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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 17.07.2002
Aktenzeichen: 8 A 10692/02.OVG
Rechtsgebiete: LBauO, EGStGB, VwGO, VwVfG


Vorschriften:

LBauO § 70
LBauO § 70 Abs. 1
LBauO § 70 Abs. 1 S. 1
EGStGB Art. 297
EGStGB Art. 297 Abs. 1
EGStGB Art. 297 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 106
VwGO § 106 S. 1
VwVfG § 55
Für die Frage, ob eine Gemeinde im Sinne des Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB bis zu 50.000 Einwohner hat und deshalb die Prostitutionsausübung auf ihrem gesamten Gebiet verboten werden kann, kommt es ausschließlich auf die Zahl der dort mit Hauptwohnsitz gemeldeten Einwohner an.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 A 10692/02.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Baugenehmigung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 2002, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richterin am Oberverwaltungsgericht Spelberg Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch ehrenamtlicher Richter Fernmeldeoberamtsrat a.D. Trost ehrenamtlicher Richter Oberstabsfeldwebel a.D. Stöß

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 31. Januar 2002 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von Wohnungen.

Er ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks S. in Sp. Zwei der dort vorhandenen drei Wohnungen sollen zukünftig für die Wohnungsprostitution genutzt werden. Einen diesbezüglichen Bauantrag des Klägers hatte die Beklagte bereits im Jahre 1999 mit der Begründung abgelehnt, die geplante Erschließung der notwendigen Stellplätze über den verkehrlich stark belasteten S. führe zu einer unfallträchtigen Situation. Daher verstoße das Vorhaben gegen §§ 3 und 17 LBauO.

Im Rahmen eines sich anschließenden Rechtstreits (2 K 1923/00.NW) schlossen die Beteiligten einen Vergleich. Dieser lautete auszugsweise wie folgt:

"1. Die Beklagte stellt die Erteilung der Baugenehmigung für die in Rede stehende Nutzungsänderung (Wohnungsprostitution in den Wohnungen 1 und 2) auf einen geänderten Bauantrag hin in Aussicht.

2. Der Kläger erklärt sich im Hinblick darauf bereit, den Bauantrag dahingehend zu ändern, dass auf dem Grundstück s. - südlich des zweigeschossigen Gebäudeteils - 3 Stellplätze eingerichtet werden. Die Zu- und Abfahrt dazu soll in Höhe des jetzt noch vorhandenen Gartenhäuschens auf den S. münden. Dabei soll eine Regelung des Inhalts getroffen werden, dass die Zufahrt nur aus südlicher Richtung (Rechtsabbieger) erfolgen darf, die Ausfahrt nur in nördliche Richtung (ebenfalls Rechtsabbieger). Zu- und Abfahrt sollen baulich getrennt sein."

Gleichwohl lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. März 2001 auch den vom Kläger nach Maßgabe von Ziffer 2 des gerichtlichen Vergleichs eingereichten Bauantrag ab. Zur Begründung gab sie an, die erfolgte Umplanung sei nicht zur Beseitigung der Verkehrsgefahren geeignet.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Bescheid vom 24. Juli 2001 mit gleicher Begründung zurück. Ergänzend berief sie sich auf einen Verstoß des Bauvorhabens gegen § 1 der Verordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für den Regierungsbezirk Rheinhessen-Pfalz - Sperrbezirksverordnung (SperrBezV) -. Hiernach sei die Prostitution in Gemeinden mit weniger als 50.000 Einwohnern verboten. Hierzu zähle Sp., das zum 31. Dezember 2000 lediglich 47.561 Einwohner mit Hauptwohnsitz gehabt habe. Nur auf solche komme es nach der Verordnung an.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte auf die Klage hin zur Erteilung der begehrten Genehmigung verpflichtet. Die beabsichtigte Nutzungsänderung sei rechtskonform. Die Wohnungsprostitution im Anwesen des Klägers sei bauplanungsrechtlich zulässig, weil sich dessen Umgebung als faktisches Mischgebiet gemäß §§ 34 Abs. 2 BauGB, 6 BauNVO darstelle. In bauordnungsrechtlicher Hinsicht könne der geltend gemachte Verstoß gegen §§ 3, 17 LBauO nicht festgestellt werden. Die Einsichtsmöglichkeiten von der geplanten Stellplatzeinfahrt auf den S. seien ausreichend, um eine nennenswerte Verkehrsgefährdung beim Ein- und Ausfahren zu verhindern. Die Sperrbezirksverordnung sei nichtig, soweit sie ein Prostitutionsverbot für das Stadtgebiet von Sp. enthalte. Insoweit fehle es an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage. Art. 297 Abs. 1 EGStGB ermächtige die Länder nur zu flächendeckenden Prostitutionsverboten in Gemeinden mit weniger als 50.000 Einwohnern. Der Einwohnerbegriff dieser Ermächtigungsgrundlage umfasse aber Einwohner mit Haupt- und Nebenwohnsitz. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung sowie aus dem Wortsinn des Einwohnerbegriffs im Kommunal- und Melderecht. Da Sp. zum 31. Dezember 2000 unter Berücksichtigung der Nebenwohnsitze 52.541 Einwohner gehabt habe, sei das Prostitutionsverbot insoweit nicht von Art. 297 Abs. 1 EGStGB gedeckt gewesen.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen die erstinstanzliche Auslegung des Art. 297 Abs. 1 EGStGB. Der dort enthaltene Einwohnerbegriff sei mangels Legaldefinition auslegungsbedürftig. Der rheinland-pfälzische Verordnungsgeber habe ihn zulässigerweise dahin ausgelegt, dass nur Einwohner mit Hauptwohnsitz zu berücksichtigen seien. Allein bei Einwohnern mit Hauptwohnsitz könne von einem prägenden Einfluss auf den Charakter der Gemeinde ausgegangen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 31. Januar 2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und weist ergänzend darauf hin, dass auf dem Gebiet der Beklagten bei vorsichtiger Schätzung in mindestens zwanzig bis dreißig Wohnungen die Wohnungsprostitution ausgeübt werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Verwaltungs- und Widerspruchsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte 2 K 1923/00.NW lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, weil dem Kläger weder kraft Gesetzes (I) noch aufgrund eines Vergleichsvertrages (II) ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung zusteht. Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht aus dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (III).

I. Die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung der Baugenehmigung gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 LBauO sind nicht erfüllt. Hiernach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Das Vorhaben des Klägers verstößt aber im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Ver-handlung vor dem Senat (s. z.B. BVerwG, BRS 27 Nr. 133 m.w.N.) gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften in Gestalt des § 1 SperrBezV in der Fassung der Änderungsverordnung vom 23. August 2001 (MinBl. S. 1717f.). Danach ist auf dem Gebiet der Beklagten die Ausübung der Prostitution und damit die hier streitige, neue Nutzung der Wohnungen verboten.

Dieses Verbot ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wirksam. Es findet seine Rechtsgrundlage in Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB. Der Tatbestand dieser Vorschrift ist erfüllt (1). Anhaltspunkte für Fehler des Verordnungsgebers bei Inanspruchnahme der Ermächtigung bestehen nicht (2). Die mögliche Nichtigkeit anderer Regelungen der SperrBezV lässt die Wirksamkeit des für das Gebiet der Beklagten verhängten Verbotes unberührt (3).

1. Nach Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB kann für das gesamte Gebiet von Gemein-den mit bis zu 50.000 Einwohnern die Ausübung der Prostitution verboten werden. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Ermächtigungsgrundlage waren im Zeitpunkt des Inkrafttretens der derzeit geltenden Fassung des § 1 SperrBezV (18. September 2001) erfüllt. Die Beklagte hatte im September 2001 unstreitig weniger als 50.000 Einwohner mit Hauptwohnsitz (nach Angaben des Statistischen Landesamtes vom 11. Juli 2002: 49.986; nach eigenen, auf das Melderegister gestützten Angaben der Beklagten in der Anlage zum Schriftsatz vom 15. Juli 2002: 49.646). Deren Anzahl ist aber im Rahmen von Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB allein maßgebend.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Gesetzgeber dem Verordnungs-geber durch die Verwendung des - im Gesetz selbst nicht definierten - Einwohnerbegriffs keinen Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite der Ermächtigung eröffnet. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen gerichtlich voll überprüfbaren, unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Verwendung auch im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätzlich zulässig ist (s. BVerfGE 38, 61, 84). Ein Beurteilungsspielraum kann schon deshalb nicht anerkannt werden, weil die hierfür nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen (s. dazu Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 114 Rn 24a) nicht vorliegen. Zudem ermöglicht Art. 297 Abs. 1 EGStGB die Ausfüllung der Blankettstrafnorm des § 184a StGB. Findet aber die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) ihre Legitimation in der Herstellung von Rechtseinheit (s. Art. 72 Abs. 2 GG), so steht auch dies einer Auslegung hierauf gestützter Vorschriften entgegen, die einer Rechtszersplitterung Vorschub leistet. Eine solche droht aber dann einzutreten, wenn einer Vielzahl möglicher Ermächtigungsadressaten (s. Art. 297 Abs. 2 EGStGB) nicht nur ein Ermessen hinsichtlich der Inanspruchnahme der Ermächtigung, sondern zusätzlich auch noch ein Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite der Norm eingeräumt würde.

Die Definition des Einwohnerbegriffs in § 1 SperrBezV, wonach als Einwohner im Sinne der Verordnung nur solche gelten, die ihren Hauptwohnsitz in der jeweiligen Gemeinde haben, hält der demnach vorzunehmenden gerichtlichen Vollprüfung stand. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erfasst der Einwohnerbegriff des Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB nicht auch Einwohner mit Nebenwohnsitz, sondern nur solche mit Hauptwohnsitz. Eine derartige Auslegung hält sich zunächst innerhalb der Grenzen des Wortlauts. Dieser mag zwar auch die von der Vorinstanz vorgenommene Auslegung zulassen, gebietet sie aber nicht. Demgegenüber verbieten Sinn und Zweck der Verordnungsermächtigung, die Möglichkeit des flächendeckenden Prostitutionsverbots in einer Gemeinde auch von der Anzahl der dort vorhandenen Einwohner mit Nebenwohnsitz abhängig zu machen.

Der Hauptzweck des Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB besteht darin, Kommunen mit "empfindlicher" Sozialstruktur Schutz vor den von der Prostitution ausgehenden Gefahren für den öffentlichen Anstand und die Jugend zu bieten. Schon die erstmals durch § 361 Nr. 6a RStGB in der Fassung des § 16 Nr. IV des Gesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten vom 22. Februar 1927 (RGBl. I, S. 61ff.) eröffnete Möglichkeit, durch Landesverordnung in Gemeinden mit weniger als 15.000 Einwohnern die Prostitution strafbewehrt zu verbieten, sollte der erhöhten Schutzbedürftigkeit kleinerer Gemeinden nach Wegfall der sogen. Reglementierung der Prostitution (vgl. dazu Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Reichstags-drucksachen III/975, S. 11 f.) Rechnung tragen. Strafbar sollte künftig u.a. nur noch die Person sein, die die "Unzucht" in einer die Jugend gefährdenden Weise betrieb (s. den die Begründung des Regierungsentwurfs, aaO, S. 12). Eine derartige Gefährdung wurde in Dörfern und Kleinstädten generell für möglich gehalten; dort könne - anders als in der Anonymität größerer Städte - "schon eine einzige Dirne verwirrend und sittlich schädigend auf die ganze männliche Jugend" wirken (so der Reichstagsabgeordnete Neuhaus während der letzten Lesung des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten am 22. Januar 1927, Plenarprotokolle der III. Wahlperiode des Reichstags, S. 8705). Die Ermächtigung zum generellen Prostitutionsverbot für das Gebiet kleinerer Gemeinden geht demnach typisierend davon aus, dass Art und Überschaubarkeit der dort vorhandenen Sozialstrukturen zu einer erhöhten sozialen Wahrnehmbarkeit der Prostitution führen und damit stärker als in größeren Gemeinden Belange des Jugendschutzes und des öffentlichen Anstandes beeinträchtigen können.

Ein weiterer Grund, für kleinere Gemeinden ein flächendeckendes Prostitutionsverbot zu ermöglichen, besteht in der typischen Nutzungsstruktur der dort vorhandenen Bebauung. So wird etwa in der Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 3 10. StrÄndG, einer nachkonstitutionellen Vorläufervorschrift des Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB, darauf hingewiesen, dass wegen des überwiegenden Wohncharakters kleiner und mittlerer Städte die Ausweisung von Dirnensperrbezirken kaum möglich sei und deshalb die Möglichkeit des flächendeckenden Verbots beibehalten werden müsse (s. BT-Drs. VI/293, S. 4). Finden sich nämlich in einer kleineren Gemeinde nur wenige und räumlich eng begrenzte Gebiete, in denen die Prostitution mangels in der Umgebung vorherrschender Wohnnutzung ohne Gefahr für die Jugend und den öffentlichen Anstand toleriert werden kann, so führt die Ausweisung von Sperrbezirken wegen des geringen Umfangs verbleibender Toleranzzonen leicht zu einem Verstoß gegen das sog. Kasernierungsverbot des Art. 297 Abs. 3 EGStGB (s. dazu auch BayVerfGH, NJW 1983, 2188, 2189).

Im Hinblick auf die demnach mit der Ermächtigungsgrundlage verfolgten Zwecke kommt der Zahl der Einwohner mit Nebenwohnsitz keine Bedeutung zu. Kennzeichnend für einen Einwohner mit Nebenwohnsitz ist, dass es sich bei der Nebenwohnung nicht um die von ihm vorwiegend benutzte Wohnung handelt (§ 12 Abs. 2 Satz 1 MRRG). Im Rahmen der hierbei gebotenen quantitativen Berechnung (s. BVerwGE 89, 110ff.) darf sich der Einwohner mit Nebenwohnsitz in weniger als der Hälfte des Vergleichszeitraums am Ort der Nebenwohnung aufhalten. Einwohner mit eher geringfügiger Verweildauer am Ort der Nebenwohnung wirken aber bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht derart prägend auf die Sozialstruktur einer Gemeinde mit weniger als 50.000 Hauptwohnsitzeinwohnern, dass die Schutzzwecke des flächendeckenden Prostitutionsverbots obsolet würden. Insbesondere verleiht auch eine größere Anzahl von Einwohnern mit Nebenwohnsitz einer Kleinstadt nicht notwendig eine großstädtische Anonymität, die die Beschränkung der Prostitution auf einzelne Stadtbezirke generell als ausreichend zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes erscheinen lassen könnte. Auch im Hinblick auf die bauliche Nutzung führt eine größere Anzahl von Einwohnern mit Nebenwohnsitz nicht typischerweise dazu, dass die Möglichkeiten zur sozialverträglichen Ausweisung von Toleranzzonen für die Prostitution in Wohngemeinden vergrößert wird und damit Sperrbezirksausweisungen ohne Verstoß gegen das Kasernierungsverbot ermöglicht werden.

Die vom Zweck der Ermächtigungsgrundlage gebotene Auslegung unterliegt schließlich auch keinen Praktikabilitätsbedenken. Die Zahl der Hauptwohnsitz-einwohner einer Gemeinde ist für die zum Erlass der Verordnung ermächtigte Behörde jederzeit durch eine Anfrage bei der zuständigen Meldebehörde ermittelbar. Denn nach § 2 Abs. 1 Nr. 12 MRRG gehört zu den Melderegisterdaten auch die Differenzierung nach Haupt- und Nebenwohnung, sodass die Ermittlung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand erfordert.

War demnach im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Sperrbezirksverordnung in der hier maßgeblichen Fassung die Tatbestandsvoraussetzung für den Erlass eines Prostitutionsverbots auf dem Gebiet der Beklagten erfüllt, so bestehen auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Bedenken gegen dessen Wirksamkeit. Es kann insbesondere dahinstehen, ob in den Monaten Oktober und November 2001 eine Überschreitung der maßgeblichen Einwohnerhöchstzahl eingetreten ist (s. die Angaben des Statistischen Landesamtes vom 11. Juli 2002; anders die von der Beklagten in der Anlage zum Schriftsatz vom 15. Juli 2002 übermittelten Melderegisterdaten). Denn eine im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens hinreichend legitimierte Rechtsverordnung verliert ihre Wirksamkeit durch spätere tatsächliche Entwicklungen, die die Voraussetzungen für ihren Erlass entfallen lassen, grundsätzlich nicht (s. BVerfGE 42, 216, 226 sowie BayVGH, BayVBl. 1987, 557, 558). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz - etwa wegen offensichtlicher Funktionslosigkeit der Verordnung o.ä. - kommt angesichts der allenfalls geringfügigen Überschreitung nicht in Betracht.

2. Ermessensfehler bei Erlass des Prostitutionsverbotes für das Gebiet der Beklagten sind nicht ersichtlich.

Zwar hat der Verordnungsgeber auch bei Erlass eines flächendeckenden Prostitutionsverbotes für eine Gemeinde mit bis zu 50.000 Einwohnern nach Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB zunächst zu prüfen, ob es hinsichtlich des konkreten Gemeindegebietes dem Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes dient. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob die zu schützenden Rechtsgüter konkret gefährdet oder gestört sind. Es genügt vielmehr, dass die Verordnung sich gegen Gefahren richtet, die aus Handlungen oder Zuständen nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fortdauernd entstehen können (sogen. abstrakte Gefährdung). Für die Gültigkeit der Verordnung genügt es, dass ein Bezug auf die gesetzliche Zweckbestimmung vorliegt und dass die Norm geeignet erscheint, dem mit der Ermächtigung verfolgten Zweck zu dienen (s. BayVerfGH, NJW 1983, 2188, 2189 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Sozialstruktur und die Art der baulichen Nutzung auf dem Gebiet der Beklagten in einer Art und Weise vom Typus einer durchschnittlichen Stadt mittlerer Größe derart abweicht, dass eine abstrakte Gefährdung des öffentlichen Anstandes oder der Jugend durch die Ausübung der Prostitution ausgeschlossen oder ohne weiteres auf bestimmte Stadtteile beschränkt werden könnte. Ebenso wenig ist erkennbar, dass der Verordnungsgeber mit dem auf das Gebiet der Beklagten bezogenen Verbot ermächtigungsfremde Zwecke verfolgt.

3. Die Wirksamkeit des für das Gebiet der Beklagten verhängten Prostitutionsverbotes wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass § 1 SperrBezV derartige Verbote auch für Städte vorsieht, die möglicherweise mehr als 50.000 Einwohner mit Hauptwohnsitz haben (etwa Worms: 80.427 Einwohner; Neustadt an der Weinstraße: 53.872 Einwohner; Quelle: www.brandenburg.de/statreg/daten_02/173-32.htm). Zwar wären diese Verbote bei Überschreitung der höchstzulässigen Einwohnerzahl mangels hinreichender Ermächtigungsgrundlage nichtig; indessen bilden sie selbständige Bestandteile der SperrBezV. Ihre Nichtigkeit ließe daher die Wirksamkeit der Verordnung im übrigen unberührt.

II. Verstößt das Vorhaben daher gegen gesetzliche Vorschriften, so begründet auch der im Verfahren 2 K 1923/00.NW abgeschlossene Vergleich keinen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer gesetzwidrigen Baugenehmigung.

Dem Vergleich lässt sich keine unbedingte Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung entnehmen. Vielmehr hat sie mit diesem Vergleich dem Kläger lediglich zugesichert, im Falle eines vereinbarungsgemäß geänderten Bauantrages die Baugenehmigung nicht wegen eines Verstoßes gegen §§ 3, 17 LBauO abzulehnen. Gegen eine unbedingte Verpflichtung spricht nicht nur der Wortlaut des Vergleichs (die Baugenehmigung wird unter bestimmten Bedingungen "in Aussicht gestellt"), sondern auch die Tatsache, dass die Beklagte bis zum Abschluss des Vergleichs erkennbar keine - aus ihrer Sicht auch nicht erforderliche - umfassende Prüfung der Rechtskonformität des Vorhabens angestellt hatte. Demgemäß geht der Vergleich in seiner rechtlichen Wirkung letztlich nicht über die eines positiven Bauvorbescheides zur Frage der Vereinbarkeit der Stellplatznutzung mit Belangen der Verkehrssicherheit hinaus. Er hindert die Beklagte somit nicht, sich bei der Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung auf sonstige Rechtsverstöße des Vorhabens, insbesondere den Verstoß gegen § 1 SperrBezV, zu berufen.

III. Schließlich vermag auch der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf angeblich in Sp. bereits existierende Wohnungsprostitution keine andere Entscheidung zu rechtfertigen. Selbst wenn die Beklagte hierfür Genehmigungen erteilt hätte, ergäbe sich aus Art. 3 Abs. 1 GG, der willkürliche Ungleichbehandlungen wesentlich gleicher Sachverhalte verbietet, kein Genehmigungsanspruch des Klägers. Denn es handelt sich bei der Entscheidung über die Erteilung einer Baugenehmigung gemäß § 70 Abs. 1 LBauO um eine gebundene Entscheidung; soweit diese Entscheidung in vergleichbaren Fällen rechtswidrig erfolgt ist, ergibt sich auch aus Art. 3 Abs. 1 GG kein der Gesetzesbindung der Verwaltung zuwider laufender Anspruch auf "Gleichheit im Unrecht" (s. BVerwG, BRS 57 Nr. 248).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten aus §§ 167 VwGO, 708ff. ZPO.

Die Revision gegen das Urteil ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil der Rechtssache im Hinblick auf die Auslegung des Einwohnerbegriffs in Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 € festgesetzt (§§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 GKG).

Ende der Entscheidung

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