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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 04.06.2009
Aktenzeichen: 1 L 194/07
Rechtsgebiete: LSA-BG


Vorschriften:

LSA-BG § 78 Abs. 1
Die Anscheinsbeweisführung setzt einen Lebenssachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und es rechtfertigt, die besonderen Umstände des Einzelfalles in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen.

Dabei muss das Gericht von Amts wegen erforschen, ob tatsächlich ein zur Anwendung der Regeln über den Anscheinsbeweis führender typischer Geschehensablauf vorliegt (im Anschluss an BVerwG, U. v. 24.8.1999, NVwZ-RR 2000, 256 ff.).


Tatbestand:

Der als Polizeibeamter im Beamtenverhältnis zum Land Sachsen-Anhalt stehende Kläger wendet sich gegen seine Inregressnahme aus Anlass eines Schadens an einem von ihm geführten Dienst-Kfz.

Am 11. Februar 2004 gegen 13.00 Uhr befuhr der Kläger in Begleitung des POM B. mit dem Dienst-Kfz F., amtliches Kennzeichen K., an der Autobahnkreuzung L. die Auffahrt zur BAB M. in Richtung N-Stadt. Die Autobahnauffahrt beschreibt mehrere Rechtskurven, davon eine letzte kurz vor der Einfädelung auf die eigentliche BAB M. Im Bereich der Auffahrt ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt.

Kurz vor Ausgang der letzten Rechtskurve der Autobahnauffahrt brach das vom Kläger geführte Dienst-Kfz mit der Hinterachse nach links aus. Der Kläger versuchte, das Fahrzeug durch Gegenlenken abzufangen und auf einen als Betriebsüberfahrt genutzten Schotterweg zu gelangen. Es gelang dem Kläger jedoch nicht, das Fahrzeug auf befestigtem Boden zum Stehen zu bringen. Vielmehr drehte sich das Fahrzeug - trotz der Bremsversuche des Klägers - um die eigene Achse, rutschte durch einen seitlichen Straßengraben und kam sodann fast rechtwinklig zur BAB-Auffahrt zum Stehen. Infolge des Rutschens in den Straßengraben kam es zu einer Beschädigung des Dienst-Kfz auf der linken Fahrzeugseite. Von der Unfallstelle wurde eine Handskizze gefertigt. Das Fahrzeug wurde an der Unfallstelle nicht weiter untersucht, sondern auf Veranlassung der damals zuständigen Polizeidirektion P-Stadt mit einem Abschleppfahrzeug zum BAB-Polizeirevier C-Stadt gebracht. Dort wurde es am 26. Februar 2004 durch den Sachverständigen O. begutachtet; allerdings bezog sich die Begutachtung lediglich auf die Höhe des Unfallschadens, nicht auf das Vorhandensein etwaiger Mängel, die zu dem Unfall hätten führen können. Das Gutachten O. vom 26. März 2004 gelangte zu einem Reparaturaufwand von brutto 4.017,83 Euro. Die Polizeidirektion P-Stadt gab das Fahrzeug sodann zur Reparatur durch die Firma Q. in P-Stadt frei, welche darüber die Rechnung vom 1. Juni 2004 über brutto 6.522,24 Euro erstellte.

Der Hergang des Unfalls und die Verantwortlichkeit des Klägers sind zwischen den Beteiligten streitig. Während der Kläger die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs, insbesondere einen Defekt in der Lenkung als Grundlage für den Verkehrsunfall ansieht, führt die Beklagte die Beschädigung des Dienst-Kfz ausschließlich auf eine überhöhte, unangemessene Geschwindigkeit zurück. Das von der Polizeidirektion P-Stadt zusätzlich eingeholte verkehrstechnische Gutachten des Sachverständigen O. vom 20. April 2004 gelangte aufgrund angestellter Berechnungen zu der Feststellung, dass der Kläger "aufgrund der im Straßenrandbereich gesicherten Spuren des Verkehrsunfallgeschehens eine Fahrgeschwindigkeit von mindestens 66 km/h" innegehabt haben müsse. Daraus schloss der Sachverständige, dass der Kläger die BAB-Abfahrt "im Bereich der Kurven Grenzgeschwindigkeit" befahren habe; aufgrund dieser Tatsache sei es zum Ausbrechen des Fahrzeugs und zu dem bekannten Verkehrsunfallgeschehen gekommen. Allerdings bemerkte der Sachverständige abschließend folgendes:

"Die an der Unfallstelle, unmittelbar nach dem Unfall von der Polizei festgestellten Daten der Unfallaufnahme sind nicht geeignet, den Unfallablauf ausreichend und genau mit einfachen Mitteln zu rekonstruieren. Die Hinzuziehung eines geeigneten Sachverständigen, welcher im Bereitschaftsdienst zur Verfügung stand, hätte im vorliegenden Fall mit Sicherheit eine einfachere und genauere Unfallanalyse erlaubt."

Mit Leistungsbescheid vom 24. März 2005 forderte die Polizeidirektion P-Stadt den Kläger auf, den ihr aufgrund der Beschädigung des Dienst-Kfz entstandenen Gesamtschaden in Höhe von 7.943,91 Euro zu ersetzen. Der Betrag setze sich zusammen aus den Instandsetzungskosten von 6.522,24 Euro, den Kosten für die Schadensbegutachtung in Höhe von 445,22 Euro sowie den Kosten für das unfallanalytische Gutachten in Höhe von 976,45 Euro. Zur Begründung führte die Polizeidirektion P-Stadt aus, der Kläger habe den Unfall "leichtsinnig und gedankenlos" verursacht, indem er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 33 % überschritten habe. Der Unfall habe sich an einer Örtlichkeit ereignet, die dem Kläger durch seine tägliche Streifentätigkeit gut bekannt gewesen sei; damit sei ihm auch die Gefährlichkeit der Kurve bei Nässe bestens bekannt gewesen. Der Kläger hätte seine Fahrweise auf einen entsprechend engen Kurvenradius einstellen und sicherstellen müssen, dass ein Abkommen von der Fahrbahn vermieden werde.

Gegen den Regressbescheid legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein, mit welchem er dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit entgegentrat. Er habe das Fahrzeug vor der ihm bekannten sehr engen Kurve abgebremst und diese mit einer angemessenen, keineswegs überhöhten Geschwindigkeit durchfahren. Das Gutachten des Sachverständigen O. sei schon deswegen nicht verwertbar, weil dieser selbst darauf hingewiesen habe, dass er mit den vorhandenen Daten die Ermittlung der Unfallursache nicht habe hinreichend genau vornehmen können. Die Polizeidirektion P-Stadt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2005 zurück, wobei sie weiter die Unfallursache in einer Geschwindigkeitsübertretung durch den Kläger sah.

Mit seiner fristgerecht bei dem Verwaltungsgericht Halle eingereichten Klage hat sich der Kläger weiter gegen seine Inanspruchnahme gemäß § 78 Abs. 1 BG LSA gewandt. Er hat insbesondere an seiner Auffassung festgehalten, mangels konkreter Daten vom Unfallzeitpunkt habe eine exakte Geschwindigkeitsberechnung überhaupt nicht angestellt werden können. Die Unfallursache sei keinesfalls als geklärt anzusehen, zumal auch der technische Zustand des Fahrzeugs im Hinblick auf Reifen, Reifendruck und Fahrwerk nicht geklärt sei. Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gehe daher absolut fehl. Ergänzend zur Klagebegründung machte der Kläger geltend, es sei nicht auszuschließen, dass an dem Fahrzeug Schäden vorhanden gewesen seien, die zu dem Unfall geführt haben könnten.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Halle hat der Kläger beantragt,

den Bescheid der Polizeidirektion P-Stadt vom 24. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2005 aufzuheben.Die Polizeidirektion P-Stadt hat beantragt,

die Klage abzuweisen.Sie hat weiter die Auffassung vertreten, die Beschädigung des Dienst-Kfz sei ausschließlich auf eine überhöhte Geschwindigkeit des Klägers zurückzuführen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wurde erörtert, dass sich das Dienst-Kfz noch kurz vor dem schädigenden Ereignis zu einer Inspektion in der Kfz-Instandsetzungswerkstatt in C-Stadt befunden hatte. Hierüber legte die Polizeidirektion P-Stadt Abrechnungen über Werkstattaufträge vom 2. und 9. Februar 2004 vor und bemerkte dazu ergänzend, dass schon aufgrund des engen Zeitabstandes zwischen der Inspektion/Wartung des Fahrzeugs und dem Unfallzeitpunkt Vorschäden am Fahrzeug ausgeschlossen werden könnten. Der Kläger bemängelte demgegenüber, dass aus den Abrechnungsbögen nicht das Ergebnis der Inspektionen ersichtlich sei; es sei daher nicht auszuschließen, dass der Unfall auf technische Defekte am PKW zurückzuführen sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 6. August 2007 - ohne weitere mündliche Verhandlung - abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger habe die ihm obliegende Sorgfaltspflicht gegenüber dem Landeseigentum in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt. Denn er sei in der Unfallsituation unverantwortlich schnell gefahren, habe insbesondere die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h beträchtlich überschritten. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Unfall auf eine andere Ursache als auf grob überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen sei; entgegen der Darstellung des Klägers spreche auch nichts dafür, dass das verunfallte Fahrzeug in einem technisch mangelhaften Zustand gewesen sei. Es könne letztlich dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine genauere Unfallanalyse möglich gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h trotz mindestens feuchter Fahrbahn überschritten habe. Da das Fahrzeug mängelfrei gewesen sei, komme eine andere Ursache auch nur mit einem geringen Grad von Wahrscheinlichkeit nicht in Betracht. Die Positionen des Leistungsbescheides seien - auch hinsichtlich der Höhe der Einzelpositionen - nicht zu beanstanden, so dass auch die entstandenen Gutachterkosten unfallbedingt verursacht und dem grob fahrlässigen Verhalten des Klägers zuzuordnen zu seien.

Gegen das Urteil hat der Kläger fristgerecht Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, welchen er wie folgt begründet hat:

Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Das Verwaltungsgericht habe im Wege des Anscheinsbeweises auf eine überhöhte Geschwindigkeit des Klägers geschlossen, ohne aber andere mögliche Unfallursachen in Betracht zu ziehen. Das Gutachten des Sachverständigen O. sei für die Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Kläger schon deswegen nicht geeignet, weil schon nach den eigenen Angaben des Gutachters eine sachgerechte Begutachtung nicht erfolgt sei. Zudem trägt der Kläger nunmehr vor, dass sich nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils herausgestellt habe, dass das Fahrzeug Mängel am Querlenker und an den Radlagern aufgewiesen habe. Deshalb habe der POM A. in das Dienst-Kfz einen Zettel "Defekt - bitte stehen lassen!" gelegt.

Dem ist die Beklagte entgegengetreten mit der Bemerkung, im Anschluss an die Inspektion sei eine Probefahrt durchgeführt worden; während dieser seien keine Mängel festzustellen gewesen.

Mit Beschluss vom 29. September 2008 hat der erkennende Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zugelassen. In seiner Berufungsbegründungsschrift vom 6. November 2008 stellt der Kläger weiter in Abrede, dass der Unfall auf eine überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen sei. Vielmehr sei Ursache ein technischer Defekt gewesen. Wenige Tage vor dem Unfall habe der POM A. das Dienst-Kfz mit einem Zettel "Defekt - bitte stehen lassen!" versehen, weil ihm mehrere Beamte mitgeteilt hätten, dass der "Opel nicht in der Spur bleibe und es dem Fahrer beim Bremsen das Lenkrad aus der Hand schlage". Der Kläger habe daher keine Dienstpflicht verletzt, habe weder vorsätzlich noch grobfahrlässig gehandelt; in jedem Fall fehle es aber auch an der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden.

Der Kläger beantragt, wie erkannt.

Die Beklagte - als Funktionsnachfolgerin der Polizeidirektion P-Stadt - beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bleibt bei der bereits von der Polizeidirektion P-Stadt geäußerten Auffassung, Ursache des Unfalls sei allein eine überhöhte Geschwindigkeit des Klägers. Es sei nicht von Mängeln am Fahrzeug auszugehen; das Hinterlegen eines Zettels mit der Aufschrift "Defekt - bitte stehen lassen!" werde bestritten.

Der Senat hat dienstliche Äußerungen des POM A. und des POM B. zur Frage der Mangelhaftigkeit des Dienst-Kfz sowie zum Hergang des Unfalls eingeholt. Auf die dienstlichen Äußerungen vom 9. Februar 2009 wird - wie auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten - Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil hat Erfolg, da bereits eine Verantwortlichkeit des Klägers für die Beschädigung des Dienst-Kfz - jedenfalls aufgrund des Sachverhalts, wie er sich im Zeitpunkt der vom Senat durchgeführten Verhandlung darstellt - nicht mit der für eine Inregressnahme gebotenen Sicherheit angenommen werden kann.

Der Bescheid der Polizeidirektion P-Stadt vom 24. März 2005 sowie ihr Widerspruchsbescheid vom 8. November 2005 sind mithin rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Heranziehung eines Beamten zum Schadensersatz gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BG LSA setzt voraus, dass der Schadenseintritt auf eine - jedenfalls grob fahrlässige - Pflichtverletzung des Beamten zurückzuführen ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen vermag der Senat indes - unter Würdigung der vorliegenden Gutachten sowie der von ihm eingeholten Dienstlichen Äußerungen - nicht festzustellen:

Der Senat vermag sich bereits nicht der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung dahingehend anzuschließen, es sei auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen O. vom 20. April 2004 davon auszugehen, alleinige Unfallursache sei eine überhöhte Geschwindigkeit des Klägers bei Befahren der BAB-Auffahrt gewesen.

Das Gutachten des Sachverständigen O. stützt die darin getroffene Feststellung, der Kläger habe eine Fahrgeschwindigkeit von "zumindest" 66 km/h innegehabt, auf lediglich formelhafte Berechnungen. Grundlage hierfür war eine dem Sachverständigen überlassene Handskizze der Unfallörtlichkeit sowie "im Straßenrandbereich gesicherte Spuren", wobei das Gutachten weder diese "Spuren" näher beschreibt noch gar Ausführungen dazu enthält, warum diese auf das hier maßgebliche Ereignis zurückzuführen sind. Im Übrigen ergibt sich aus dem Gutachten, dass der Sachverständige den technischen Zustand des Fahrzeugs - insbesondere auf etwaige im Unfallzeitpunkt vorhandene technische Mängel an der Lenkung - gar nicht untersucht hat, sondern selbst bemerkt hat, die von der Polizei festgestellten Daten der Unfallaufnahme seien nicht geeignet, den Unfallablauf ausreichend genau mit einfachen Mitteln zu rekonstruieren. Noch deutlicher relativiert der Sachverständige seine Aussage über den Unfallhergang mit der abschließenden Bemerkung, die "Hinzuziehung eines geeigneten Sachverständigen ... hätte mit Sicherheit eine einfachere und genauere Unfallanalyse erlaubt".

Ist daher bereits auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass andere Unfallursachen als eine mögliche Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Kläger nicht ausgeschlossen werden können, so lässt sich bereits aus diesem Grund die gegenteilige, offensichtlich im Wege des Beweises des ersten Anscheins getroffene Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts nicht halten.

Zwar sind die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins auch im Verwaltungsprozess anwendbar; allerdings setzt die Anscheinsbeweisführung einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und es rechtfertigt, die besonderen Umstände des einzelnen Falles in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen (BVerwG, U. v. 24.8.1999, NVwZ-RR 2000, S. 256 ff.). Dabei muss das Verwaltungsgericht von Amts wegen erforschen, ob tatsächlich ein - zur Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises führender - typischer Geschehensablauf vorliegt. Zudem ist - ebenfalls von Amts wegen - zu ermitteln, ob Tatsachen vorliegen, welche die ernstliche und nahe liegende Möglichkeit eines atypischen Verlaufs begründen und damit den Anscheinsbeweis erschüttern. Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen hätte das Verwaltungsgericht bereits Veranlassung sehen müssen, der Frage der - vom Kläger stets behaupteten - Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs näher nachzugehen, anstatt seine Entscheidungsfindung ausschließlich auf ein Sachverständigengutachten zu stützen, welches bereits seine eigene - ausschließlich auf formelhaften Berechnungen basierende - Aussage dadurch relativiert hat, dass es das Fehlen gebotener Feststellungen am Unfalltage zum Unfallhergang bemängelt hat.

Verbietet sich bereits nach den vorstehenden Ausführungen eine Überzeugungsbildung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises im Hinblick darauf, dass schon im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung die Möglichkeit einer anderweitigen, insbesondere auf technische Mängel am Dienst-Kfz zurückzuführenden Unfallursache gegeben war, so gilt dies erst recht unter Berücksichtigung der vom Senat eingeholten Dienstlichen Äußerungen des POM A. und des POM B.

Der POM A. hat in seiner Dienstlichen Äußerung vom 9. Februar 2009 folgendes bekundet: Ihm sei durch mehrere Beamte wenige Tage vor dem hier maßgeblichen Unfall mitgeteilt worden, dass der "Opel nicht in der Spur bleibe und es dem Fahrer beim Bremsen das Lenkrad aus der Hand schlage". Er habe sich sodann das Fahrzeug angesehen und aus seiner Erfahrung eingeschätzt, dass das Radlagerspiel viel zu groß sei und die Gummilenker am Querlenker ebenfalls ein zu großes Spiel aufwiesen. Er habe den technischen Zustand des Fahrzeuges beanstandet und diesen sodann mit einem Zettel "Defekt - bitte stehen lassen!" versehen. Diesen Zettel habe er auf das Armaturenbrett des Opels gelegt und dann auch die Kollegen der nachfolgenden Schicht darauf hingewiesen, dass Fahrzeug stehen zu lassen. Schließlich habe er an den Dienststellenleiter am 28. Januar 2004 eine Mitteilung gemacht und den Mangel auch im Fahrtenbuch eingetragen.

Der POM B., Beifahrer des Klägers im Unfallzeitpunkt, hat in seiner Dienstlichen Äußerung vom 9. Februar 2009 zum Unfallhergang bekundet, an jenem Tage habe keinerlei Eilbedürftigkeit bestanden; es sei auch kein vorgegebener Zeitplan einzuhalten gewesen. Der Kläger sei mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h gefahren. Das Fahrzeug sei aus unerklärlicher Ursache seitlich ausgebrochen.

Die Äußerung des POM A. über die Eintragung eines Mangels im Fahrtenbuch wird bestätigt durch das Fahrtenbuch selbst, in welchem sich unter dem 28. Januar 2004 die Eintragung findet: "Radaufhängung vorn und Radspiel (Lager) zu groß", die durch den Namenszug des POM A. ergänzt wurde. Es besteht auch im Übrigen kein Anlass zu der Annahme, dass die beiden Zeugen ihre Dienstlichen Äußerungen etwa leichtfertig oder gar in dem Bestreben abgegeben haben, Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens nehmen zu wollen. Entsprechende Einwendungen hat auch die Beklagte nicht erhoben.

Danach vermag der Senat jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Ausbrechen des Dienst-Kfz auf Mängel an der Radaufhängung bzw. an dem Lenkverhalten des Fahrzeugs zurückzuführen ist. Eine - vom Verwaltungsgericht unterstellte - Mängelfreiheit des Fahrzeugs im Unfallzeitpunkt ergibt sich nach Überzeugung des Senats auch nicht aus den von der Beklagten vorgelegten Abrechnungen über die von ihr durchgeführten Inspektionen. Die betreffenden Formulare "Werkstatt-Auftrag" enthalten keinerlei Ausführungen über den technischen Zustand des Fahrzeugs, insbesondere keine Bestätigung über dessen Mängelfreiheit. Auch aus dem von der Polizeidirektion P-Stadt am 2./3. November 2005, d. h. mehr als 1 1/2 Jahre nach dem Unfall erstellten Vermerk über den Umfang der Wartung des Dienst-Kfz am 2. Februar 2004 kann eine Mängelfreiheit des Fahrzeugs hinsichtlich seiner Lenkung nicht hergeleitet werden. Es wurde danach zwar eine Sichtprüfung der Räder/Reifen vorgenommen und ein Bremstest durchgeführt; die Lenkung und der Zustand der Radlager waren indes gerade nicht Gegenstand der Inspektion. Es kann auch nicht zu Lasten des Klägers gehen, dass eine Untersuchung des verunfallten Dienst-Kfz unmittelbar nach dem Unfall auf das Vorhandensein möglicher technischer Mängel unterblieben ist. Insofern hat der Sachverständige O. mit Recht bemängelt, die ihm vorgelegten Unterlagen seien nicht geeignet, den Unfallablauf ausreichend genau zu rekonstruieren. Im Übrigen lassen auch die Ausführungen des Sachverständigen O. in seinem Gutachten vom 20. April 2004 jegliche Feststellungen zu etwaigen Mängeln an der Lenkung des Fahrzeugs vermissen.

Danach ist eine Verantwortlichkeit des Klägers für die Beschädigung des Dienst-Kfz jedenfalls nicht mit der für seine Inanspruchnahme gemäß § 78 BG LSA gebotenen Sicherheit nachgewiesen, so dass der von der Beklagten geltend gemachte Regressanspruch schon dem Grunde nach nicht bestehen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in §§ 132 VwGO, 127 BRRG genannten Gründe vorliegt.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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