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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 27.09.2005
Aktenzeichen: 6 D 11152/05.OVG
Rechtsgebiete: KapVO, VergVOZVS


Vorschriften:

KapVO § 2
KapVO § 2 Abs. 2
KapVO § 2 Abs. 2 S. 1
KapVO § 2 Abs. 2 S. 2
KapVO § 14
KapVO § 14 Abs. 2
KapVO § 14 Abs. 2 Nr. 7
VergVOZVS § 11
VergVOZVS § 11 Abs. 3
VergVOZVS § 11 Abs. 3 S. 2
Zur Maßgeblichkeit der jährlichen Aufnahmekapazität auch bei semesterweiser Festsetzung der Zulassungszahlen.

§ 14 Abs. 2 Nr. 7 KapVO dient nicht dem Ausgleich von Zulassungen, die in einem Wintersemester über die festgesetzte Kapazität hinaus ausgesprochen wurden, durch Verminderung der Zulassungen im darauf folgenden Sommersemester.

§ 11 Abs. 3 Satz 2 Vergabeverordnung ZVS lässt Überbuchungen der festgesetzten Zulassungszahlen grundsätzlich nur in dem Umfang der Nichtannahmequoten früherer Verfahren zu.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

6 D 11152/05.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Zulassung zum Studium der Medizin

hier: einstweilige Anordnung

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 27. September 2005, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher

beschlossen:

Tenor:

Unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 22. Juli 2005 - 15 M 574/05.KO - ergeht folgende einstweilige Anordnung:

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Antragstellerin auf Antrag vorläufig zum Studium der Medizin im 1. vorklinischen Semester zuzulassen, und zwar unter folgenden Voraussetzungen:

a) Der Antrag muss bis zum 20. Oktober 2005 einschließlich bei der Antragsgegnerin eingegangen sein.

b) Dem Antrag ist eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts beizufügen, dass die Antragstellerin an keiner Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland im Studiengang Medizin oder in einem anderen Studiengang mit Zulassungsbeschränkung (Hauptfach) endgültig oder vorläufig eingeschrieben ist.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Sie hat einen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet wird, sie vorläufig zum Studium der Medizin im 1. vorklinischen Semester zuzulassen, weil die für das hier maßgebliche Sommersemester 2005 festgesetzte Zulassungszahl von 155 die von der Antragsgegnerin ermittelte Kapazität (189 Studienplätze) nicht erschöpft. Da lediglich zwei Studienbewerberinnen im Beschwerdeverfahren verblieben sind, erübrigen sich weitere Ausführungen zur Verteilung der "verschwiegenen" Studienplätze (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 30. Januar 2003, NVwZ-RR 2003, 502, auch veröffentlicht in ESOVGRP).

Anders als das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, durfte die Kapazität für das Sommersemester 2005 nicht durch Subtraktion der Zahl der im Wintersemester 2004/2005 tatsächlich für das erste vorklinische Fachsemester zugelassenen Studienbewerber (222 Studienanfänger) von der jährlichen Aufnahmekapazität (377 Studienplätze) ermittelt werden. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht allerdings vom Grundsatz der Maßgeblichkeit der jährlichen Aufnahmekapazität aus. Hierzu hat der Senat in seinem Beschluss vom 27. August 2003 (NVwZ-RR 2004, 36, auch veröffentlicht in ESOVGRP) ausgeführt:

"Die Maßgeblichkeit der jährlichen Aufnahmekapazität mit der Folge, dass im Wintersemester innerhalb der festgesetzten Zulassungszahl unbesetzt gebliebene Studienplätze im nachfolgenden Sommersemester zusätzlich zur Kapazität des Sommersemesters zu vergeben sind, ergibt sich aus dem Landesgesetz zu dem Staatsvertrag zwischen den Ländern über die Vergabe von Studienplätzen vom 8. März 2000 (GVBl. S. 79), mit welchem dem Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen vom 24. Juni 1999 - StV - zugestimmt wurde, und der Landesverordnung über die Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen vom 5. September 1979 (GVBl. S. 284 m.sp.Ä. - KapVO -). In Art. 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StV ist festgelegt, dass die Zulassungszahl als die Zahl der von der einzelnen Hochschule höchstens aufzunehmenden Bewerberinnen und Bewerber in einem Studiengang auf der Grundlage der jährlichen Aufnahmekapazität festgesetzt wird. Zulassungszahlen dürfen nach Art. 7 Abs. 1 Satz 3 StV nur für einen bestimmten Zeitraum, höchstens für die Dauer eines Jahres, festgesetzt werden. Zulassungszahlen sind so festzusetzen, dass nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der räumlichen und fachspezifischen Gegebenheiten eine erschöpfende Nutzung der Ausbildungskapazität erreicht wird (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 StV). Dem entsprechend bestimmt § 2 Abs. 2 Satz 1 KapVO, dass der Festsetzung der Zulassungszahl die jährliche Aufnahmekapazität zugrunde liegt. Bei Studiengängen, für die während eines Jahres Bewerber an mehreren Vergabeterminen aufgenommen werden, wird die jährliche Aufnahmekapazität auf die einzelnen Vergabetermine aufgeteilt (§ 2 Abs. 2 Satz 2 KapVO). Diese Vorschriften machen ebenso wie § 5 Abs. 1 KapVO und § 6 KapVO deutlich, dass im Interesse der erschöpfenden Nutzung der Ausbildungsmöglichkeiten (vgl. hierzu Bahro/Berlin, Hochschulzulassungsrecht, 4. Aufl. 2003, Art. 7 StV, Rz. 7 ff.) zunächst die jährliche Aufnahmekapazität ermittelt und auf dieser Grundlage die Zulassungszahlen festgesetzt werden. Dabei kann, wenn sowohl zum Winter- als auch zum Sommersemester Studierende für das erste Fachsemester eingeschrieben werden, die Jahresaufnahmezahl aufgeteilt werden oder aber eine getrennte Festsetzung der Zulassungszahlen für Winter- und Sommersemester erfolgen, wie dies der rheinland-pfälzischen Praxis entspricht. Eine solche "semestrale" Festsetzung der Zulassungszahlen ändert indessen nichts an der Maßgeblichkeit der jährlichen Aufnahmekapazität (so ausdrücklich für Studienplätze außerhalb der festgesetzten Kapazität: OVG Hamburg, Beschluss vom 12. Oktober 2000 - 3 Nc 51/00 - und Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, 2003, Rz 392 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung)."

Bestimmt sich aber die Zahl der verfügbaren Studienplätze trotz semesterweiser Studienplatzvergabe nach der Aufnahmekapazität im gesamten Studienjahr, so kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 22. Dezember 1989, NVwZ-RR 1990, 349) für den durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz - GG - gebotenen Zustand der erschöpfenden Kapazitätsnutzung allein darauf an, ob die Zulassungszahlen für beide Semester des Studienjahres zusammen der ermittelten Jahresaufnahmekapazität entsprechen. Die festgesetzten Zulassungszahlen von 190 sowie von 155 bleiben hinter der jährlichen Aufnahmekapazität von 377 Studienplätzen aber um 32 zurück.

Selbst wenn man aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 1987 (NVwZ-RR 1989, 184) den Schluss zieht, die Aufnahmequote für den zweiten Vergabetermin des Studienjahres (Sommersemester) dürfe durch Abzug der zum ersten Vergabetermin (Wintersemester) vergebenen Studienplätze von der Jahresaufnahmequote ermittelt werden, ist die Festsetzung der Kapazität für das hier in Rede stehende Sommersemester 2005 auf 155 zu beanstanden. Denn nicht sämtliche der im Wintersemester 2004/2005 für das erste Fachsemester Medizin ausgesprochenen 222 Zulassungen können auf die jährliche Aufnahmekapazität angerechnet werden. Vielmehr dürfen die Zulassungen nur insoweit berücksichtigt werden, als dafür eine Rechtsgrundlage besteht, weil sie in die grundrechtlich geschützte Rechtssphäre der nicht zugelassenen Studienbewerber eingreifen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner grundlegenden Entscheidung vom 18. Juli 1972 (BVerfGE 33, 303 = NJW 1972, 1561) aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip ein durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes einschränkbares Recht eines jeden hochschulreifen Bewerbers auf Zulassung zum Studium seiner Wahl unter möglichster Berücksichtigung der gewählten Ausbildungsstätte abgeleitet. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geht es deshalb nicht allein darum, eine erschöpfende Kapazitätsnutzung sicherzustellen. Vielmehr ist auch den darum nachsuchenden Studienbewerbern wirkungsvoller Rechtsschutz zu gewähren, die durch die im Wintersemester 2004/2005 erfolgte Überbuchung im Umfang von mehr als 30 Studienplätzen benachteiligt worden sein können. Es ist nämlich davon auszugehen, dass der erste und wahrscheinlich noch weitere nach der Qualifikation im Sommersemester 2005 nicht mehr ausgewählte Studienbewerber eine bessere Durchschnittsnote hatten als der letzte berücksichtigte Bewerber im Wintersemester 2004/2005. An einer mithin erforderlichen Rechtsgrundlage für diese Überbuchung fehlt es indessen.

§ 14 Abs. 2 Nr. 7 KapVO rechtfertigt die Anrechnung dieser "überbuchten" Zulassungen nicht. Nach dieser Vorschrift kommt eine Verminderung der im Rahmen der Kapazitätsberechnung ermittelten Zahl der Studienplätze in Betracht, wenn ein Ausgleich für eine Mehrbelastung infolge einer höheren Aufnahme von Studenten in den vergangenen Jahren erforderlich ist. Neben weiteren Voraussetzungen kann dieser Überprüfungstatbestand nur bedeutsam werden, wenn ein Studiengang erstmals mit einer Zulassungsbeschränkung belegt wird (Bahro/Berlin, Hochschulzulassungsrecht, 4. Aufl. 2003, § 14 KapVO Rz. 12). In einem solchen Fall kann in der Vergangenheit, als Studienzulassungen (noch) ohne Kapazitätsberechnung erfolgten, eine die Ausbildungskapazität übersteigende Anzahl von Studierenden zugelassen worden sein, die nach Einführung von Zulassungsbeschränkungen durch Verminderung der Zahl der Studienanfänger wieder ausgeglichen werden soll. § 14 Abs. 2 Nr. 7 KapVO dient jedoch nicht dem Ausgleich von in einem Wintersemester über die festgesetzte Kapazität hinaus ausgesprochenen Zulassungen durch entsprechend weniger Zulassungen im darauf folgenden Sommersemester mit dem Ziel, die Jahresaufnahmekapazität auszuschöpfen, aber nicht zu überschreiten.

Eine rechtlich tragfähige Grundlage findet die Berücksichtigung sämtlicher Zulassungen im Wintersemester 2004/2005 auch nicht in § 11 Abs. 3 Satz 2 der hier noch maßgeblichen Landesverordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen (Vergabeverordnung ZVS) vom 26. Juni 2000 (GVBl. S. 262). Danach kann die Zentralstelle bei der Auswahl und der Verteilung der verfügbaren Studienplätze durch Überbuchung der Zulassungszahlen berücksichtigen, dass Studienplätze voraussichtlich nicht angenommen werden. Mit dem Instrument der Überbuchung wird im Interesse einer vollständigen und zügigen Ausschöpfung der festgesetzten Kapazität unter Berücksichtigung des Einschreibeverhaltens der Studienbewerber ermöglicht, mehr Zulassungen als festgesetzt auszusprechen. Der Verordnungsgeber hat die festgesetzte Zulassungszahl aber damit nicht zur Disposition der Hochschule oder der Zentralstelle gestellt. Er hat Überbuchungen im Wintersemester nicht bis zur Grenze der jeweiligen Jahresaufnahmekapazität erlaubt. Der Umfang zulässiger Überbuchung bestimmt sich vielmehr aus den Nichtannahmequoten früherer Verfahren. Denn eine Überbuchung soll möglichst nicht zu einer Überschreitung der festgesetzten Zulassungszahl durch tatsächliche Einschreibungen führen (Bahro/Berlin, a.a.O. § 11 Rz 10, § 7 Rzn 12 ff.). Die im Wintersemester 2004/2005 erfolgte Überbuchung beruht - dem Schriftsatz der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 17. Juni 2005 zufolge - auf einem zu hohen Überbuchungsfaktor. Damit wird eingeräumt, dass dessen Berechnung, die - soweit ersichtlich - erstmals zu einer derart erheblichen Überschreitung der festgesetzten Zulassungszahl führte, nicht auf dem Annahmeverhalten der Studienbewerber in der Vergangenheit beruhte. Die vorgenommene Überbuchung im Wintersemester 2004/2005 kann mithin nicht auf § 11 Abs. 3 Satz 2 Vergabeverordnung ZVS gestützt werden.

Ob eine Überbuchung im Wintersemester, die auf der nachvollziehbaren Annahme beruht, die entsprechende Anzahl von Studienplätzen werde voraussichtlich nicht angenommen, bei der Festsetzung der Zulassungszahl für das Sommersemester berücksichtigt werden darf, kann in der vorliegenden Fallkonstellation offen bleiben. Gegen eine solche Anrechnung mag sprechen, dass der Verordnungsgeber durch die Ermöglichung der Überbuchung eine über die festgesetzte Zulassungszahl hinausgehende Besetzung von Studienplätzen in Kauf genommen (vgl. hierzu VGH Kassel, Beschluss vom 18.01.2001, NVwZ-RR 2001, 448; Bahro/Berlin, a.a.O. § 7 Rz 14; Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, 2003, Rz 391). Aus der bereits auszugsweise zitierten Entscheidung des Senats vom 27. August 2003 (NVwZ-RR 2004, 36, auch veröffentlicht in ESOVGRP), wonach im Wintersemester innerhalb der festgesetzten Zulassungszahl unbesetzt gebliebene Studienplätze im nachfolgenden Sommersemester zusätzlich zur Kapazität des Sommersemesters zu vergeben sind, kann kein davon abweichender Schluss gezogen werden. Denn die im Wintersemester unbesetzt gebliebenen Studienplätze erhöhen nicht die für das Sommersemester festzusetzende Zulassungszahl.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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