auf der Flucht vor den türkischen Sicherheitskräften, die ihn suchten, und ihm drohten Repressalien, wie er sie 1 1/4 Jahre zuvor von der Panzerbesatzung erlebt hatte und die dann zu seinen Verletzungen geführt hatten.

Gegenüber dieser drohenden politischen Verfolgung in der Heimatregion stand dem Kläger auch keine so genannte inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen, vor allem in der Westtürkei, offen. Dort war er - was hierfür erforderlich wäre - keineswegs vor politischer Verfolgung hinreichend sicher. Denn überall in der Türkei, zumal in den von Kurden vornehmlich bewohnten Stadtteilen der Großstädte, in denen der Kläger allenfalls hätte Schutz suchen können, kam es auch in den letzten Jahren - wie der Senat aus einer Vielzahl von Verfahren weiß - immer wieder zu allgemeinen Personenkontrollen und Razzien. Teilweise geschah dies aus konkreten Anlässen (wie bei Demonstrationen, Anschlägen, allgemeinen Unruhen), teilweise aber auch routinemäßig. Dabei spielte das starre Ordnungsdenken der türkischen Sicherheitskräfte, Ressentiments oder gar Feindschaft gegenüber politisch aktiven Kurden und generell "linksorientierten" Menschen eine Rolle sowie auch die Enge und Unübersichtlichkeit der Verhältnisse infolge der Migration und Flucht sehr vieler Menschen in die Großstädte des Westens. Bei solchen Razzien fielen insbesondere Kurden auf, die aufgrund des Nüfus als Bewohner politisch "unzuverlässiger" Regionen und Orte erkannt wurden. In diesen Fällen wurde zumindest (wie es auch bei den Grenzkontrollen geschieht, vgl. dazu die Rechtsprechung des Senats zu den Rückkehrkontrollen etwa im Urteil vom 11. Juni 1999 - 10 A 11424/98.OVG -) bei den Sicherheitskräften vor Ort nachgefragt, ob gegen den Betreffenden etwas vorliegt. Eine derartige Nachfrage im Falle des Klägers hätte indessen die ganzen Umstände offenbart, weshalb er zuvor drangsaliert worden war und weswegen er in berechtigter Furcht vor weiterer politischer Verfolgung aus seiner Heimatregion geflüchtet ist. Es drohte dem Kläger, dass sich diese dann wiederholt hätte.

Als vorverfolgt Ausgereistem ist dem Kläger die Rückkehr in die Türkei nur zuzumuten, wenn er vor einer (erneuten) politischen Verfolgung in einem absehbaren Zeitraum hinreichend sicher wäre. Eine solche Prognose ist hier mit Blick auf sein bisheriges Verfolgungsschicksal, die bekannten Grenzkontrollen bei der Rückkehr abgelehnter kurdischer Asylbewerber und den Verhältnissen in der Türkei im Allgemeinen zu verneinen.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die türkische Regierung und das türkische Parlament - wie bereits ausgeführt - in der letzten Zeit ganz erhebliche Reformanstrengungen auch hinsichtlich der Menschenrechtslage allgemein sowie hinsichtlich der kurdischen Bevölkerung unternommen haben. Andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, 315 [344 f.] und BVerfGE 54, 341 [360]) das Asylrecht auf dem Rechtsgedanken der Zumutbarkeit beruht. Danach sind Art und Ausmaß der erlittenen Verfolgungsmaßnahmen, auch wenn diese der Vergangenheit angehören, vor allem für die hier erhebliche Frage von Bedeutung, ob dem Asylsuchenden eine Rückkehr in seine Heimat zugemutet werden kann, nachdem der türkische Staat wichtige gesetzgeberische Reformen erlassen und Schritte unternommen hat, um ihre effektive Umsetzung sicherzustellen. "Die Zumutbarkeit einer Rückkehr wird, wenn sich Verfolgungsmaßnahmen bereits früher in der Person des Asylsuchenden verwirklicht haben, nicht zuletzt davon bestimmt, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Mit der Gewährleistung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist es nicht zu vereinbaren, einen Menschen, der schon einmal von Verfolgungsmaßnahmen betroffen war, wiederum der Zugriffsmöglichkeit des Verfolgerstaates auszusetzen, es sei denn, er kann vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher sein. Es widerspräche dem humanitären Charakter des Asyls, einem Asylsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung aufzubürden." (so ausdrücklich: BVerfGE 54, 360). Diese "Es sei denn"-Einschätzung vermag der Senat hier (noch) nicht zu treffen. Erforderlich hierfür wäre eine grundlegende, stabile und dauerhafte Veränderung der Verhältnisse bei den Kontrollen an der Grenze und bei den türkischen Sicherheitskräften und "dem Staat" generell und landesweit, die auch durch verschiedene unabhängige, sachkundige Beobachter im wesentlichen übereinstimmend und auf längere Sicht festgestellt sein müsste. Hieran fehlt es aber bisher.

Wie oben bereits ausgeführt, wird der Kläger schon bei den Rückkehrkontrollen aller Voraussicht nach auffallen und einer näheren Überprüfung mit persönlicher Befragung sowie ergänzenden Rückfragen bei den zuständigen Sicherheitsbehörden überzogen. Diese Überprüfung wird nicht nur die illegale Ausreise aus der Türkei aufdecken, sondern alle die Umstände, die vor seiner Flucht zu seiner politischen Verfolgung geführt haben. Dabei bedarf keiner weiteren Erörterung die Frage, ob der Kläger danach bereits bei den Grenzkontrollen nicht vor einer asylrelevante Behandlung hinreichend sicher ist, wie das der Senat bisher in seiner ständigen Rechtsprechung in Fällen der vorliegenden Art angenommen hat. Selbst wenn sich, wofür allerdings auch nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. August 2003 keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte bestehen, die Verhältnisse bei den Grenzkontrollen gebessert haben sollten, ändert das an der Einschätzung des Verfolgungsrisikos für ihn nichts Entscheidendes.

Das gilt zum einen hinsichtlich einer in Betracht zu ziehenden Niederlassung in Istanbul oder einer anderen Großstadt der Westtürkei. Wenn auch nähere Angehörige des Klägers zurzeit in Istanbul leben mögen, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass auch gegenwärtig weiterhin die zuvor beschriebenen Razzien vornehmlich in den Kurdenvierteln stattfinden und der Kläger hierbei auffällt. Für eine andere Einschätzung fehlen dem Senat anders lautende verlässliche Erkenntnisse. Sie setzen im Übrigen eine Verinnerlichung der Reformen und einen Bewusstseinswandel bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Polizisten voraus; auch dafür gibt es derzeit aber noch keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Zum anderen wird der Kläger auch in seiner Heimatregion und bei seiner Familie, wohin er schon nach der Abschiebung in die Türkei im Jahr 1998 zurückgekehrt ist, nicht hinreichend sicher sein. Die Repressalien, die er bereits vor seiner Flucht aus der Türkei erlitten hatte und auch unmittelbar bevorstanden, wiederholen sich möglicherweise bzw. werden im Nachhinein angewandt, zumal die türkischen Sicherheitskräfte vor Ort aufgrund der Nachfragen der Grenzkontrollen schon im Vorfeld wissen, dass der Kläger wieder in die Türkei eingereist ist.

Im Falle des Klägers kommt hinzu, dass die Familie, zu der er gehört, bis in den Herbst 2002 nachweisbar den türkischen Sicherheitskräften als missliebig aufgefallen ist und 20 Mitglieder des Clans, zu dem die Familie gehört, wegen des Verdachts der PKK-Unterstützung mehrere Tage festgenommen und intensiv befragt worden sind. In diesem Zusammenhang spielt auch der Vater des Klägers eine Rolle als exponiertes Mitglied zunächst der HADEP und jetzt der DEHAP sowie als stellvertretender Bürgermeister von B..... In dieser herausgehobenen Position werden die türkischen Sicherheitskräfte auf den Vater achten. Das haben sie zudem bereits wiederholt getan, zuletzt mit der Hausdurchsuchung am 9. August 2003 und dem daraufhin durchgeführten Strafverfahren gegen ihn. Dies muss zwar nicht bedeuten, dass der Kläger in die Repressalien gegen seinen Vater einbezogen werden wird. Aber er wird dadurch im Umfeld seines Vaters wahrgenommen mit der Folge, dass die türkischen Sicherheitskräfte ihn wegen der früheren Vorfälle und seiner politischen Einstellung drangsalieren oder - wie sie es schon vor seiner Flucht aus der Türkei getan haben - ihn zu Spitzeldiensten zwingen wollen.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger vor dem Hintergrund der erlittenen Verfolgung erkennbar psychisch instabil ist. So hat er sich ausweislich des Berichts der Psychiatrischen Klinik der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz Ende August 2003 wegen Suizidgefahr und einer "depressiven Episode" in stationäre Behandlung begeben müssen. Nach seinen Angaben ist der Kläger heute noch auf die regelmäßige Einnahme von Medikamenten angewiesen, um diese psychischen Probleme zu lindern. Der Eindruck, den sich der Senat vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gebildet hat, hat die Richtigkeit dieser Angaben bestätigt.

Steht nach alledem fest, dass der Kläger politisch Verfolgter ist, so hat er auch einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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