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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: 6 A 10158/06.OVG
Rechtsgebiete: KAG


Vorschriften:

KAG § 10
KAG § 10 Abs. 6
KAG § 10 Abs. 6 S. 1
KAG § 7
KAG § 7 Abs. 2
KAG § 7 Abs. 2 S. 1
Grundstücke unterliegen der Ausbaubeitragspflicht, wenn ihre rechtlich und tatsächlich bestehende Zugangs- bzw. Zufahrtsmöglichkeit zu der ausgebauten Straße den Erfordernissen der erlaubten Nutzung genügt.

Auch eine Zweiterschließung muss grundsätzlich den gesamten Verkehr bewältigen können, der angesichts der zulässigen Grundstücksnutzung zu erwarten ist. Etwas anderes kann gelten, wenn mehrere Straßen einen Gewerbe- bzw. Industriekomplex ersichtlich jeweils zu einem Teil erschließen oder wenn ein gemeindliches Verkehrskonzept (z.B. ein Bebauungsplan oder ein Ausbaubeschluss) unterschiedliche Verkehrsanlagen jeweils für Teile des Gesamtverkehrs vorsieht.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

6 A 10158/06.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit ...

wegen Ausbaubeitrags (Vorausleistung)

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2006, an der teilgenommen haben Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher ehrenamtliche Richterin Hausfrau Köber ehrenamtlicher Richter Beamter a. D. Adams

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 8. August 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens im zweiten Rechtszug zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Ausbaubeitrags-Vorausleistungsbescheids.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines sehr großen industriell genutzten Grundstückskomplexes in der Gemarkung S..., der in erster Linie von einer breiten Zufahrtsstraße, der Sch...straße, erschlossen wird. Er grenzt mit dem ca. 2,2 ha großen Grundstück 2/16 (früher: 2/10) auch an den B...weg, für dessen Ausbau die Beklagte Vorausleistungen auf den einmaligen Ausbaubeitrag erhebt. Mit dem Änderungsbescheid vom 8. August 2005 setzte sie gegenüber der Klägerin eine Vorausleistung von (noch) 136.902,- € fest.

Das Grundstück der Klägerin liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans "Industriegebiet" der Beklagten, der am 10. Januar 1980 als Satzung beschlossen, am 20. Juli 1983 genehmigt und am 6. Februar 1992 ausgefertigt wurde. Er setzt im Bereich der Parzelle 2/16 weit überwiegend ein Industriegebiet (GI) und für einen kleinen Teilbereich an der Grenze zum heutigen Wendehammer des B...-wegs ein Gewerbegebiet (GE) fest. Für die meisten der mit Wohnhäusern bebauten Grundstücke entlang des B...wegs trifft der Bebauungsplan als Art der baulichen Nutzung die Festsetzung WA (Allgemeines Wohngebiet).

Hinsichtlich des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 130 b Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug, dessen tatsächliche Feststellungen er sich in vollem Umfang zu Eigen macht.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage, soweit sie nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, im Wesentlichen mit der Begründung stattgegeben, das Grundstück der Klägerin sei für den Ausbau des B...wegs nicht beitragspflichtig, da es rechtlich und tatsächlich nicht möglich sei, mit Lastkraftwagen vom B...weg Zufahrt zur Parzelle 2/16 zu nehmen, zumal dessen Fahrbahnbreite von nur 4,40 einen Begegnungsverkehr nicht zulasse. Auch die rechtliche Möglichkeit einer Zufahrt bestehe nicht, wie sich aus einem Schreiben der Beklagten vom 17. Dezember 1987 ergebe. Darin werde ausgesprochen, dass auf Grund der Erweiterung des Bebauungsplans "die Erschließung des Werksgeländes nunmehr ausschließlich über die Sch...straße" erfolge. Dem entsprächen auch die Festsetzungen des Bebauungsplans "Industriegebiet", weil der B...weg nur bis zum Ende des Wendehammers als Straße festgesetzt worden sei. Im Anschluss an den Wendehammer enthalte der Bebauungsplan die Festsetzung "Fußweg mit Andienungsverkehr". Nach der Begründung dieses Bebauungsplans solle der Fußweg auch als Zufahrt zu den wohnbaulich genutzten Grundstücken B...weg 12-18 dienen.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, das vom Verwaltungsgericht herangezogene Schreiben vom 17. Dezember 1987 beziehe sich nicht auf den B...weg und setze insbesondere kein Zufahrtsverbot fest. Der Bebauungsplan erlaube die Zufahrt vom B...weg auf das Flurstück 2/16, auch wenn er mit der Sch...straße als Hauptzufahrt zum Betrieb der Klägerin dessen Trennung vom Wohngebiet am B...weg erreichen wolle. Im Übrigen habe eine Bebauungsplanänderung mittlerweile Planreife erlangt, die sogar eine Zufahrt vom B...weg auf den Firmenparkplatz der Klägerin an der Sch...straße vorsehe. Auch wenn derzeit nur ein Teil des vom Industriebetrieb der Klägerin ausgelösten Verkehrs vom B...weg aufgenommen werden könne, bedeute dies keine Einschränkung der Ausbaubeitragspflicht, weil der B...weg bei seiner erstmaligen Herstellung das fragliche Grundstück erschlossen habe. Das Grundstück 2/16, das isoliert von den übrigen Betriebsgrundstücken verkauft werden könne, völlig beitragsfrei zu stellen, obwohl es an den B...weg grenze und ein Zufahrtsverbot nicht bestehe, stelle einen Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip dar.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, eine Beitragspflicht bestehe nur, wenn der Gebrauchswert des veranlagten Grundstücks in Bezug auf die aktuell ausgeübte Nutzung gesteigert werde. Da das insgesamt ca. 40 ha große Betriebsgelände der Klägerin eines zentralen Eingangsbereichs mit einer den Anforderungen der Grundstücksnutzung genügenden, insbesondere ausreichend dimensionierten Zufahrt bedürfe, sei eine zusätzliche Zufahrt vom B...weg nicht vorteilhaft. Abgesehen von einer zeitweiligen Notausfahrt zum B...weg habe diese Straße nie eine Erschließungsfunktion für den Industriekomplex der Klägerin gehabt. Mit der Lärmschutzwand im hinteren Bereich des B...wegs habe die Klägerin das Flurstück 2/16 nicht etwa verschlossen, um Beiträge zu sparen, sondern um einen Nachbarwiderspruch gegen eine der Klägerin erteilte Baugenehmigung zu erledigen. Soweit die Beklagte ihr Schreiben vom 17. Dezember 1987 über die Zufahrt(en) zum Betriebsgelände unter dem 5. Oktober 2005 ohne Rechtsbehelfsbelehrung "zurückgenommen" habe, werde Widerspruch eingelegt. Im Vertrauen auf dieses Schreiben vom 17. Dezember 1987 habe die Klägerin die innere Werkserschließung, die Bebauung sowie die Produktionsabläufe auf eine Werkszufahrt, nämlich die an der Sch...straße, ausgerichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte in diesem, im Verfahren 6 B 10553/05.OVG sowie im Verfahren 6 A 10159/06.OVG und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Sie wieder zu eröffnen, gibt der nachgereichte Schriftsatz der Beklagten vom 22. Juni 2006 keine Veranlassung, mit dem sie ihre schon in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Rechtsausführungen bekräftigt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Auch der Senat kommt zu dem Ergebnis, dass der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2002 in der Gestalt der Widerspruchsbescheids vom 4. Januar 2005 und des Änderungsbescheids vom 8. August 2005 die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Für das herangezogene Grundstück 2/16 kann eine Beitragspflicht für den Ausbau des B...wegs nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anzustellenden Prognose (vgl. hierzu OVG RP, AS 30, 287 [288] = NVwZ-RR 2004, 70, ESOVGRP) voraussichtlich nicht entstehen. Deshalb kommt eine diesbezügliche Vorausleistungserhebung nicht in Betracht.

1. Der Beitragspflicht unterliegen nach § 10 Abs. 6 S. 1 Kommunalabgabengesetz - KAG - beim einmaligen Beitrag alle baulich oder in ähnlicher Weise nutzbaren Grundstücke, die die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer Zufahrt oder eines Zugangs zu der ausgebauten Verkehrsanlage haben. Diese Zugangsmöglichkeit konkretisiert den in § 7 Abs. 2 S. 1 KAG allgemein als Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Anlage formulierten Sondervorteil, den die Beitragserhebung voraussetzt (OVG RP, AS 30, 106 = NVwZ-RR 2003, 380, ESOVGRP). Dabei sind die Nutzbarkeit und die Zugänglichkeit eines Grundstücks nicht voneinander unabhängige tatbestandliche Voraussetzungen. Vielmehr hängt die Frage, welcher Zugang nach Art und Beschaffenheit möglich sein muss, von der Nutzbarkeit - also nicht von der tatsächlichen, sondern von der zulässigen Nutzung - des Grundstücks ab.

Die in § 7 Abs. 2 S. 1 KAG normierte Inanspruchnahmemöglichkeit ist mithin im Straßenausbaubeitragsrecht durch die Bestimmung des § 10 Abs. 6 S. 1 KAG in ähnlicher Weise qualifiziert wie dies im Erschließungsbeitragsrecht durch den Begriff des "Erschlossenseins" (§§ 131 Abs. 1 S. 1, 133 Abs. 1 S. 2 Baugesetzbuch) geschehen ist (so bereits OVG RP, KStZ 2002, 237). Die Ausbaubeitragspflicht hängt ebenfalls im Grundsatz davon ab, dass gerade wegen der ausgebauten Straße und der von ihr vermittelten Zugänglichkeit ein Grundstück qualifiziert (baulich und/oder gewerblich) nutzbar ist. Grundstücke unterliegen der Ausbaubeitragspflicht, wenn eine Zugänglichkeit zu der ausgebauten Straße rechtlich und tatsächlich besteht, die den Erfordernissen der erlaubten Nutzung genügt. Die bauliche und/oder gewerbliche Ausnutzbarkeit des Grundstücks darf nicht daran scheitern, dass der mit einer solchen Nutzung verbundene Verkehr das Grundstück nicht erreicht, weil er - beispielsweise - von der ausgebauten Straße nicht bewältigt werden oder von dort nicht auf das (Gewerbe-) Grundstück gelangen kann.

Einer solchen Übertragung erschließungsbeitragsrechtlicher Maßstäbe auf das Ausbaubeitragsrecht kann nicht entgegen gehalten werden, die (erschließungs-beitragsrechtliche) Frage der Erforderlichkeit, eine Straße überhaupt zu bauen, stelle sich beim Straßenausbau nicht, weil die davon betroffenen Verkehrsanlagen bereits vorhanden seien. Dieser Unterschied ist nicht von maßgebender Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, dass sowohl im Erschließungs- als auch im Ausbaubeitragsrecht der die Beitragserhebung rechtfertigende (Sonder-)Vorteil durch die erstmals hergestellte bzw. ausgebaute Straße vermittelt werden muss. Dass das veranlagte Grundstück über diese Straße in der Vergangenheit erreichbar war, genügt nicht. Nicht nur im Laufe der Zeit durch eine Intensivierung der zulässigen Grundstücksnutzung gestiegene Anforderungen an die Straße können die erforderliche Zugänglichkeit fraglich erscheinen lassen. Auch die Art des Ausbaus kann Auswirkungen auf die Erschließungssituation haben: Die Umwandlung in eine verkehrsberuhigte Zone, die Errichtung einer Mischverkehrsfläche von Gehweg und Fahrbahn oder der Einbau von Hindernissen zur Geschwindigkeitsverminderung können einer Straße die (bisher vorhanden gewesene) Tauglichkeit für die Bewältigung des Verkehrs nehmen, der durch eine bestimmte gewerbliche oder industrielle Nutzung ausgelöst wird.

Wegen der somit bestehenden Vergleichbarkeit der rechtlichen Ansätze kann im Ausbaubeitragsrecht die Rechtsprechung zum Erschließungsbeitragsrecht auch im Falle einer Zweit- bzw. Mehrfacherschließung berücksichtigt werden. Das Bundesverwaltungsgericht (Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 29 S. 22 <26>; BVerwG, NVwZ 1995, 1208) hat die anderweitige Erschließung angrenzender Grundstücke zunächst unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Zweitanlage geprüft. Zweifel daran hat es für nicht begründet erachtet, sofern die Zweitanlage den von ihr erschlossenen Grundstücken eine prinzipiell bessere Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne vermittelte. Auch wenn die Erforderlichkeit einer Straße außer Frage stand, etwa weil sie einige Grundstücke erstmals erschloss, stellte das Bundesverwaltungsgericht für bereits anderweitig ersterschlossene Grundstücke darauf ab, ob eine Zweiterschließung eine prinzipiell bessere Qualität der Erschließung bedeutete (vgl. hierzu auch OVG RP, NVwZ-RR 2002, 266, ESOVGRP). Dieses Kriterium beantwortet also nicht nur die Frage nach der Erforderlichkeit der (Zweit-)Anlage), sondern auch diejenige nach dem Erschlossensein eines Grundstücks (vgl. BVerwG, KStZ 2001, 234 = NVwZ-RR 2002, 65). An einer prinzipiell besseren Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne fehlt es daher insbesondere, wenn die Anlage ihrer Zweckbestimmung nach keine Erschließungsfunktion übernehmen, sondern z.B. "ausschließlich den direkten Zugang zu einem Sportgelände oder zu einem Aussichtsturm gewährleisten soll" (BVerwG, Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 29 S. 22 <26>). Was unter einer prinzipiell besseren Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne zu verstehen ist, lässt sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, NVwZ 1998, 1187; BVerwG, KStZ 2001, 234 = NVwZ-RR 2002, 119) ebenfalls entnehmen: Hinsichtlich der Erschließung des Grundstücks durch zwei Anbaustraßen hat es wiederholt (BVerwG, Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 29 S. 22 <26>; BVerwG, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 53 S. 66 <68> = BVerwGE 68, 41 <45>; BVerwG, NVwZ 1995, 1208) entschieden, dass die einzelnen Anlagen je für sich ein Grundstück erschließen, wenn auf dem Grundstück gerade "ihretwegen" eine beitragsrechtlich relevante (bauliche) Nutzung zulässig ist, wobei bei der Prüfung des Erschlossenseins durch eine hinzutretende Erschließungsanlage andere für dieses Grundstück etwa schon bestehende Erschließungsanlagen hinweggedacht werden müssen. Damit erweist sich diese "Wegdenkenstheorie" als eine Konkretisierung der Frage nach der prinzipiell besseren Erschließung. Es reicht also nicht, wenn ein bereits anderweitig erschlossenes Grundstück durch eine Zweiterschließung eine gewisse Verbesserung der Erschließung erfährt, wie sie in der partiellen Erleichterung der Verkehrssituation liegen kann. Vielmehr hängt die Beitragspflicht im Grundsatz davon ab, dass eine beitragsrechtlich relevante (bauliche) Nutzung ausschließlich wegen der Zweitverkehrsanlage zulässig ist.

Das bedeutet auch für das Ausbaubeitragsrecht, dass die Zweiterschließung grundsätzlich den gesamten Verkehr bewältigen können muss, der angesichts der zulässigen Grundstücksnutzung zu erwarten ist. Deshalb besteht eine Beitragspflicht nur zu den Aufwendungen einer solchen Straße, die den gesamten Verkehr, den die zulässige Nutzung hervorruft, aufzunehmen in der Lage ist. Etwas anderes kann gelten, wenn mehrere Straßen einen Gewerbe- bzw. Industriekomplex ersichtlich jeweils zu einem Teil erschließen. Das ist im Falle eines großen Buchgrundstücks vorstellbar, auf dem mehrere gewerbliche Aktivitäten betrieben werden, deren Zu- und Abgangsverkehr jeweils über unterschiedliche Straßen abgewickelt wird. Eine weitere Ausnahme von dem Grundsatz, dass auch eine Zweitverkehrsanlage geeignet sein muss, den gesamten Verkehr aufzunehmen, der durch die zulässige Nutzung ausgelöst wird, kommt in Betracht, wenn ein gemeindliches Verkehrskonzept (z.B. ein Bebauungsplan oder ein Ausbaubeschluss) unterschiedliche Verkehrsanlagen zur Bewältigung des Gesamtverkehrs vorsieht, also Teilverkehre, die die Nutzung eines Grundstücks mit sich bringt, je unterschiedlichen Straßen zuordnet. Ein solches Konzept bedeutet, dass beim Ausbau einer dieser Straßen nicht etwa nur ein Teilvorteil (wegen des Teilverkehrs) angenommen und die Beitragslast dementsprechend vermindert wird. Vielmehr ist das in dieser Weise über mehrere Straßen zugängliche Grundstück durch den Ausbau jeder Verkehrsanlage, die einen Teilverkehr aufnimmt, in vollem Umfang bevorteilt und nach dem jeweils geltenden Verteilungsmaßstab zu veranlagen.

2. Nach diesen Maßstäben bietet der B...weg dem veranlagten Grundstück der Klägerin nicht die erforderliche Zugänglichkeit. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob das Flurstück 2/16 unmittelbar nur an den B...weg grenzt und hinsichtlich anderer Verkehrsanlagen allenfalls als Hinterliegergrundstück angesehen werden kann oder ob es ein Anliegergrundstück mehrerer Straßen ist. Denn in sämtlichen dieser Konstellationen besteht - wie ausgeführt - die hinreichende Zugangsmöglichkeit nur, wenn über den B...weg der gesamte zu erwartende Schwerlastverkehr abgewickelt werden kann. Dies ist nicht der Fall (a). Dem B...weg ist auch nicht ein von dem Grundstück 2/16 ausgelöster Teilverkehr durch ein Verkehrskonzept der Beklagten zugeordnet worden (b).

a) Grundlage der Einschätzung, dass der B...weg den zu erwartenden Schwerlastverkehr nicht zu bewältigen vermag, sind die Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsanlagen 1985/1995 (EAE 85/95), die das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau in Zusammenarbeit mit der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen erstellt hat. Es handelt sich bei diesem Regelwerk um die sachverständige Konkretisierung moderner Grundsätze des Straßenbaus (vgl. BVerwGE 82, 102 = NVwZ 1990, 165). Die sachverständigen Aussagen, erarbeitet von einem Kreis von Fachleuten, enthalten auf der Grundlage standardisierter Vorgaben Maßstäbe dafür, wie Verkehrsanlagen im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs entsprechend ihrer Funktion auszuführen und zu gestalten sind. Den in diesem Regelwerk enthaltenen Maßangaben kommt - ihrem Charakter als Empfehlungen entsprechend - keine Verbindlichkeit zu. Die empfohlenen Breiten für die einzelnen Entwurfselemente stellen vielmehr Orientierungswerte dar, von denen die Gemeinden bei der Entwurfsplanung an Hand der konkreten örtlichen Situation im notwendigen Umfang abweichen können (BayVGH, DVBl. 2002, 1417).

Danach ist bei Ermittlung der funktionsgerechten Breite einer Verkehrsanlage zunächst zu beachten, in welchem Umfang sie neben der Erschließungsfunktion auch Verbindungsfunktion hat. Des Weiteren sind die Größe und die Nutzungsart der anliegenden Grundstücke zu berücksichtigen sowie die Länge der Straße (vgl. Ziff. 4.4.2. EAE 85/95, S. 36). Bei dem B...weg handelt es sich nach diesen Maßstäben um eine Anliegerstraße ohne Verbindungsfunktion in einem allgemeinen Wohngebiet und - auch wenn man nicht das gesamte Betriebsgelände, sondern nur das Grundstück 2/16 in die Betrachtung einbezieht - einem kleinen Industrie- und Gewerbegebiet i.S.d. Ziff. 5.3.6 EAE 85/95, die bis zum Ende des Wendehammers eine Länge von ca. 150 m hat. Angesichts dessen ist nicht nur mit Begegnungsverkehr zwischen Lastkraftwagen und Personenkraftwagen zu rechnen, sondern auch mit Begegnungsverkehr zweier Lastkraftwagen.

Da ein Schwerlastkraftwagen einen Raumbedarf von 2,50 m (ohne Außenspiegel) hat und seitliche Sicherheitsabstände von je 0,50 m, bei Annahme einer verminderten Geschwindigkeit von je 0,25 m anzusetzen sind (Ziff. 4.2.4 EAE 85/95, S. 28), erfordert der Begegnungsverkehr zweier Lastkraftwagen eine Fahrbahnbreite von 6,25 m, bei verminderter Geschwindigkeit von 5,50 m (Bild 14 EAE 85/95, S. 29). Dementsprechend sieht Tabelle 18 EAE 85/95 (S. 70) ein Mindestmaß von 5,50 m für die Breite einer Anliegerstraße in einem kleinen Industrie- und Gewerbegebiet i.S.d. Ziff. 5.3.6 EAE 85/95 vor. Dieses Maß kann allenfalls unterschritten werden, wenn weniger als etwa 30 Lkw pro Spitzenstunde zu erwarten sind, in Abständen von etwa 50 m bis maximal 100 m für die Begegnung zweier Lastkraftwagen geeignete Ausweichstellen zur Verfügung stehen und die Straße überschaubar ist (Ziff. 5.2.1.1 EAE 85/95, S. 43). Vor diesem Hintergrund können die zu erwartenden Begegnungsfälle schon wegen der Länge des B...wegs und des Fehlens von Ausweichstellen nicht dadurch bewältigt werden, dass auf den B...weg abbiegende Kraftwagen auf der L...straße oder - wenn sie vom Grundstück 2/16 kommen - auf dem Wendehammer warten, um eine Begegnung mit einem den B...weg gerade befahrenden Kraftwagen zu vermeiden. Angesichts dessen vermag der B...weg aufgrund seiner Fahrbahnbreite von nur 4,40 m den von dem Grundstücks 2/16 ausgelösten Zu- und Abgangsverkehr mit Lastkraftwagen nicht zu bewältigen, selbst wenn man von dem Raumbedarf eines Begegnungsverkehrs zweier Lastkraftwagen bei verminderter Geschwindigkeit von 40 km/h ausgeht. Die Abweichung der tatsächlichen Fahrbahnbreite von 4,40 m von dem empfohlenen Mindestmaß von 5,50 m lässt sich auch nicht mit örtlichen oder betrieblichen Besonderheiten rechtfertigen. Dass es wegen solcher Umstände ausnahmsweise hinsichtlich des Flurstücks 2/16 einer den Begegnungsverkehr ermöglichenden Zuwegung nicht bedarf, ist nicht ersichtlich.

b) Der Umstand, dass ein (relativ kleiner) Teil des Flurstücks 2/16 - abweichend von der übrigen Festsetzung "GI" - als GE-Gewerbegebiet ausgewiesen ist, erlaubt keine auf diese Teilfläche beschränkte Betrachtung der Erschließungssituation. Zwar unterscheidet sich der Verkehr, der von einem GE-Gebiet ausgelöst wird, typischerweise von demjenigen eines GI-Gebiets. Im vorliegenden Zusammenhang kommt dem aber keine Bedeutung zu. Insbesondere können die Anforderungen an die Zugänglichkeit des Grundstücks insofern nicht herabgesetzt werden. Denn die Festsetzung "GE" diente der Staffelung der Baugebiete zwischen dem Industriegebiet (Parzelle 2/16) und dem Allgemeinen Wohngebiet am B...weg. Mit dieser Festsetzung war keine Nutzungsdifferenzierung beabsichtigt. Vielmehr heißt es in der Begründung zum Bebauungsplan zu einer diesbezüglichen Eingabe der Klägerin, das "... Pförtnerhaus ist der Nutzung nach Gewerbegebiet und bedeutet nicht eine Herausnahme aus dem integrierten Werksgelände. Gegenüber dem WA-Gebiet am B...weg bietet sich diese Nutzungsstaffelung an." Angesichts dessen bleibt es bei der Anforderung, dass der B...weg den gesamten Schwerlast- und den übrigen Verkehr zum Industrie- und Gewerbegrundstück der Klägerin bewältigen können muss. Die Frage einer Abweichung von der Maßgeblichkeit des Buchgrundstücks (vgl. RGZ 84, 265 [269 f.]; OVG RP, AS 18, 98 f.; OVG RP, AS 26, 435 [437]) wegen auf einen Teil des Grundstücks begrenzter "Erschließungswirkung" einer Verkehrsanlage bedarf daher keiner weiteren Erörterung (vgl. hierzu OVG RP, AS 30, 106 [108] = NVwZ-RR 2003, 380, ESOVGRP).

Dass Teilverkehre, beispielsweise der Fußgängerverkehr zum Betriebsgelände oder ein Teil des Kfz-Verkehrs, durchaus über den B...weg abgewickelt werden könnten, kann die Beitragspflicht nicht begründen. Denn für eine solche Aufspaltung der Erschließung fehlt es an der planerischen Entscheidung der Beklagten. Wie in dem angefochtenen Urteil bereits ausgeführt wurde, weist der Bebauungsplan dem B...weg vor allem eine Erschließungsfunktion für die hauptsächlich wohnbaulich genutzten Grundstücke zu, die an dieser Straße liegen. Im hinteren Bereich erlaubt er - neben dem allgemeinen Fußgängerverkehr - nur den Andienungsverkehr zu den Grundstücken B...weg 12 bis 18. Hinsichtlich des Gewerbe- und Industriegebiets ist ausdrücklich von einer "Sperrung des B...wegs" die Rede, weil dafür die heutige Sch...straße vorgesehen sei, und zwar auch im Interesse einer Verkehrsberuhigung im B...weg. Auch die Beklagte räumt in ihrem nachgereichten Schriftsatz vom 22. Juni 2006 ein, mit der Sch...straße als Hauptzufahrt zum Betrieb der Klägerin habe man dessen Trennung vom Wohngebiet am B...weg erreichen wollen. Selbst wenn die sich auf den hinteren Bereich des B...wegs beziehende Festsetzung des Bebauungsplans, lediglich den Andienungsverkehr zu den Grundstücken B...weg 12 bis 18 zuzulassen, durch einen abweichenden Ausbau obsolet geworden sein sollte, gibt es kein rechtsverbindliches Verkehrskonzept der Beklagten, das dem B...weg (nur) einen Teil des von der zulässigen Nutzung des Grundstücks 2/16 verursachten Verkehrs zuweist. Dem Vorbringen der Beklagten kann nicht entnommen werden, dass der in der Berufungsbegründung erwähnte Änderungsentwurf ein solches Konzept enthält. Auch eine sich aus natürlichen oder topografischen Gründen ohne eine solche Planungsgrundlage ergebende Ausnahme von der Anforderung, dass der B...weg den gesamten zu erwartenden Verkehr bewältigen können muss, ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Gründe i.S.d. § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren im zweiten Rechtszug auf 136.902,- € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 3 GKG).



Ende der Entscheidung

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