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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 24.11.2006
Aktenzeichen: 7 B 11487/06.OVG
Rechtsgebiete: VersammlG, FeiertagG, GG


Vorschriften:

VersammlG § 15
VersammlG § 15 Abs. 1
FeiertagG § 6
FeiertagG § 6 Nr. 1
GG Art. 8
GG Art. 8 Abs. 1
Zum Verbot einer Versammlung am Totensonntag (hier: Aufzug in der Ortsgemeinde Bretzenheim und Kundgebung am Mahnmal "Feld des Jammers" in Bretzenheim).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

7 B 11487/06.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Versammlungsrechts

hier: aufschiebende Wirkung

hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 24. November 2006, an der teilgenommen haben

Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch Richter am Oberverwaltungsgericht Geis Richter am Verwaltungsgericht Dr. Stahnecker

beschlossen:

Tenor:

I. Unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. November 2006 wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17. November 2006 gegen das Verbot der Kundgebung an dem Mahnmal "Feld des Jammers" in der Verfügung der Antragsgegnerin vom 17. November 2006 nach Maßgabe folgender Auflagen wiederhergestellt:

Bei der geplanten Kundgebung des Antragstellers an dem Mahnmal "Feld des Jammers" sind untersagt:

1. die Verwendung der Transparente mit den vom Antragsteller mit Schreiben vom 2. November 2006 genannten Aufschriften;

2. die Verwendung von sonstigen Transparenten mit anderem Inhalt als einem Totengedenken;

3. das Verlesen der vom Antragsteller vorgesehenen und zu den Akten gereichten Rede.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen Antragsteller und Antragsgegnerin jeweils die Hälfte.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren beider Rechtszüge auf 5.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht insoweit abgelehnt, als diesem der geplante Aufzug am 26. November 2006 in der Ortsgemeinde Bretzenheim verboten worden ist. Allerdings hält das von der Antragsgegnerin darüber hinaus erlassene Versammlungsverbot hinsichtlich der Kundgabe am Mahnmal "Feld des Jammers" der hier vorzunehmenden summarischen rechtlichen Prüfung nicht in vollem Umfang stand.

Nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz - VersammlG - kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Schon die ihrerseits an Recht und Gesetz gebundene (Art. 20 Abs. 3 GG) Verwaltungsbehörde hat bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, dass die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG einschließlich ihrer Grenzen nach Absatz 2 zu den rechtsstaatlichen Garantien gehört. Diese rechtsstaatlichen Garantien dürfen nicht dadurch unterlaufen werden, dass bestimmten Personen und Gruppierungen grundsätzlich der Schutz des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG verwehrt wird. Das Grundrecht schützt Minderheiten genauso wie Mehrheiten; es unterwirft die Bestimmung der Grenzen der Äußerungsmöglichkeiten allein dem Gesetz. Deshalb kommen Versammlungsverbote nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter in Betracht. Die bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen nicht genügt. So liegt der Fall hier. Denn die von der Antragsgegnerin befürchtete bloße Belästigung und Störung der Bevölkerung erreicht unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Garantie des Art. 8 Abs. 1 GG nicht die Schwelle, die ein vollständiges Versammlungsverbot rechtfertigen könnte.

Ob bei Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist, beurteilt sich nach den zur Zeit des Erlasses der Verbotsverfügung erkennbaren Umständen. Diese Beurteilung muss sich insoweit auf hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte stützen. Nach diesen Grundsätzen hat die Beschwerde mit Blick auf die Untersagung des Aufzugs in der Ortsgemeinde Bretzenheim keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat insofern zu Recht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit angenommen. Der Totensonntag gehört nämlich zu den "stillen" bzw. "ernsten" Feiertagen. Der Charakter als Tag der Trauer, des Totengedenkens und der inneren Einkehr soll durch die Regelung in § 6 Nr. 1 des Feiertagsgesetzes besonders geschützt werden. Diese Vorschrift als Bestandteil der Rechtsordnung und damit der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersammlG zielt somit nicht nur auf einen Schutz vor Störungen des Gottesdienstes, sondern darüber hinaus auf einen Schutz der Feiertagsruhe selbst.

Jedoch muss auch bei der Auslegung des § 6 Nr. 1 des Feiertagsgesetzes die Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit hinreichend berücksichtigt werden. Allein der Schutz des Totensonntags ist nicht geeignet, öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel an diesem Tag schlechthin zu verbieten. Das entspricht nicht nur der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG, sondern auch dem Feiertagsgesetz selbst, das den besonderen Charakter der in § 6 Nr. 1 genannten stillen Feiertage schützen will und nur dann zum Tragen kommt, wenn durch die Versammlung eine ernsthafte Störung des geschützten Rechtsgutes zu besorgen ist. Insofern kann eine Versammlung an einem solchen Trauer- und Gedenktag nur dann verboten werden, wenn sie den Charakter und die Würde des Feiertags ernsthaft stört.

Das ist bei dem vom Antragsteller angekündigten Aufzug durch die Ortsgemeinde Bretzenheim der Fall. Mit dem Erscheinungsbild und der Würde des Totensonntags ist die konkrete Ausgestaltung und Durchführung des geplanten Umzuges nicht in Einklang bringen. Nicht nur die beabsichtigte Verwendung von Lautsprechern und Flugblättern, sondern insbesondere auch das Mitführen der vom Antragsteller angekündigten Transparente, stellt eine ernsthafte Störung des Feiertages dar. So hat beispielsweise die Aufschrift "Multikultur ist Völkermord" erkennbar keinen Bezug zu dem am Totensonntag im Vordergrund stehenden Gedenken für die ruhenden Toten. Keines der Transparente trägt zu stiller Trauer und innerer Einkehr bei. Im Gegenteil geben sie ungeschützt eine bestimmte politische Meinung des Antragstellers und der von ihm erwarteten Versammlungsteilnehmer wieder. Das Verbot des Aufzugs erweist sich danach als offensichtlich rechtmäßig.

Anders verhält sich die im vorläufigen Eilverfahren gebotene summarische Beurteilung der Rechtslage aber mit Blick auf die Kundgebung am Mahnmal "Feld des Jammers". Hier ist unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG das Verbot nicht gerechtfertigt. Insofern ist auch dem Anliegen des Antragstellers, eines bestimmten Kreises Verstorbener besonders gedenken zu wollen, angemessen Rechnung zu tragen. Dieses - wie auch immer motivierte - Gedenken hält sich im Rahmen des Charakters des Totensonntags und stört deshalb für sich genommen noch nicht das Bild und die Würde dieses Tages. Dabei bleibt auch zu sehen, dass andere Personen, die unabhängig von der Veranstaltung des Antragstellers der Verstorbenen gedenken wollen, angesichts der zu erwartenden höchstens zweistündigen Dauer der geplanten Kundgebung hierzu angemessen Gelegenheit haben. Eine den Feiertagsschutz wahrende Versammlung kann auch nicht mit Blick auf die zu erwartende Gegendemonstration untersagt werden.

Ist danach ein vollständiges Verbot der Kundgebung am Mahnmal rechtlich nicht gerechtfertigt, kann den von der Antragsgegnerin geäußerten Bedenken zur Gestaltung der Veranstaltung durch Auflagen begegnet werden. Diese bestimmt der Senat auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO selbst. Insofern gilt - wie für den Aufzug - zunächst, dass sich die beabsichtigte Verwendung der Transparente mit allgemeinen politischen Inhalten ohne Bezug zum Totensonntag bei der Kundgebung am Mahnmal gleichermaßen verbietet. Der Anlass der Mahnwache darf nicht für eine generelle politische Meinungsäußerung ausgenutzt werden. Daher ist dem Antragsteller die von ihm zu den Akten gereichte Rede zu untersagen. Diese enthält nämlich ganz überwiegend Passagen, die eine bestimmte politische Auffassung wiedergeben. Dabei tritt das vom Antragsteller als eigentliches Anliegen bezeichnete Totengedenken vollständig in den Hintergrund. Eine in diesem hohen Maße politische Ziele und Meinungen vertretende (teils sogar provozierende) Ansprache am Totensonntag wird erkennbar dem Charakter und der Würde dieses Feiertages nicht mehr gerecht. Das scheint auch dem Antragsteller bewusst geworden zu sein, wenn er nunmehr mit der Beschwerdebegründung von einer "stillen Mahnwache" spricht und diese als Gegenstand seines Antrags bezeichnet. An dem durch ein Totengedenken geprägten Rahmen werden sich auch andere etwaige Redner orientieren müssen.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass es die Antragsgegnerin - selbstverständlich unter Beachtung der vorliegend ergangenen gerichtlichen Entscheidung - in der Hand hat, durch Auflagen auf veränderte Umstände zu reagieren. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die durch weitere Veranstaltungen am Totensonntag gebotene räumliche Trennung der unterschiedlichen Versammlungsteilnehmer. Eine Sperrwirkung hierfür und für andere Auflagen tritt durch die gerichtlicherseits nur in Anbetracht der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit anstelle der Antragsgegnerin formulierten Auflagen nicht ein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie berücksichtigt das jeweilige Maß des Obsiegens bzw. Unterliegens der Beteiligten.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes für das Verfahren beider Rechtszüge folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 GKG. Mit Blick auf die weitgehende Vorwegnahme der Hauptsache war der volle Auffangwert von 5.000,-- € anzunehmen.

Ende der Entscheidung

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