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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 21.01.2005
Aktenzeichen: 8 A 11867/04.OVG
Rechtsgebiete: LBauO, GG


Vorschriften:

LBauO § 70
LBauO § 70 Abs. 2
LBauO § 70 Abs. 2 Satz 3
GG Art. 3
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 14
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 2
Die bauordnungsrechtliche Bestimmung, wonach Werbeanlagen nur widerruflich oder befristet genehmigt werden dürfen (§ 70 Abs. 2 Satz 3 LBauO RhPf), ist mit dem Eigentumsrecht und dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar (im Anschluss an OVG RhPf, AS 9, 312).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 A 11867/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Baugenehmigung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 21. Januar 2005, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richterin am Oberverwaltungsgericht Spelberg Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch ehrenamtliche Richterin Bankangestellte Benninghoven ehrenamtlicher Richter Pensionär Bertram

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das aufgrund der Beratung vom 21. Juni 2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, ein Unternehmen der Außenwerbung, begehrt zur Errichtung einer Wandwerbetafel für wechselnden Plakatanschlag eine uneingeschränkte Baugenehmigung.

Auf den entsprechenden Bauantrag erteilte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 2002 die beantragte Baugenehmigung, allerdings gemäß § 70 Abs. 2 Landesbauordnung unter Widerrufsvorbehalt.

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin ihr Begehren auf Erteilung einer unwiderruflichen und unbefristeten Baugenehmigung im Klageweg weiterverfolgt. Sie hat geltend gemacht, unter Berücksichtigung der Eigentumsgarantie müssten auch Werbeanlagen regelmäßig uneingeschränkt genehmigt werden. Nur wenn aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Falles ein Widerrufsvorbehalt oder eine Befristung erforderlich sei, dürften bei verfassungskonformer Betrachtung entsprechende Nebenbestimmungen beigefügt werden. Derartige Umstände liegen hier nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Unter Hinweis auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Juni 1965 hat es ausgeführt, Werbeanlagen erforderten eine andere Beurteilung als andere Bauwerke. Abgesehen davon, dass sie aller Regel nicht auf Dauer erstellt zu werden pflegten, was häufig auch in der Art ihrer Befestigung und des verwendeten Materials zum Ausdruck komme, übten sie ihrer Zweckbestimmung nach einen besonderen Einfluss aus, der sich je nach der baulichen oder sonstigen Beschaffenheit der Umgebung auf diese nachteilig auswirken könne. Da sich die Umgebung ändern könne, habe der Gesetzgeber eine Lösung finden müssen, die diesen Gegebenheiten Rechnung trage.

Mit der - vom Senat zugelassenen - Berufung hat die Klägerin vorgetragen, die Rechtsprechung habe inzwischen Werbeanlagen grundsätzlich anderen baulichen Anlagen gleichgestellt. Die angegriffene Regelung sei willkürlich und unverhältnismäßig. Unter den heute gegebenen Umständen seien für eine Werbeanlage Investitionen von bis zu 40.000,-- € erforderlich. Insbesondere bei sog. Mega-Light- oder City-Light-Anlagen sei auch das verwendete Material derart dauerhaft, dass die betreffenden Einrichtungen 40 Jahre und länger Bestand haben könnten. Vor diesem Hintergrund sei es überzogen, solche Baugenehmigungen ohne konkreten Bezug auf die örtlichen Gegebenheiten generell unter Vorbehalt zu stellen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 22. Oktober 2002 und des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2003 die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Baugenehmigung für die Anbringung einer Plakatanschlagtafel auf dem Grundstück W. Str. ... ohne Widerrufsvorbehalt und Befristung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich mit einer Stellungnahme, auf deren Inhalt verwiesen wird (Bl. 123 ff. GA), am Verfahren beteiligt.

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Schriftsätzen der Beteiligten und den Verwaltungs- und Widerspruchsakten der Beklagten (2 Hefte). Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Ob für die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer uneingeschränkten Baugenehmigung ein Rechtsschutzinteresse besteht, könnte zweifelhaft sein. Denn nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsaktes stets die Anfechtungsklage gegeben (BVerwG, Urteile vom 19. März 1996, BVerwGE 100, 335, und vom 20. November 2000, DVBl. 2001, 405). Dies mag aber auf sich beruhen, weil die Klägerin jedenfalls keinen Anspruch auf eine Baugenehmigung ohne Widerrufsvorbehalt und Befristung hat.

Gemäß § 70 Abs. 2 Satz 3 LBauO dürfen u.a. Werbeanlagen nur widerruflich oder befristet genehmigt werden. Der Wortlaut dieser Regelung ist eindeutig und keiner abweichenden Auslegung zu Gunsten der Klägerin zugänglich. Die Norm ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar; insbesondere steht sie in Einklang sowohl mit dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 60 VerfRhPf) als auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 17 VerfRhPf). Daher ist die Sache weder nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, noch bedarf es nach Art. 130 Abs. 3 VerfRhPf der Vorlage an den Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz.

Die gesetzliche Verpflichtung, der Baugenehmigung für Werbeanlagen einen Widerrufsvorbehalt oder eine Befristung beizufügen, verstößt nicht gegen die Eigentumsgarantie, sondern ist Ausdruck einer verfassungskonformen Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Eigentum ist in seiner konkreten Ausgestaltung von der Regelung durch den Gesetzgeber abhängig. Dieser muss allerdings die grundsätzliche Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis, die zum Begriff des Eigentums gehören, achten und darf diese nicht unverhältnismäßig einschränken. Die hierdurch gezogenen Grenzen hat der Landesgesetzgeber mit § 70 Abs. 2 Satz 3 LBauO nicht überschritten.

Mit der umstrittenen Regelung verfolgt er das Ziel, bei Werbeanlagen eine Anpassung an die Umgebung jederzeit zu ermöglichen: Die bauliche und sonstige öffentliche Gestaltung der Umgebung ständen stets derart im Vordergrund, dass demgegenüber Werbeanlagen in ihrem Bestand zurücktreten müssten (so die amtliche Begründung zu der inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung in § 86 Abs. 4 der LBauO vom 26. September 1960 [LT-Drucks. IV/186, S. 1047, 1117]). Der verpflichtende Widerrufsvorbehalt, der der Beseitigung zunächst (unbefristet) zugelassener, der städtebaulichen Entwicklung aber nachträglich zuwiderlaufender Werbeanlagen dient, ist geeignet, dieses gesetzgeberische Ziel zu erreichen. Er ist hierzu auch erforderlich, denn eine weniger belastende, aber gleich geeignete Regelung steht erkennbar nicht zur Verfügung. Werden Werbeanlagen - z.B. nach einer Umgestaltung und Aufwertung des Straßenbildes - nachträglich zum Störfaktor, bedarf es des Widerrufs der Genehmigung, um nach Aufhebung der formellen Legalität gegebenenfalls die Beseitigung anordnen zu können.

Eine gesetzliche Bestimmung, welche den Widerrufsvorbehalt lediglich in das Ermessen der Behörde stellt, trägt dem gesetzgeberischen Willen nicht in gleicher Weise Rechnung. Gerade das von der Klägerin vorgelegte Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. März 2004 (BauR 2004, 1281) zu der dort bestehenden Rechtslage macht dies deutlich. Danach muss nämlich die Bauaufsichtsbehörde, will sie eine Baugenehmigung im Ermessensweg mit Widerrufsvorbehalt versehen, im Einzelnen unter Bezugnahme auf den konkreten Standort der beantragten Werbeanlage begründen, warum sie die betreffende Nebenstimmung für erforderlich hält. Häufig wird aber bei Erlass der Genehmigung aus den Umständen des Einzelfalls (noch) nicht erkennbar sein, ob und inwieweit von der Werbeanlage künftig eine Störung ausgehen wird. Daher ist die rheinland-pfälzische Regelung besser geeignet, die ihr zugedachte Steuerungsfunktion zu erfüllen.

Die umstrittene Regelung beeinträchtigt den Werbetreibenden auch nicht unzumutbar. Der Befugnis des Eigentümers, sein Grundstück auch mit Werbeanlagen zu bebauen, steht das Interesse der Allgemeinheit am Schutz der Gestaltung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes sowie an der Verkehrssicherheit gegenüber. Wie das erkennende Gericht bereits in seinem Urteil vom 3. Juni 1965 (AS 9, 312) ausgeführt hat, üben Werbeanlagen ihrer Zweckbestimmung nach einen besonderen Einfluss aus, der sich je nach der baulichen oder sonstigen Beschaffenheit der Umgebung auf diese nachteilig auswirken kann. Da diese Umgebung sich ihrerseits ändern kann, durfte der Gesetzgeber eine Lösung suchen, die diesen Gegebenheiten Rechnung trägt. Eine unzumutbare Belastung liegt darin deshalb nicht, weil der Widerrufsvorbehalt keine freie Widerruflichkeit der Baugenehmigung begründet. Vielmehr hat die Bauaufsichtsbehörde nach Abwägung der betroffenen öffentlichen und privaten Interessen stets im Einzelfall zu entscheiden, ob der Widerruf auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gerechtfertigt ist.

Mit dieser Maßgabe kann sich das öffentliche Interesse auch unter den heute gegebenen Umständen gegenüber dem Interesse des Werbetreibenden durchsetzen. Zwar mag es sein, dass der seinerzeit formulierte Satz, Werbeanlagen pflegten schon ihrer Natur nach regelmäßig nicht auf Dauer erstellt zu werden, was häufig in der Art ihrer Befestigung und des verwendeten Materials zum Ausdruck komme, unter den heutigen Verhältnissen stärker noch als damals zu relativieren ist. Dennoch bleibt es auch für teurere Werbeanlagen kennzeichnend, dass sie typischerweise ohne wesentlichen Substanzverlust abgebaut und später - gegebenenfalls an einem anderen Ort - wieder aufgebaut werden können. Gerade wenn eine Werbeanlage eine erhebliche Investition erforderlich gemacht hat und auf eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten ausgelegt ist, werden sich der Abbau und die Wiederverwendung oft in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen halten. Ob dies im Einzelfall so ist oder nicht, hat die Bauaufsichtsbehörde zusammen mit allen anderen relevanten Umständen bei der Ausübung des vorbehaltenen Widerrufs zu berücksichtigen, stellt aber die Rechtmäßigkeit des Widerrufsvorbehalts als solche nicht in Frage.

Die Widerruflichkeit (oder Befristung) einer Baugenehmigung für Werbeanlagen verletzt auch nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz. Zwar werden insofern Werbeanlagen in der Tat anders behandelt als reguläre bauliche Anlagen, bei denen das Gesetz die Widerruflichkeit - über die allgemeine Vorgabe in § 36 VwVfG hinaus - überhaupt nicht regelt. Ein Unterschied besteht ferner zu baulichen Anlagen, die nur für eine begrenzte Zeit errichtet werden sollen und bei denen Widerrufsvorbehalt und Befristung in das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde gestellt sind (§ 70 Abs. 2 Satz 1 LBauO). Die Differenzierung beruht aber auf sachlichen Gründen und ist nicht willkürlich. Wie der Vertreter des öffentlichen Interesses im Einzelnen herausgestellt hat, wurden schon seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich die Markenartikelreklame nach amerikanischem Vorbild auch in Deutschland verbreitete, immer wieder bauordnungsrechtliche Bestimmungen als notwendig angesehen, um bestehenden oder drohenden Störungen oder Verunstaltungen durch Werbeanlagen entgegentreten zu können. So enthalten die meisten Bauordnungen besondere Anforderungen an Werbeanlagen oder ermächtigen die Gemeinden, solche Anforderungen zu stellen. Wenn sich vor diesem Hintergrund der rheinland-pfälzische Gesetzgeber entschlossen hat, über die gesetzlichen Bestimmungen anderer Bundesländer hinaus den Widerrufsvorbehalt bzw. die Befristung für Baugenehmigungen von Werbeanlagen verpflichtend einzuführen, hält sich dies im Rahmen der gesetzlichen Gestaltungsfreiheit und ist von der Klägerin hinzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.500,-- € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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