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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 24.03.2004
Aktenzeichen: 8 B 10320/04.OVG
Rechtsgebiete: BauGB, LBauO


Vorschriften:

BauGB § 34
BauGB § 34 Abs. 1
LBauO § 8
LBauO § 8 Abs. 1
LBauO § 8 Abs. 1 S. 2
LBauO § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
LBauO § 8 Abs. 2
LBauO § 8 Abs. 2 S. 2
Die Höhe eines Bauvorhabens im unbeplanten Innenbereich, das wegen einer entlang der Erschließungsstraße verlaufenden faktischen Baulinie aus planungsrechtlichen Gründen zur Straße hin grenzständig errichtet werden muss, wird gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO nicht durch das bauordnungsrechtliche Abstandsgebot des § 8 LBauO, sondern ausschließlich durch das planungsrechtliche Erfordernis des Einfügens gemäß § 34 Abs. 1 BauGB und das darin enthaltene Gebot der Rücksichtnahme beschränkt.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

8 B 10320/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Baunachbarrechts

hier: aufschiebende Wirkung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 24. März 2004, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richterin am Oberverwaltungsgericht Spelberg Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 21. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Die Vorinstanz hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit vier Vollgeschossen und Dachgeschoss auf dem Eckgrundstück M. /R. anzuordnen. Das Interesse der Beigeladenen, das genehmigte Bauvorhaben gemäß § 212a Abs. 1 BauGB bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwirklichen zu können, überwiegt das Aufschubinteresse der Antragsteller. Denn bereits bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren wird deutlich, dass das genehmigte Bauvorhaben keine Rechte der Antragsteller verletzt und die Klage daher keinen Erfolg haben wird.

Die angefochtene Baugenehmigung verstößt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 LBauO. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein Bauvorhaben gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO überhaupt Abstandsflächen einhalten muss. Daran fehlt es hier. Der Senat hat bereits mit Verfügung vom 17. März 2004 darauf hingewiesen, dass das Vorhaben der Beigeladenen nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO keine Grenzabstände einzuhalten braucht, weil angesichts der in der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung der Straßenrand eine faktische Baulinie bildet und daher sich nur eine Bebauung ohne straßenseitigen Grenzabstand planungsrechtlich einfügt. Nach der den Beteiligten bekannt gegebenen Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 22. September 1999 - 8 A 10522/99.OVG -, S. 9 UA) führt die planungsrechtlich entlang einer Erschließungsstraße durch Baulinie gebotene Bebauung zur Unanwendbarkeit der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschrift, und zwar auch was die Bemessung der Höhe des betreffenden Gebäudes angeht. Demnach können sich die Antragsteller nicht darauf berufen, dass das genehmigte Bauvorhaben wegen seiner Höhe rechnerisch eine Abstandsfläche in Anspruch nimmt, die entgegen § 8 Abs. 2 Satz 2 LBauO über die Mitte der R...gasse hinausreicht. Auf die Frage, ob ihr Abwehrrecht auch durch eigene Überschreitung von Abstandsflächen eingeschränkt sein könnte, kommt es daher nicht an.

Gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das strittige Bauvorhaben erweise sich gegenüber der Bebauung auf dem Grundstück der Antragsteller nicht als rücksichtslos im planungsrechtlichen Sinne, ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nichts zu erinnern. Prüfungsgegenstand ist insoweit die angefochtene Baugenehmigung in Gestalt der Tekturgenehmigung vom 02. März 2004, die die Firsthöhe des zu errichtenden Gebäudes auf 16,78 m reduziert hat. Denn die Antragsteller haben das Verfahren nach Erteilung der Tekturgenehmigung nicht für erledigt erklärt, sondern die Beschwerde ausdrücklich im Hinblick darauf aufrechterhalten (s. Schriftsatz vom 10. März 2004).

Das von den Beigeladenen geplante Wohn- und Geschäftshaus verstößt in der Fassung der letzten Tekturgenehmigung nicht gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Dieses Gebot folgt hier ungeachtet der Frage, ob die Umgebungsbebauung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht, aus dem Begriff des "Einfügens" gemäß § 34 Abs. 1 BauGB, da seitens der Antragsteller lediglich das Maß der baulichen Nutzung gerügt wird, für das § 34 Abs. 2 BauGB keine Regelung enthält (s. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1994, BRS 56 Nr. 130).

Im vorliegenden Fall hält sich das Vorhaben der Beigeladenen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht nur im Rahmen der in der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung, sondern nimmt auch die gebotene Rücksicht auf das Grundstück der Antragsteller. Zu dieser Feststellung bedarf es entgegen der Auffassung der Antragsteller keiner Ortsbesichtigung durch den Senat; vielmehr lassen sich die maßgeblichen Tatsachen bereits aus den in den Verwaltungsakten befindlichen Lichtbildern, Genehmigungsunterlagen und Aufstellungen der Antragsgegnerin über das in der näheren Umgebung vorhandene Maß der baulichen Nutzung entnehmen.

So ergibt sich aus der dem Verwaltungsgericht vorgelegten Aufstellung der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2004 über die entlang der M.straße vorhandenen Firsthöhen, dass sich die Firsthöhe des strittigen Vorhabens mit 16,78 m ohne weiteres im Rahmen der Umgebungsbebauung hält. Denn die dortige Bebauung weist Firsthöhen zwischen 13,80 m (M.straße ...) und 17,50 m (M.straße ... bis ...) auf; das unmittelbar benachbarte Grundstück der Antragsteller ist selbst mit einem Gebäude bebaut, dessen Firsthöhe 17,20 m beträgt. Der Hinweis der Antragsteller, die Umgebung sei überwiegend mit dreigeschossigen Gebäuden bebaut, spricht nicht gegen ein Einfügen des Vorhabens der Beigeladenen. Zwar ist auch die Geschoßzahl grundsätzlich ein maßgeblicher Faktor zur Beurteilung des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung; eine Überschreitung der in der Umgebung vorhandenen Geschosszahl fügt sich aber nur dann nicht ein, wenn sie sich auf die äußere Gestalt des Vorhabens in einer Weise auswirkt, die geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche, bewältigungsbedürftige Spannungen zu begründen oder zu erhöhen (s. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999, BRS 62 Nr. 101). Das Bauvorhaben der Beigeladenen begründet oder erhöht aber durch seine lediglich zur M.straße hin vorgesehene Viergeschossigkeit keine derartigen Spannungen. Denn seine Wandhöhe (12,38 m) hält sich im Rahmen dessen, was entlang der M.straße an Bebauung vorhanden ist (Wandhöhen von 8,40 m <M.straße ...> bis 14,20 m <M.straße ...>), so dass sich die Viergeschossigkeit auf das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes nicht spannungsbegründend auswirkt. Dies gilt insbesondere auch im Vergleich zu dem unmittelbar benachbarten Anwesen der Antragsteller, das trotz seiner Dreigeschossigkeit eine nahezu identische Wandhöhe (12,30 m) wie das Vorhaben der Beigeladenen aufweist. Die Ansicht der Antragsteller, das Bauvorhaben der Beigeladenen sei "funktional wie ästhetisch missglückt", vermag schließlich keinen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 BauGB zu begründen. Gleiches gilt für die Rüge, es gebe in der Umgebung kein Vorbild für das nach der letzten Tekturgenehmigung geplante Mansarddach.

Schließlich haben die Antragsgegner auch im Beschwerdeverfahren nicht darzulegen vermocht, warum das genehmigte Vorhaben, obwohl es den sich aus der Umgebung ergebenden Rahmen einhält, ihnen gegenüber rücksichtslos sein soll. Allein die Behauptung einer erdrückenden Wirkung bzw. eines Gefühls des "Eingemauertseins" reicht hierzu nicht aus. Diese Wertungen bedürfen einer objektivierbaren Grundlage. Daran fehlt es hier. Zum einen überragt die von den Beigeladenen geplante Bebauung das Anwesen der Antragsteller nicht. Zum anderen hat die Antragsgegnerin im Verfahren erster Instanz (s. Anlagen zum Schriftsatz vom 13. Januar 2004) für das Bauvorhaben nach dem Stand der ersten Tekturgenehmigung vom 28. November 2003 (nach den Feststellungen der Vorinstanz mit einer Firsthöhe von 19,02 m) nachgewiesen, dass der Belichtungswinkel von 45 Grad vor notwendigen Fenstern im Gebäude der Antragsteller (vgl. zur Zumutbarkeit dieses Belichtungswinkels im Rahmen des § 8 Abs. 10 LBauO Senatsbeschluss zum 02. Dezember 2003 - 8 B 11769/03.OVG -, S. 4 BA) nicht unterschritten wird. Dass dies bei Ausführung des Vorhabens nach der zweiten Tekturgenehmigung mit einer Firsthöhe von nur 16,78 m wesentlich anders sein könnte, haben die Antragsteller nicht dargelegt. Vor allem aber darf bei der Frage nach der Zumutbarkeit einer Belichtungs- und Belüftungsbeeinträchtigung die Situationsgebundenheit des Grundstücks der Antragsteller nicht außer Acht gelassen werden. Denn in einem dicht bebauten historischen Altstadtbereich hat ein Grundeigentümer in vermehrtem Maße seinerseits auf das Interesse von Nachbarn Rücksicht zu nehmen, ihr Grundstück in einem der Umgebung angepassten Ausmaß bebauen zu dürfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht auch im Beschwerdeverfahren nicht der Billigkeit, die Antragsteller mit außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu belasten, da sich diese mangels eigener Antragstellung nicht am Kostenrisiko des Rechtsmittels beteiligt hat. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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