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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 20.10.2004
Aktenzeichen: 1 L 186/04
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 163 I 1
1. Unbillig i. S. d. § 163 Abs. 1 Satz 1 AO ist die Festsetzung der Abgabe, wenn die Erhebung nach einer Gesamtbetrachtung der für die Entstehung der Abgabenschuld im konkreten Fall maßgeblichen Rechtsnormen im Einzelfall zu einer Beitragsbelastung führt, die den grundlegenden Wertungen der einschlägigen Rechtsnormen zuwiderläuft.

2. Bei der Beitragsveranlagung nach einem nutzungsbezogenen Maßstab ist das nach der Satzung ermittelte Nutzungsmaß dem tatsächlichen Nutzungsmaß gegenüber zu stellen. Ohne Belang für die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO ist hingegen, ob die satzungsrechtliche Maßstabsregelung gültig oder wegen Verstoßes gegen § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA unwirksam ist.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 1 L 186/04

Datum: 20.10.2004

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Höhe der gegen ihn festgesetzten Beiträge für die Herstellung der zentralen Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Beklagten. Er ist Eigentümer des in der Gemarkung C-Stadt belegenen 749 m² großen Flurstücks (...) der Flur (...).

Mit Bescheid vom 06. Juli 2001 setzte der Beklagte den Beitrag unter Berücksichtigung einer dreigeschossigen Bebauung auf 6.889,85 DM fest und forderten den Betrag abzüglich gezahlter Vorausleistungen an. Da alle Geschosse nicht die für Vollgeschosse notwendige Mindesthöhe aufweisen, sei der Nutzungsfaktor nach Maßgabe der durch 2,30 m geteilten Gebäudehöhe zu bestimmen. Da tatsächlich nur drei Geschosse zu Wohnzwecken genutzt würden, sei die Bemessung nach vier Vollgeschossen unbillig.

Mit der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, das Erdgeschoss weise durchgängig eine Mindesthöhe mehr als 2,30 m auf, weil bei der Messung nur bis zur Unterkante der unter der Decke angebrachten Vertäfelung und nicht bis zum Deckenbalken gemessen worden sei. Zudem dürfe die Anwendung des nach der Gebäudehöhe bestimmenden Maßstabes nicht dazu führen, dass ein Gebäude, bei dem die drei Geschosse jeweils die Mindesthöhe von 2,30 nicht erreichten, gleichwohl mit drei Vollgeschosszahl berücksichtigt werde.

Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat die Klage mit Urteil vom 24. Februar 2004 hinsichtlich der Festsetzung des Beitrages abgewiesen. Im Übrigen hat es den Beklagten auf den Hilfsantrag des Klägers verpflichtet, den Kläger wegen einer weitergehenden Herabsetzung des Beitrages erneut zu bescheiden: Die Heranziehung nach Maßgabe von drei Vollgeschossen sei unbillig, weil sie den in der Satzung zum Ausdruck gebrachten Wertungen widerspreche. Wäre die lichte Höhe im Erdgeschoss nur geringfügig höher, so wäre das Grundstück mit 100 v. H. der Gesamtgrundstückfläche zu veranlagen. Die Veranlagung nach Maßgabe von drei Vollgeschossen führe dazu, dass der Kläger mit 220 v. H. der Grundstücksfläche veranlagt werde und somit einen mehr als doppelt so hohen Beitrag zahlen müsse, wie für ein Grundstück mit eingeschossiger Bebauung. Insbesondere die Einbeziehung des 1. Obergeschosses als Vollgeschoss sei unbillig, weil in diesem Geschoss die lichte Höhe von 2,30 m an keiner Stelle erreicht werde.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend, er sei zu Unrecht zu einer erneuten Bescheidung hinsichtlich einer weitergehenden Billigkeitsentscheidung verpflichtet worden, weil der Kläger die Billigkeitsentscheidung im Ausgangsbescheid gar nicht angefochten habe. Im Übrigen sei schon fraglich, ob die der Maßstabsregelung in der Satzung entsprechende Veranlagung überhaupt unbillig sei. Denn nach der vom Gericht nicht gerügten Maßstabsregelung entspreche die Veranlagung nach Maßgabe von 4 Geschossen dem dem Grundstück vermittelten Vorteil. Abgesehen davon sei die getroffene Billigkeitsentscheidung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe sich bei der Entscheidung, anstelle der vier Vollgeschosse, nach denen bei Anwendung der Satzungsregelung zu veranlagen sei, nur von drei Vollgeschossen auszugehen, von der sachgerechten Überlegung leiten lassen, dass beim Zurückbleiben der tatsächlichen Nutzung hinter dem nach der fiktiven Zahl der Vollgeschosse ermittelten Nutzungsmaß, die Anzahl der tatsächlich genutzten Geschosse zu berücksichtigen sei.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 4. Kammer - vom 24. Februar 2004 abzuändern und die Klage auch hinsichtlich des Hilfsantrages abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, es sei unbillig, für den Fall, dass eine Geschosszahl nicht feststellbar sei, bei der Bemessung nach der Gebäudehöhe ein Vollgeschoss anzunehmen, obwohl das Geschoss nicht über zwei Drittel der Grundfläche eine Raumhöhe von mindestens 2,30 m aufweise.

II.

Die zulässige Berufung, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter anstelle des Senats (vgl. §§ 125 Abs. 1, 87 a Abs. 2 und 3 VwGO) ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheidet, ist begründet. Gegenstand des Berufungsverfahren ist nur noch der vom Kläger mit der Verpflichtungsklage geltend gemachte Anspruch auf weitere Herabsetzung des Beitrages nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO. Im Übrigen hingegen ist der Bescheid des Beklagten bestandskräftig geworden, weil das hinsichtlich der Festsetzung des Beitrages klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts mangels Anschlussberufung des Klägers rechtskräftig geworden ist.

Wegen der weiteren Herabsetzung des Beitrages hat das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgeben und den Beklagten verpflichtet, über den Antrag des Klägers erneut zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Denn die gegen die Ablehnung einer weiteren, über die gewährte Herabsetzung hinausreichende weitere Herabsetzung des Beitrages gerichtete Verpflichtungsklage hat jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Herabsetzung des Beitrages im Wege der Billigkeit kommen allein die §§ 163 Abs. 1 AO, 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA in Betracht. Der vom Beklagten im Widerspruchsbescheid für die Herabsetzung des Beitrages um ein Vollgeschoss als Rechtsgrundlage herangezogene § 227 Abs. 1 AO scheidet demgegenüber als Rechtsgrundlage aus, weil diese Bestimmung die vorgenommene anderweitige Festsetzung des Beitrages gerade nicht zulässt. Nach den §§ 227 Abs. 1 AO, 13 a Abs. 1 Satz 5 KAG LSA können unter den dort genannten Voraussetzungen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen werden. Das jedoch setzt voraus, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis durch Festsetzung des Beitrages begründet worden ist. Der Erlass bewirkt, dass ein festgesetzter Beitrag nicht angefordert wird, während die Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO zu einer niedrigeren Beitragsfestsetzung führt.

Nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO können Abgaben niedriger festgesetzt werden, und einzelne Abgabegrundlagen, die die Abgabe erhöhen, können bei der Festsetzung der Abgabe unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Abgabe nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unbillig ist der Abgabenerhebung, wenn nach einer Gesamtbetrachtung der für die Entstehung der Abgabenschuld im konkreten Fall maßgeblichen Rechtsnormen im Einzelfall zu einer Beitragsbelastung führt, die den grundlegenden Wertungen der einschlägigen Rechtsnormen zuwiderläuft.

Zwar sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 163 Abs. 1 Satz 1 AO im vorliegenden Fall erfüllt. Die Erhebung des ungekürzten Beitrages nach Maßgabe des § 4 Abschnitt I Abs. 1 Satz 4 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserbeseitigung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes "Oberharz" (Abwasserbeseitigungsabgabensatzung - ABAS) vom 31. August 1998, geändert durch Art. 1 der Satzung vom 21. September 1999 wäre unbillig, weil sie nach der insoweit bestandskräftigen Veranlagung im Bescheid des Beklagten vom 06. Juli 2001 dazu führte, dass für das dreigeschossige Wohnhaus ein Beitrag erhoben würde, dessen Höhe der Bemessung für ein Gebäude mit vier Vollgeschossen gleich kommen würde. Das entspricht nicht den Wertungen in der Beitragssatzung des Beklagten, wonach der Abwasserbeitrag nach einem nutzungsbezogenen Maßstab bemessen wird (vgl. § 4 Abschnitt I ABAS). Der nutzungsbezogene Maßstab dient dazu, anhand des Maßes der auf einem Grundstück verwirklichten Bebauung zu bestimmen, in welchem Umfang die Einrichtung bei einer generalisierenden Betrachtungsweise voraussichtlich in Anspruch genommen wird (vgl. OVG LSA, NVwZ-RR 2002, 373 <375>). Er geht von der Annahme aus, dass das potenzielle Maß der Inanspruchnahme der Einrichtung mit der Anzahl der zu Wohnzwecken genutzten bzw. nutzbaren Geschosse steigt. Führt die Veranlagung entsprechend der Satzungsregelung nach Maßgabe der Höhe des vorhandenen Gebäudes im Einzelfall - wie hier - zur Ermittlung eines Nutzungsmaßes, das über das tatsächlich verwirklichte Maß der Nutzung hinausgeht, so führt die Veranlagung nach Maßgabe der Satzungsregelung zu einer Beitragsbelastung, die der Wertung der Satzung widerspricht. Die bestandkräftige Veranlagung nach der Höhe des tatsächlich auf dem Grundstück errichteten Bauwerks führt nämlich dazu, dass das Grundstück wie ein mit vier Vollgeschossen bebautes Grundstück veranlagt wird, obwohl es tatsächlich nur drei Geschosse aufweist.

Indes hat der Beklagte diesem Umstand mit der Herabsetzung des Beitrages Rechnung getragen, indem er den Beitrag nur nach Maßgabe von 220 v. H. der Grundstücksfläche bemessen hat. Diese Ermessenbetätigung ist nicht sachwidrig und deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Mit dieser Herabsetzung des Beitrages erreicht der Beklagte eine Beitragsbelastung des Klägers, die einer Bebauung mit drei Vollgeschossen entspricht. Die Festsetzung und Heranziehung zu einem Beitrag nach Maßgabe einer dreigeschossigen Bebauung entspricht den Wertungen der Satzung, weil diese Herabsetzung der tatsächlich ausgeübten Nutzung entspricht. Denn der Kläger nutzt das Erdgeschoss, das erste Obergeschoss und das ausgebaute Dachgeschoss zu Wohnzwecken.

Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe Anspruch auf eine weitergehende Herabsetzung des Beitrages, weil die Bemessung nach der Gebäudehöhe nicht dazu führen dürfe, dass das Gebäude, in dem keines der vorhandenen Geschosse die nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BauO LSA erforderliche Mindesthöhe erreiche, so behandelt werde, als ob sämtliche Geschosse über mindestens zwei Drittel der Grundfläche eine lichte Höhe von mehr als 2,30 m hätten. Denn bei der Billigkeitsentscheidung nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO kommt es nicht auf den Vergleich zwischen dem Ergebnis der Veranlagung nach der Anzahl der Vollgeschosse (vgl. § 4 Abschnitt I Abs. 1 Satz 1 ABAS) mit dem Nutzungsfaktor an, der sich ergibt, wenn das Maß der baulichen Nutzung nach § 4 Abschnitt I Abs. 1 Satz 4 ABAS ermittelt werden muss, weil sämtliche in einem Gebäude vorhandenen Geschosse keine Vollgeschosse i. S. d. §§ 4 Abschnitt I Abs. 1 Satz 2 ABAS, 2 Abs. 4 Satz 1 BauO LSA sind. Mit diesem Einwand könnte der Kläger nur die Beitragsfestsetzung angreifen. Auf die Frage, ob die Maßstabsregelung den Vorgaben des § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA genügt oder ob der Beitrag den Regelungen in der Abwasserbeseitigungsabgabensatzung entsprechend festgesetzt worden ist, kommt es hier indes nicht an, weil der Bescheid insoweit mangels Anschlussberufung des Klägers bestandskräftig geworden ist. Ob die Festsetzung nach Maßgabe der Gebäudehöhe gemäß § 4 Abschnitt I Abs. 1 Satz 4 ABAS im Einzelfall zu einem unbilligen Ergebnis i. S. d. § 163 Abs. 1 Satz 1 AO führt, ist allein danach zu beurteilen, ob die Anwendung der satzungsrechtlichen Maßstabsregelung mit den tatsächlichen Verhältnissen noch in Einklang zu bringen ist. Das ist hier aus den o. g. Gründen unter Berücksichtigung der im angefochtenen Bescheid bereits gewährten Beitragsermäßigung der Fall.

Aus dem gleichen Grund folgt der Senat auch nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichts, das in der angefochtenen Entscheidung ausführt, die Berücksichtigung von drei Vollgeschossen sei unbillig, weil das Grundstück als eingeschossig bebaut zu veranlagen wäre, wenn es im Erdgeschoss nur eine geringfügig größere lichte Höhe aufwiese. Insbesondere die Einbeziehung des 1. Obergeschosses sei ungerecht, weil dieses Geschoss die lichte Höhe von 2,30 m erst Recht nicht erreiche. Denn damit stellt auch das Verwaltungsgericht nicht das nach der Satzung ermittelte Nutzungsmaß dem tatsächlichen Nutzungsmaß gegenüber. Vielmehr macht damit es der Sache nach geltend, es entspreche nicht den Vorgaben des § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA, gemäß § 4 Abschnitt I Abs. 1 Satz 4 ABAS nach der Gebäudehöhe zu veranlagen, obwohl eine Veranlagung nach der Anzahl der Vollgeschosse gemäß § 4 Abschnitt I Abs. 1 Satz 1 ABAS nur deshalb nicht möglich sei, weil die Mindesthöhe nach § 2 Abs. 4 BauO LSA nur geringfügig unterschritten werde. Abgesehen davon, dass es dem Beklagten unbenommen ist, bei der Ausgestaltung des Maßstabes in der Satzung metrische Grenzen zu bestimmen und diese bei der Veranlagung anzuwenden, richtet sich der Einwand der Sache nach gegen die Gültigkeit des in der Satzung bestimmten Maßstabes und damit gegen die Beitragsfestsetzung selbst. Darauf jedoch kommt es bei der Anwendung des § 163 Abs. 1 Satz 1 AO aus den o. g. Gründen gerade nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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