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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: 7 A 10492/06.OVG
Rechtsgebiete: AufenthG, GFK, EFA


Vorschriften:

AufenthG § 12
AufenthG § 12 Abs. 2
AufenthG § 12 Abs. 2 S. 2
GFK Art. 23
GFK Art. 26
EFA Art. 1
Die einem anerkannten Flüchtling allein wegen des Bezugs von Fürsorgeleistungen erteilte Auflage, nur in einem bestimmten Bundesland seinen Wohnsitz zu nehmen, verstößt gegen Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens und gegen Art. 23 der Genfer Flüchtlingskonvention.
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil

Im Namen des Volkes

7 A 10492/06.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Wohnsitzauflage

hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 24. August 2006, an der teilgenommen haben

Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Holl Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff Richter am Verwaltungsgericht Dr. Stahnecker ehrenamtliche Richterin Hauswirtschaftsleiterin Burghardt-Kiwitz ehrenamtliche Richterin Hotel-Betriebswirtin Bocklet

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des aufgrund der Beratung vom 22. März 2006 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Trier werden die in der Aufenthaltsbefugnis der Klägerin vom 2. November 2004 enthaltene Auflage "Wohnsitznahme beschränkt auf das Land Rheinland-Pfalz" und der Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 6. Januar 2006 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Wohnsitzauflage.

Sie ist russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit und bezieht fortlaufend Sozialhilfe bzw. seit 2005 Leistungen nach dem SGB II. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stellte mit Bescheid vom 2. August 2004 fest, dass hinsichtlich ihrer Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Daraufhin erteilte ihr der Beklagte am 2. November 2004 eine bis 1. November 2006 gültige Aufenthaltsbefugnis mit der Auflage, dass die Wohnsitznahme auf das Land Rheinland-Pfalz beschränkt ist. Den gegen diese Auflage eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2006 zurück. Da die Klägerin fortlaufend Sozialleistungen beziehe, sei die Aufenthaltsbefugnis entsprechend einem Rundschreiben des Ministeriums des Innern und für Sport mit der Auflage versehen worden, den Wohnsitz im Land Rheinland-Pfalz zu nehmen. Dadurch werde eine unangemessene Konzentration der Inanspruchnahme von Sozialleistungen in bestimmten Bundesländern vermieden. Bei der wohnsitzbeschränkenden Auflage handele es sich um eine weniger belastende Maßnahme als bei der räumlichen Beschränkung einer Aufenthaltserlaubnis, da nur die Wohnortwahl, nicht aber die sonstige Reisefreiheit innerhalb des Bundesgebietes beschränkt werde.

Ihre hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil aufgrund der Beratung vom 22. März 2006 ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Das erforderliche öffentliche Interesse an der Wohnsitzauflage sei gegeben. Sie diene dem Ziel, die Binnenwanderung von Sozialleistungen beziehenden Ausländern in Ballungsgebiete und die damit verbundenen Probleme zu verhindern. Sie sei sachgerecht, weil die Bundesrepublik Deutschland daran interessiert sei und sein müsse, die mit der Aufnahme und Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen verbundenen Soziallasten gleichmäßig und gerecht auf Länder und Kommunen zu verteilen. Außerdem könne eine solche Regelung missbräuchlicher mehrfacher Inanspruchnahme von Sozialleistungen vorbeugen. Der Beklagte habe das ihm eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt, indem er die ermessensbindenden Vorgaben des Ministeriums des Innern und für Sport vom 21. August 1997 und vom 27. Juli 2005 berücksichtigt habe. Die Wohnsitzauflage verstoße auch nicht gegen das Europäische Fürsorgeabkommen und Art. 23 der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese Bestimmungen gewährten nicht das Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsorts und auf Freizügigkeit mit der Folge, den Ort von Fürsorgeleistungen bestimmen zu dürfen. Insoweit sei allein Art. 26 Genfer Flüchtlingskonvention maßgeblich, der Flüchtlingen das Recht, sich frei zu bewegen, nur vorbehaltlich der Bestimmungen gewähre, die auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung fänden. Hiermit stehe die Wohnsitzauflage in Einklang. Denn die vom Beklagten herangezogenen ministeriellen Vorgaben für Wohnsitzauflagen stellten nur auf sozialleistungsbedürftige Ausländer ab, unterschieden aber nicht zwischen Flüchtlingen und Nichtflüchtlingen.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht die Klägerin geltend: Nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen und dem hierzu vereinbarten Zusatzprotokoll seien ihr als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention Fürsorgeleistungen in gleicher Weise und unter gleichen Bedingungen zu gewähren wie den eigenen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland. Die Wohnsitzauflage widerspreche sowohl dem Wortlaut als auch der Zielsetzung des Europäischen Fürsorgeabkommens.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des aufgrund der Beratung vom 22. März 2006 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Trier die in der Aufenthaltsbefugnis der Klägerin vom 2. November 2004 enthaltene Auflage "Wohnsitznahme beschränkt auf das Land Rheinland-Pfalz" und den Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 6. Januar 2006 aufzuheben.

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen.

Die wohnsitzbeschränkende Auflage kann zulässigerweise isoliert angefochten werden (vgl. BVerwGE 100, 335 [337 f.]), zumal sie auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels in Kraft bleibt, bis sie aufgehoben wird (vgl. § 51 Abs. 6 AufenthG, ebenso die Vorgängerregelung in § 44 Abs. 6 AuslG).

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die der Aufenthaltsbefugnis vom 2. November 2004 beigefügte Auflage "Wohnsitznahme beschränkt auf das Land Rheinland-Pfalz" und der Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2006 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie sind daher, da die Aufenthaltsbefugnis auch ohne die ihr beigefügte Auflage sinnvoller und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann, aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Rechtmäßigkeit der Wohnsitzauflage vom 2. November 2004 beurteilt sich nach dem zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz - AufenthG - vom 30. Juli 2004. Bei der Anfechtung dieser ausländerrechtlichen Maßnahme ist nämlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des - hier erst nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes ergangenen - Widerspruchsbescheides abzustellen, da sich aus dem materiellen Recht nichts anderes ergibt. Die Bestimmung des § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wonach die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen Maßnahmen - unter anderem räumliche Beschränkungen und Auflagen - wirksam bleiben, trifft lediglich hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Maßnahmen eine Regelung, nicht jedoch hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit (vgl. OVG NRW, AuAS 2005, 101).

Rechtsgrundlage für eine Wohnsitzauflage ist § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Danach können Visum und Aufenthaltserlaubnis mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Zu den Aufenthaltserlaubnissen im Sinne dieser Vorschrift zählt auch die der Klägerin auf der Grundlage des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden § 70 AsylVfG erteilte Aufenthaltsbefugnis, die gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes entsprechend dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Aufenthaltszweck als Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 25 Abs. 2 AufenthG fortgilt.

Ob eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Auflage verbunden wird, steht im Ermessen der zuständigen Behörde.

Es ist bereits fraglich, ob für die angegriffene Wohnsitzauflage ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht. Es handelt sich bei der Auflage "Wohnsitznahme beschränkt auf das Land Rheinland-Pfalz" nicht um eine räumliche Beschränkung des Aufenthaltstitels, die der Klägerin verbietet, sich außerhalb von Rheinland-Pfalz aufzuhalten. Ihr wird lediglich auferlegt, ihren Wohnsitz in Rheinland-Pfalz zu nehmen. Für eine solche Wohnsitzauflage muss ebenso wie für eine räumliche Beschränkung des Aufenthaltstitels aus besonderen Gründen ein öffentliches Interesse bestehen (vgl. BVerwGE 100, 335 [341]; Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 12 AufenthG Rn. 22). Wie sich aus der Begründung des Wider­spruchsbescheides und dem Verweis des Beklagten auf entsprechende - als ermessenslenkend zu qualifizierende - Vorgaben in Rundschreiben des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport ergibt, wurde die Wohnsitzauflage erlassen, weil die Klägerin Sozialleistungen bezog. Gemäß Rundschreiben des Ministeriums vom 21. August 1997 war auf der Ebene der Ausländerreferenten vereinbart worden, in den Fällen, in denen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts Sozialhilfe in Anspruch genommen werden muss, die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis mit der Auflage zu verbinden, dass der Ausländer den Wohnsitz in dem Bundesland zu nehmen hat, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt wird. Diese Auflage sollte dann aufgehoben werden, wenn der Ausländer der Behörde nachgewiesen hat, dass er in einem anderen Bundesland eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und eine Wohnung beziehen kann. Laut Rundschreiben vom 27. Juli 2005 sollten künftig wohnsitzbeschränkende Auflagen grundsätzlich bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes und von Niederlassungserlaubnissen nach § 23 Abs. 2 AufenthG erteilt und aufrechterhalten werden, soweit und solange sie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch oder Zwölftes Buch (im Folgenden: SGB II oder XII) oder dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Erklärtes Ziel der wohnsitzbeschränkenden Auflage ist es, zu vermei­den, dass einzelne Bundesländer mit Sozialhilfeempfängern aus anderen Bundesländern belastet werden (vgl. Rundschreiben vom 21. August 1997). Auch nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 wird die Verteilung ausländischer Leistungsempfänger auf bestimmte Wohnorte durch aufenthaltsrechtliche Maßnahmen für erforderlich gehalten, weil nach § 6 Satz 1 Nr. 2 SGB II eine Reihe von Leistungen weiterhin durch kommunale Träger zu erbringen sind (vgl. Rundschreiben vom 27. Juli 2005).

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts (und des VG Schleswig, Urteil vom 5. Februar 2003 - 4 A 411/01 -, juris, Rn. 13) ist Ziel der Wohnsitzauflage somit nicht, die Binnenwanderung von Sozialleistungen beziehenden Ausländern in Ballungsgebiete und die damit verbundenen Probleme zu verhindern. Für dieses Ziel wäre die den Wohnsitz lediglich auf das Land Rheinland-Pfalz beschränkende Auflage im Übrigen auch kaum geeignet, weil sie im Gegensatz zu einer Beschränkung auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde nur den Zuzug in Ballungsräume außerhalb, nicht aber innerhalb des Bundeslandes verhindern kann. Die Wohnsitzauflage dient vielmehr allein dem Zweck, eine Verlagerung von Sozialleistungslasten in andere Bundesländer durch Binnenwanderungen bestimmter Gruppen von Ausländern zu vermeiden. Doch hierfür ist die Wohnsitzauflage nur beschränkt ein geeignetes Mittel. Durch sie ist die Klägerin nämlich rechtlich nicht an Reisen im Bundesgebiet gehindert. Für Sozialhilfe nach dem SGB XII ist aber grundsätzlich die Stelle örtlich zuständig, in deren Bereich sich der Leistungsberechtigte "tatsächlich" aufhält (vgl. § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Eine Verlagerung von Sozialhilfelasten auf ein anderes Bundesland lässt sich deshalb mit einer Wohnsitzauflage im Gegensatz zu einer räumlichen Beschränkung des Aufenthaltstitels nicht ausschließen (vgl. BVerwGE 100, 335 [344]). Für Leistungen nach dem SGB II - Grundsicherung für Arbeit Suchende - richtet sich die örtliche Zuständigkeit zwar nach dem "gewöhnlichen" Aufenthalt des Hilfebedürftigen (vgl. § 36 SGB II). Träger der Leistungen nach dem SGB II sind aber überwiegend die Bundesagentur für Arbeit (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), bei der sich die Frage einer Verlagerung von Sozialleistungslasten auf ein anderes Bundesland nicht stellt, und lediglich in den in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 6a SGB II genannten Fällen die kreisfreien Städte und Kreise oder andere durch Landesrecht bestimmte Träger.

Ob vor diesem Hintergrund ein hinreichendes öffentliches Interesse an der angegriffenen Wohnsitzauflage besteht, kann indes letztlich offen bleiben. Denn jedenfalls verstößt sie gegen Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens - EFA - vom 11. Dezember 1953 (BGBl. II 1956, 563) i.V.m. Art. 1 und 2 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen (BGBl. II 1956, 578) sowie gegen Art. 23 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953 , 559). Sie hält sich daher nicht innerhalb der Grenzen des durch § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumten Ermessens und ist somit rechtswidrig (§ 114 VwGO).

Das Europäische Fürsorgeabkommen und die Genfer Flüchtlingskonvention sind durch die jeweiligen Zustimmungsgesetze in innerstaatlich anwendbares Recht transformiert worden, das Rechte und Pflichten des Einzelnen begründet (vgl. BVerwGE, 111, 200 [201]).

Die Klägerin fällt in den Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention und des Art. 1 EFA. Sie ist gemäß § 3 AsylVfG Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, da das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestandskräftig festgestellt hat, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen. Auf Flüchtlinge i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention finden nach Art. 1 und 2 des Zusatzprotokolls zum Europäischen Fürsorgeabkommen die Vorschriften des Teils I dieses Abkommens - und damit auch Art. 1 EFA - unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung wie auf die Staatsangehörigen der Vertragschließenden.

In Art. 1 EFA hat sich jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Zu diesen Leistungen gehören die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII und die Leistungen nach dem SGB II (vgl. Art. 2 Abs. a EFA zum Begriff der Fürsorge im Sinne dieses Abkommens).

Als Inhaberin einer Aufenthaltsbefugnis, die nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Aufenthaltserlaubnis fortgilt, hält sich die Klägerin im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland "erlaubt" i.S.d. Art. 1 EFA auf (vgl. BVerwGE 111, 200 [202 ff.]). Ihr sind daher nach Art. 1 EFA "in gleicher Weise" und "unter den gleichen Bedingungen" wie den eigenen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und die nach dem SGB II zu gewähren. Dies bedeutet nicht nur die Garantie gleicher Fürsorgeleistungen nach Art und Höhe, sondern auch, dass diese Leistungen durch den Vertragsstaat unter den gleichen Bedingungen erbracht werden wie den eigenen Staatsangehörigen (vgl. BVerwGE 111, 200 [204 f.]).

Nichts anderes gilt für Art. 23 GFK, der die Vertragsstaaten verpflichtet, den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen "die gleiche Behandlung" wie ihren eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Denn auch "die gleiche Behandlung" ist ein weit gefasster Ausdruck, der nicht nur die gleichen Leistungen nach Art und Höhe einschließt, sondern auch die Leistungserbringung gegenüber den Flüchtlingen unter den gleichen Bedingungen wie gegenüber den eigenen Staatsangehörigen (vgl. BVerwGE 111, 200 [205]).

An diesem Maßstab des Art. 1 EFA und des Art. 23 GFK ist die der Klägerin erteilte Wohnsitzauflage entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch zu messen.

Allerdings schließen die fürsorgerechtlichen Gewährleistungen des Art. 1 EFA und des Art. 23 GFK grundsätzlich nicht das Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes und auf Freizügigkeit ein; dieses Recht ist vielmehr nur nach Maßgabe des Art. 26 GFK gewährt (so BVerwGE 100, 335 [346] zu den inhaltsgleichen Bestimmungen der Art. 23 und 26 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen - StlÜbk - vom 28. September 1954, BGBl. II 1976, 473; offen gelassen in BVerwGE 111, 200 [207, 209 f.]). Ein Ausländer kann sich daher grundsätzlich nicht gegen Freizügigkeitsbeschränkungen mit der Berufung auf Art. 1 EFA und Art. 23 GFK zur Wehr setzen, sondern muss sich räumliche Beschränkungen seines Fürsorgerechts gefallen lassen, die sich lediglich als Folge einer räumlichen Beschränkung seines Aufenthaltstitels darstellen (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 6. Juni 2001 - 9 LB 1404/01 - und nochmals BVerwGE, 111, 200 [209 f.]).

Dies kann nach Auffassung des Senats jedoch dann nicht gelten, wenn - wie hier - die Wohnsitzauflage ausschließlich wegen des Bezugs von Fürsorgeleistungen erteilt wird (im Ergebnis ebenso VG Leipzig, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 5 K 1505/02 -, juris, Rn. 34, 37 f.; a.A.: NdsOVG, a.a.O.). Hier stellt sich die Beschränkung des Fürsorgerechts nicht als bloße Folge der räumlichen Beschränkung des Aufenthaltstitels dar, sondern im Gegenteil als ihr - einziger - Grund. Es wird durch die Wohnsitzauflage gezielt an die Sozialleistungsbedürftigkeit eine Beschränkung der Wahl des Wohnortes geknüpft. Diese Verknüpfung ergibt sich eindeutig aus der Begründung des Widerspruchbescheids und den oben wiedergegebenen ermessenslenkenden Vorgaben in den Rundschreiben des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 21. August 1997 und vom 27. Juli 2005, die wohnsitzbeschränkende Auflagen allein in den Fällen des Sozialhilfebezugs der betroffenen Ausländer vorsehen bzw. "soweit und solange sie Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen". Erklärtes Ziel dieser Auflagen ist - wie dargelegt -, die Verlagerung von Sozialleistungslasten auf andere Bundesländer durch Binnenwanderung bestimmter Gruppen von Ausländern zu vermeiden. Es soll damit die Gewährung von Fürsorgeleistungen auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt werden, indem die Wohnsitznahme ausländerrechtlich beschränkt wird. Eine solche Regelung greift nicht nur in den Schutzbereich des Rechts auf Freizügigkeit (Art. 26 GFK) ein, sondern auch in den des durch Art. 1 EFA und Art. 23 GFK gewährleisteten Rechts auf fürsorgerechtliche Gleichbehandlung mit den eigenen Staatsangehörigen und ist daher auch hieran zu messen.

Mit diesem Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA und des Art. 23 GFK in dem oben dargelegten Sinn steht die der Klägerin erteilte Wohnsitzauflage nicht in Einklang. Denn entsprechende, an den Bezug von Fürsorgeleistungen anknüpfende Einschränkungen der Wahl des Wohnortes bestehen für deutsche Staatsangehörige nicht. Abgesehen von einer nicht prägenden bereichsspezifischen Sonderregelung für Spätaussiedler (vgl. §§ 2, 3a des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler, BGBl. I 1996, 225) gibt es keine "Residenzpflicht" bei Bezug von Fürsorgeleistungen (vgl. BVerwGE 111, 200 [205 f.]).

Ist die angefochtene Wohnsitzauflage demnach bereits aus den dargelegten Gründen ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, so kann dahinstehen, ob sie auch gegen Art. 26 GFK verstößt, weil die ermessenslenkenden Vorgaben der Rundschreiben des Ministeriums des Innern und für Sport Wohnsitzauflagen nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG lediglich für Inhaber von Aufenthaltserlaubnissen nach dem 5. Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes und von Niederlassungserlaubnissen nach § 23 Abs. 2 AufenthG vorsehen, das in Art. 26 GFK den Flüchtlingen gewährleistete Recht auf Freizügigkeit jedoch nur unter dem Vorbehalt von Bestimmungen steht, die "allgemein" auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden (verneinend NdsOVG, a.a.O.; vgl. auch BVerwGE 111, 200 [208 f.] und zu der inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 26 StlÜbk BVerwGE 100, 335 [345 f.]).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht die entscheidungserhebliche und über den vorliegenden Fall hinaus bedeutsame Frage, ob eine einem anerkannten Flüchtling wegen des Bezugs von Fürsorgeleistungen erteilte wohnsitzbeschränkende Auflage mit dem Europäischen Fürsorgeabkommen vereinbar ist, bisher nicht entschieden und das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Frage anders als der erkennende Senat bejaht hat.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 2 GKG).



Ende der Entscheidung

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