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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 21.01.2005
Aktenzeichen: 8 A 11488/04.OVG
Rechtsgebiete: UVPG, BImSchG, BauGB, EWGRL 85/337


Vorschriften:

UVPG § 3 c
UVPG § 3 c Abs. 1 Satz 2
UVPG § 5 Abs. 1
BImSchG § 10
BImSchG § 19
BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
EWGRL 85/337 Art. 4 Abs. 2
EWGRL 85/337 Art. 10 a
1. Durch die Erteilung einer Baugenehmigung für Windkraftanlagen statt einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung im vereinfachten Verfahren werden Dritte nicht in ihren Rechten verletzt (Abgrenzung zu OVG RhPf, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 7 B 12114/04.OVG -).

2. Zu den Anforderungen an eine Lärmprognose für Windkraftanlagen (im Anschluss an OVG NW, Urteil vom 18. November 2002, NVwZ 2003, 756).


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 A 11488/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen baurechtlicher Nachbarklage

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar 2005, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richterin am Oberverwaltungsgericht Spelberg Richter am Oberverwaltungsgericht Schauß ehrenamtliche Richterin Bankangestellte Benninghoven ehrenamtlicher Richter Pensionär Bertram

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. März 2004 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Trier wird die Baugenehmigung des Beklagten vom 28. November 2002 aufgehoben.

Die Gerichtskosten beider Rechtszüge sowie die außergerichtlichen Kosten der Kläger tragen der Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen eine Baugenehmigung, die der Beklagte dem Beigeladenen für eine Windkraftanlage erteilt hat.

Die Firma W. GmbH beantragte mit Bauanträgen vom 10.Mai.2001/26.Juni.2001 die Genehmigung für drei Windkraftanlagen Typ Nordex und eine Windkraftanlage Typ Südwind. Aufgrund einer Übernahmevereinbarung vom 6. Februar 2002 trat der Beigeladene für zwei Windkraftanlagen Typ Nordex in das Genehmigungsverfahren ein. Ihm wurde zunächst mit Ablehnungsbescheid vom 10. April 2002 die Baugenehmigung für beide Windkraftanlagen versagt. Auf seinen Widerspruch hin erteilte ihm der Beklagte mit Bauschein vom 28. November 2002 die Baugenehmigung für eine Windkraftanlage Typ Nordex (2.500 kW, Rotordurchmesser 80 m, Nabenhöhe 100 m) auf den Flurstücken Gemarkung Z. Flur ... Nrn. ..., ... und ... .

Bereits mit Baugenehmigung vom 10. Juni 2002 hatte der Beklagte der Fa. W. GmbH die Errichtung einer weiteren Windkraftanlage Typ Nordex und einer Windkraftanlage Typ Südwind (1.500 kW, Rotordurchmesser 70 m, Nabenhöhe 85 m) auf den Flurstücken Gemarkung Z. Flur ... Nrn. ... und ... genehmigt.

Die Kläger legten entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung gegen beide Baugenehmigungen Widerspruch ein und machten geltend, eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz sei erforderlich. Im Übrigen seien die erteilten Baugenehmigungen auch deshalb rechtswidrig, weil sie zu einer Lärmbelästigung für die Wohnbebauung führten. Dabei handele es sich faktisch um ein reines Wohngebiet. Aber selbst wenn man die Werte für ein allgemeines Wohngebiet zugrunde lege, könnten diese nicht eingehalten werden, denn es seien Zuschläge für Tonhaltigkeit und Impulshaltigkeit zu berücksichtigen, auch sei fälschlich nur von einer Windgeschwindigkeit von 10 m/Sekunde ausgegangen worden. Der Schallleistungspegel sei mit 103,8 dB(A) unzureichend ermittelt worden.

Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 3. Januar 2001, zugegangen am 7. Januar 2002, darauf hingewiesen hatte, dass die Baugenehmigung im Abhilfeverfahren ergangen sei, haben die Kläger am 7. Februar 2002 Klage gegen die Baugenehmigung vom 28. November 2002 erhoben. Zur Begründung haben sie vorgetragen: Die Baugenehmigung sei rechtswidrig, weil sie einen Teil eines Vorhabens mit drei Windkraftanlagen betreffe, dessen Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu beurteilen sei. Das gesamte Dorf Z. werde durch die Windkraftanlagen betroffen. Die roten Blinklichter verursachten erhebliche Unruhe, es entstünden Lärmbelästigungen für die Wohnbebauung und Nachteile durch Schattenwurf für die Hausgärten. Der Standort liege außerhalb der im Flächennutzungsplan vorgesehenen Sonderbaufläche für die Windkraft und innerhalb eines gemeldeten, zumindest aber faktischen Vogelschutzgebietes. Die maßgeblichen Immissionsrichtwerte für das Wohngebiet könnten nicht eingehalten werden. Es handele sich faktisch um ein reines Wohngebiet. Aber auch die Werte für ein allgemeines Wohngebiet würden deutlich überschritten. Wegen erheblicher Ton- und Impulswerte seien Aufschläge von 3 oder 6 dB(A) zu berücksichtigen, außerdem entspreche die Tonhaltigkeit nicht dem Stand der Technik und verstoße deshalb gegen das Immissionsschutzgesetz.

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte beide Baugenehmigungen durch eine Nebenbestimmung ergänzt, wonach am Wohnhaus der Kläger der von den Windkraftanlagen erzeugte Immissionsanteil 55 dB(A) am Tag und 40 dB(A) nachts nicht überschreiten darf.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. März 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Kläger würden durch die Baugenehmigung nicht in eigenen Rechten verletzt. Sie könnten nicht mit Erfolg rügen, dass ein immissionsschutzrechtliches Verfahren hätte durchgeführt werden müssen, da sie keinen Anspruch darauf hätten, dass ein bestimmtes Verwaltungsverfahren durchgeführt werde, sondern nur einen Anspruch darauf, nicht in eigenen materiellen Rechten verletzt zu werden. Die erteilte Baugenehmigung verletze jedoch keine Bestimmungen, die auch dem Schutz der Kläger dienten, insbesondere nicht das Gebot der Rücksichtnahme. In der Baugenehmigung seien zulässige Lärmrichtwerte festgelegt worden. Dabei sei der Beklagte zutreffend von einem allgemeinen Wohngebiet ausgegangen, da die Festlegung im Bebauungsplan maßgeblich sei. Die festgelegten Immissionsrichtwerte entsprächen der TA-Lärm 1998. Nach dem vorliegenden Gutachten könne der Nachtwert von 40 dB(A) auch unter Berücksichtigung eines Tonzuschlags von 2 dB(A) eingehalten werden, der hier angemessen erscheine. Selbst ein pauschaler Tonzuschlag nach Ziffer 2.5.2 des Anhangs zur TA-Lärm 1998 führe bei den Klägern nur zu einer Erhöhung der Immissionswerte um ca. 1 dB(A). Es sei überzeugend, wenn der Sachverständige einen Impulszuschlag für reine Spekulation halte, da die akustische Vermessung der Anlage eine Impulshaltigkeit von weniger als 2 dB(A) ergeben habe. Selbst wenn bei der Bauüberwachung eine Überschreitung der Immissionswerte festgestellt werde, was unwahrscheinlich sei, könnten die Richtwerte durch einen schalloptimierten oder schallreduzierten Betrieb der Anlage eingehalten werden. Dies könne durch die Behörde angeordnet werden. Eine Verletzung eigener rechtlich geschützter Interessen der Kläger durch unzureichende Berücksichtigung des Natur- und Landschaftsschutzes sei nicht dargelegt.

Die Kläger begründen die vom Senat mit Beschluss vom 13. August 2004 zugelassene Berufung wie folgt:

Die durch die angefochtene Baugenehmigung genehmigten Windkraftanlagen seien Teil einer Windfarm, die einer Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz bedürfe. Das Verwaltungsgericht habe aber den strengeren Prüfungsmaßstab nach § 6 BImSchG nicht berücksichtigt. Die umstrittenen Windkraftanlagen seien danach schon deshalb nicht genehmigungsfähig, weil von ihnen tonhaltige Geräusche ausgingen, so dass sie nicht mehr dem Stand der Technik entsprächen. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass es sich faktisch um ein reines Wohngebiet handele. Die Baugenehmigung sei auch aufzuheben, weil sie von einer unzuständigen Behörde ohne Prüfung der materiellen Voraussetzungen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erteilt worden sei und deshalb möglicherweise sogar nichtig sei. Die Regelungen des Bundesimmissionsschutzrechtes seien nachbarschützend. Deshalb müsse eine Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung erfolgreich sein, die für eine nach Immissionsschutzrecht genehmigungspflichtige Anlage erteilt worden sei. Im Übrigen sei die Erschließung der Anlage nicht gesichert. Sie sei nur durch Wirtschaftswege erschlossen, die zur Erschließung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke bestimmt seien. Daran ändere auch die privatrechtliche Vereinbarung der Gemeinde Waldorf mit der Beigeladenen nichts, denn sie dürften gegen den Willen der Nutzungsberechtigten nicht in Anspruch genommen werden, zu denen sie als Eigentümer des Flurstückes Flur ... Nr. ... gehörten. Wegen der Eiswurfgefahr müssten die Wege im Winterhalbjahr gesperrt werden.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 10. März 2004 die Baugenehmigung des Beklagten vom 28. November 2002 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Begründung des angefochtenen Urteils. Selbst wenn ein immissionschutzrechtliches Verfahren hätte durchgeführt werden müssen, hätten die Kläger keinen Anspruch darauf, sondern nur auf Wahrung ihrer materiellen Rechte. Deshalb sei ausschließlich zu prüfen, ob die Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften verstoße. Dies sei angesichts des Lärmgutachtens und der ergänzenden Erläuterung des Sachverständigen nicht der Fall.

Der Beigeladene beantragt gleichfalls,

die Berufung zurückzuweisen

und verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtakten sowie auf zwei Ordner Verwaltungs- und Widerspruchsakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger ist zulässig und begründet.

Die angefochtene Baugenehmigung vom 28. November 2002 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, so dass das Verwaltungsgericht der Klage hätte stattgeben müssen.

Eine Verletzung der Rechte der Kläger sieht der Senat allerdings nicht bereits darin, dass eine Baugenehmigung erteilt worden ist, obwohl eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erforderlich gewesen wäre, weil die genehmigte Windkraftanlage zusammen mit zwei weiteren bereits mit Bauschein vom 10. Juni 2002 genehmigten Windkraftanlagen als Windfarm anzusehen ist, für die ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren durchzuführen ist (§ 4 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 1 sowie Nr. 1.6 des Anhangs zur 4. BImSchV; vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 4 C 9.03 - NVwZ 2004, 1235).

Hierzu hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass der Einzelne die Beachtung von Verfahrensvorschriften grundsätzlich nicht unabhängig von der Verletzung materieller Rechte erzwingen kann. Der materiell-rechtliche Schutz, den das Baurecht gewährt, entspricht dem in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG geregelten Schutz durch das Immissionsschutzrecht (BVerwG, Urteil vom 30. September 1983 - 4 C 74.78 - BVerwGE 68, 58 [59]). Soweit andererseits § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG im Rahmen der Vorsorge dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen verlangt, ist dies nicht nachbarschützend (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1982 - 7 C 42.80 - BVerwGE 65, 313 [320]). Das immissionsschutzrechtliche Verfahren dient nicht um seiner selbst willen dem Schutz des potentiell betroffenen Nachbarn (BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1990 - 7 C 55 und 56.89 - BVerwGE 85, 368 [373]).

Eine Rechtsverletzung der Kläger ergibt sich auch nicht unter europarechtlichen Gesichtspunkten daraus, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterblieben ist. Die Richtlinie 85/337/EWG regelt die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Windfarmen sind nach Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 85/337/EWG i.V.m. Anhang 2 Nr. 3 i aufgrund einer Einzelfalluntersuchung oder anhand von Schwellenwerten oder anderen Kriterien darauf zu untersuchen, ob sie einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Art. 5 bis 10 unterzogen werden müssen. Entsprechend regelt § 3 c Abs. 1 Satz 2 UVPG i.V.m. Ziff. 1.6.3 der Anlage 1, dass bei Windfarmen von drei bis weniger als sechs Windkraftanlagen eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalles vorzunehmen ist. Nur wenn danach aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten gemäß den in der Anlage 2 Abs. 2 aufgeführten Schutzkriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen zu erwarten sind, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Nach Art. 10 a der Richtlinie 85/337/EWG stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsverletzung geltend machen, Zugang zu einer Überprüfung vor einem Gericht haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. Abgesehen davon, dass diese Vorschrift (noch) nicht unmittelbar gilt, weil sie erst durch die Richtlinie 2003/35/EG eingefügt wurde und die Umsetzungsfrist bis zum 25. Juni 2005 (Art. 6 Richtlinie 2003/35/EG) noch nicht abgelaufen ist, liegt im Unterlassen der Vorprüfung nach § 3 c Abs. 1 Satz 2 UVPG auch kein im Sinne der Richtlinie beachtlicher Verfahrensverstoß. Denn für die Vorprüfung selbst ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung noch nicht vorgesehen (zu deren Erheblichkeit für den Drittrechtsschutz bei Verfahrensverstößen siehe jüngst OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 7 B 12114/04.OVG -). Auch liegen die Voraussetzungen für die Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht vor, wie die inzwischen im immissionsschutzrechtlichen Verfahren vorgenommene Vorprüfung bestätigt hat. Auch der Flächennutzungsplan lässt nicht erkennen, dass besondere Standortbedingungen gegeben sind, die die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern würden. Rechte der Kläger aus der Richtlinie 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, die verletzt sein könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

Allerdings verstößt die angefochtene Baugenehmigung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zum Nachteil der Kläger gegen das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme, das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB seine Grundlage findet (BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1999 - 4 B 38.99 - BRS 62 Nr. 189), so dass sie wegen dessen nachbarschützender Wirkung in ihren Rechten verletzt werden. Die mit der angefochtenen Baugenehmigung genehmigte Windkraftanlage kann zusammen mit den bereits mit Baugenehmigung vom 10. Juni 2002 genehmigten Windkraftanlagen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB hervorrufen, die für die Kläger unzumutbar sind. Diese drei Windkraftanlagen, die in einem so engen räumlichen Zusammenhang stehen, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden und für die auch zeitgleich ein Bauantrag gestellt wurde, bilden eine Windfarm (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Juni 2004, a.a.O.). Ihre Umwelteinwirkungen können nicht getrennt voneinander gesehen werden. Die Grenzen der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß an gebotener Rücksichtnahme wird auch im Bereich des Baurechts durch §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG bestimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. September 1983 a.a.O.).

Zur Beurteilung ob ein Verstoß gegen die Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes vorliegt, kann nach einhelliger Auffassung die 6. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundesimmissionsschutzgesetz (TA Lärm) vom 28. August 1998 herangezogen werden. Dabei lässt sich der Senat (siehe bereits Beschluss vom 22. März 2004 - 8 B 10325/04.OVG -) übereinstimmend mit der Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18. November 2002, NVwZ 2003, 756; s. auch Beschlüsse vom 7. Januar 2004, NuR 2004, 817, und vom 14. Juni 2004 - 10 B 2151/03 - [juris]) von folgenden Überlegungen leiten: Die Baugenehmigung für Windkraftanlagen muss zum Schutz der Nachbarn auf einer Prognose der Immissionsbelastungen beruhen, die "auf der sicheren Seite" liegt. Sie hat auf den Betriebszustand der Anlagen mit den höchsten Emissionen abzustellen. Bei sog. pitch-gesteuerten Anlagen - wie im vorliegenden Fall - tritt dieser Zustand regelmäßig bei Windgeschwindigkeiten ein, bei denen die Nennleistung erreicht wird. Der Prognose ist deshalb der mit einem Sicherheitszuschlag (u.a. wegen möglicher "Serienstreuung") versehene Schallleistungspegel zugrunde zu legen, der für die Nennleistung bei einer Referenzmessung desselben Anlagentyps ermittelt worden ist. Sodann ist in einer Ausbreitungsrechnung nach der TA-Lärm, und zwar zur Vermeidung von Prognosefehlern tunlichst in den sog. alternativen Verfahren gemäß DIN ISO 9613-2 Abschnitt 7.3.2, zu ermitteln, ob an den relevanten Immissionsorten der einschlägige Nachtwert eingehalten wird. Ist dies der Fall, muss die Baugenehmigung grundsätzlich Vorsorge treffen, dass die bei der Prognose unterstellte Prämisse, aufgrund deren das Fehlen schädlicher Umwelteinwirkungen angenommen werden konnte, möglichst dauerhaft eingehalten wird. Hierzu bietet sich die Festschreibung des der Prognose zugrunde gelegten Schallleistungspegels - d.h. des Schallleistungspegels der Referenzanlage ohne Sicherheitszuschlag - an. Eine solche Festschreibung ist deshalb sachgerecht, weil ihre Einhaltung am ehesten im Rahmen der Überwachung überprüfbar ist. Demgegenüber stellt die Vorgabe, dass ein bestimmter Zielwert am maßgeblichen Immissionsobjekt einzuhalten ist, für sich genommen nicht hinreichend sicher, dass dort schädliche Umwelteinwirkungen vermieden werden.

Nach diesen Maßstäben ist für die Kläger eine unzumutbare Beeinträchtigung auch nach dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. P. vom 17. Dezember 2003 nicht hinreichend sicher ausgeschlossen. Die vorgelegte Prognose genügt den zu stellenden Anforderungen nicht. Zwar ist nach ihr der Immissionsgrenzwert von 40 dB(A) am Anwesen der Kläger mit einem prognostizierten Beurteilungspegel von 38 dB(A) eingehalten. Der Gutachter ist dabei zutreffend von den Immissionsrichtwerten für ein allgemeines Wohngebiet ausgegangen, da im Bebauungsplan, gegen dessen Wirksamkeit durchgreifende Bedenken nicht bestehen, ein solches ausgewiesen ist. Es bestehen jedoch Bedenken, ob der Sachverständige die Tonhaltigkeit der Geräusche ausreichend berücksichtigt hat. Das Gutachten geht von einem Tonzuschlag von 2 dB(A) aus, der letztlich bei der Ermittlung des Beurteilungspegels am Hause der Kläger mit 1 dB(A) in die Berechnung eingeht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Sachverständige eingeräumt, dass es große Unsicherheiten gebe, was die Schallausbreitung von Tönen betreffe. Es könne sowohl eine Dämpfung als auch eine Verstärkung des Schalls eintreten. Deshalb müsse die Tonhaltigkeit am Immissionsort gemessen werden. Im Baugenehmigungsverfahren halte er es auch für vertretbar, einen Zuschlag von 3 dB(A) für Töne zu geben, da die Vermessung bei der Anlage Typ Nordex einen Zuschlag von 2 dB(A) ergeben habe. Er sei allerdings konform zur akustischen Vermessung der Anlage von einem Tonzuschlag von 1 bzw. 2 dB(A) ausgegangen. Bei dem Immissionspunkt am Haus der Kläger komme er nur zu einer Erhöhung von 1 dB(A), dies hänge mit der Entfernung zur Anlage zusammen. Angesichts der vom Sachverständigen dargelegten Ungewissheit über die Ausbreitung von tonhaltigen Geräuschen sieht der Senat - auch im Hinblick auf die ruhige Lage des betroffenen Baugebietes - keine Veranlassung, von dem von der TA Lärm (Anhang A.3.3.5) vorgesehenen Tonhaltigkeitszuschlag von 3 dB(A) abzuweichen. Danach ergibt sich unter Ansatz der übrigen Werte entsprechend dem Gutachten folgende Berechnung: Beurteilungspegel 35 dB(A) zuzüglich Tonhaltigkeitszuschlag 3 dB(A) zuzüglich Unsicherheitszuschlag 2 dB(A) gleich insgesamt 40 dB(A). Damit wäre der Richtwert gerade eingehalten. Es kommt jedoch dazu, dass der der Prognose zugrunde liegende Schallleistungspegel in der Baugenehmigung nicht festgeschrieben und somit seine Einhaltung für die Zukunft nicht sichergestellt ist. Deshalb ist die Prognose nicht, wie zu verlangen ist, auf der sicheren Seite.

Das ist nicht deshalb unerheblich, weil die in Betracht zu ziehende Überschreitung des Richtwertes nur geringfügig erscheint und ein schalloptimierter oder schallreduzierter Betrieb möglich ist, wenn im Rahmen der Bauüberwachung eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte festgestellt werden sollte. Von einer für die Kläger noch zumutbaren Lärmbeeinträchtigung kann nur ausgegangen werden, wenn bereits eine Prognose bestätigt, dass die Lärmrichtwerte hinreichend sicher eingehalten werden. Es ist maßgeblich auf die Prognose abzustellen, denn die Kläger können nicht auf die in der Baugenehmigung festgeschriebenen Immissionswerte und deren Überwachung verwiesen werden. Wie sich auch im vorliegenden Fall bestätigt hat, stößt die messtechnische Überprüfung der Einhaltung der Immissionswerte auf erhebliche Schwierigkeiten, die sich zu Lasten der Kläger auswirken würden, während es Aufgabe des Bauherrn ist, Bedenken gegen das Vorhaben auszuräumen.

Eine mögliche Überschreitung der Immissionsrichtwerte ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt worden ist, die errichteten Windkraftanlagen wegen einer Verbesserung des Kühlsystems nunmehr eine geringere Tonhaltigkeit aufweisen, als beim Ortstermin des Sachverständigen festgestellt wurde. Diese Änderungen sind nicht Gegenstand der Baugenehmigung und können deshalb im Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht berücksichtigt werden. Das Gleiche gilt, soweit in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht wurde, die Anlage Typ Nordex werde nur bei einer Windgeschwindigkeit von bis zu 10 m/s am Kopf betrieben.

Es war nicht erforderlich, wegen des Schreibens des Sachverständigen Dipl. Ing. P. vom 24. Januar 2005 die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, denn die dortigen Ausführungen entsprechen im Wesentlichen den Erläuterungen, die der Sachverständige bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu seinem Gutachten gegeben hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist notwendig (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), denn die Kläger wurden durch die Rechtsbehelfsbelehrung auf ein Widerspruchsverfahren verwiesen, für das sie sich eines Bevollmächtigten bedienen durften (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. August 1991 -11 S 177/91- NVwZ-RR 1992, 388).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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