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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 13.04.2005
Aktenzeichen: 8 A 12135/04.OVG
Rechtsgebiete: LBauO


Vorschriften:

LBauO § 8
LBauO § 8 Abs. 8
LBauO § 61
LBauO § 62
LBauO § 62 Abs. 1
LBauO § 62 Abs. 1 Nr. 6
LBauO § 62 Abs. 1 Nr. 11
LBauO § 66
LBauO § 66 Abs. 3
Besteht ein Bauvorhaben aus einem genehmigungspflichtigen Teil (Wohnhaus) und aus - bei isolierter Betrachtung - genehmigungsfreien Teilen (Stützmauer, Erdaufschüttung), ist das Vorhaben insgesamt genehmigungspflichtig.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 A 12135/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Baurechts (Baugenehmigung für Aufschüttung und Stützmauer)

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2005, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richter am Oberverwaltungsgericht Schauß Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch ehrenamtliche Richterin Architektin Spies ehrenamtlicher Richter Fernmeldeoberamtsrat a.D. Trost

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Trier wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die diesem selbst zur Last fallen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Genehmigungsbedürftigkeit einer Aufschüttung mit Stützmauer, die die Kläger bei der Errichtung eines Einfamilienhauses hergestellt haben.

Den Klägern wurde am 25. November 2002 im vereinfachten Genehmigungsverfahren eine Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus auf dem Grundstück Gemarkung N., Flur ... Nr. ... erteilt. Nachdem der Beklagte bei einer Baukontrolle festgestellt hatte, dass entlang der westlichen Grundstücksgrenze eine Mauer aus Betonfertigteilen errichtet worden war, untersagte er weitere Bauarbeiten und bat darum, insoweit einen prüffähigen Bauantrag vorzulegen. Der daraufhin eingereichte Nachtragsbauantrag bezog sich auf die talseitige Unterkellerung des Wohngebäudes sowie auf eine an der Grundstücksgrenze zu errichtende, 1,55 m hohe Winkelstützmauer mit einer maximal 1,90 m hohen Aufschüttung dahinter.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2003 erteilte der Beklagte die begehrte Baugenehmigung für das Kellergeschoss, wies aber einschränkend darauf hin, dass Geländeauffüllung und Stützmauer nicht Gegenstand dieser Genehmigung seien; die hierfür erforderlichen Antragsunterlagen seien gesondert einzureichen.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben, die sie in erster Linie darauf gestützt haben, dass die Geländeanschüttung und die Stützmauer keiner Baugenehmigung bedürften. Angesichts der hängigen Grundstücksverhältnisse sei die durch die Mauer abgestützte Aufschüttung erforderlich, um vom rückwärtigen Garten aus das Erdgeschoss ihres Hauses ebenerdig zu erreichen. Sollten entgegen ihrer Auffassung die Mauer und die Anschüttung genehmigungspflichtig sein, hätten sie hilfsweise einen Anspruch auf Baugenehmigung.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Die Aufschüttung sei baugenehmigungspflichtig, weil § 62 Abs. 1 Nr. 11 Bst. a LBauO lediglich "selbständige" Aufschüttungen von der Genehmigung freistelle; um eine solche handele es sich bei dem aus dem Aushub der Baugrube bestehenden Erdreich aber nicht. Die Stützmauer sei nicht genehmigungsfrei nach § 62 Abs. 1 Nr. 6 Bst. a LBauO, weil Stützmauern in diesem Sinne nur zur Abstützung des natürlichen Geländes dienten. Der auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Hilfsantrag müsse ebenfalls erfolglos bleiben, weil die Kläger bislang nicht die dafür erforderlichen Bauunterlagen vorgelegt hätten.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung halten die Kläger daran fest, dass sowohl die Aufschüttung als auch die Winkelstützmauer bei zutreffender Auslegung der vom Verwaltungsgericht genannten bauordnungsrechtlichen Vorschriften genehmigungsfrei seien.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils und unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 20. Januar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2004 festzustellen, dass es einer Genehmigung der auf dem Grundstück Gemarkung N. Flur ... Nr. ... errichteten Stützmauer und der Aufschüttung nicht bedarf.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich mit einer Stellungnahme vom 9. Februar 2005, auf die verwiesen wird, am Verfahren beteiligt.

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Schriftsätzen der Beteiligten und den Bau- und Widerspruchsakten des Beklagten (4 Hefte), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den auf Feststellung der Genehmigungsfreiheit gerichteten Hauptantrag, den allein die Kläger mit der Berufung weiterverfolgen, zu Recht abgelehnt.

Die Feststellungsklage ist zwar zulässig nach § 43 Abs. 1 VwGO. Insbesondere wird mit der Frage, ob die Kläger für die von ihnen konkret bezeichneten Anlagen einer bauaufsichtlichen Genehmigung des Beklagten bedürfen, ein streitiges Rechtsverhältnis aufgezeigt. Sie haben auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung; der für Aufschüttung und Stützmauer am 9. September 2004 nachträglich gefertigte Bauantrag wurde nur vorsorglich gestellt und nimmt den Klägern nicht ihr Feststellungsinteresse.

Die Klage ist aber im Einklang mit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts unbegründet, denn die Kläger benötigen für das umstrittene Vorhaben eine Baugenehmigung. Sowohl die aus Winkelelementen erstellte Mauer als auch die dahinter befindliche Aufschüttung sind bauliche Anlagen i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 3 Nr. 1 LBauO. Für die Errichtung baulicher Anlagen ist gemäß § 61 LBauO grundsätzlich eine Baugenehmigung erforderlich. Eine solche wurde den Klägern bislang nicht erteilt, denn in den der Genehmigung vom 25. November 2002 zugrunde liegenden Bauzeichnungen ist die Mauer gar nicht und die Aufschüttung allenfalls andeutungsweise dargestellt. Unter den hier gegebenen Umständen lässt sich der Landesbauordnung weder für die Aufschüttung noch für die Mauer eine Regelung entnehmen, die sie von der Genehmigungspflicht freistellt.

Gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 11 Bst. a sind selbständige Aufschüttungen bis zu 300 qm Grundfläche und bis zu 2 m Höhe genehmigungsfrei. Die hier umstrittene Aufschüttung fällt darunter nicht, denn sie ist nicht "selbständig". Der Senat hat bereits entschieden, dass selbständige Aufschüttungen in diesem Sinne nur solche sind, die eine eigene Zweckbestimmung haben und nicht im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit Bauarbeiten für ein anderes Vorhaben stehen (Urteil vom 12. Dezember 2001 - 8 A 10806/01.OVG - = BRS 64, Nr. 154; ebenso: Jeromin, LBauO, § 62 Rn. 76). Die Kläger interpretieren die Norm zwar anders. Sie meinen, eine Aufschüttung sei nur dann unselbständig und damit baugenehmigungspflichtig, wenn sie aus tatsächlichen (statischen) oder rechtlichen Gründen für eine andere bauliche Anlage, insbesondere ein Gebäude, erforderlich sei, wenn also die eine bauliche Anlage nicht ohne die andere bestehen könne oder dürfe. Dem ist aber nicht zu folgen. Mögen mit dem Gesetzeswortlaut auch beide Auslegungen vereinbar sein, sprechen Erwägungen der Gesetzessystematik und des Normzwecks doch für das hier vertretene, engere Normverständnis.

Genehmigungspflichtigkeit (§ 61 LBauO) und Genehmigungsfreiheit (§ 62 LBauO) stehen, wie schon erwähnt, zueinander in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis. Ziel der Freistellungsvorschrift ist es, bei Vorhaben von geringer bau- oder bodenrechtlicher Relevanz, aber eben auch nur bei ihnen, auf eine präventive Verwaltungskontrolle zu verzichten, um die Baubehörden zu entlasten und den Bauherren Kosten zu ersparen (Jeromin, LBauO, § 62 Rn. 1). Systematik und Zweck des Gesetzes schließen es daher aus, bei einem Gesamtvorhaben, welches aus genehmigungspflichtigen und - isoliert betrachtet - genehmigungsfreien Teilen besteht, ein "Splitting" zwischen den Einzelteilen durchzuführen. Handelt es sich bei dem Vorhaben um eine einheitliche Anlage, die aus genehmigungspflichtigen und genehmigungsfreien Einzelelementen besteht, ist vielmehr das gesamte Vorhaben als genehmigungspflichtige Baumaßnahme zu qualifizieren, wobei sich die Genehmigungspflicht dann auch auf die an sich genehmigungsfreien Teile erstreckt (OVG NW, Urteile vom 12. August 1968, BRS 20 Nr. 149, und vom 12. September 1974, BRS 28 Nr. 95; OVG Berlin, Beschluss vom 23. August 1988, BRS 48 Nr. 125; BayVGH, Urteil vom 26. Februar 1993, NVwZ-RR 1994, 246; Jeromin, LBauO, § 62 Rn. 13; Simon/Lechner, BayBO, Art. 63 Rn. 9). Besteht aber die Genehmigungsfreiheit schon aus allgemeinen Erwägungen nur für Einzelvorhaben, die nicht im räumlichen, zeitlichen und funktionellen Zusammenhang mit einem anderen (Gesamt-)Vorhaben stehen, bestimmt dieses Vorverständnis auch die Auslegung des in § 62 Abs. 1 Nr. 11 Bst. a LBauO besonders hervorgehobenen Merkmals der Selbständigkeit, dem insoweit keine konstitutive, sondern klarstellende Bedeutung zukommt.

Vor diesem Hintergrund ist die hier umstrittene Geländeauffüllung als unselbständig und damit als baugenehmigungspflichtig zu qualifizieren. Sie wurde nicht nur im räumlichen, sondern auch im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Errichtung des Einfamilienhauses vorgenommen. Auch der funktionelle Zusammenhang ist offenkundig, haben doch die Kläger das aus der Baugrube ausgehobene Erdreich verwendet, um vom Garten aus das Erdgeschoss ihres Hauses ebenerdig erreichen zu können.

Entsprechende Überlegungen gelten auch für die Genehmigungspflichtigkeit der zur Abstützung des aufgefüllten Geländes aus Winkelsteinen errichteten Mauer. Zwar stellt § 62 Abs. 1 Nr. 1 Bst. b Stützmauern bis zu 2 m Höhe über der Geländeoberfläche von der Genehmigungspflicht frei. Bei den von den Klägern aufgestellten Winkelelementen dürfte es sich auch um eine Stützmauer in diesem Sinne handeln. Soweit der Senat in der Vergangenheit Bedenken geäußert hat, ob nicht Stützmauern im bauordnungsrechtlichen Sinne stets nur solche sind, die natürliches und nicht etwa künstlich aufgeschüttetes Gelände stützen (so zuletzt Urteil vom 8. Dezember 2004 - 8 A 11467/04.OVG - [ESOVGRP]), hält er daran nicht fest. Den Klägern ist nämlich zuzugeben, dass durch eine solche Einschränkung, die im Gesetzeswortlaut keinen Anhalt findet, der Anwendungsbereich der Freistellungsvorschrift über Gebühr eingeschränkt würde. Das ändert aber nichts daran, dass die hier umstrittene Stützmauer, die im räumlichen, zeitlichen und funktionellen Zusammenhang mit der wegen ihrer engen Beziehung zum Hausbau ihrerseits genehmigungspflichtigen Erdaufschüttung hergestellt wurde, ebenfalls Teil eines genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens ist und deshalb der Baugenehmigung bedarf. Dabei übersieht der Senat nicht, dass in § 62 Abs. 1 Nr. 6 Bst. b LBauO, anders als in § 62 Abs. 1 Nr. 11 Bst. a, ein ausdrücklicher Hinweis auf die "Selbständigkeit" fehlt. Dieser Unterschied ist nicht entscheidungserheblich, da, wie gezeigt, die Systematik und der Normzweck des Gesetzes ohnehin bei einem Gesamtvorhaben eine Gesamtbetrachtung der Genehmigungspflicht erfordern.

Die Prüfung des von den Klägern im September 2004 nachgereichten Bauantrages wird dem Beklagten, wie zur Vermeidung weiterer Zweifelsfragen hinzugefügt werden mag, auch Gelegenheit geben, die hier in Rede stehenden bauordnungsrechtlichen Fragen zu prüfen. Zwar ist die Baugenehmigung vom 25. November 2002 für das Einfamilienhaus im vereinfachten Verfahren ergangen, erstreckte sich also nach § 66 Abs. 3 LBauO nicht auf die Vorschriften der Landesbauordnung. Da sich bei wertender Betrachtung am Gegenstand der Baugenehmigung auch beim Hinzutreten der hier umstrittenen, untergeordneten baulichen Anlagen im Schwerpunkt nichts ändert, spricht vieles dafür, auch insoweit von einer Genehmigungspflicht im vereinfachten Verfahren auszugehen. Dies haben auch die Kläger so gesehen, die ihren Bauantrag vom 9. September 2004 ausdrücklich auf § 66 LBauO bezogen haben. Auch für einen solchen Bauantrag gilt aber nach der Rechtsprechung des Senats, dass die Baubehörde im Einzelfall bauordnungsrechtliche Vorschriften in die Prüfung einbeziehen darf. Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn bereits im Verwaltungsverfahren zwischen Bauherren, Nachbarn und Bauaufsichtsbehörde unterschiedliche Auffassungen bestehen, die auf jeden Fall eine Entscheidung der Behörde, und sei es im Wege eines späteren Einschreitens auf einen entsprechenden Nachbarantrag hin, erfordern (s. Urteil vom 23. Oktober 2002 - 8 A 10994/02.OVG - [ESOVGRP]). So ist es im vorliegenden Fall. Im Hinblick auf den vor allem strittigen Grenzabstand wird wiederum zu berücksichtigen sein, dass ein bauliches Gesamtvorhaben nicht willkürlich in seine Einzelteile "zerlegt" werden darf; seine Zulässigkeit beurteilt sich vielmehr in einer wertenden Gesamtschau aus den für die Einzelelemente geltenden Regelungen (vgl. § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO für die Stützmauer, § 8 Abs. 8 Satz 2 LBauO für die Aufschüttung).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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