Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 17.12.2004
Aktenzeichen: 12 A 11602/04.OVG
Rechtsgebiete: BAT, SGB IX


Vorschriften:

BAT § 59
BAT § 59 Abs. 1
BAT § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1
BAT § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1
BAT § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 4
BAT § 59 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 5
BAT § 59 Abs. 3
BAT § 59 Abs. 5
SGB IX § 92
SGB IX § 85
1. Die Zustimmung des Integrationsamtes nach § 92 SGB IX zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen wegen Erwerbsminderung ist eine Ermessensentscheidung.

2. Wird eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt, so ruht das Arbeitsverhältnis nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 4 und 5 BAT.

3. In diesem Fall kann eine Zustimmung des Integrationsamtes nach § 92 SGB IX nicht erteilt werden.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 A 11602/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Schwerbehindertenrechts

hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2004, an der teilgenommen haben

Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff Richter am Verwaltungsgericht Porz ehrenamtliche Richterin Hausfrau Emmert ehrenamtlicher Richter Organist Höhmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 15. Juli 2004 - 1 K 101/04.MZ - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen.

Die 1964 geborene Beigeladene ist seit dem 1. November 1992 bei der Stadtbibliothek M. als Buchbinderin angestellt. Seit dem 1. Februar 2002 ist sie an einem organischen Nervenleiden und an Migräne arbeitsunfähig erkrankt und seit dem 1. März 2002 als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Die Beigeladene unternahm mehrere Wiedereingliederungsversuche und beantragte im Rahmen dessen unter Vermittlung des Schwerbehindertenbeauftragten eine Arbeitsreduzierung auf 20 Stunden zunächst für die Zeit vom 23. April bis 5. Juni 2003. Die Klägerin kündigte die Ablehnung dieses Antrages an und wies die Beigeladene darauf hin, sie müsse vollschichtig tätig sein.

Auf den Antrag der Beigeladenen auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 14. März 2002 gewährte ihr die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Bescheid vom 8. Juli 2003 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2002 bis zum 65. Lebensjahr und mit Bescheid vom 11. Juli 2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. September 2002 befristet bis zum 31. August 2005. Der zweite Bescheid enthielt den Hinweis, dass diese Rente neben der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt werde und der Rentenanspruch zeitlich begrenzt sei, weil die volle Erwerbsminderung nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruhe. Unmittelbar nach dem Zugang übersandte die Beigeladene die Rentenbescheide der Klägerin.

Die von der Klägerin beantragte Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen lehnte das Integrationsamt mit Bescheid vom 24. September 2003 ab und führte zur Begründung aus, wegen der Bewilligung der unbefristeten Erwerbsminderungsrente komme zwar grundsätzlich eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) in Betracht. Eine derartige Beendigung sei jedoch mangels seiner Zustimmung nicht erfolgt. Deshalb sei auf die zuvor ergangene Bewilligung der befristeten Rente abzustellen, die gemäß § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 4 und 5 BAT zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses und nicht zu dessen Beendigung führe. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, da beide Rentenbescheide nebeneinander bestünden, sei es willkürlich, auf den Zugang des zweiten Rentenbescheides abzustellen. Die Beigeladene habe es versäumt, ihre Weiterbeschäftigung binnen 14 Tagen zu beantragen, und habe somit gemäß § 59 Abs. 4 BAT zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beigetragen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003 zurückgewiesen.

Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Verwaltungsgericht Mainz hat der Klage mit Urteil vom 15. Juli 2004 - 1 K 101/04.MZ - stattgegeben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Nach § 92 Satz 1 SGB IX dürfe das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Menschen bei Rentengewährung wegen Erwerbsminderung nur mit der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes ohne Kündigung beendet werden. In Anwendung des § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 BAT sei das Arbeitsverhältnis der Beigeladenen beendet. Die hierzu erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes sei zu erteilen, da § 92 SGB IX dem Beklagten kein weitergehendes Ermessen einräume und die Grundsätze der §§ 85 ff. SGB IX, auf die verwiesen werde, erfüllt seien.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Beklagte sein Vorbringen und beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 15. Juli 2004 - 1 K 101/04.MZ - die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Sie führt ergänzend aus, mit der Stellung des Rentenantrages zeige der Angestellte, dass er selbst die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anstrebe. Damit sei für das Integrationsamt nur noch die Prüfung der tariflichen Voraussetzungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich. Ohne einen entsprechenden Antrag sei die Frage der Weiterbeschäftigung nicht mehr inhaltlich abzuklären. Mehrere Wiedereingliederungsverfahren seien erfolglos abgebrochen worden. Die Beigeladene sei durchgängig seit dem 1. Februar 2002 arbeitsunfähig erkrankt. Sie besitze keinerlei Verwaltungserfahrung und erfülle damit nicht die Voraussetzungen für eine Tätigkeit im Verwaltungsbereich. Andere geeignete freie Stellen im Bereich ihrer Vergütungsgruppe V b BAT seien weder im Zeitpunkt der Zustellung des Rentenbescheides noch heute und soweit absehbar auch nicht bis zum Ablauf eines fiktiven Zeitraumes der Kündigungsfrist vorhanden.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag und führt im Berufungsverfahren aus, sie habe bereits am 9. April 2003 eine Halbtagstätigkeit beantragt und nach Wiedererlangung ihrer Geschäftsfähigkeit und teilweiser Besserung ihres Gesundheitszustandes am 21. Oktober 2003 bei der Klägerin um Weiterbeschäftigung nachgesucht. Sie wolle ihre bisherige Stelle als Halbtagsstelle weiterhin ausfüllen; bekanntlich seien die meisten Mitarbeiter in der Stadtbibliothek Halbtagskräfte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsakten verwiesen; sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Die Klägerin hat gemäß § 92 i.V.m. §§ 85 ff. des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) keinen Anspruch auf Zustimmung des Integrationsamtes zu der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen; der Bescheid des Integrationsamtes vom 24. September 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Nach § 92 SGB IX bedarf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen auch dann der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes, wenn sie im Falle des Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung, der Erwerbsminderung auf Zeit, der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit ohne Kündigung erfolgt. In diesem Falle gelten uneingeschränkt die Vorschriften über die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung nach Kapitel 4 des SGB IX (§§ 85 ff.), nach denen das Integrationsamt eine Ermessensentscheidung unter Abwägung der gegenseitigen Interessen zu treffen hat.

Das Integrationsamt hat die Zustimmung zu Recht verweigert, da ein Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gegeben ist. Nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 BAT endet das Arbeitsverhältnis, wenn durch den Bescheid des Rentenversicherungsträgers festgestellt wird, dass der Angestellte auf Dauer erwerbsgemindert ist. Nach Satz 4 endet das Arbeitsverhältnis hingegen nicht, wenn nach dem Bescheid des Rentenversicherungsträgers eine befristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gewährt wird. In diesem Fall ruht nach Satz 5 das Arbeitsverhältnis.

Vorliegend hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Bescheid vom 8. Juli 2003 der Beigeladenen wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum 65. Lebensjahr eine Rente bewilligt. Mit Bescheid vom 11. Juli 2003 bewilligte sie zudem eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diesen Fall der entsprechend der neueren Praxis der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf der Grundlage des § 43 SGB VI erfolgten parallelen Gewährung zweier Renten, nämlich einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer und einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, regelt § 59 Abs. 1 Unter- abs. 1 BAT nicht. Die Sätze 1, 4 und 5 setzen zwei sich gegenseitig ausschließende Rechtsfolgen in Form der Beendigung bzw. des Ruhens des Arbeitsverhältnisses für denselben Zeitpunkt des Ablaufs des Monats, in dem der jeweilige Rentenbescheid zugestellt wurde (hier: jeweils Juli 2003), ohne eine Regelung für den Fall der Kollision zu treffen. Eine Auslegung nach Sinn und Zweck der zwischen den Tarifvertragsparteien getroffenen Vereinbarung ergibt, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Vorrang vor der Beendigung hat.

Zu § 59 BAT hat das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 28. Juni 1995 - 7 AZR 555/94 - NJW 1996, 2052 [2053]) ausgeführt:

"§ 59 BAT dient dem Schutz des Arbeitnehmers, der aus gesundheitlichen Gründen zur Verrichtung seiner bisherigen Tätigkeit außer Stande ist. Die mit einer Weiterbeschäftigung in dieser Tätigkeit verbundene Gefahr der Verschlimmerung des Gesundheitszustandes soll ausgeräumt werden, indem ihm die Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses abgenommen wird. Auf der anderen Seite will die Tarifnorm berechtigte Interessen des Arbeitgebers schützen und ihm unter erleichterten Voraussetzungen die Trennung von seinem Arbeitnehmer ermöglichen, der gesundheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist seine nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. ...

Auch aus dem Gesamtzusammenhang der beiden Beendigungstatbestände in § 59 Abs. 1, Abs. 2 BAT folgt, dass die auflösenden Bedingungen der Berufsunfähigkeit auf die Fälle beschränkt ist, bei denen es an einer zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeit auf dem freien Arbeitsplatz fehlt."

§ 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 BAT sieht damit für eine typisierte Situation der feststehenden Unfähigkeit, die Aufgaben des derzeitigen Arbeitsplatzes (BAG, Urteil vom 9. August 2000 - 7 AZR 214/99 -, AP Nr. 10 zu § 59 BAT) - sei es auch nur in Form von Teilzeitarbeit - wahrzunehmen, eine vereinfachte Beendigungsmöglichkeit vor. Die tarifvertragliche Beendigungsnorm darf dabei nicht zu einer Umgehung zwingender kündigungsschutzrechtlicher Normen führen (vgl. BAG, Urteil vom 28. Juni 1995, a.a.O.; zur einschränkenden Auslegung von Tarifnormen über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wegen einer Rente zum Schutz von Schwerbehinderten auch: BAG, Urteil vom 14. Oktober 2003 - 9 AZR 100/03 - AP Nr. 3 zu § 81 SGB IX). Daher darf der im allgemeinen Kündigungsschutzrecht geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht umgangen werden. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt nach diesem "ultima-ratio-Grundsatz" (vgl. BAG, Urteil vom 9. August 2000 - 7 AZR 214/99 - BAGE 95, 264) erst in Betracht, soweit keine andere Beschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz mehr besteht.

Für den in § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 4 und 5 BAT geregelten zweiten Fall der Gewährung einer befristeten Rente wegen teilweiser oder vollständiger Erwerbsminderung ruht das Arbeitsverhältnis nach Ablauf des Monats, in dem der Rentenbescheid zugestellt wird, bis zum Ablauf des Tages, bis zu dem die Rente bewilligt ist. Mit dieser die Interessen beider Arbeitsvertragsparteien wahrenden Regelung vermeiden die Tarifvertragsparteien die Nachteile für den Angestellten, die bei einer vor der Änderung zum 1. Januar 1985 in § 59 Abs. 1 BAT vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. Clemens/Scheuring/Steinigen/ Wiese, [Loseblatt-]Kommentar zum Bundes-Angestelltentarifvertrag, 191. Lieferung, Stand August 2004, § 59 Anm. 8b [S. 14a]) und anschließender Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit zu besorgen waren.

Das tarifvertraglich unterstellte Interesse an der Erhaltung des Arbeitsverhältnisses ist auch der Regelung des § 59 Abs. 5 BAT zu entnehmen, nach der für den Fall der Wiederherstellung der Berufsfähigkeit eines unkündbaren Angestellten ein Soll-Wiedereinstellungsanspruch gewährt wird. Danach sind die Tarifvertragsparteien an einer grundsätzlichen Erhaltung des Arbeitsverhältnisses interessiert. Gleiches ergibt sich aus der mit dem 77. Änderungstarifvertrag (abgedruckt in: Clemens/Scheuring/Steinigen/Wiese, a.a.O., Teil VIII S. 391) mit Wirkung zum 1. Januar 2002 eingefügten Regelung eines Weiterbeschäftigungsantrages innerhalb von zwei Wochen § 59 Abs. 3 BAT. Mit dieser Regelung wollten die Tarifparteien lediglich auf die zu § 59 BAT ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur grundsätzlichen Erhaltung des Arbeitsverhältnisses bei einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit reagieren und den Weiterbeschäftigungsanspruch im Bundesangestelltentarifvertrag verankern (vgl. Clemens/Scheuring/ Steinigen/Wiese, a.a.O., § 59 BAT Anm. 8b).

In Anbetracht der ausdrücklichen Regelungen in § 59 BAT und des wohlverstandenen Interesses der Tarifparteien ist bei Zusammentreffen einer befristeten und einer unbefristeten Rente, welche zum gleichen Zeitpunkt auf das Arbeitsverhältnis einwirken, vom Ruhen des Arbeitsverhältnisses nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 4 und 5 BAT auszugehen. Die Beigeladene kann nicht dadurch schlechter gestellt werden, dass zwar eine teilweise Erwerbsminderung auf Dauer, die volle Erwerbsminderung auf Zeit aber nur befristet festgestellt wurde. Nur wenn nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers die Angestellte auf Dauer die Anforderungen ihres Arbeitsplatzes nicht mehr erfüllen können wird, kann von einem beiderseitigen Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden. Ob die Beigeladene nach Ablauf der befristeten Rente am 1. September 2005 tatsächlich ihren bisherigen Arbeitsplatz als Buchbinderin in der Stadtbibliothek in Vollzeit- oder Teilzeitform ausfüllen kann, ist durch die Rentenbescheide vom 8. und 11. Juli 2003 derzeit nicht geklärt. Nach der Konzeption des Gesetzgebers wird bei einem verbleibenden Restleistungsvermögen (über drei Stunden bis zu sechs Stunden, § 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI) dann eine zeitlich befristete Rente wegen vollständiger Erwerbsminderung zusätzlich zur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt, wenn auf dem Arbeitsmarkt mangels eines vorhandenen Teilzeitarbeitsplatzes das Restleistungsvermögen nicht in Erwerbseinkommen umsetzbar ist (vgl. Clemens/ Scheuring/Steinigen/Wiese, a.a.O., § 59 BAT Anm. 3 [S. 7] unter Hinweis auf die amtl. Begründung zum Gesetz über die Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, BT-Drs. 14/4230, S. 23, 25). Die Gewährung der befristeten Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit beruht nach dem Wortlaut des Bescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 11. Juli 2003 nicht allein auf dem Gesundheitszustand der Klägerin, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes. Damit stellt der Bescheid vom 8. Juli 2003 zwar fest, dass die Beigeladene auf nicht absehbare Zeit nicht in der Lage ist, mehr als 6 Stunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI), nicht aber, dass sie ihre arbeitsvertraglichen Pflichten als Buchbinderin bei der Stadtbibliothek nach dem Ende der befristeten Rente nicht mehr wahrnehmen kann. In diesem Falle muss angesichts der aufgrund der Gewährung einer befristeten Rente nach Auffassung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bestehenden begründeten Aussicht auf Besserung abgewartet werden, ob sich der Gesundheitszustand der Beigeladenen tatsächlich bessert, bevor vollendete Tatsachen in Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschaffen werden.

Der Beigeladenen kann auch nicht unterstellt werden, sie habe mit ihrem Rentenantrag die Grundlage für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschaffen. Vielmehr gilt der Antrag der Beigeladenen auf medizinische Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach § 116 Abs. 2 SGB VI nur deshalb als Rentenantrag (Bescheide vom 8. und 11. Juli 2003, jeweils S. 2), da sie teilweise erwerbsgemindert ist und die Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgreich gewesen ist, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert hat. Zudem hat die Klägerin durch ihre Weigerung, der Beigeladenen auch nur vorübergehend einen Teilzeitarbeitsplatz für die Wiedereingliederung einzuräumen (vgl. zur Teilzeitbeschäftigung von Schwerbehinderten: BAG, Urteil vom 14. Oktober 2003 - 9 AZR 100/03 - AP Nr. 3 zu § 81 SGB IX), maßgeblich zur Rentengewährung beigetragen (vgl. Bescheid vom 11. Juli 2004, S. 3). Im Übrigen ist ein Angestellter bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Stellung eines Rentenantrages verpflichtet (vgl. BAG, Urteil vom 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - juris). Die Beigeladene hat der Klägerin rechtzeitig und schon im Vorfeld der Zustellung des Rentenbescheides durch ihre Bemühungen um Wiedereingliederungsmaßnahmen und den Antrag auf Teilzeitbeschäftigung für diesen Zeitraum ihr Interesse an einer Weiterbeschäftigung bekundet und dies auch durch den Antrag vom 21. Oktober 2003 und in dem vorliegenden Verfahren erneut deutlich gemacht. Damit durfte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Beigeladene an einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses interessiert sei. Die in § 59 Abs. 3 BAT neu eingefügte Frist schließt eine bereits vor der Zustellung der Rentenbescheide geäußerte Erklärung der Beigeladenen, sie wolle das Arbeitsverhältnis aufrechterhalten, nicht aus, sondern verlängert die Frist für die vom Bundesarbeitsgericht (vgl. Urteil vom 6. Dezember 2000 - 7 AZR 302/99 -, NZA 2001, 792 [794, 797]) zuvor bis zur tarifvertraglichen Beendigung angenommene Obliegenheit, "beizeiten" die Weiterbeschäftigung zu beantragen (vgl. LAG Berlin, Urteil vom 19. Dezember 2003 - 13 Sa 1481/03 -, NZA-RR 2004, 418). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob im Hinblick auf den Schutzzweck des § 92 i.V.m. §§ 85 ff. SGB IX in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dem Verhältnis des § 59 BAT zu den sonstigen Kündigungsschutzbestimmungen die Frist des § 59 Abs. 3 BAT für schwerbehinderte Angestellte auf einen Zeitpunkt im Zusammenhang mit der Entscheidung des Integrationsamtes (wie für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Absatz 4 erfolgt) hinausgeschoben ist und damit selbst der Antrag der Beigeladenen auf Weiterbeschäftigung vom 21. Oktober 2003 rechtzeitig gestellt wurde, weil das Arbeitsverhältnis ruht.

Ruht das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen, so darf das Integrationsamt nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 92 SGB IX Gebrauch machen. Eine Ermessensreduzierung auf Null, wie sie von der Klägerin geltend gemacht wird, besteht ohnehin nicht, da das SGB IX nicht durch § 59 Abs. 4 BAT außer Kraft gesetzt wird. Vielmehr hat das Integrationsamt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. dessen Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 51/90 -, BVerwGE 90, 287 [292 ff.] m.w.N.) auch in diesem Fall ausgehend von einem Antrag der Klägerin und von deren Vorbringen von Amts wegen all das zu ermitteln und auch zu berücksichtigen, was erforderlich ist, um die Interessen von Klägerin und Beigeladener gegeneinander abwägen zu können. Ob die Fürsorge für den Schwerbehinderten Vorrang vor den Interessen des Arbeitgebers hat oder eine Weiterbeschäftigung im Hinblick auf die eingeschränkte Gesundheitssituation der Beigeladenen nicht möglich sein könnte, kann erst mit dem Auslaufen des Bewilligungszeitraums der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung am 31. August 2005 beurteilt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht aus Gründen der Billigkeit der Klägerin oder der Staatskasse aufzuerlegen. Die Beigeladene hat weder erst- noch zweitinstanzlich einen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3 VwGO); in diesen Fällen entspricht es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der Billigkeit, ihr keinen Erstattungsanspruch zuzubilligen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

Zurück