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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 6 A 11154/07.OVG
Rechtsgebiete: HGB, KAG, GewStG, BGB, EGBGB, AO


Vorschriften:

HGB § 25 Abs. 1 S. 1
KAG § 3 Abs. 1 Nr. 2
KAG § 5 Abs. 1
GewStG § 18
BGB § 195
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2
EGBGB Art. 229 § 6
AO § 3 Abs. 4
AO § 38
AO § 44 Abs. 1
AO § 47
AO § 169 Abs. 2 Nr. 2
AO § 170 Abs. 1
AO § 191 Abs. 1 S. 1
AO § 191 Abs. 4
AO § 191 Abs. 5
AO § 184 Abs. 1
AO § 171 Abs. 10
AO § 233a Abs. 1 S. 1
Zur Inhaftungnahme des Erwerbers nach Firmenfortführung (§§ 191 Abs. 1 AO, 25 Abs. 1 HGB) für Gewerbesteuernachforderungen und Nachforderungszinsen, die nach Geschäftsübergang gegenüber dem in Liquidation befindlichen Steuerschuldner festgesetzt worden sind.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 A 11154/07.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Haftung für Gewerbesteuer

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2008, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher ehrenamtlicher Richter wissenschaftlicher Mitarbeiter Biebricher ehrenamtliche Richterin Verkäuferin Büchler

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz - 6 K 1548/06.KO - teilweise abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 5. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Rechtsausschusses des Westerwaldkreises vom 20. September 2006 insoweit aufgehoben, als er die Klägerin für die auf die Steuernachforderungen für den Zeitraum 1996 bis 1998 bezogenen Zinsen in Höhe von 5.673,82 € in Haftung nimmt. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge hat die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte seinerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen ihre haftungsrechtliche Inanspruchnahme für nacherhobene Gewerbesteuern einschließlich der hierauf bezogenen Zinsen.

Sie betreibt seit 1. Januar 2000 unter der Firma H... GmbH ein Unternehmen der holzverarbeitenden Industrie mit Sitz im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Die Firma der Klägerin wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 2. Dezember 1999 gegründet und am 19. April 2000 in das Handelsregister eingetragen. Etwa zur gleichen Zeit wurde der gleichfalls im Bereich der Beklagten ansässige holzverarbeitende Betrieb der Firma F... GmbH aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses vom 22. Dezember 1999 mit Wirkung zum 31. Dezember 1999 aufgelöst und bis zum 6. September 2001 abgewickelt. Die geschäftlichen Aktivitäten sowie die betriebsorganisatorischen Gegebenheiten der beiden Firmen weisen deutliche Parallelitäten auf.

Unter dem 31. Mai 2001 erließ das Finanzamt A... gegenüber dem in Liquidation befindlichen Unternehmen berichtigte Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 1996 bis 1999. Auf deren Grundlage ergingen unter dem 18. Juni 2001 neue, in Bestandskraft erwachsene Festsetzungsbescheide der Beklagten, durch die die Firma F... GmbH i.L. zur Nachzahlung von Gewerbesteuern in Höhe von 31.088,47 € für die Jahre 1996, 1997 und 1998 sowie zur Entrichtung von entsprechenden Zinsen in Höhe von 5.673,82 € herangezogen wurde. Der Gesamtbetrag von 36.762,29 € wurde von der Schuldnerin aber nicht mehr bezahlt.

Aus diesem Grunde nahm die Beklagte mit Bescheid vom 5. April 2004 die Klägerin wegen der rückständigen Gewerbesteuern nebst Zinsen in Haftung. Die Klägerin müsse nach Maßgabe von § 25 Abs. 1 HGB für die Steuerverbindlichkeiten der Firma F... GmbH einstehen, weil sie deren Handelsgeschäft unter Lebenden erworben habe und dieses unter der bisherigen Firma fortführe.

Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Widerspruch ein, den der Rechtsausschuss des Westerwaldkreises unter Vertiefung der Begründungserwägungen des Ausgangsbescheides mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 2006 zurückwies.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die rechtlichen Voraussetzungen des Haftungstatbestandes lägen nicht vor. Es fehle an der in § 25 HGB vorausgesetzten Firmenidentität ebenso wie am Vorliegen von "Altverbindlichkeiten". Die Steuernachforderungen seien erst nach der Geschäftsübernahme entstanden. Um einen Haftungsbescheid zu erlassen, bedürfe es aber eines bestandskräftigen Steuerbescheides bereits im Zeitpunkt der Firmenübernahme. Schließlich werde gegenüber der Steuernachforderung die Einrede der Verjährung erhoben. Die vierjährige Verjährungsfrist sei spätestens am 31. Dezember 2002 abgelaufen, ohne dass vorher verjährungshemmende Maßnahmen eingeleitet worden seien. Rechtlich zu beanstanden sei der Haftungsbescheid auch hinsichtlich der geltend gemachten Zinsansprüche. Solche Nebenforderungen durch Haftungsbescheid zu realisieren sei gesetzlich nicht vorgesehen. Hinzu komme, dass auch die Zinsforderungen bei Erlass des Haftungsbescheides verjährt gewesen seien.

Die Klägerin hat beantragt,

den Haftungsbescheid vom 5. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Rechtsausschusses des Westerwaldkreises vom 20. September 2006 aufzuheben.

Die Beklagte hat die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen verteidigt und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2007 ergangenen Urteil die Klage abgewiesen. Der Haftungsbescheid sei insgesamt rechtmäßig. Die Klägerin habe für die nachgeforderte Gewerbesteuer einzustehen, weil sie die Firma der Steuerschuldnerin fortführe. Die insoweit vorgebrachten Einwendungen der Klägerin überzeugten nicht. Gegen ihre Inanspruchnahme als Haftende sei die Klägerin keineswegs wehrlos, denn sie könne alle Einwendungen vorbringen, die der Steuerschuldnerin zur Verfügung gestanden hätten. Einwendungen zum Grund und zur Höhe der Gewerbesteuerschuld habe die Klägerin aber nicht erhoben und ihre Verjährungseinrede greife nicht durch. Die Steuernachforderung gegen die Firma F... GmbH sei im Festsetzungszeitpunkt (18. Juni 2001) noch nicht verjährt gewesen. Gleiches gelte für den Haftungsanspruch als solchen, wie sich aus § 191 Abs. 3 und Abs. 4 AO entnehmen lasse. Bei den im angefochtenen Bescheid erfassten Verbindlichkeiten handele es sich auch um "Altschulden", denn sie seien bereits vor dem Geschäftsübergang begründet worden. Dies treffe auch auf die zum Steueranspruch akzessorischen Nebenforderungen zu, deren Bescheidfähigkeit nicht ernstlich zu bezweifeln sei.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin die vom Senat zugelassene Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen, insbesondere ihre Zweifel an der Berechtigung der Beklagten, durch Haftungsbescheid gegen sie vorzugehen, wiederholt und vertieft.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2007 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz - 6 K 1548/06.KO - nach ihrem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen insgesamt für zutreffend. Nach den Gesamtumständen des Falles könne insbesondere eine Betriebs- und Firmenkontinuität nicht ernstlich bezweifelt werden. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht der erhobenen Verjährungseinrede keine Beachtung geschenkt und auch die Zinsforderung als von der Haftung mit umfasst erachtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze in der Gerichtsakte verwiesen. Ein Heft Verwaltungs- und Widerspruchsakten sowie die Prozessakte 2 K 1823/03.KO des Verwaltungsgerichts Koblenz lagen dem Senat vor und wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Auf diese Unterlagen wird gleichfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Ihr bleibt der Erfolg versagt, soweit damit die Inhaftungnahme der Klägerin durch Bescheid der Beklagten vom 5. April 2004 für die Gewerbesteuernachforderungen gegenüber der Firma F... GmbH i.L. bezogen auf den Zeitraum von 1996 bis einschließlich 1998 angegriffen wird (1.). Im Gegensatz dazu dringt das Rechtsmittel durch, soweit der angefochtene Haftungsbescheid auch die auf die Steuernachforderungen entfallenden Zinsen mit einbezieht (2.).

1. Die haftungsrechtliche Inanspruchnahme der Klägerin für die bestandskräftig gewordenen Gewerbesteuernacherhebungen der Beklagten vom 18. Juni 2001 in Höhe von insgesamt 31.088,47 € gegenüber der Firma F... GmbH i.L. ist rechtlich nicht zu beanstanden. Diese Maßnahme findet in § 191 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB ihre gesetzliche Grundlage, denn im vorliegenden Fall sind sowohl die rechtlichen Voraussetzungen des Eingriffs- als auch des Haftungstatbestandes erfüllt.

a) Als haftungsrechtliche Eingriffsgrundlage fungiert dabei § 191 Abs. 1 Satz 1 AO. Dessen Bedeutung liegt darin, verfahrensrechtlich die Möglichkeit dafür zu schaffen, dass die nicht in § 191 Abs. 1 AO selbst, sondern anderweitig begründete Haftung für eine Steuerverbindlichkeit mit einem Haftungsbescheid geltend gemacht werden kann (vgl. BFH, Urteil vom 24. Februar 1987 - VII R 4/84 - BFHE 149, 125 ff.; Urteil vom 13. Oktober 1994 - VII R 23/94 - BFH StRK AO 1977 § 191 R 102). Die materielle Haftungsgrundlage muss daher den einschlägigen Bestimmungen des Steuerrechts oder den entsprechenden Vorschriften des Zivilrechts entnommen werden (vgl. dazu BFH, Urteil vom 26. August 1997 - VII R 63/97 - BFHE 183, 307 ff.). Zu Letzteren gehört auch die von der Beklagten herangezogene Bestimmung des § 25 Abs. 1 HGB, die durch keine spezielleren Vorschriften, insbesondere nicht durch § 75 Abs. 1 AO, verdrängt wird (vgl. dazu BFH, Urteil vom 17. September 1991 - VII R 72/88 - NJW 1992, 2848).

b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 HGB treffen auf die mit Gesellschaftsvertrag vom 2. Dezember 1999 gegründete und am 19. April 2000 in das Handelsregister eingetragene Klägerin zu. Sie führt, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, seit 1. Januar 2000 das Handelsgeschäft des holzverarbeitenden Unternehmens der Firma F... GmbH fort, die mit Wirkung vom 31. Dezember 1999 aufgelöst und zum 6. September 2001 abgewickelt worden ist. Dass das von der Klägerin übernommene Handelsgeschäft im Zeitpunkt seiner Übernahme im Sinne der gesetzlichen Anforderungen ein noch lebendes Unternehmen war, kann nach Lage der Dinge nicht zweifelhaft sein. Dies ergibt sich einmal daraus, dass der Geschäftsübergang von der Firma F... GmbH auf die Klägerin, wie oben dargelegt, nahtlos erfolgt ist. Hierzu kommt, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsüberganges das Aktivvermögen des aufzulösenden Unternehmens ausweislich der dem Senat vorliegenden Abschlussbilanz nach Anlage- und Umlaufvermögen noch eine Vielzahl von Gütern von beträchtlichem Wert aufwies, zu deren vollständiger Liquidation es augenscheinlich eines längeren Zeitraums bis September 2001 bedurft hat.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im angefochtenen Haftungsbescheid von einer Fortführung der bisherigen Firma ausgegangen ist. Der für die in § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB vorgesehene Haftung des Nachfolgers für die im Betrieb des Unternehmens begründeten Verbindlichkeiten seines Vorgängers tragende Gesichtspunkt der Kontinuität des Unternehmens liegt hier vor. Für die Annahme einer Firmenkontinuität kommt es nämlich nicht auf eine wort- und buchstabengetreue Übereinstimmung zwischen alter und neuer Firma, sondern nur darauf an, ob nach der maßgebenden Sicht des Geschäftsverkehrs trotz vorgenommener Änderungen noch eine Fortführung der Firma vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1991 - II Z R 85/91 - NJW 1992, 911 f. m.w.N.; BFH, Urteil vom 21. Januar 1986 - VII R 179/83 - BFHE 146, 4 ff. m.w.N.). Ausschlaggebend ist hierbei alleine, ob der Verkehr die neue Firma noch mit der alten identifiziert. Wer den Eindruck der Verlautbarung einer Unternehmenskontinuität und die an sie anknüpfende Rechtsfolge der Haftungskontinuität vermeiden will, muss durch die Wahl einer eindeutig anderen Firma für den nötigen Abstand sorgen.

Daran ist aber der Klägerin ersichtlich nicht gelegen, denn allein durch die hier vollzogene Voranstellung der Benennung des Geschäftszwecks vor den Firmennamen wird aus der Sicht des Geschäftsverkehrs keine Distanz zur aufgelösten Firma F... GmbH hergestellt. Die fragliche Begriffsumstellung erscheint dem unbefangenen Betrachter als eher zufällig, schlägt auf den Kern und die prägenden Zusätze der Firma nicht durch und ist sonach firmenrechtlich ohne spezifischen Unterscheidungswert. Ein solcher Effekt ist von der Klägerin auch beabsichtigt, denn sie versteht sich nach ihrem Firmenporträt im Internet selbst als Teil der ca. 170-jährigen Holzbautradition des Familienunternehmens F..., mit der auch der in Liquidation geratene Betrieb verwoben war. Von einer firmenrechtlichen Nichtidentifikation, wie § 25 Abs. 1 HGB sie zur Vermeidung einer entsprechenden Haftung fordert, kann mithin keine Rede sein.

Die haftungsrechtliche Inanspruchnahme der Klägerin nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB scheitert auch nicht daran, dass die Gewerbesteuernacherhebungen gegenüber der Firma F... GmbH i.L. im Sinne des Gesetzes keine im Betrieb des Geschäftes begründeten Forderungen des früheren Inhabers zum Gegenstand haben. Vielmehr handelt es sich dabei um sog. Altverbindlichkeiten, weil sie im maßgeblichen Zeitpunkt des Geschäftserwerbs durch die Klägerin bereits entstanden waren und noch bestanden haben.

Der Charakter der hier streitgegenständlichen Gewebesteuernacherhebungen als "Altverbindlichkeiten" hängt freilich davon ab, von welchem Zeitpunkt an das Recht der Beklagten zur steuerlichen Nacherhebung entsteht. Hinsichtlich des Entstehungszeitpunktes sind unterschiedliche rechtliche Ansatzmöglichkeiten denkbar. Zum einen könnte hierbei auf die formelle Konkretisierung der Steuerschuld durch Bescheid abgestellt werden. Hiernach entstände eine Steuerforderung nur, wenn und soweit sie in einem Bescheid ausgeformt wird. In diesem Fall läge hier keine Altverbindlichkeit vor und der materielle Haftungstatbestand wäre nicht erfüllt, weil die bescheidmäßige Konkretisierung der Nachforderung (18. Juni 2001) erst nach dem Zeitpunkt des Geschäftsüberganges (1. Januar 2000) erfolgt ist. Eine Alternative zur Orientierung des Entstehungszeitpunktes der Steuerforderung an der formellen Bescheidlage bietet der materiell-rechtliche Ansatz. Hiernach gibt es nur einen einheitlichen, abstrakten, materiell-rechtlichen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, der mit Ablauf des Veranlagungszeitraumes sogleich in der nach dem materiellen Steuerrecht zutreffenden Höhe entsteht. Diese rechtliche Sichtweise liegt den §§ 38 und 47 AO zugrunde (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 1989 - 8 C 85.87 - NJW 1990, 590 ff. [592]; BFH, Urteil vom 6. Februar 1996 - VII R 50/95 - BFHE 1979, 556 ff.), deren Regelungsgehalt nach den §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 1 KAG auf die von den Gemeinden verwalteten Gewerbesteuern entsprechend anwendbar ist. So gesehen handelt es sich bei den fraglichen Gewerbesteuernacherhebungen um keine neuen Steuerforderungen, sondern um die Realisierung der Forderungsreste, die aus den Veranlagungszeiträumen 1996 bis 1998 zugunsten der Beklagten verblieben waren. Im Hinblick auf die Regelung des § 18 GewStG unterliegt der Charakter dieser Forderungsreste als "Altverbindlichkeiten" keinen ernstlichen Zweifeln.

Diese Altverbindlichkeiten waren im Zeitpunkt des Firmenüberganges noch nicht durch Erfüllung erloschen. Zwar hat die Firma F... GmbH die Gewerbesteuern für die Jahre 1996 bis 1998, soweit sie vor Geschäftsübergang von ihr angefordert wurden, bezahlt, doch ist dadurch gemäß § 47 AO der abstrakte, materiell-rechtliche Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nur teilweise, soweit die Steuerforderung realisiert worden ist, zum Erlöschen gebracht worden. Die Restforderungen aus dem Steuerschuldverhältnis waren bei Geschäftsübergang auch nicht infolge von Verjährung erloschen, denn die gesetzlichen Voraussetzungen der Festsetzungsverjährung treffen auf keines der Veranlagungsjahre zu. Die Festsetzungsfrist, die nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre beträgt und die nach Maßgabe von § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Steuer entstanden ist, war im Zeitpunkt des Geschäftsüberganges noch nicht abgelaufen. Dies zeigt sich bereits anhand der Verjährungsproblematik des am weitesten zurückliegenden Steuerjahres 1996. Hier entstand die Gewerbesteuerschuld mit Ablauf des Erhebungszeitraumes, für den die Festsetzung vorgenommen wurde (vgl. § 18 GewStG) am 31. Dezember 1996, so dass Festsetzungsverjährung frühestens zum 31. Dezember 2000 hätte eintreten können. Zu diesem Zeitpunkt war der Geschäftsübergang aber bereits ein ganzes Jahr lang vollzogen. Diese Überlegungen treffen auf die nachfolgenden Veranlagungszeiträume in noch höherem Maße zu, so dass die Restverbindlichkeiten der Firma F... GmbH aus den abstrakten Gewerbesteuerschuldverhältnissen für die Zeiträume 1996 bis 1998 ab 1. Januar 2000 auf die Klägerin übergehen konnten.

Die in Rede stehenden Steuerverbindlichkeiten waren auch bei Erlass der gegen die Firma F... GmbH i.L. gerichteten Steuernacherhebungsbescheide vom 18. Juni 2001 noch nicht verjährt. Anderenfalls wäre die Beklagte aufgrund von § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO wegen der Akzessorietät der Haftung zu einer bestehenden Steuerverbindlichkeit rechtlich daran gehindert gewesen, die Klägerin durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen. Der Festsetzungsverjährung steht hier indessen entgegen, dass der Ablauf der gesetzlichen Festsetzungsfrist durch bestimmte rechtliche Begebenheiten gehemmt war. Bei den Gewerbesteuernacherhebungsbescheiden handelt es sich nämlich um sog. Folgebescheide, für die die berichtigten Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamtes A... vom 31. Mai 2001 nach Maßgabe von § 184 Abs. 1 Satz 4 AO i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO bindend sind. In einem solchen Fall endet gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Grundlagenbescheide. Dass die durch § 171 Abs. 10 AO modifizierte Festsetzungsfrist in Anbetracht der zeitlichen Nähe der Steuermessbescheide zu den Folgebescheiden (31. Mai 2001 : 18. Juni 2001) noch nicht abgelaufen war, liegt auf der Hand. Ob eine Festsetzungsverjährung evtl. in Bezug auf die berichtigten Gewerbesteuermessbescheide vom 31. Mai 2001 eingetreten ist, betrifft eine Frage, die ausschließlich im Rechtsweg vor den Finanzgerichten zu beantworten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1993 - 8 C 20.90 - NJW 1993, 2453 [2454]). Gleichwohl sei hier beiläufig darauf hingewiesen, dass die ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheide für den Zeitraum 1996 bis 1998 unter den Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 2 AO) gestellt worden waren und dass in einem solchen Fall gemäß § 171 Abs. 8 Satz 1 AO die Festsetzungsfrist nicht vor dem Ablauf eines Jahres nach Beseitigung der Ungewissheit (Ergebnis der Steuerprüfung) endet. Der Bericht über die Betriebsprüfung bei der Firma F... GmbH i.L. datiert aber erst vom 19. März 2001.

Auch mit ihren weiteren Einwendungen gegen ihre haftungsrechtliche Inanspruchnahme dringt die Klägerin nicht durch. So war für die von ihr vermisste inzidente Überprüfung der berichtigten Gewerbesteuermessbescheide im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von vornherein kein Raum, weil dafür, wie oben bereits dargelegt, ausschließlich das finanzgerichtliche Verfahren vorgesehen ist. Nicht zu folgen ist der Klägerin auch darin, dass der Haftungstatbestand des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB eine bestandskräftig festgesetzte Steuerschuld im Zeitpunkt des Geschäftsübergangs voraussetze. Im Anwendungsbereich dieser Vorschrift kommt es im Gegenteil nicht auf den Tatbestand der Steuerfestsetzung, also die formelle Bescheidlage, sondern lediglich darauf an, ob im Zeitpunkt der Übernahme im Betrieb des Geschäfts abstrakte, materiell-rechtliche Steuerverbindlichkeiten vorhanden waren (vgl. BFH, Urteil vom 6. Februar 1996 - VII R 50/95 -BFHE 179, 556 ff.). Wie oben ausgeführt war dies hier der Fall. Dass diese Steuerverbindlichkeiten erst nach dem Geschäftsübergang gegenüber der Steuerschuldnerin festgesetzt worden sind, lässt die bereits bestehende Haftungslage unberührt. Schließlich kann die Klägerin aus dem Umstand nichts für sich herleiten, dass sie aufgrund von § 25 Abs. 1 HGB i.V.m. § 44 Abs. 1 AO wegen der Steuerverbindlichkeiten der Firma F... GmbH zusammen mit dieser eine gesamtschuldnerische Tilgungsgemeinschaft bildet. Denn in diese Personengemeinschaft werden kraft Gesetzes nicht nur die Rechtsträger einbezogen, die eine Steuer schulden (echte Gesamtschuld), sondern auch solche, die ohne selbst zu schulden lediglich dafür haften (unechte Gesamtschuld). Beides sind nämlich Verpflichtungsgründe, die sich zwar gegenseitig ausschließen (vgl. BFH, Urteil vom 19. Oktober 1976 - VII R 63/73 -BFHE 120, 329 ff.), aber nicht die gesetzliche Tilgungsgemeinschaft in Frage stellen.

Der in § 25 Abs. 1 HGB verankerte Haftungsanspruch ist auch nicht seinerseits verjährt. Vielmehr ist der Haftungsbescheid vom 5. April 2004 rechtzeitig ergangen. Ergibt sich nämlich die Haftung, so wie hier, nicht aus den Steuergesetzen, so kann nach Maßgabe von § 191 Abs. 4 AO ein Bescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind. Das für den hier einschlägigen Haftungstatbestand maßgebliche Verjährungsrecht ist das des BGB. Als der materielle Haftungsanspruch mit der Firmenfortführung am 1. Januar 2000 gegenüber der Klägerin entstand, belief sich die regelmäßige Verjährungsfrist des BGB, die mangels eines spezielleren Verjährungstatbestandes eingriff und nach § 198 BGB a.F. mit der Anspruchsentstehung in Lauf gesetzt wurde, noch auf 30 Jahre (§ 195 BGB a.F.). Nach dem Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechtes am 1. Januar 2002 beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGH nunmehr 3 Jahre. Da diese Verjährungsfrist kürzer ist als die bis zum 1. Januar 2002 geltende Regelverjährung, ist sie gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB von dem 1. Januar 2002 an zu berechnen, soweit der Verjährungsbeginn nicht nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB infolge späterer Kenntnis oder grobfahrlässiger Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen verschoben worden ist (vgl. zur Fristberechnung BGH, Urteil vom 23. Januar 2007 - XI ZR 44/06 - NJW 2007, 1584 ff. [1585 f.]; Urteil vom 25. Oktober 2007 - VII ZR 205/06 - juris). Letzteres ist hier aber nicht der Fall, denn die Beklagte hatte, wie ihre Haftungsbescheide vom 18. Juni 2001 erkennen lassen, schon vor dem 1. Januar 2002 von den haftungsbegründenden Umständen positive Kenntnis. Die kurze dreijährige Verjährungsfrist wird sonach von dem 1. Januar 2002 an berechnet; sie war deshalb bei Erlass des Haftungsbescheides am 5. April 2004 noch nicht abgelaufen.

Der Erlass des angefochtenen Haftungsbescheides lässt auch keinen Ermessensfehler erkennen. Die Beklagte hat nämlich in der Begründung des Bescheides darauf hingewiesen, dass und warum sie wegen der Gewerbesteuerrückstände der Firma F... GmbH keine Leistung der mittlerweile abgewickelten Steuerschuldnerin und auch keine weitere des Liquidators erwarten kann. Bei dieser Sachlage waren weitergehende Begründungserwägungen zur haftungsrechtlichen Inanspruchnahme der Klägerin nicht veranlasst (so auch BVerwG, Urteil vom 12. März 1993 - 8 C 20.90 - NJW 1993, 2453 ff. [2455]; BFH, Urteil vom 27. Mai 1986 - VII R 183/83 - BFHE 146, 505 ff.).

2. Soweit der angefochtene Haftungsbescheid die Klägerin zugleich wegen der auf die Steuernachforderungen entfallenden Zinsen in Anspruch nimmt, führt die Anfechtungsklage zum Erfolg. Die Inhaftungnahme der Klägerin wegen dieser Nebenforderungen erweist sich als rechtswidrig.

a) Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist dies aber nicht schon aus formellen Gründen wegen mangelnder Bescheidungsbefugnis der Beklagten der Fall. Zwar bezieht sich der Wortlaut des § 191 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich des Akzessorietätserfordernisses nur auf die Steuer und lässt die Nebenforderungen nach § 3 Abs. 4 AO unerwähnt. In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (vgl. Urteil vom 24. Februar 1987 - VII R 4/84 - BFHE 149, 125 ff.) ist jedoch anerkannt, dass die fehlende Benennung der steuerlichen Nebenleistungen in § 191 AO auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht, das durch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf Nebenforderungen zu korrigieren ist (so auch Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Bd. 2, § 191 Rdnr. 17 m.w.N.).

b) Die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides hinsichtlich der Nebenforderungen hat vielmehr materiell-rechtliche Ursachen. Die gesetzlichen Voraussetzungen des Haftungstatbestandes (§ 25 Abs. 1 Satz 1 HGB) treffen auf die mit dem Bescheid geltend gemachten Nachforderungszinsen nicht zu. Hierbei handelt es sich um keine Geschäftsverbindlichkeiten, die im Zeitpunkt des Firmenüberganges bereits bestanden haben. Anders als der materiell-rechtliche Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis entsteht der hier geltend gemachte Anspruch auf Nachforderungszinsen nicht nach den oben gekennzeichneten Maßstäben des § 38 AO, sondern gemäß § 233a AO erst mit der Steuerfestsetzung, die zu dem eine Nachforderung auslösenden Unterschiedsbetrag im Sinne von § 233a Abs. 1 Satz 1 AO führt (so BFH, Urteil vom 14. Mai 2002 - VII R 6/01 - BFHE 198, 389 ff.). Ein solcher Unterschiedsbetrag ergab sich im vorliegenden Falle erstmals am 18. Juni 2001, als die Differenz zwischen der zunächst für die Erhebungszeiträume festgesetzten Gewerbesteuer und den späteren Steuernacherhebungen berechenbar wurde. Zu diesem Zeitpunkt lag der Firmenübergang aber bereits 1 1/2 Jahr zurück, so dass den Nachforderungszinsen nicht der Charakter von Altverbindlichkeiten im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB zukommen kann.

c) Eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme der Klägerin wegen der fraglichen Nachforderungszinsen kommt auch auf keiner anderen rechtlichen Grundlage in Betracht. Dies gilt namentlich für den Haftungstatbestand des § 75 Abs. 1 Satz 1 AO, der eigenständig neben die Regelung des § 25 HGB tritt. Der gegenständliche Anwendungsbereich des § 75 AO erstreckt sich nämlich nicht auf Ansprüche auf Nebenleistungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AO (so BFH, Urteil vom 5. Oktober 2004 - VII R 76/03 - BFHE 207, 18 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Unter entsprechender Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts Koblenz in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2007 ergangenen Urteil wird der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren beider Rechtszüge auf jeweils 31.088,47 € festgesetzt; hierbei bleibt der Wert der Nebenleistungen in Höhe von 5.673,82 € außer Ansatz (§§ 43 Abs. 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 3, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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