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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 12.12.2008
Aktenzeichen: 1 O 153/08
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 93a
VwGO § 94
VwGO § 146 Abs. 1
1. Im Falle einer Aussetzung des Verfahrens gemäß oder analog § 94 VwGO ist die Beschwerdemöglichkeit gemäß § 146 Abs. 1 VwGO eröffnet.

2. Die Frage der Gültigkeit einer Rechtsnorm stellt kein Rechtsverhältnis im Sinne von § 94 VwGO dar.

3. Die Anhängigkeit einer Verfassungsbeschwerde oder einer Richtervorlage beim Bundesverfassungsgericht, vergleichbarer landesverfassungsgerichtlicher Streitigkeiten, von Normenkontrollverfahren im Sinne von § 47 VwGO oder einer Vorlage bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vermag die Aussetzung eines (Parallel-)Verfahrens analog § 94 VwGO zu rechtfertigen.

4. Stellt sich jedoch in einem bei einem Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren lediglich dieselbe (verfassungs-)rechtliche Frage, scheidet die analoge Anwendbarkeit von § 94 VwGO aus.


Gründe:

Da es sich bei der Aussetzung des Verfahrens gemäß oder analog § 94 VwGO nicht lediglich um eine prozessleitende Verfügung handelt, ist die Beschwerdemöglichkeit gemäß § 146 Abs. 1 VwGO eröffnet (vgl.: OVG LSA, Beschluss vom 10. Juli 2007 - Az.: 1 O 46/07 -, veröffentlicht bei juris [m. w. N.]; Beschluss vom 31. März 2005 - Az.: 4 O 97/05 -). Die hiernach statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Nach § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Ob bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ausgesetzt wird, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Überprüfung durch das Beschwerdegericht beschränkt sich insoweit darauf, ob das Gericht die Grenzen des Ermessens eingehalten und von seinem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat (vgl.: OVG LSA, a. a. O. [m. w. N.]).

Indes findet § 94 VwGO vorliegend - wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat - keine unmittelbare Anwendung, da diese Norm ein (vorgreifliches) Rechtsverhältnis voraussetzt. Die Frage der Gültigkeit einer Rechtsnorm ist jedoch nach allgemeiner Auffassung kein Rechtsverhältnis im Sinne von § 94 VwGO (vgl. etwa: BVerwG, Beschluss vom 30. November 1995 - Az.: 4 B 248.95 -, Buchholz 310 § 138 Ziffer 6 VwGO Nr. 30; Beschluss vom 6. Dezember 1999 - Az.: 3 B 55.99 -, Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 13 [jeweils m. w. N.]).

Zwar vermag die Anhängigkeit einer Verfassungsbeschwerde oder einer Richtervorlage beim Bundesverfassungsgericht oder eine Vorlage bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die Aussetzung eines (Parallel-)Verfahrens analog § 94 VwGO zu rechtfertigen (vgl.: BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1993 - Az.: 11 B 81.92 -, Buchholz 310, § 94 VwGO Nr. 7; Beschluss vom 10. November 2000 - Az.: 3 C 3.00 -, BVerwGE 112, 166; Beschluss vom 4. Mai 2005 - Az.: 4 C 6.04 -, BVerwGE 123, 322; Beschluss vom 15. März 2007 - Az.: 6 C 20.06 -, zitiert nach juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Mai 1998 - Az.: 14 S 812/98 -, zitiert nach juris; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10. September 2001 - Az.: 2 O 89/01 -, zitiert nach juris). Die dem zugrunde liegenden Erwägungen beruhen vor allem darauf, dass die erneute Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes oder des EuGH diese Gerichte zusätzlich belasten würde, ohne dass davon irgendein zusätzlicher Erkenntniswert zu erwarten wäre. Ferner bestände die Gefahr, dass sich durch ein weiteres Vorlageverfahren die Beantwortung der entscheidungserheblichen verfassungs- oder gemeinschaftsrechtlichen Fragen hinauszögern könnte. Diese Erwägungen treffen weitgehend auch auf vergleichbare landesverfassungsgerichtliche Streitigkeiten oder auf Normenkontrollverfahren im Sinne von § 47 VwGO zu.

Um solche Fallgestaltungen geht es vorliegend jedoch gerade nicht. Vielmehr stellt sich in dem hier maßgeblichen Streitfalle lediglich dieselbe verfassungsrechtliche Frage wie in dem bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängigen Revisionsverfahren zum Az. 2 C 23.07 (vorangegangen: Urteil des beschließenden Senates vom 25. April 2007 - Az.: 1 L 453/05 -, veröffentlicht bei juris).

§ 94 VwGO ist indes nicht analog anwendbar, wenn in einem anderen Verfahren - wie hier - lediglich über dieselbe Rechtsfrage oder die Auslegung derselben Rechtsnorm zu entscheiden ist (siehe: OVG LSA, Beschluss vom 31. März 2005 - Az.: 4 O 97/05 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Mai 1998 - Az.: 14 S 812/98 -, zitiert nach juris; BayVGH, Beschlüsse vom 4. Juni 1991 - Az.: 8 C 91.1185 - und vom 18. Juli 1996 - Az.: 4 C 96.1848 -, jeweils zitiert nach juris; a. A. wohl OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11. Juni 1998 - Az.: 4 O 1330/98 -, zitiert nach juris). Gründe der Verfahrensökonomie mögen zwar auch in Fällen dieser Art für eine Aussetzung des Verfahrens sprechen. Eine zu weit verstandene Aussetzung würde jedoch zum einen die Grundkonzeption der Norm aus dem Auge verlieren. Danach soll nämlich die vorgreifliche Entscheidung, die Grundlage der Aussetzung ist, unmittelbar für die Entscheidung des aussetzenden Gerichtes rechtliche Auswirkungen haben, was jedoch bei einem Verfahren der hier in Frage stehenden Art, bei dem lediglich die gleiche oder eine vergleichbare Rechtsfrage Gegenstand des anhängigen Verwaltungsstreitverfahrens ist, gerade nicht zutrifft. Zum anderen setzt eine Analogie eine Regelungslücke voraus. Insoweit kann nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dass durch die Aussetzungsmöglichkeit des § 93a VwGO bei sog. Massenverfahren in einer besonderen Verfahrenskonstellation, in der früher eine entsprechende Anwendung von § 94 VwGO praktiziert wurde, dem Gericht nunmehr die Möglichkeit eingeräumt wurde, dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie in der durch das Gesetz geregelten spezifischen Weise Rechnung zu tragen. Damit wäre eine unbegrenzte Analogie mit Rücksicht auf die Verfahrensökonomie kaum vereinbar (OVG LSA, Beschluss vom 31. März 2005, a. a. O.; ebenso: BayVGH, a. a. O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es wegen der nach der Ziffer 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG bestimmten Festgebühr nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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