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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 10 B 10206/08.OVG
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 4
StVG § 4 Abs. 3
StVG § 4 Abs. 4
StVG § 4 Abs. 5
1. Die in § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG bestimmten Maßnahmen sind erneut zu ergreifen, wenn sich die vorausgesetzten Punktstände zum wiederholten Mal durch das Hinzutreten weiterer Punkte ergeben.

2. Werden die maßgeblichen Punktestände dagegen "von oben" durch einen Abbau von Punkten infolge Tilgung oder gemäß § 4 Abs. 4 StVG abermals erreicht, bedarf es keiner erneuten Durchführung der Maßnahme auf der betreffenden Stufe.

3. Im Falle einer Reduzierung des Punktestandes gemäß § 4 Abs. 5 StVG wird das Versäumnis der Fahrerlaubnisbehörde jedenfalls dann durch die Rückführung des Punktestandes ausgeglichen - mit der Folge keiner weiteren Punktereduzierung nach dieser Bestimmung bei erneutem Punkteanstieg -, wenn lediglich die wegen eines "Punkterabatts" gemäß § 4 Abs. 4 StVG oder der zwischenzeitlichen Tilgung einzelner Eintragungen erneut notwendige Maßnahme unterblieb.

4. Die Frage, ob im Rahmen des § 4 Abs. 3 bis 5 StVG das sog. Tattagprinzip oder das sog. Rechtskraftprinzip gilt, bedarf noch keiner abschließenden Entscheidung.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

10 B 10206/08.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Fahrerlaubnis

hier: aufschiebende Wirkung

hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 15. April 2008, an der teilgenommen haben

Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Falkenstett Richter am Oberverwaltungsgericht Möller

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 6. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Es ergeben sich aus den Beschwerdegründen keine rechtlichen Bedenken an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Der angefochtene Beschluss erweist sich vielmehr unabhängig davon, ob im Rahmen des Punktsystems (§ 4 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG -) das so genannte Tattagprinzip oder das so genannte Rechtskraftprinzip gilt, jedenfalls im Ergebnis als zutreffend.

Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht Thüringen (vgl. z.B. Beschluss vom 11. November 2003, ThürVBl 2004, 161) und dem Oberverwaltungsgericht Sachsen (vgl. z.B. Beschluss vom 15. August 2006, NJW 2007, 168; so wohl auch Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, vgl. z.B. Beschluss vom 21. Juni 2006 - 1 M 10/06 -, Juris) davon aus, dass die Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG nicht erneut ergriffen werden müssen, wenn die betreffenden Punktestände durch einen Punkteabbau aufgrund Tilgung oder "Punkterabatt" gemäß § 4 Abs. 4 StVG "von oben" erreicht werden. Darüber hinausgehend vertritt der Senat zudem die Auffassung, dass Entsprechendes - keine Maßnahme mehr auf der niedrigeren Stufe nötig - im Falle einer Punktereduzierung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 StVG - wegen Fehlens der Maßnahme auf der betreffenden Stufe - jedenfalls dann gilt, wenn lediglich die wegen eines "Punkterabatts" nach § 4 Abs. 4 StVG oder der zwischenzeitlichen Tilgung einzelner Eintragungen in den nächst niedrigeren Punktebereich hinein notwendig gewordene Wiederholung der Maßnahme auf dieser Stufe unterlassen wurde; er schließt sich insofern der Rechtsprechung des bis zum Jahresende 2005 für das Fahrerlaubnisrecht zuständig gewesenen 7. Senats des Gerichts (Beschluss vom 18. Juli 2003, DAR 2003, 576; so auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., Rdnr. 13 zu § 4 StVG) an (andere Meinung zum Vorstehenden z.B. OVG Brandenburg, Beschluss vom 16. Juli 2003, DAR 2004, 46; VGH Bayern, Beschluss vom 14. Dezember 2005, DAR 2006, 169; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 21. März 2003, DAR 2003, 433, und 9. Februar 2007, NJW 2007, 1768; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., Rdnr. 4 b zu § 4 StVG).

Der dargestellten Rechtsauffassung des Senats liegen folgende Erwägungen zugrunde:

§ 4 StVG dient dem Schutz vor Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern ("Mehrfachtätern") ausgehen (Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift). Dazu hat der Gesetzgeber zunächst einmal in der Fahrerlaubnisverordnung, dem "Punktekatalog", für sämtliche im Verkehrszentralregister zu erfassende Straftaten und Ordnungswidrigkeiten je nach der Schwere der Zuwiderhandlung und ihren Folgen (vgl. Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift) - pauschalierend und generalisierend - eine bestimmte Anzahl von Punkten - zwischen 1 und 7 Punkten - festgesetzt. In Abhängigkeit zu den sich so für einen Fahrerlaubnisinhaber "ergebenden" Punkten hat er sodann - in Absatz 3 der Vorschrift - ein dreistufiges System behördlicher Maßnahmen geschaffen, wobei der Fahrerlaubnisinhaber mit den Maßnahmen auf den ersten beiden Stufen vor der Begehung weiterer "punktbewehrter" Verkehrsverstöße gewarnt und ihm dabei geholfen werden soll, durch ein Aufbauseminar bzw. eine verkehrspsychologische Beratung Mängel in seiner Einstellung zum Straßenverkehr und im verkehrssicheren Verhalten zu erkennen und abzubauen (vgl. zu letzterem Absätze 8 und 9 der Vorschrift). Erfolgt diese "Nachschulung" auf freiwilliger Basis, hat der Gesetzgeber zu ihr - in Absatz 4 der Bestimmung - einen Anreiz durch die Möglichkeit geschaffen, unter bestimmten Voraussetzungen - unter anderem, dass nicht schon vor ihrer Durchführung die nächste Stufe "erreicht" sein darf - Punkte gutgeschrieben zu bekommen; dabei hat er sein besonderes Interesse an einer möglichst frühzeitigen erzieherischen Einwirkung durch einen dann zu erreichenden erhöhten Punkteabzug zum Ausdruck gebracht. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auf der dritten Stufe trägt dann der Gefährdung des Straßenverkehrs infolge der deutlich gewordenen Uneinsichtigkeit des Fahrerlaubnisinhabers Rechnung. Schließlich hat der Gesetzgeber noch sichergestellt, dass den Fahrerlaubnisinhaber die Warnung auf den ersten beiden Stufen in jedem Fall rechtzeitig, vor Überschreitung der Grenze zur nächsten Stufe, erreicht, damit er sein künftiges Verhalten danach auszurichten vermag; hierzu hat er in Absatz 5 der Vorschrift bestimmt, dass in den Fällen, in denen der Fahrerlaubnisinhaber die jeweilige Grenze überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVG zuvor ergriffen gehabt hätte, sein Punktestand reduziert wird auf den letzten noch zur vorherigen Stufe gehörenden Punktestand.

Unter Berücksichtigung des dargelegten Sinns und Zwecks des Punktsystems lässt sich jedoch nicht annehmen, dass sich die für ein Vorgehen der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVG vorausgesetzten Punktestände auch dann "ergeben", wenn "von oben" durch Punkteabbau wegen der Teilnahme an einem Aufbauseminar bzw. einer verkehrspsychologischen Beratung oder infolge einer Tilgung von Punkten in den betreffenden Punktebereich eingedrungen wird. Wie dargestellt dienen die Maßnahmen auf den ersten beiden Stufen des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG dazu, dem Fahrerlaubnisinhaber zu helfen, verkehrsrelevante Defizite abzubauen, und ihn zugleich vor der Begehung weiterer Verkehrsverstöße zu warnen. In beiderlei Hinsicht macht es nun aber keinen Sinn zu verlangen, dass gegenüber dem Fahrerlaubnisinhaber erneut die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVG vorgesehenen Maßnahmen ergriffen werden, wenn sich sein Punktestand vermindert, weil er die ihm unverbindlich angebotene Hilfe angenommen hat oder weil er sich über einen längeren Zeitraum keine weiteren Verkehrsverstöße hat zuschulden kommen lassen oder doch Verkehrsverstöße so weit zurückliegen, dass sie ihm gegenüber nicht mehr verwertet werden dürfen. Abermaliger Warnung bzw. Hilfsangebote bedarf mit anderen Worten nur der Fahrerlaubnisinhaber, der nach einer Punktereduzierung erneut im Verkehr auffällig wird.

Auf den Fall der Rückführung von Punkten nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 StVG, das "Sich-Ergeben" von 8, aber nicht mehr als 13 Punkten, bzw. von 14, aber nicht mehr als 17 Punkten, auf diese Weise "von oben" lassen sich die vorstehenden Erwägungen, wie sich von selbst versteht, nicht übertragen, setzt die Punktereduzierung gemäß dieser Bestimmung doch das Fehlen einer Maßnahme auf der Stufe, in die zurückversetzt wird, voraus. Zu sehen ist dabei jedoch, dass, wenn bei einer Rückversetzung nach dieser Bestimmung stets die Durchführung der Maßnahme auf der niedrigeren Stufe verlangt wird, die Rückversetzung mithin das Fehlen der betreffenden Maßnahme in keinem Fall "heilt", es bei mehrfachem Untätigbleiben der Fahrerlaubnisbehörde - aus welchem Grunde auch immer - trotz fortwährender Verkehrsverstöße des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers und ungeachtet der davon für andere Verkehrsteilnehmer ausgehenden Gefahren - vor denen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StVG das Punktsystem schützen soll - praktisch zu einem "Einfrieren" auf den Punktestand von 13 bzw. 17 Punkten kommt. Ausgehend von der seitens des Gesetzgebers einleitend gesondert hervorgehobenen Zweckbestimmung der Regelung des § 4 StVG hat der 7. Senat des Gerichts in seinem Beschluss vom 18. Juli 2003 (a.a.O.; ihm folgend Hentschel, a.a.O.) daher § 4 Abs. 5 StVG aufgrund einer teleologischen Reduktion dahin ausgelegt, dass mit der Punktereduzierung nach Maßgabe dieser Bestimmung das Versäumnis der Straßenverkehrsbehörde ausgeglichen ist. Ob dieser Auffassung ohne Einschränkung, d.h. auch dann zu folgen ist, wenn - wie in dem dem Beschluss vom 18. Juli 2003 offenbar zugrunde liegenden Fall - noch zu keiner Zeit die Maßnahme auf der Stufe, in die zurückversetzt wurde, erfolgt war, kann hier offen bleiben, da sich diese Frage hier weder unter Zugrundelegung des so genannten Tattagprinzips noch ausgehend vom so genannten Rechtskraftprinzip stellt.

Dies könnte mit Rücksicht darauf zweifelhaft sein, dass die unwiderlegliche Vermutung der mangelnden Fahreignung nach der in § 4 Abs. 3 - 5 StVG getroffenen Stufenregelung nur dann gerechtfertigt sein soll, wenn sich der betreffende Fahrerlaubnisinhaber als uneinsichtig erweist, weil er ungeachtet der ihm auf den ersten beiden Stufen zuteil gewordenen Warnungen und Hilfsangebote nicht davon ablässt, unter Missachtung der bestehenden Verkehrsvorschriften am Straßenverkehr teilzunehmen. Dem das gesamte Fahrerlaubnisrecht beherrschenden Grundsatz der Gefahrenabwehr muss aber jedenfalls dann im Sinne des oben dargestellten Verständnisses der Bestimmung des § 4 Abs. 5 StVG Vorrang vor dem Schutz des Fahrerlaubnisinhabers vor einer "übereilten" Einschätzung als fahrungeeignet eingeräumt werden, wenn - wie hier unter Zugrundelegung des so genannten Rechtskraftprinzips - lediglich die wegen eines "Punkterabatts" gemäß § 4 Abs. 4 StVG oder der zwischenzeitlichen Tilgung einzelner Eintragungen in den nächst niedrigeren Punktbereich hinein notwendig gewordene erneute Ergreifung der Maßnahme auf der Stufe, in die sonst abermals zurückgesetzt werden müsste, unterblieb. In derartigen Fällen ist die betreffende Maßnahme jedenfalls einmal durchgeführt und der betreffende Fahrerlaubnisinhaber mithin entsprechend "verwarnt" worden, ist jedenfalls in vielen Fällen ein erneuter Punkteabbau durch die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar bzw. einer verkehrspsychologischen Beratung ohnehin nicht möglich (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 3 StVG) und wird der Fahrerlaubnisinhaber dabei in aller Regel um sein fortgesetztes Fehlverhalten im Straßenverkehr wissen. Hervorgehoben sei im hier behandelten Zusammenhang schließlich noch, dass sich der Senat mit dem dargelegten Verständnis des § 4 Abs. 5 StVG nicht in Widerspruch setzt zu seiner Entscheidung vom 24. November 2006 - 10 B 11135/06.OVG -, in der er sich - in einem obiter dictum - mit der Rechtslage gemäß § 4 Abs. 5 StVG nach einer Tilgung sämtlicher Eintragungen im Verkehrszentralregister befasst hat.

Unter Zugrundelegung der vorgenannten Rechtsgrundsätze kommt es vorliegend nicht darauf an, ob das so genannte Tattagprinzip oder das so genannte Rechtskraftprinzip zur Anwendung gelangt: In beiden Fällen ist danach von der Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.

Ungeachtet dessen sei hier deutlich gemacht, dass der Senat zum so genannten Tattagprinzip, von dem auch der 7. Senat des Gerichts in seinem Beschluss vom 18. Juli 2003 ausgegangen ist (vgl. des Weiteren z.B. OVG Thüringen, Beschluss vom 12. März 2003, NJW 2003, 2770; VGH Bayern, Beschluss vom 14. Dezember 2005, a.a.O.; OVG Sachsen, Beschluss vom 15. August 2006, a.a.O.), neigt. Er misst insofern zum einen dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass Anknüpfungspunkt aller Maßnahmen ein konkretes nicht hinzunehmendes Verhalten des Fahrerlaubnisinhabers im Straßenverkehr ist und durch die Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG dementsprechend eine Verhaltensänderung herbeigeführt werden soll - während die Rechts- bzw. Bestandskraft "nur" der "Vergewisserung" dient, dass sich der Fahrerlaubnisinhaber seinerzeit tatsächlich so verhalten hat; dabei geht es bei dem Verhalten zudem um das einzige für den Zeitpunkt, zu welchem sich die jeweiligen Punktestände "ergeben", in Betracht kommende Geschehen, das ausschließlich vom Fahrerlaubnisinhaber selbst eben auch in dieser zeitlichen Hinsicht "festgeschrieben" wurde. Zum anderen kann nach Auffassung des Senats nicht daran vorbeigegangen werden, dass in Fällen, in denen ein strafbares bzw. ordnungswidriges - und punktbewehrtes - Verhalten im Straßenverkehr aus welchen Gründen auch immer nicht mit der Verhängung einer Strafe bzw. eines Bußgeldes geahndet wurde, die Fahrerlaubnisbehörde durchaus allein mit Blick auf eben die Tat die Ungeeignetheit des betreffenden Kraftfahrers zur Teilnahme am Straßenverkehr feststellen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen kann; in der das Verhältnis von Straf- bzw. Bußgeldverfahren auf der einen und Fahrerlaubnisentziehungsverfahren auf der anderen Seite allgemein regelnden Vorschrift des § 3 StVG ist nur der Vorrang eines anhängigen Strafverfahrens - das Fehlen der Entscheidungsbefugnis der Fahrerlaubnisbehörde währenddessen - (Abs. 3 der Vorschrift) sowie - dem § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG vergleichbar - die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an ein Strafurteil bzw. einen Strafbefehl, die gerichtliche Ablehnung einer Hauptsacheverfahrenseröffnung bzw. eines Strafbefehlsantrags und eine Bußgeldentscheidung vorgesehen (Abs. 4 der Bestimmung). Stichhaltige Gründe, warum es im Rahmen der Bekämpfung derselben Gefahr - der von dem Verkehrsverhalten eines bestimmten Kraftfahrers für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer ausgehenden Gefahren - auf der Grundlage des Punktsystems, nur weil insoweit so genannte Mehrfachtäter in Rede stehen und ihnen gegenüber ein abgestuftes Verfahren vorgesehen ist, auf das Vorhandensein rechts- bzw. bestandskräftiger gerichtlicher bzw. behördlicher Entscheidungen und - sogar - den Zeitpunkt der Rechts- bzw. Bestandskraft für das Vorgehen entscheidend ankommen soll, erschließt sich dem Senat jedenfalls nicht ohne weiteres.

Nach Maßgabe des einleitend Ausgeführten ergeben sich unter Zugrundelegung des so genannten Tattagprinzips für den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung und auch derzeit noch - auf die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG kommt es hier demgemäß nicht an - zu Lasten des Antragstellers 23 Punkte.

Im Zeitpunkt der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar ergaben sich für den - am 9. Mai 2001 bei einem Stand von 8 Punkten verwarnten - Antragsteller aufgrund der in der Zeit vom 23. Juni 1999 bis zum 26. Mai 2003 begangenen sechs Ordnungswidrigkeiten - keine der diese Taten betreffenden Eintragungen war bis dahin (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) zu tilgen - 14 Punkte.

Die Teilnahme des Antragstellers an dem Aufbauseminar führte zu keiner Punktereduzierung gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 StVG: Die Vorschrift betrifft nur die freiwillige Teilnahme an einem solchen Seminar auf der Stufe des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG. Wie an dieser Stelle ergänzend hervorgehoben werden soll, hätte dem Antragsteller bereits auf der Grundlage des § 4 Abs. 7 StVG die Fahrerlaubnis entzogen werden müssen, nachdem er die für die Teilnahme am Aufbauseminar gesetzte Frist nicht eingehalten hatte.

Auch die - freiwillige - Teilnahme des Antragstellers an einer verkehrspsychologischen Beratung in der Zeit vom 18. Juni bis zum 16. Juli 2004 führte nicht zu einem Punkteabbau. Nach § 4 Abs. 4 Satz 2 StVG wäre es dafür erforderlich gewesen, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 4 StVG) - am 16. Juli 2004 - noch nicht 18 Punkte erreicht hatte. Er hatte jedoch aufgrund der Ordnungswidrigkeit vom 2. März 2004 bereits an diesem Tag 18 Punkte erreicht; dieser Punktestand verringerte sich auch nicht etwa bis zum 16. Juli 2004 durch irgendeine Tilgung. Es war nach dem Erreichen von 18 Punkten auch für eine Punkterückführung gemäß § 4 Abs. 5 StVG kein Raum, da ja die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG ergriffen worden waren. Wiederum ergänzend sei in dem hier behandelten Zusammenhang darauf hingewiesen, dass dem Antragsteller nach dem Erreichen von 18 Punkten mit der Ordnungswidrigkeit vom 2. März 2004, spätestens jedoch - wenn man für die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG ungeachtet der Zugrundelegung des so genannten Tattagprinzips die Rechtskraft der diese Tat betreffenden Entscheidung verlangen wollte (so z.B. OVG Thüringen, Beschluss vom 12. März 2003, a.a.O.) - am 24. September 2004 die Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 zu entziehen gewesen wäre.

Am 27. Juli 2004 erhöhte sich der Punktestand des Antragstellers wegen der seinerzeit begangenen Ordnungswidrigkeit auf 22 Punkte, um am 21. Oktober 2004 wegen der Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der die Ordnungswidrigkeit vom 23. Juni 1999 betreffenden Eintragung auf 19 Punkte abzusinken. Durch die Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der zur Ordnungswidrigkeit vom 12. Juni 2000 erfolgten Eintragung verminderte sich der Punktestand am 17. August 2005 erneut auf nunmehr 18 Punkte. Am 18. November 2005 erhöhte sich der Punktestand aufgrund der an diesem Tage begangenen Ordnungswidrigkeit auf 21 Punkte. Danach ermäßigte sich am 2. Februar 2006 mit Rücksicht auf die Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der Eintragung hinsichtlich der Ordnungswidrigkeit vom 5. September 2000 der Punktestand ein weiteres Mal auf 18 Punkte.

Durch die Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der Eintragung in Bezug auf die Ordnungswidrigkeit vom 28. November 2000 am 4. April 2006 fiel der Punktestand schließlich auf 17 Punkte zurück. Da damit die zweite Stufe des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG "von oben" erreicht wurde, bedurfte es keiner erneuten Ergreifung der für diese Stufe vorgesehenen Maßnahme.

Nachdem sich in der Folgezeit durch die Ordnungswidrigkeit vom 13. September 2006 an diesem Tag der Punktestand auf 19 Punkte erhöht hatte - ohne dass deswegen eine Rückstufung gemäß § 4 Abs. 5 StVG veranlasst gewesen wäre -, wäre da schon - wieder einmal -, spätestens aber mit Rücksicht auf diese Ordnungswidrigkeit am 14. November 2006 (vgl. dazu die oben bereits angeführte Rechtsprechung des OVG Thüringen) die Fahrerlaubnis aufgrund des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zu entziehen gewesen.

In der Folgezeit erhöhte sich der Punktestand aufgrund der Ordnungswidrigkeit vom 3. Dezember 2006 zur gleichen Zeit auf 22 und aufgrund der Ordnungswidrigkeit vom 19. April 2007 an dem Tag auf 23 Punkte. Sodann kam es noch einmal am 4. Mai 2007 wegen der Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der Eintragung zur Ordnungswidrigkeit vom 13. März 2002 zu einer Punktereduktion, und zwar auf 20 Punkte, ehe mit der Ordnungswidrigkeit vom 19. September 2007 zu diesem Zeitpunkt der Punktestand erneut auf 23 Punkte anstieg.

Unter Zugrundelegung des so genannten Rechtskraftprinzips ergeben sich in Anwendung der oben dargestellten Rechtsgrundsätze zu Lasten des Antragstellers - wiederum sowohl im Zeitpunkt des Ergehens der angegriffenen Verfügung als auch gegenwärtig - 18 Punkte.

Auch danach lagen im Zeitpunkt der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar aufgrund der zwischen dem 23. Juni 1999 und 26. Mai 2003 begangenen Ordnungswidrigkeiten gegen den zuvor bereits ordnungsgemäß gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG verwarnten Antragsteller 14 Punkte vor.

Wie oben bereits dargestellt, führte die Teilnahme an dem Aufbauseminar zu keinem "Punkterabatt" nach § 4 Abs. 4 Satz 1 StVG. Dass dem Antragsteller eigentlich schon wegen der Fristversäumung in Bezug auf die Teilnahme am Aufbauseminar die Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 7 StVG zu entziehen gewesen wäre, wurde oben bereits erwähnt.

Wegen der - freiwilligen - Teilnahme des Antragstellers an der verkehrspsychologischen Beratung ermäßigte sich der Punktestand jedoch gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 StVG auf 12 Punkte. Die die Ordnungswidrigkeit vom 2. März 2004 betreffende Entscheidung wurde erst nach der unter dem 16. Juli 2004 erfolgten Ausstellung der Teilnahmebescheinigung zur verkehrspsychologischen Beratung, nämlich am 24. September 2004, rechts- bzw. bestandskräftig. Wegen der besagten Reduzierung der Punkte war der Antragsteller allerdings nicht nochmals gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG zu verwarnen.

Aufgrund der Erhöhung des Punktestandes mit der Rechts- bzw. Bestandskraft der Entscheidung zur Ordnungswidrigkeit vom 2. März 2004 - am 24. September 2004 - auf 16 Punkte hätte der Antragsteller jedoch gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG jedenfalls verwarnt werden müssen.

Eine solche Verwarnung wäre nach der Punktereduzierung vom 21. Oktober 2004 infolge der Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der die Ordnungswidrigkeit vom 23. Juni 1999 betreffenden Eintragung auf 13 Punkte - ohne die Notwendigkeit einer weiteren Verwarnung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG - und der nachfolgenden Erhöhung des Punktestandes am 30. November 2004 mit Rücksicht auf die da eingetretene Rechts- bzw. Bestandskraft der die Ordnungswidrigkeit vom 27. Juli 2004 betreffenden Entscheidung auf 17 Punkte erneut notwendig gewesen.

Ein weiteres Mal wäre der Antragsteller auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG zu verwarnen gewesen, nachdem sich nach der Verminderung des Punktestandes zunächst wegen der Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der in Bezug auf die Ordnungswidrigkeit vom 12. Juni 2000 erfolgten Eintragung - am 17. August 2005 - auf 16 Punkte und sodann aufgrund der Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der Eintragung zur Ordnungswidrigkeit vom 5. September 2000 - am 2. Februar 2006 - auf 13 Punkte - ohne dass sich auch da die Notwendigkeit zu einer wiederholten Verwarnung auf der ersten Stufe des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG ergeben hätte - der Punktestand am 24. Februar 2006 wegen der Rechts- bzw. Bestandskraft der Entscheidung bezüglich der Ordnungswidrigkeit vom 18. November 2005 nochmals in den Punktbereich des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG, nämlich auf 16 Punkte, erhöht hatte.

Danach wurde der Punktestand am 4. April 2006 aufgrund der Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der die Ordnungswidrigkeit vom 28. November 2000 betreffenden Eintragung auf 15 Punkte abgesenkt, um dann aber wieder am 14. November 2006 mit Rücksicht auf die Rechts- bzw. Bestandskraft der die Ordnungswidrigkeit vom 13. September 2006 betreffenden Entscheidung auf 17 Punkte anzusteigen.

Mit der Rechts- bzw. Bestandskraft der auf die Ordnungswidrigkeit vom 3. Dezember 2006 ergangenen Entscheidung - am 27. Januar 2007 - ergaben sich dann erstmals "18 oder mehr Punkte", nämlich 20 Punkte. Da die Maßnahme auf der zweiten Stufe des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG nach dem Punkteabbau - in die erste Stufe - gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 StVG bzw. aufgrund der Tilgung einzelner Eintragungen nach Maßgabe des § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG - auf das Niveau der ersten Stufe - nicht e r n e u t ergriffen worden war, wurde der Punktestand gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 Punkte rückgesetzt. Zufolge der obigen Ausführungen bedurfte es danach keiner erneuten Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG mehr, da das Versäumnis der Fahrerlaubnisbehörde mit der Rückversetzung gemäß § 4 Abs. 5 StVG "geheilt" war.

Durch die Tilgung (gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG) der die Ordnungswidrigkeit vom 13. März 2002 betreffenden Eintragung - am 4. Mai 2007 - ermäßigte sich der Punktestand dann zunächst wieder auf 14 Punkte, um sich schließlich mit der am 14. Juli 2007 eingetretenen Rechts- bzw. Bestandskraft der Entscheidung zur Ordnungswidrigkeit vom 19. April 2007 auf 15 Punkte und alsdann mit der Rechts- bzw. Bestandskraft der Entscheidung hinsichtlich der Ordnungswidrigkeit vom 19. September 2007 - am 6. Dezember 2007 - auf 18 Punkte zu erhöhen. Wie eingangs erläutert wurde, war danach für eine wiederholte Reduzierung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 des Gerichtskostengesetzes - GKG - i.V.m. Nrn. 1.5 und 46 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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