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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 20.04.2006
Aktenzeichen: 8 A 10119/06.OVG
Rechtsgebiete: LBauO


Vorschriften:

LBauO § 81
LBauO § 81 Satz 1
Sind bei baulichen Anlagen, die der sog. "Pirmasenser Amnestie" unterfallen, später bestandsändernde oder funktionsverbessernde Arbeiten vorgenommen worden, so lässt dies den Vertrauensschutz für den ursprünglich geduldeten Baubestand grundsätzlich entfallen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 A 10119/06.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Beseitigungsanordnung und Zwangsmittelandrohung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. April 2006, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Held Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch Richter am Verwaltungsgericht Bender ehrenamtlicher Richter Kundendienstleiter Schultheis ehrenamtliche Richterin Sekretärin Schüler

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 14. November 2005 wird abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Beseitigungsverfügung betreffend einen Freisitz am Wochenendhaus der Klägerin.

Die Klägerin ist Eigentümerin des vor 1967 ohne nachweisbare Genehmigung mit einem Wochenendhaus nebst überdachtem Freisitz bebauten Grundstücks Gemarkung L., Parzelle Nr. ... . Der Freisitz bestand ursprünglich aus einem mit Plexiglas bedachten, von einer ca. 1 m hohem Holzbrüstung umgebenen Metallgerüst.

Am 16. Mai 2003 stellte der Beklagte fest, dass der Freisitz unter Erhaltung des Metallgerüsts und der Holzbrüstung mit Spanplatten und Dachpappe neu eingedeckt sowie durch bodentiefe Glas-/Kunststoffelemente nebst verglaster Eingangstür geschlossen worden war.

Am 12. August 2003 verfügte der Beklagte unter Ablehnung eines von der Klägerin für das Wochenendhaus gestellten Bauantrages dessen Beseitigung einschließlich des Freisitzes und eines ebenfalls auf dem Grundstück vorgefundenen Toilettenhauses. Es handele sich insgesamt um ungenehmigte, nicht privilegierte Außenbereichsbebauung, die öffentliche Belange beeinträchtige. Die Schließung des Freisitzes stelle im Blick auf das der sogen. "Pirmasenser Amnestie" unterfallende Wochenendhaus eine amnestieschädliche Änderung dar, die das Verlangen nach dessen vollständiger Beseitigung rechtfertige.

Nachdem der Beklagte am 24. November 2003 die Beseitigungsverfügung hinsichtlich des Wochenendhauses aufgehoben hatte, wies der Kreisrechtsausschuss den Widerspruch der Klägerin gegen die Beseitigungsverfügung im Übrigen zurück.

Das Verwaltungsgericht hat die restliche Beseitigungsverfügung auf die Klage der Klägerin hin aufgehoben, soweit damit die Beseitigung der Freisitzüberdachung verlangt wird. Hinsichtlich der Überdachung selbst seien nur amnestieunschädliche Erhaltungsarbeiten vorgenommen worden; die amnestieschädliche Schließung des Freisitzes rechtfertige aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht dessen vollständige Beseitigung. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel der Klägerin blieb ohne Erfolg (s. Senatsbeschluss vom 02. März 2006 - 8 A 10031/06.OVG -).

Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung der Beseitigungsverfügung auch hinsichtlich der Freisitzüberdachung. Die Schließung des Freisitzes sei ein mehr als geringfügiger Eingriff in dessen amnestierte Bausubstanz, so dass dieser nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats und des Bundesverfassungsgerichts ungeachtet einer leichten Rückbaubarkeit der Wandteile insgesamt zu beseitigen sei.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage im vollen Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, das angefochtene Urteil trage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Pirmasenser Amnestie Rechnung. Danach bestehe an der Beseitigung amnestierter Gebäude im Geltungsbereich der Amnestie grundsätzlich kein öffentliches Interesse, das eine Beseitigungsverfügung rechtfertigen könne. Ein solches Interesse sei nur im Hinblick auf eine Intensivierung des rechtwidrigen Zustandes durch Funktionsverbesserungen amnestierter Bauten anzuerkennen. Daher habe sich das Beseitigungsverlangen grundsätzlich auf das Rückgängigmachen der funktionsverbessernden Maßnahmen zu beschränken. Dies gelte nach dem Wortlaut der verfassungsgerichtlichen Entscheidung nicht "nur", sondern "jedenfalls" dann, wenn diese geringfügig und leicht rückgängig zu machen seien. Ungeachtet dessen liege schon keine funktionsverbessernde Veränderung des amnestierten Freisitzes vor, weil dieser bereits seit 1963 im Winter zum Witterungsschutz mit in Holzrahmen gefassten Plexiglasfenstern versehen worden sei, was dem heutigen Zustand durchaus vergleichbar sei. Auch die heutigen Glas-/Kunststoffelemente seien nicht zum dauerhaften, sondern nur zum saisonalen Schließen des Freisitzes bestimmt. Ihr Einbau sei auch leicht rückgängig zu machen, da sie nur auf dem Boden in Falzvertiefungen eingestellt und oben mit wenigen Flügelmuttern am Dachgestänge befestigt seien. Überdies habe das Verwaltungsgericht den strittigen Teil der Beseitigungsverfügung auch deshalb zu Recht aufgehoben, weil es an einer ordnungsgemäßen Ausübung des Ermessens fehle. Die ursprüngliche Verfügung habe sich auf das gesamte Haus bezogen; nach deren Teilaufhebung fehle es an Ermessenserwägungen, die geeignet seien, den Restverwaltungsakt zu tragen. Insbesondere bewirke dieser keine vollständige Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes, da das - nach Ansicht des Beklagten illegale - Wochenendhaus bestehen bleibe. Des Weiteren existierten in der Gemarkung L. eine Reihe von unter Geltung des Aufbaugesetzes genehmigten Wochenendhäusern im Außenbereich; 1990 habe der Beklagte die Vergrößerung des ca. 100 m vom Grundstück der Klägerin entfernten, 1951 genehmigten Wohnhauses P. genehmigt. Schließlich sei das Wochenendhaus einschließlich des Freisitzes bei seiner Errichtung nach § 63 AufbauG genehmigungsfähig gewesen. Dies gelte auch gegenwärtig, da das Grundstück mittlerweile Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage auch hinsichtlich der Freisitzüberdachung abweisen müssen. Denn die diesbezügliche Beseitigungsverfügung des Beklagten erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach § 81 Satz 1 LBauO kann die Bauaufsichtsbehörde die Beseitigung baulicher Anlagen anordnen, wenn sie im Zeitpunkt des Erlasses der Beseitigungsverfügung gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich rechtliche Vorschriften verstoßen und keinen Bestandsschutz genießen. Dies ist hinsichtlich der Freisitzüberdachung der Fall.

Bei ihr handelt es sich - ebenso wie bei dem zugehörigen Wochenendhaus - um ein im Außenbereich der Gemarkung L. gelegenes, nicht privilegiertes Bauvorhaben, das im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange (natürliche Eigenart der Landschaft sowie Verfestigung und Erweiterung einer Splittersiedlung; s. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und 7 BauGB) beeinträchtigt und daher bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Soweit die Klägerin in der Berufungserwiderung behauptet, ihr Grundstück liege mittlerweile im unbeplanten Innenbereich, kann zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Ausführungen in dem zwischen denselben Beteiligten ergangenen Senatsbeschluss vom 02. März 2006 - 8 A 10031/06.OVG -, S. 3f. BA, Bezug genommen werden. Die Auffassung der Klägerin, das Haus nebst angebautem Freisitz genieße Bestandsschutz, weil es nach der im Zeitpunkt seiner Errichtung geltenden Vorschrift des § 63 AufbauG zulässig gewesen sei, teilt der Senat nicht. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im zitierten Beschluss (S. 4 BA) verwiesen.

Auch die Ermessensausübung des Beklagten bei Erlass der Beseitigungsverfügung hält rechtlicher Überprüfung stand.

Der Einwand der Klägerin, die im Widerspruchsverfahren erfolgte, auf das Wochenendhaus beschränkte Teilaufhebung der Beseitigungsverfügung habe der auf die Gesamtregelung bezogenen Ermessensausübung die Grundlage entzogen, greift nicht durch. Gegenstand der Anfechtungsklage ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Im Widerspruchsbescheid hat aber der Kreisrechtsausschuss des Beklagten unter Ausübung eigenen Ermessens (s. S. 4 des Bescheides) über die Restverfügung hinsichtlich des Freisitzes und des Toilettenhäuschens entschieden.

Die Auffassung des Kreisrechtsausschusses, an der Beseitigung des gesamten, formell und materiell illegalen Freisitzes bestehe ein öffentliches Interesse, ist im Rahmen der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung der Ermessensausübung (§ 114 Satz 1 VwGO) nicht zu beanstanden.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (s. z.B. AS 15, 324 [325]) handelt die Bauaufsichtsbehörde angesichts ihres gesetzlichen Auftrages zur Gewährleistung rechtmäßiger Zustände gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 LBauO grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie die Beseitigung einer formell und materiell baurechtswidrigen Anlage verlangt. Weitergehende Ermessenserwägungen sind allerdings dann anzustellen, wenn besondere Umstände des Einzelfalles geeignet sind, das prinzipiell anzunehmende öffentliche Interesse an der Beseitigung rechtswidriger Bauten zu mindern. Solche besonderen Umstände können vorliegen, wenn es um die Beseitigung von Schwarzbauten geht, die dem Geltungsbereich der sogen. Pirmasenser Amnestie unterfallen (s. dazu Senatsurteil vom 08. September 1989 - 8 A 93/88 -). Diese behördliche Duldungserklärung, die sich auf vor dem 01. Juli 1967 im Gebiet des ehemaligen Landkreises Pirmasens illegal errichtete Außenbereichsbauten bezieht, steht einem Beseitigungsverlangen hinsichtlich amnestierter Bausubstanz allerdings nicht generell entgegen. Sie erfordert im Rahmen einer diesbezüglichen Ermessensausübung aber eine Auseinandersetzung mit dem durch sie geschaffenen Vertrauenstatbestand und eine Prüfung, ob das öffentliche Interesse an der Herstellung baurechtmäßiger Zustände gegenüber den privaten Belangen, insbesondere dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, überwiegt (Senatsurteil vom 08. September 1989, aaO., S. 10 UA). Diese erhöhten Anforderungen an die Ermessensbetätigung gelten allerdings dann nicht, wenn der durch die Duldungserklärung geschaffene Vertrauensschutz durch sogen. amnestieschädliche Änderungen der baulichen Anlage entfallen ist. Amnestieschädlich sind Änderungen, die über die bloße Substanzerhaltung hinaus die amnestierten Bauten erweitern oder sonst in ihrem Äußeren oder in ihrem Bauzustand verändern oder verbessern oder die Funktionsfähigkeit erhöhen (Senatsurteil vom 09. September 1989, aaO., S. 9 UA und auch Urteil vom 29. November 2000 - 8 A 11403/96.OVG -, S. 7 UA). Derartige Änderungen gehen über die Erhaltung des geduldeten Altbestandes hinaus. Sie verschärfen vielmehr die Beeinträchtigung des Außenbereichs und stellen damit die Grundlage für die seinerzeit ausgesprochene Duldung in Frage. Solche Änderungen lassen deshalb grundsätzlich den Vertrauensschutz für die gesamte bauliche Anlage entfallen und rechtfertigen ihre bauaufsichtliche Behandlung als "reguläre" Schwarzbauten (s. z.B. Urteil vom 29. November 2000, aaO., zur Beseitigung eines möglicherweise amnestierten Freisitzes wegen nachträglichen Einbaus eines Kamins). Allenfalls dann, wenn eine Funktionsverbesserung auf einer geringfügigen, leicht rückgängig zum machenden baulichen Veränderung beruht, kann sich das öffentliche Interesse an der Beseitigung illegaler Bauten aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf die Rückgängigmachung der funktionsverbessernden Maßnahme beschränken (s. BVerfG, NVwZ 2005, 203f. und Senatsbeschluss vom 13. Juli 2005 - 8 A 10757/05.OVG -).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann sich die Klägerin nach Umbau des ehemaligen Freisitzes in einen Wintergarten nicht mehr auf einen durch die Pirmasenser Amnestie vermittelten Vertrauensschutz hinsichtlich des Freisitzes berufen, so dass der Beklagte dessen vollständige Beseitigung ohne weitere Ermessenserwägungen und ohne Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangen konnte.

Dem Einwand der Klägerin, der Umbau des Freisitzes stelle schon keine nachträgliche Änderung dar, weil dieser bereits vor Erlass der Amnestie mittels holzgerahmter, eingestellter und befestigter Plexiglasfenster saisonal vor den Unbilden der Witterung geschützt worden sei, braucht der Senat nicht weiter nachzugehen. Denn aus den von den Beteiligten vorgelegten Lichtbildern ergibt sich zweifelsfrei, dass die vollständige Schließung des Freisitzes durch bodentiefe, isolierverglaste Glas-/Kunststoffelemente, deren Fensterteile mit Griffen zum Öffnen versehen sind, sowie mit einer vollständig umbauten Glastür (s. Bl. 70 VA) nichts mit einem zum jederzeitigen Aus- und Einbau bestimmten Witterungsschutz gemein hat. Vielmehr belegen Art und Umfang der Baumaßnahme, dass die Zweckbestimmung des Freisitzes als Möglichkeit eines regengeschützten Sitzens "im Freien" dauerhaft zugunsten einer Nutzung als Wintergarten aufgegeben worden ist.

Eine derartige Änderung ist auch keineswegs geringfügig, sondern verändert sowohl das äußere Erscheinungsbild als auch die Funktion der amnestierten Bausubstanz nachhaltig. Mag dieser erhebliche Eingriff in die Bausubstanz des Freisitzes auch - wie der Beklagte durch Teilaufhebung der strittigen Verfügung anerkannt hat - aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einer Beseitigung des im übrigen unveränderten Wochenendhauses entgegenstehen, so gilt dies entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht für den Freisitz selbst. Denn auch unter Berücksichtigung der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich der Pirmasenser Amnestie lediglich entnehmen, dass in der Regel ein öffentliches Interesse an der Beseitigung vor dem 01. Juli 1967 entstandener illegaler Außenbereichsbauten fehlt. Wird - wie vorliegend - in deren Bestand mehr als nur geringfügig, d.h. mit nachhaltigen Auswirkungen auf ihre optische und funktionale Identität eingegriffen, so entsteht letztlich ein "neuer" Schwarzbau. Dieser ist hinsichtlich des öffentlichen Beseitigungsinteresses nicht anders zu bewerten wie ein solcher, der autonom, d.h. ohne Rückgriff auf amnestierte Bausubstanz entstanden ist. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob und ggf. wie die identitätsändernden Maßnahmen rückgängig gemacht werden können.

Ungeachtet dessen ist der vorliegend erfolgte Umbau des Freisitzes entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht im Sinne des von ihr in Anspruch genommenen, oben zitierten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts "leicht" rückgängig zu machen. Die in diesem Beschluss verwendete Formulierung muss vor dem Hintergrund des der seinerzeitigen Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Sachverhalts gesehen werden. Hier hatten sich die Eigentümer darauf beschränkt, an drei das Terrassendach tragenden Holzstützen eine Vorrichtung anzubringen, "die es erlaubt, zwischen die Holzpfosten mobile Kunststofffenster einzuhängen". Von einem derartigen, durch bloßes Aushängen zu beseitigenden mobilen Wetterschutz unterscheidet sich der von der Klägerin veranlasste Umbau des Freisitzes zu einem Wintergarten wesentlich. Auf den von ihr selbst eingereichten Lichtbildern ist nämlich klar ersichtlich, dass er sich nicht auf ein bloßes Einstellen oder Einhängen von Fenstern beschränkt hat. Vielmehr sind die Glas-/Kunststoffelemente und die Eingangstür des Wintergartens durch mit dem Dach des Freisitzes verschäumte Platten passgenau und mittels Silikonisolierung (s. Bl. 217 GA) auch winddicht eingefügt worden, sodass ein vollständig verschlossener Raum entstanden ist. Die Bauteile sind durch Verschäumen und Verschrauben auch fest und dauerhaft mit der Freisitzüberdachung bzw. deren Stützen verbunden, können also nicht ohne weiteres abgenommen oder ausgehängt werden (s. dazu auch Senatsbeschluss vom 13. Juli 2005 - 8 A 10757/05.OVG -, S. 5 BA). Dass sie möglicherweise ohne nennenswerten Substanzverlust des verwendeten Materials ausgebaut werden können, bedeutet indessen nicht, dass der Umbau im Sinne der verfassungsgerichtlichen Entscheidung "leicht" rückgängig zu machen ist.

Schließlich ist die auf den Wintergarten beschränkte Beseitigungsverfügung auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil sie wegen Fortbestand des Wochenendhauses den rechtswidrigen Zustand auf dem Grundstück der Klägerin nicht vollständig beseitigt. Auch nach dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführten Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22. August 2005 (BauR 2006, 90ff.) ist eine auf den Anbau an ein illegales Bauvorhaben beschränkte Beseitigungsverfügung dann ermessensfehlerfrei möglich, wenn hinsichtlich des eigentlichen Bauvorhabens eine aktive Duldung erfolgt. So liegt der Fall hier hinsichtlich des Wochenendhauses der Klägerin. Der Beklagte hat durch Aufhebung des hierauf bezogenen Teils der Beseitigungsverfügung hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er aus Gründen der Verhältnismäßigkeit den Umbau des amnestierten Freisitzes zum Wintergarten nicht für ausreichend hält, den durch die Pirmasenser Amnestie vermittelten Vertrauensschutz für das gesamte Wochenendhaus entfallen zu lassen.

Die Existenz unter Geltung des Aufbaugesetzes genehmigter Außenbereichsbauten in der Gemarkung L. (s. Bl. 35 GA) führt ebenso wenig wie die Erweiterungsgenehmigung für das bereits 1951 genehmigte Wohnhaus Pahls (Bl. 51GA) auf Ermessensfehler der Beseitigungsverfügung für den Wintergarten. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (s. etwa Urteil des 1. Senates vom 02. Dezember 1999 - 1 A 10091/99.OVG -; ESOVGRP) muss die Bauaufsichtsbehörde beim Einschreiten gegen ein illegales Außenbereichsvorhaben zur Vermeidung von Willkür jedenfalls dann ein planvolles Eingriffs-, Heilungs- und Sanierungskonzept befolgen, wenn im Gemarkungsbereich, in dem das beanstandete Vorhaben liegt, bezüglich der Baurechtmäßigkeit vorhandener Bauten und Anlagen insgesamt eine problematische Situation besteht. Im Übrigen ist die Bauaufsichtsbehörde nicht verpflichtet, ihren gesamten Zuständigkeitsbereich im Hinblick auf illegale Bauten regelmäßig zu kontrollieren. Lediglich wenn sie in einer Vielzahl von Fällen gegen ihr bekannte illegale Vorhaben nicht vorgeht und sich - abweichend von dieser Verwaltungspraxis - ein Einzelvorhaben herausgreift, kommt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht (s. Senatsurteil vom 18. Januar 1995 - 8 A 10295/94.OVG - ESOVGRP). Dass nach Maßgabe dieser Grundsätze der Erlass der strittigen Beseitigungsverfügung willkürlich gewesen sein könnte, hat die Klägerin nicht dargelegt. Dem Senat ist aus zahlreichen Verfahren der letzten Jahrzehnte bekannt, dass der Beklagte gegen amnestieschädlich veränderte Schwarzbauten im Falle ihres Bekanntwerdens einschreitet. Die angeblich in neuerer Zeit erteilte Erweiterungsgenehmigung für das (genehmigte) Wohnhaus P. belegt keine gegenteilige Verwaltungspraxis des Beklagten. Dass in der Gemarkung L. unter Geltung des Aufbaugesetzes genehmigte und damit bestandsgeschützte Wochenendhäuser im Außenbereich existieren, nötigt den Beklagten allein nicht zur Erstellung eines Sanierungskonzeptes. Denn der Jahrzehnte alte Bestandsschutz dieser Häuser verbietet ohnehin ein bauaufsichtliches Einschreiten. Dass in dem ihr Grundstück umgebenden Gemarkungsbereich hingegen mehrere amnestieschädlich veränderte oder sonstige Schwarzbauten existieren, gegen die der Beklagte nicht einschreitet, lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten aus §§ 167 VwGO, 708ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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